Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.August Strindberg: Der Quarantänemeister. "Jch glaube... du hast geweint?" "Ach was! Du schwatztst!" antwortete der Postmeister und raffte sich auf! "Erzähle, erzähle! Daß du an Zauberer glaubst!" "Ja, es war so wunderlich!" Nun kaute er trocken! Und fuhr fort. "Kannst du dir das denken! Er predigte natürlich mir vor! Und mitten "Ja, ja, du, ich wußte es, und darum nehme ich mich in Acht! Was es "Erzähle, was es war!" "Nein, du! Das tue ich nicht. Du weißt selbst, daß das stille Gedanken- "Nein," unterbrach der Freund hastig! "Nein! Unsere Handlungen sind "Und die Gedanken sind die Handlungen des Geistes, habe ich irgendwo "Nein! da war ich fort!" "Es war ein junges Kindermädchen, unschuldig, kinderlieb, artig, so wie August Strindberg: Der Quarantänemeister. „Jch glaube... du hast geweint?“ „Ach was! Du schwatztst!“ antwortete der Postmeister und raffte sich auf! „Erzähle, erzähle! Daß du an Zauberer glaubst!“ „Ja, es war so wunderlich!“ Nun kaute er trocken! Und fuhr fort. „Kannst du dir das denken! Er predigte natürlich mir vor! Und mitten „Ja, ja, du, ich wußte es, und darum nehme ich mich in Acht! Was es „Erzähle, was es war!“ „Nein, du! Das tue ich nicht. Du weißt selbst, daß das stille Gedanken- „Nein,“ unterbrach der Freund hastig! „Nein! Unsere Handlungen sind „Und die Gedanken sind die Handlungen des Geistes, habe ich irgendwo „Nein! da war ich fort!“ „Es war ein junges Kindermädchen, unschuldig, kinderlieb, artig, so wie <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0042" n="282"/> <fw type="header" place="top">August Strindberg: Der Quarantänemeister.</fw><lb/> <p>„Jch glaube... du hast geweint?“</p><lb/> <p>„Ach was! Du schwatztst!“ antwortete der Postmeister und raffte sich auf!<lb/> „Aber, jedenfalls, du weißt, ich bin nicht leicht zu verlocken, aber, wie gesagt...<lb/> es war ein Zauberer, das war er.“</p><lb/> <p>„Erzähle, erzähle! Daß du an Zauberer glaubst!“</p><lb/> <p>„Ja, es war so wunderlich!“</p><lb/> <p>Nun kaute er trocken! Und fuhr fort.</p><lb/> <p>„Kannst du dir das denken! Er predigte natürlich mir vor! Und mitten<lb/> in der Predigt, sagte er mir alle die Geheimnisse, die ich gleich jedem Menschen<lb/> seit meiner Kindheit, ja noch länger, im Allerverborgensten versteckt hatte.<lb/> Jch fühlte, daß ich errötete und daß die ganze Gemeinde mich ansah, als ob<lb/> sie es auch wüßte, was ganz unmöglich ist. Und sie nickten im Takt zu seinen<lb/> Worten, mich immerfort anstarrend. Ja, sie kehrten sich in den Stühlen um...<lb/> Auch als Zauberei betrachtet, war es...“</p><lb/> <p>„Ja, ja, du, ich wußte es, und darum nehme ich mich in Acht! Was es<lb/> ist, weiß ich nicht, aber es ist etwas, das ich von mir entfernt halte. Und es<lb/> ist dasselbe mit Swedenborg. Jch saß einmal in einem Vorgemach und wartete<lb/> auf Zutritt. Hinter mir stand ein Büchergestell und ein Buch ragte da heraus,<lb/> das meinen Nacken hinderte sich anzulehnen. Jch nahm das Buch herunter,<lb/> und es war ein Teil von Swedenborgs Himmlischen Geheimnissen. Aufs Ge-<lb/> ratewohl schlug ich das Buch auf — und, kannst du dir vorstellen, in zwei<lb/> Minuten hatte ich — nun, was meine Gedanken damals am meisten erfüllte —<lb/> und mit allen Nebenumständen von einer solch erschreckenden zerschmetternden<lb/> Sachkenntnis, daß mir umheimlich zu Mut wurde. Jn zwei Minuten hatte ich<lb/> mich selbst und meine Angelegenheiten klar...“</p><lb/> <p>„Erzähle, was es war!“</p><lb/> <p>„Nein, du! Das tue ich nicht. Du weißt selbst, daß das stille Gedanken-<lb/> leben, das wir führen, ein heiliger Ort ist, und was wir in dem Heiligen er-<lb/> leben... ja, wir sind nicht die, die wir scheinen...“</p><lb/> <p>„Nein,“ unterbrach der Freund hastig! „Nein! Unsere Handlungen sind<lb/> sehr leicht zu beherrschen, aber unsere Gedanken... pfui!“</p><lb/> <p>„Und die Gedanken sind die Handlungen des Geistes, habe ich irgendwo<lb/> gelesen. Und mit unseren stillen bösen Gedanken können wir andere anstecken;<lb/> wir können unseren bösen Willen auf andere übertragen, die ihn ausführen. —<lb/> Erinnerst du dich an die Kindermörderin hier am Orte vor zehn Jahren?“</p><lb/> <p>„Nein! da war ich fort!“</p><lb/> <p>„Es war ein junges Kindermädchen, unschuldig, kinderlieb, artig, so wie<lb/> sie immer gewesen war, nach dem was beim Verhör herauskam. Nun, sie<lb/> diente im Sommer bei einer Schauspielerin drüben auf Heiterbucht. Jm August<lb/> wurde sie wegen Kindermord verhaftet. Jch war auf dem Gericht anwesend,<lb/> als sie verhört wurde. Einen Grund für ihre Handlung konnte sie nicht an-<lb/> geben. Aber der Richter wollte Gründe haben, da ein Jnteresse nicht vor,<lb/> handen war. Die Zeugen bekundeten, sie habe das Kind geliebt, was sie<lb/> zugab. Beim zweiten Verhör war sie außer sich vor Reue und Entsetzen über<lb/> die schreckliche Tat, aber sie trat auf, als hätte sie das Verbrechen nicht be-<lb/> gangen, obgleich sie es auf sich nahm. Beim dritten Verhör wollte der Richter<lb/> ihr helfen und stellte die Frage: „Wie kamst du auf den Gedanken, ein un-<lb/> schuldiges Kind zu ermorden, das du liebtest? Denke genau nach!“ Das </p> </div> </body> </text> </TEI> [282/0042]
August Strindberg: Der Quarantänemeister.
