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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Dr. Sigmund Kaff: Das Erzhaus.
Sicher ist, daß unter Franz Ferdinand längstens jene Verordnungen erwartet
werden, die dem alten Kaiser zuliebe noch aufgeschoben werden.

Der Bruder des Thronfolgers ist ein lebenslustiger Reitergeneral, der
seine Genußfähigkeit bis zur Verwegenheit erprobt hat und darum ein sehr
abgeschlossenes Leben führt. Seine Gattin ist die Schwester des sächsischen
Königs, Protektorin verschiedener frommer Vereine, vom Leben nicht immer
angenehm enttäuscht. Das flotte Leben ihres Gemahls hat ihr keine Freuden
bereitet. Jhr ältester Sohn wird als Kronprinz erzogen, da die Kinder Franz
Ferdinands, mit Rücksicht auf ihre unebenbürtige Mutter, nicht erbberechtigt sind.

Der einzige, noch lebende Bruder des Kaisers ist nervenkrank und unver-
mählt; er lebt abseits vom Hofe. Dann sind noch etwa zwei Dutzend Erz-
herzoge da, die den Nebenlinien entstammen. Alte, junge, ganz unmündige
Prinzen und viel mehr Prinzessinnen. Daß das Haus bald ausstirbt, ist sonach
nicht anzunehmen. Die Frage ist vielmehr die, ob es auf die Quantität so
sehr ankommt, daß man das Quale ganz entbehren könnte. Die Affairen der
gewesenen Kronprinzessin von Sachsen -- einer österreichischen Erzherzogin --
sowie ihrer Brüder und manche andere neuere, insbesondere aber ältere Vor-
kommnisse lassen die Annahme zu, daß der Wille zur Macht und die Kraft
ihn zu betätigen in einzelnen Gliedern des Hauses Habsburg sich im Laufe
der Jahrzehnte abgeschwächt haben, wie groß und stark auch die Talente ge-
wesen sein mögen. Jedenfalls steht fest, daß der Zahn der Zeit das Erzhaus
schon merklich angegriffen hat und daß die nächste Zukunft gerade nicht viel
Hoffnung auf Besserung erweckt. Die Krise, in welcher sich das dualistische
Staatsprinzip befindet, muß ihre Spuren auch an der Dynastie zurücklassen
und das Ende der dualistischen Episode, das nun mit Riesenschritten herannaht,
wird in der Geschichte Osterreich=Ungarns nicht nur, sondern auch des Hauses
Habsburg=Lothringen eine Rolle spielen.

Die Zeiten sind vorbei, da irgend ein Land als Mitgift für die Aus-
steuer einer Prinzessin behandelt wurde; heute beginnen die Völker sich ihre
Dynastien selbst zu bestimmen. Diese müssen sich nach der Sprache und den
sonstigen Kulturgewohnheiten der von ihnen regierten Nationen richten, wenn
sie nicht entwurzelt werden wollen. Diese Tatsache läßt sich gerade am Erz-
hause studieren, dessen Glieder möglichst viele Landessprachen beherrschen müssen,
um jeder Nation gegenüber in der ihr eigenen Tracht auftreten zu können.
Kennt die Geschichte spanische Habsburger, warum soll sie nicht auch ungarische
oder polnische kennen?

Jn Voraussicht lauter Herrschergrößen ward, wie Grillparzer im " Bruder-
zwist " sagt, das Erbrecht nicht eingeführt in Reich und Staat, sondern damit
ein Mittelpunkt vorhanden sei. Diesen Mittelpunkt bilden kann aber nur eine
Dynastie, deren Förderalismus nicht zentrifugal wirkt.



Dr. Sigmund Kaff: Das Erzhaus.
Sicher ist, daß unter Franz Ferdinand längstens jene Verordnungen erwartet
werden, die dem alten Kaiser zuliebe noch aufgeschoben werden.

Der Bruder des Thronfolgers ist ein lebenslustiger Reitergeneral, der
seine Genußfähigkeit bis zur Verwegenheit erprobt hat und darum ein sehr
abgeschlossenes Leben führt. Seine Gattin ist die Schwester des sächsischen
Königs, Protektorin verschiedener frommer Vereine, vom Leben nicht immer
angenehm enttäuscht. Das flotte Leben ihres Gemahls hat ihr keine Freuden
bereitet. Jhr ältester Sohn wird als Kronprinz erzogen, da die Kinder Franz
Ferdinands, mit Rücksicht auf ihre unebenbürtige Mutter, nicht erbberechtigt sind.

