Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

August Strindberg: Der Quarantänemeister.
höllisches Leben. Und jetzt -- du siehst selbst! Liebenswürdig sind sie nicht,
und lustig auch nicht, aber sie sind wenigstens still, so daß man nachts schlafen
kann; und sie schlagen sich nicht, so daß man umherwandern kann, ohne für
Leben und Glieder fürchten zu müssen. Mit einem Wort, die einfachsten Seg-
nungen der Kultur waren eine bestimmte Folge der Erbauung des Bethauses."

"Des Bethauses, in das du niemals gehst!"

"Nein, in den Schafstall gehöre ich nicht! Aber bist du jemals da gewesen?"

"Jch, nein!"

"Du solltest sie dir jedenfalls mal anhören!"

"Warum?"

"Du wagst nicht!"

"Wagen, ist es gefährlich?"

"Das behauptet man!"

"Nicht für mich!"

"Wollen wir wetten? Einen Anker Punsch!"

Der Postmeister überlegte einen Augenblick, nicht so sehr über den Punsch,
sondern über den Argwohn des Doktors, daß er feige sein könne. -- Nur zu!
Jch werde Freitag dahin gehen! Und dann kannst du mit dem Anker heim-
rudern, wenn ich Schaden genommen habe.

Der Tag kam, und der Postmeister aß Mittag beim Doktor, ehe er den
anberaumten Gang nach dem Bethause antrat. Niemand hatte seine Absicht
erfahren, teils weil er fürchtete, der Prediger werde es auf ihn münzen, teils
weil er bange war, in den Ruf eines Pietisten zu kommen.

Nach dem Mittag lieh er eine Dose Schnupftabak, um sich wach zu halten,
trotz des Doktors Versicherungen, daß er keine Gelegenheit zum Schlafen erhalten
würde. Und dann ging er.

Der Doktor dagegen wanderte unten in seinem Garten umher, auf den
Ausgang eines Versuches wartend, bei dem mancher Stärkere gefallen war.

Er wartete eine und eine halbe Stunde, er wartete zwei. Er wartete drei.

Da sah er endlich die Kirchgänger herausströmen; es war also zu Ende.
Aber der Postmeister erschien nicht. Der Doktor wurde unruhig. Es verging
eine Stunde, und schließlich sah er den Freund aus dem Walde kommen. Er
kam mit einer etwas aufgestelzten Freudigkeit und hatte etwas gezwungen Leb-
haftes in seinem Gang. Als er den Doktor erblickte, schlingerte er ein wenig
mit den Beinen und zog die Schultern in die Höhe, als ob die Kleider strammten.

"Nun?" fragte der Doktor. "Das war aber langwierig?"

"Ja", war die ganze Antwort.

Sie gingen ins Lusthaus hinunter; setzten sich einander gegenüber, obwohl
der Postmeister bange war, sein Gesicht zu zeigen, in das ein neuer Ausdruck
gekommen war.

"Gib mir eine Prise Schnupftabak!" sagte der verschmitzte Doktor.

Der Postmeister holte die Dose hervor, die unberührt war...

"Du schliefest nicht?" fing der Doktor wieder an.

Der Postmeister fühlte sich verlegen.

"Nun, alter Junge, du bist nicht munter? -- Was ist das mit dir? --
Nein, hörst du..."

Der Doktor fuhr mit dem Zeigefinger seinem Freunde zwischen Auge und
Nase, als ob er ihm etwas zeigen wolle...

August Strindberg: Der Quarantänemeister.
höllisches Leben. Und jetzt — du siehst selbst! Liebenswürdig sind sie nicht,
und lustig auch nicht, aber sie sind wenigstens still, so daß man nachts schlafen
kann; und sie schlagen sich nicht, so daß man umherwandern kann, ohne für
Leben und Glieder fürchten zu müssen. Mit einem Wort, die einfachsten Seg-
nungen der Kultur waren eine bestimmte Folge der Erbauung des Bethauses.“

„Des Bethauses, in das du niemals gehst!“

„Nein, in den Schafstall gehöre ich nicht! Aber bist du jemals da gewesen?“

„Jch, nein!“

„Du solltest sie dir jedenfalls mal anhören!“

„Warum?“

„Du wagst nicht!“

„Wagen, ist es gefährlich?“

„Das behauptet man!“

„Nicht für mich!“

„Wollen wir wetten? Einen Anker Punsch!“

Der Postmeister überlegte einen Augenblick, nicht so sehr über den Punsch,
sondern über den Argwohn des Doktors, daß er feige sein könne. — Nur zu!
Jch werde Freitag dahin gehen! Und dann kannst du mit dem Anker heim-
rudern, wenn ich Schaden genommen habe.