„Jch glaube... du hast geweint?“
„Ach was! Du schwatztst!“ antwortete der Postmeister und raffte sich auf!
„Aber, jedenfalls, du weißt, ich bin nicht leicht zu verlocken, aber, wie gesagt...
es war ein Zauberer, das war er.“
„Erzähle, erzähle! Daß du an Zauberer glaubst!“
„Ja, es war so wunderlich!“
Nun kaute er trocken! Und fuhr fort.
„Kannst du dir das denken! Er predigte natürlich mir vor! Und mitten
in der Predigt, sagte er mir alle die Geheimnisse, die ich gleich jedem Menschen
seit meiner Kindheit, ja noch länger, im Allerverborgensten versteckt hatte.
Jch fühlte, daß ich errötete und daß die ganze Gemeinde mich ansah, als ob
sie es auch wüßte, was ganz unmöglich ist. Und sie nickten im Takt zu seinen
Worten, mich immerfort anstarrend. Ja, sie kehrten sich in den Stühlen um...
Auch als Zauberei betrachtet, war es...“
„Ja, ja, du, ich wußte es, und darum nehme ich mich in Acht! Was es
ist, weiß ich nicht, aber es ist etwas, das ich von mir entfernt halte. Und es
ist dasselbe mit Swedenborg. Jch saß einmal in einem Vorgemach und wartete
auf Zutritt. Hinter mir stand ein Büchergestell und ein Buch ragte da heraus,
das meinen Nacken hinderte sich anzulehnen. Jch nahm das Buch herunter,
und es war ein Teil von Swedenborgs Himmlischen Geheimnissen. Aufs Ge-
ratewohl schlug ich das Buch auf — und, kannst du dir vorstellen, in zwei
Minuten hatte ich — nun, was meine Gedanken damals am meisten erfüllte —
und mit allen Nebenumständen von einer solch erschreckenden zerschmetternden
Sachkenntnis, daß mir umheimlich zu Mut wurde. Jn zwei Minuten hatte ich
mich selbst und meine Angelegenheiten klar...“
„Erzähle, was es war!“
„Nein, du! Das tue ich nicht. Du weißt selbst, daß das stille Gedanken-
leben, das wir führen, ein heiliger Ort ist, und was wir in dem Heiligen er-
leben... ja, wir sind nicht die, die wir scheinen...“
„Nein,“ unterbrach der Freund hastig! „Nein! Unsere Handlungen sind
sehr leicht zu beherrschen, aber unsere Gedanken... pfui!“
„Und die Gedanken sind die Handlungen des Geistes, habe ich irgendwo
gelesen. Und mit unseren stillen bösen Gedanken können wir andere anstecken;
wir können unseren bösen Willen auf andere übertragen, die ihn ausführen. —
Erinnerst du dich an die Kindermörderin hier am Orte vor zehn Jahren?“
„Nein! da war ich fort!“
„Es war ein junges Kindermädchen, unschuldig, kinderlieb, artig, so wie
sie immer gewesen war, nach dem was beim Verhör herauskam. Nun, sie
diente im Sommer bei einer Schauspielerin drüben auf Heiterbucht. Jm August
wurde sie wegen Kindermord verhaftet. Jch war auf dem Gericht anwesend,
als sie verhört wurde. Einen Grund für ihre Handlung konnte sie nicht an-
geben. Aber der Richter wollte Gründe haben, da ein Jnteresse nicht vor,
handen war. Die Zeugen bekundeten, sie habe das Kind geliebt, was sie
zugab. Beim zweiten Verhör war sie außer sich vor Reue und Entsetzen über
die schreckliche Tat, aber sie trat auf, als hätte sie das Verbrechen nicht be-
gangen, obgleich sie es auf sich nahm. Beim dritten Verhör wollte der Richter
ihr helfen und stellte die Frage: „Wie kamst du auf den Gedanken, ein un-
schuldiges Kind zu ermorden, das du liebtest? Denke genau nach!“ Das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/42 |
Zitationshilfe: | Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/42>, abgerufen am 16.07.2024. |