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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte.
Von Dr. Bruno Borchardt, Charlottenburg.

Der Kampf um die Schule ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kultur-
kampf. Der Stand des Volksschulwesens ist geradezu ein Gradmesser der
Kultur eines Landes. Wenn man z. B. hört, daß in Preußen der dritte Teil
aller Kinder den Schulunterricht nur in ein= und zweiklassigen Schulen em-
pfangen, auf dem Lande sogar die Hälfte aller Kinder, so kann man ohne jede
sonstige Kenntnis von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen dieses
Landes einen Schluß auf den Tiefstand der Kultur in ihm machen. Jn der
Tat hängt die allgemeine Rückständigkeit Preußens aufs engste mit der Rück-
ständigkeit seiner Schulverhältnisse zusammen, wie sie auch das stärkste Hemm-
nis einer gesunden Entwicklung der Schule ist. Jn dem sog. Kulturkampf der
siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts spielte die Schule nicht die unwich-
tigste Rolle, die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses aus der Schule, die
Beugung der kirchlichen Schulaufsicht unter die staatliche war eine der haupt-
sächlichsten Aufgaben der Gesetzgebung jener Zeit.

Seitdem Bismarck seinen Gang nach Canossa angetreten hatte, ist der
Einfluß der Kirche auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens in geradezu
erschreckender Weise gestiegen. Während immer größere Volksmassen dem reli-
giösen Glauben gegenüber sich zum mindesten gleichgiltig verhalten, sucht man
in den Kreisen der privilegierten Schichten den kirchlichen Jnstitutionen eine
immer wachsende Machtfülle zu geben und das gesamte öffentliche Leben mit
kirchlich=muckerischem Geist zu durchtränken. Der Staat hat seine Autorität
unter die der katholischen Kirche gebeugt und sucht in gleicher Weise auch die
der evangelischen zu stärken. Kein Wunder, daß dieses Vordringen des kirch-
lichen Einflusses sich gerade auch auf dem Gebiete der Schule in außerordent-
lichem Maße zeigt, daß der Staat die Machtvollkommenheiten, die er sich in
den siebziger Jahren geschaffen, dazu benutzt, die Kirche, deren Einfluß zu
brechen sie einst geschaffen wurden, auch dort in die Schulen zurückzuführen,
wo andere weniger reaktionäre Mächte sich dieser Zurückführung entgegensetzen.

Dies ist der innere, tiefere Grund für die Konflikte, die seit länger als
einem Jahrzehnt zwischen der preußischen Regierung und den Verwaltungen
der größten Kommunen auf dem Gebiete des Schulwesens fast beständig an der
Tagesordnung sind und die eine treffliche Jllustration zu dem Tiefstand
städtischer Selbstverwaltung in Preußen geben. Von diesen Konflikten haben
in der jüngsten Zeit der mit der Reichshauptstadt Berlin und der mit der
benachbarten Residenzstadt Charlottenburg größere Aufmerksamkeit erregt.
Jn der Tat sind sie typische Beispiele für die in Preußen herrschende Reaktion
und die geradezu russische Willkür, mit der hier auf dem so unendlich wichtigen
Gebiete der Schule verfahren wird.

Jn künstlicher Weise konstruiert man einen Gegensatz zwischen städtischen
Angelegenheiten und Schulangelegenheiten, deren Verwaltung nicht der Kom-


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Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte.
Von Dr. Bruno Borchardt, Charlottenburg.

Der Kampf um die Schule ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kultur-
kampf. Der Stand des Volksschulwesens ist geradezu ein Gradmesser der
Kultur eines Landes. Wenn man z. B. hört, daß in Preußen der dritte Teil
aller Kinder den Schulunterricht nur in ein= und zweiklassigen Schulen em-
pfangen, auf dem Lande sogar die Hälfte aller Kinder, so kann man ohne jede
sonstige Kenntnis von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen dieses
Landes einen Schluß auf den Tiefstand der Kultur in ihm machen. Jn der
Tat hängt die allgemeine Rückständigkeit Preußens aufs engste mit der Rück-
ständigkeit seiner Schulverhältnisse zusammen, wie sie auch das stärkste Hemm-
nis einer gesunden Entwicklung der Schule ist. Jn dem sog. Kulturkampf der
siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts spielte die Schule nicht die unwich-
tigste Rolle, die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses aus der Schule, die
Beugung der kirchlichen Schulaufsicht unter die staatliche war eine der haupt-
sächlichsten Aufgaben der Gesetzgebung jener Zeit.