Der Tag kam, und der Postmeister aß Mittag beim Doktor, ehe er den
anberaumten Gang nach dem Bethause antrat. Niemand hatte seine Absicht
erfahren, teils weil er fürchtete, der Prediger werde es auf ihn münzen, teils
weil er bange war, in den Ruf eines Pietisten zu kommen.

Nach dem Mittag lieh er eine Dose Schnupftabak, um sich wach zu halten,
trotz des Doktors Versicherungen, daß er keine Gelegenheit zum Schlafen erhalten
würde. Und dann ging er.

Der Doktor dagegen wanderte unten in seinem Garten umher, auf den
Ausgang eines Versuches wartend, bei dem mancher Stärkere gefallen war.

Er wartete eine und eine halbe Stunde, er wartete zwei. Er wartete drei.

Da sah er endlich die Kirchgänger herausströmen; es war also zu Ende.
Aber der Postmeister erschien nicht. Der Doktor wurde unruhig. Es verging
eine Stunde, und schließlich sah er den Freund aus dem Walde kommen. Er
kam mit einer etwas aufgestelzten Freudigkeit und hatte etwas gezwungen Leb-
haftes in seinem Gang. Als er den Doktor erblickte, schlingerte er ein wenig
mit den Beinen und zog die Schultern in die Höhe, als ob die Kleider strammten.

„Nun?“ fragte der Doktor. „Das war aber langwierig?“

„Ja“, war die ganze Antwort.

Sie gingen ins Lusthaus hinunter; setzten sich einander gegenüber, obwohl
der Postmeister bange war, sein Gesicht zu zeigen, in das ein neuer Ausdruck
gekommen war.

„Gib mir eine Prise Schnupftabak!“ sagte der verschmitzte Doktor.

Der Postmeister holte die Dose hervor, die unberührt war...

„Du schliefest nicht?“ fing der Doktor wieder an.

Der Postmeister fühlte sich verlegen.

„Nun, alter Junge, du bist nicht munter? — Was ist das mit dir? —
Nein, hörst du...“

Der Doktor fuhr mit dem Zeigefinger seinem Freunde zwischen Auge und
Nase, als ob er ihm etwas zeigen wolle...

