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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Fritz Ohle: Die deutsche Expedition nach Abessinien.
der erste Donnerschlag des Lenzes alle im vorigen Herbst gestorbenen Blumen
zur Auferstehung weckt, so bedeutet der Frühling umgekehrt für alle Geister des
verflossenen Jahres die vollständige Vernichtung. Dieser Donner schafft Raum
für neuen jungen Spuk und gibt dem Lebendigen dem Toten gegenüber
sein Recht.

[Abbildung]
Die deutsche Expedition nach Abessinien.
Von Fritz Ohle, Berlin.     [ Nachdruck verboten. ]

Über die Entsendung der deutschen Expedition nach Abessinien herrscht
in gewissen Kreisen eine Begeisterung, die garnicht am Platz ist; es werden
daran Hoffnungen für die Entwicklung des deutschen Exporthandels geknüpft,
die sich nie erfüllen werden. Praktischen Wert hat die Entsendung dieser
Mission absolut nicht
für uns Deutsche: weil -- wir viel, viel zu spät
kommen. Also irgendwelche Vorteile, die wir uns damit aus Abessinien holen
könnten, sind ausgeschlossen; nicht einmal auf die Kosten der Expedition werden
wir kommen. Unsere enragierten Afrika=Kolonie=Freunde wollen aber dies,
was jeder, der mit afrikanischen Verhältnissen vertraut ist, weiß, nicht glauben,
bis sie denn auch in diesem Falle durch den Mißerfolg belehrt werden, daß
unsere ganze deutsche Afrika=Politik schon seit langem in total ver-
kehrtem Fahrwasser steuert.

Es handelt sich bei der Expedition nach Abessinien bekanntlich um die
Landstriche, welche das Rote Meer umsäumen. England hat nun aber schon
seit Jahren seine Hand auf das Rote Meer gelegt, und es wird nicht lange
mehr dauern, dann ist dasselbe, wie es bereits schon die Landstriche am Süd-
eingang sind, englischer Besitz. Von hier aus, und namentlich vom südlichen
Arabien, wo die englischen Jntriguen tätig sind, fortwährend die Eingeborenen-
stämme gegen die Türkei aufzuhetzen, und mit Geld und Waffenlieferung deren
Widerstand unterstützen, hat England bereits auf die Entwicklung der Dinge
in Abessinien einen großen Einfluß ausgeübt, was in Deutschland wenig
bekannt zu sein scheint.
England hat hier schon bedeutende Erfolge
errungen, weil es dabei mit Mitteln vorgegangen ist, die wir Deutschen nie
anwenden können, auch wohl, wenn wir's könnten, nie anwenden würden.

Unsere Stammesvettern jenseits des Kanals sind uns in der Welt= und
Kolonialpolitik eben weit über, und besonders ist ihnen an der Erweiternng
ihres Besitzstandes am Roten Meer viel gelegen; denn mit demselben beherrschen
sie den Eingang von Osten zum Mittelländischen Meere und können dadurch

Fritz Ohle: Die deutsche Expedition nach Abessinien.
der erste Donnerschlag des Lenzes alle im vorigen Herbst gestorbenen Blumen
zur Auferstehung weckt, so bedeutet der Frühling umgekehrt für alle Geister des
verflossenen Jahres die vollständige Vernichtung. Dieser Donner schafft Raum
für neuen jungen Spuk und gibt dem Lebendigen dem Toten gegenüber
sein Recht.

[Abbildung]
Die deutsche Expedition nach Abessinien.
Von Fritz Ohle, Berlin.     [ Nachdruck verboten. ]

Über die Entsendung der deutschen Expedition nach Abessinien herrscht
in gewissen Kreisen eine Begeisterung, die garnicht am Platz ist; es werden
daran Hoffnungen für die Entwicklung des deutschen Exporthandels geknüpft,
die sich nie erfüllen werden. Praktischen Wert hat die Entsendung dieser
Mission absolut nicht
für uns Deutsche: weil — wir viel, viel zu spät
kommen. Also irgendwelche Vorteile, die wir uns damit aus Abessinien holen
könnten, sind ausgeschlossen; nicht einmal auf die Kosten der Expedition werden
wir kommen. Unsere enragierten Afrika=Kolonie=Freunde wollen aber dies,
was jeder, der mit afrikanischen Verhältnissen vertraut ist, weiß, nicht glauben,
bis sie denn auch in diesem Falle durch den Mißerfolg belehrt werden, daß
unsere ganze deutsche Afrika=Politik schon seit langem in total ver-
kehrtem Fahrwasser steuert.