Seitdem Bismarck seinen Gang nach Canossa angetreten hatte, ist der
Einfluß der Kirche auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens in geradezu
erschreckender Weise gestiegen. Während immer größere Volksmassen dem reli-
giösen Glauben gegenüber sich zum mindesten gleichgiltig verhalten, sucht man
in den Kreisen der privilegierten Schichten den kirchlichen Jnstitutionen eine
immer wachsende Machtfülle zu geben und das gesamte öffentliche Leben mit
kirchlich=muckerischem Geist zu durchtränken. Der Staat hat seine Autorität
unter die der katholischen Kirche gebeugt und sucht in gleicher Weise auch die
der evangelischen zu stärken. Kein Wunder, daß dieses Vordringen des kirch-
lichen Einflusses sich gerade auch auf dem Gebiete der Schule in außerordent-
lichem Maße zeigt, daß der Staat die Machtvollkommenheiten, die er sich in
den siebziger Jahren geschaffen, dazu benutzt, die Kirche, deren Einfluß zu
brechen sie einst geschaffen wurden, auch dort in die Schulen zurückzuführen,
wo andere weniger reaktionäre Mächte sich dieser Zurückführung entgegensetzen.

Dies ist der innere, tiefere Grund für die Konflikte, die seit länger als
einem Jahrzehnt zwischen der preußischen Regierung und den Verwaltungen
der größten Kommunen auf dem Gebiete des Schulwesens fast beständig an der
Tagesordnung sind und die eine treffliche Jllustration zu dem Tiefstand
städtischer Selbstverwaltung in Preußen geben. Von diesen Konflikten haben
in der jüngsten Zeit der mit der Reichshauptstadt Berlin und der mit der
benachbarten Residenzstadt Charlottenburg größere Aufmerksamkeit erregt.
Jn der Tat sind sie typische Beispiele für die in Preußen herrschende Reaktion
und die geradezu russische Willkür, mit der hier auf dem so unendlich wichtigen
Gebiete der Schule verfahren wird.

Jn künstlicher Weise konstruiert man einen Gegensatz zwischen städtischen
Angelegenheiten und Schulangelegenheiten, deren Verwaltung nicht der Kom-

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[264/0024] [Abbildung] Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte. Von Dr. Bruno Borchardt, Charlottenburg. Der Kampf um die Schule ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kultur- kampf. Der Stand des Volksschulwesens ist geradezu ein Gradmesser der Kultur eines Landes. Wenn man z. B. hört, daß in Preußen der dritte Teil aller Kinder den Schulunterricht nur in ein= und zweiklassigen Schulen em- pfangen, auf dem Lande sogar die Hälfte aller Kinder, so kann man ohne jede sonstige Kenntnis von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen dieses Landes einen Schluß auf den Tiefstand der Kultur in ihm machen. Jn der Tat hängt die allgemeine Rückständigkeit Preußens aufs engste mit der Rück- ständigkeit seiner Schulverhältnisse zusammen, wie sie auch das stärkste Hemm- nis einer gesunden Entwicklung der Schule ist. Jn dem sog. Kulturkampf der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts spielte die Schule nicht die unwich- tigste Rolle, die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses aus der Schule, die Beugung der kirchlichen Schulaufsicht unter die staatliche war eine der haupt- sächlichsten Aufgaben der Gesetzgebung jener Zeit. Seitdem Bismarck seinen Gang nach Canossa angetreten hatte, ist der Einfluß der Kirche auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens in geradezu erschreckender Weise gestiegen. Während immer größere Volksmassen dem reli- giösen Glauben gegenüber sich zum mindesten gleichgiltig verhalten, sucht man in den Kreisen der privilegierten Schichten den kirchlichen Jnstitutionen eine immer wachsende Machtfülle zu geben und das gesamte öffentliche Leben mit kirchlich=muckerischem Geist zu durchtränken. Der Staat hat seine Autorität unter die der katholischen Kirche gebeugt und sucht in gleicher Weise auch die der evangelischen zu stärken. Kein Wunder, daß dieses Vordringen des kirch- lichen Einflusses sich gerade auch auf dem Gebiete der Schule in außerordent- lichem Maße zeigt, daß der Staat die Machtvollkommenheiten, die er sich in den siebziger Jahren geschaffen, dazu benutzt, die Kirche, deren Einfluß zu brechen sie einst geschaffen wurden, auch dort in die Schulen zurückzuführen, wo andere weniger reaktionäre Mächte sich dieser Zurückführung entgegensetzen. Dies ist der innere, tiefere Grund für die Konflikte, die seit länger als einem Jahrzehnt zwischen der preußischen Regierung und den Verwaltungen der größten Kommunen auf dem Gebiete des Schulwesens fast beständig an der Tagesordnung sind und die eine treffliche Jllustration zu dem Tiefstand städtischer Selbstverwaltung in Preußen geben. Von diesen Konflikten haben in der jüngsten Zeit der mit der Reichshauptstadt Berlin und der mit der benachbarten Residenzstadt Charlottenburg größere Aufmerksamkeit erregt. Jn der Tat sind sie typische Beispiele für die in Preußen herrschende Reaktion und die geradezu russische Willkür, mit der hier auf dem so unendlich wichtigen Gebiete der Schule verfahren wird. Jn künstlicher Weise konstruiert man einen Gegensatz zwischen städtischen Angelegenheiten und Schulangelegenheiten, deren Verwaltung nicht der Kom-

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/24>, abgerufen am 09.06.2024.