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0041" n="281"/><fw type="header" place="top">August Strindberg: Der Quarantänemeister.</fw><lb/>
höllisches Leben. Und jetzt &#x2014; du siehst selbst! Liebenswürdig sind sie nicht,<lb/>
und lustig auch nicht, aber sie sind wenigstens still, so daß man nachts schlafen<lb/>
kann; und sie schlagen sich nicht, so daß man umherwandern kann, ohne für<lb/>
Leben und Glieder fürchten zu müssen. Mit einem Wort, die einfachsten Seg-<lb/>
nungen der Kultur waren eine bestimmte Folge der Erbauung des Bethauses.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Des Bethauses, in das du niemals gehst!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, in den Schafstall gehöre ich nicht! Aber bist du jemals da gewesen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch, nein!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du solltest sie dir jedenfalls mal anhören!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du wagst nicht!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wagen, ist es gefährlich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das behauptet man!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nicht für mich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wollen wir wetten? Einen Anker Punsch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Postmeister überlegte einen Augenblick, nicht so sehr über den Punsch,<lb/>
sondern über den Argwohn des Doktors, daß er feige sein könne. &#x2014; Nur zu!<lb/>
Jch werde Freitag dahin gehen! Und dann kannst du mit dem Anker heim-<lb/>
rudern, wenn ich Schaden genommen habe.</p><lb/>
        <p>Der Tag kam, und der Postmeister aß Mittag beim Doktor, ehe er den<lb/>
anberaumten Gang nach dem Bethause antrat. Niemand hatte seine Absicht<lb/>
erfahren, teils weil er fürchtete, der Prediger werde es auf ihn münzen, teils<lb/>
weil er bange war, in den Ruf eines Pietisten zu kommen.</p><lb/>
        <p>Nach dem Mittag lieh er eine Dose Schnupftabak, um sich wach zu halten,<lb/>
trotz des Doktors Versicherungen, daß er keine Gelegenheit zum Schlafen erhalten<lb/>
würde. Und dann ging er.</p><lb/>
        <p>Der Doktor dagegen wanderte unten in seinem Garten umher, auf den<lb/>
Ausgang eines Versuches wartend, bei dem mancher Stärkere gefallen war.</p><lb/>
        <p>Er wartete eine und eine halbe Stunde, er wartete zwei. Er wartete drei.</p><lb/>
        <p>Da sah er endlich die Kirchgänger herausströmen; es war also zu Ende.<lb/>
Aber der Postmeister erschien nicht. Der Doktor wurde unruhig. Es verging<lb/>
eine Stunde, und schließlich sah er den Freund aus dem Walde kommen. Er<lb/>
kam mit einer etwas aufgestelzten Freudigkeit und hatte etwas gezwungen Leb-<lb/>
haftes in seinem Gang. Als er den Doktor erblickte, schlingerte er ein wenig<lb/>
mit den Beinen und zog die Schultern in die Höhe, als ob die Kleider strammten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun?&#x201C; fragte der Doktor. &#x201E;Das war aber langwierig?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja&#x201C;, war die ganze Antwort.</p><lb/>
        <p>Sie gingen ins Lusthaus hinunter; setzten sich einander gegenüber, obwohl<lb/>
der Postmeister bange war, sein Gesicht zu zeigen, in das ein neuer Ausdruck<lb/>
gekommen war.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gib mir eine Prise Schnupftabak!&#x201C; sagte der verschmitzte Doktor.</p><lb/>
        <p>Der Postmeister holte die Dose hervor, die unberührt war...</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du schliefest nicht?&#x201C; fing der Doktor wieder an.</p><lb/>
        <p>Der Postmeister fühlte sich verlegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, alter Junge, du bist nicht munter? &#x2014; Was ist das mit dir? &#x2014;<lb/>
Nein, hörst du...&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Doktor fuhr mit dem Zeigefinger seinem Freunde zwischen Auge und<lb/>
Nase, als ob er ihm etwas zeigen wolle...</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0041] August Strindberg: Der Quarantänemeister. höllisches Leben. Und jetzt — du siehst selbst! Liebenswürdig sind sie nicht, und lustig auch nicht, aber sie sind wenigstens still, so daß man nachts schlafen kann; und sie schlagen sich nicht, so daß man umherwandern kann, ohne für Leben und Glieder fürchten zu müssen. Mit einem Wort, die einfachsten Seg- nungen der Kultur waren eine bestimmte Folge der Erbauung des Bethauses.“ „Des Bethauses, in das du niemals gehst!“ „Nein, in den Schafstall gehöre ich nicht! Aber bist du jemals da gewesen?“ „Jch, nein!“ „Du solltest sie dir jedenfalls mal anhören!“ „Warum?“ „Du wagst nicht!“ „Wagen, ist es gefährlich?“ „Das behauptet man!“ „Nicht für mich!“ „Wollen wir wetten? Einen Anker Punsch!“ Der Postmeister überlegte einen Augenblick, nicht so sehr über den Punsch, sondern über den Argwohn des Doktors, daß er feige sein könne. — Nur zu! Jch werde Freitag dahin gehen! Und dann kannst du mit dem Anker heim- rudern, wenn ich Schaden genommen habe. Der Tag kam, und der Postmeister aß Mittag beim Doktor, ehe er den anberaumten Gang nach dem Bethause antrat. Niemand hatte seine Absicht erfahren, teils weil er fürchtete, der Prediger werde es auf ihn münzen, teils weil er bange war, in den Ruf eines Pietisten zu kommen. Nach dem Mittag lieh er eine Dose Schnupftabak, um sich wach zu halten, trotz des Doktors Versicherungen, daß er keine Gelegenheit zum Schlafen erhalten würde. Und dann ging er. Der Doktor dagegen wanderte unten in seinem Garten umher, auf den Ausgang eines Versuches wartend, bei dem mancher Stärkere gefallen war. Er wartete eine und eine halbe Stunde, er wartete zwei. Er wartete drei. Da sah er endlich die Kirchgänger herausströmen; es war also zu Ende. Aber der Postmeister erschien nicht. Der Doktor wurde unruhig. Es verging eine Stunde, und schließlich sah er den Freund aus dem Walde kommen. Er kam mit einer etwas aufgestelzten Freudigkeit und hatte etwas gezwungen Leb- haftes in seinem Gang. Als er den Doktor erblickte, schlingerte er ein wenig mit den Beinen und zog die Schultern in die Höhe, als ob die Kleider strammten. „Nun?“ fragte der Doktor. „Das war aber langwierig?“ „Ja“, war die ganze Antwort. Sie gingen ins Lusthaus hinunter; setzten sich einander gegenüber, obwohl der Postmeister bange war, sein Gesicht zu zeigen, in das ein neuer Ausdruck gekommen war. „Gib mir eine Prise Schnupftabak!“ sagte der verschmitzte Doktor. Der Postmeister holte die Dose hervor, die unberührt war... „Du schliefest nicht?“ fing der Doktor wieder an. Der Postmeister fühlte sich verlegen. „Nun, alter Junge, du bist nicht munter? — Was ist das mit dir? — Nein, hörst du...“ Der Doktor fuhr mit dem Zeigefinger seinem Freunde zwischen Auge und Nase, als ob er ihm etwas zeigen wolle...

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/41
Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/41>, abgerufen am 10.06.2024.