Es handelt sich bei der Expedition nach Abessinien bekanntlich um die
Landstriche, welche das Rote Meer umsäumen. England hat nun aber schon
seit Jahren seine Hand auf das Rote Meer gelegt, und es wird nicht lange
mehr dauern, dann ist dasselbe, wie es bereits schon die Landstriche am Süd-
eingang sind, englischer Besitz. Von hier aus, und namentlich vom südlichen
Arabien, wo die englischen Jntriguen tätig sind, fortwährend die Eingeborenen-
stämme gegen die Türkei aufzuhetzen, und mit Geld und Waffenlieferung deren
Widerstand unterstützen, hat England bereits auf die Entwicklung der Dinge
in Abessinien einen großen Einfluß ausgeübt, was in Deutschland wenig
bekannt zu sein scheint.
England hat hier schon bedeutende Erfolge
errungen, weil es dabei mit Mitteln vorgegangen ist, die wir Deutschen nie
anwenden können, auch wohl, wenn wir's könnten, nie anwenden würden.

Unsere Stammesvettern jenseits des Kanals sind uns in der Welt= und
Kolonialpolitik eben weit über, und besonders ist ihnen an der Erweiternng
ihres Besitzstandes am Roten Meer viel gelegen; denn mit demselben beherrschen
sie den Eingang von Osten zum Mittelländischen Meere und können dadurch

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[366/0030] Fritz Ohle: Die deutsche Expedition nach Abessinien. der erste Donnerschlag des Lenzes alle im vorigen Herbst gestorbenen Blumen zur Auferstehung weckt, so bedeutet der Frühling umgekehrt für alle Geister des verflossenen Jahres die vollständige Vernichtung. Dieser Donner schafft Raum für neuen jungen Spuk und gibt dem Lebendigen dem Toten gegenüber sein Recht. [Abbildung] Die deutsche Expedition nach Abessinien. Von Fritz Ohle, Berlin. [ Nachdruck verboten. ] Über die Entsendung der deutschen Expedition nach Abessinien herrscht in gewissen Kreisen eine Begeisterung, die garnicht am Platz ist; es werden daran Hoffnungen für die Entwicklung des deutschen Exporthandels geknüpft, die sich nie erfüllen werden. Praktischen Wert hat die Entsendung dieser Mission absolut nicht für uns Deutsche: weil — wir viel, viel zu spät kommen. Also irgendwelche Vorteile, die wir uns damit aus Abessinien holen könnten, sind ausgeschlossen; nicht einmal auf die Kosten der Expedition werden wir kommen. Unsere enragierten Afrika=Kolonie=Freunde wollen aber dies, was jeder, der mit afrikanischen Verhältnissen vertraut ist, weiß, nicht glauben, bis sie denn auch in diesem Falle durch den Mißerfolg belehrt werden, daß unsere ganze deutsche Afrika=Politik schon seit langem in total ver- kehrtem Fahrwasser steuert. Es handelt sich bei der Expedition nach Abessinien bekanntlich um die Landstriche, welche das Rote Meer umsäumen. England hat nun aber schon seit Jahren seine Hand auf das Rote Meer gelegt, und es wird nicht lange mehr dauern, dann ist dasselbe, wie es bereits schon die Landstriche am Süd- eingang sind, englischer Besitz. Von hier aus, und namentlich vom südlichen Arabien, wo die englischen Jntriguen tätig sind, fortwährend die Eingeborenen- stämme gegen die Türkei aufzuhetzen, und mit Geld und Waffenlieferung deren Widerstand unterstützen, hat England bereits auf die Entwicklung der Dinge in Abessinien einen großen Einfluß ausgeübt, was in Deutschland wenig bekannt zu sein scheint. England hat hier schon bedeutende Erfolge errungen, weil es dabei mit Mitteln vorgegangen ist, die wir Deutschen nie anwenden können, auch wohl, wenn wir's könnten, nie anwenden würden. Unsere Stammesvettern jenseits des Kanals sind uns in der Welt= und Kolonialpolitik eben weit über, und besonders ist ihnen an der Erweiternng ihres Besitzstandes am Roten Meer viel gelegen; denn mit demselben beherrschen sie den Eingang von Osten zum Mittelländischen Meere und können dadurch

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/30>, abgerufen am 24.11.2024.