Der einzige, noch lebende Bruder des Kaisers ist nervenkrank und unver-
mählt; er lebt abseits vom Hofe. Dann sind noch etwa zwei Dutzend Erz-
herzoge da, die den Nebenlinien entstammen. Alte, junge, ganz unmündige
Prinzen und viel mehr Prinzessinnen. Daß das Haus bald ausstirbt, ist sonach
nicht anzunehmen. Die Frage ist vielmehr die, ob es auf die Quantität so
sehr ankommt, daß man das Quale ganz entbehren könnte. Die Affairen der
gewesenen Kronprinzessin von Sachsen — einer österreichischen Erzherzogin —
sowie ihrer Brüder und manche andere neuere, insbesondere aber ältere Vor-
kommnisse lassen die Annahme zu, daß der Wille zur Macht und die Kraft
ihn zu betätigen in einzelnen Gliedern des Hauses Habsburg sich im Laufe
der Jahrzehnte abgeschwächt haben, wie groß und stark auch die Talente ge-
wesen sein mögen. Jedenfalls steht fest, daß der Zahn der Zeit das Erzhaus
schon merklich angegriffen hat und daß die nächste Zukunft gerade nicht viel
Hoffnung auf Besserung erweckt. Die Krise, in welcher sich das dualistische
Staatsprinzip befindet, muß ihre Spuren auch an der Dynastie zurücklassen
und das Ende der dualistischen Episode, das nun mit Riesenschritten herannaht,
wird in der Geschichte Osterreich=Ungarns nicht nur, sondern auch des Hauses
Habsburg=Lothringen eine Rolle spielen.

Die Zeiten sind vorbei, da irgend ein Land als Mitgift für die Aus-
steuer einer Prinzessin behandelt wurde; heute beginnen die Völker sich ihre
Dynastien selbst zu bestimmen. Diese müssen sich nach der Sprache und den
sonstigen Kulturgewohnheiten der von ihnen regierten Nationen richten, wenn
sie nicht entwurzelt werden wollen. Diese Tatsache läßt sich gerade am Erz-
hause studieren, dessen Glieder möglichst viele Landessprachen beherrschen müssen,
um jeder Nation gegenüber in der ihr eigenen Tracht auftreten zu können.
Kennt die Geschichte spanische Habsburger, warum soll sie nicht auch ungarische
oder polnische kennen?

Jn Voraussicht lauter Herrschergrößen ward, wie Grillparzer im „ Bruder-
zwist “ sagt, das Erbrecht nicht eingeführt in Reich und Staat, sondern damit
ein Mittelpunkt vorhanden sei. Diesen Mittelpunkt bilden kann aber nur eine
Dynastie, deren Förderalismus nicht zentrifugal wirkt.



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[263/0023] Dr. Sigmund Kaff: Das Erzhaus. Sicher ist, daß unter Franz Ferdinand längstens jene Verordnungen erwartet werden, die dem alten Kaiser zuliebe noch aufgeschoben werden. Der Bruder des Thronfolgers ist ein lebenslustiger Reitergeneral, der seine Genußfähigkeit bis zur Verwegenheit erprobt hat und darum ein sehr abgeschlossenes Leben führt. Seine Gattin ist die Schwester des sächsischen Königs, Protektorin verschiedener frommer Vereine, vom Leben nicht immer angenehm enttäuscht. Das flotte Leben ihres Gemahls hat ihr keine Freuden bereitet. Jhr ältester Sohn wird als Kronprinz erzogen, da die Kinder Franz Ferdinands, mit Rücksicht auf ihre unebenbürtige Mutter, nicht erbberechtigt sind. Der einzige, noch lebende Bruder des Kaisers ist nervenkrank und unver- mählt; er lebt abseits vom Hofe. Dann sind noch etwa zwei Dutzend Erz- herzoge da, die den Nebenlinien entstammen. Alte, junge, ganz unmündige Prinzen und viel mehr Prinzessinnen. Daß das Haus bald ausstirbt, ist sonach nicht anzunehmen. Die Frage ist vielmehr die, ob es auf die Quantität so sehr ankommt, daß man das Quale ganz entbehren könnte. Die Affairen der gewesenen Kronprinzessin von Sachsen — einer österreichischen Erzherzogin — sowie ihrer Brüder und manche andere neuere, insbesondere aber ältere Vor- kommnisse lassen die Annahme zu, daß der Wille zur Macht und die Kraft ihn zu betätigen in einzelnen Gliedern des Hauses Habsburg sich im Laufe der Jahrzehnte abgeschwächt haben, wie groß und stark auch die Talente ge- wesen sein mögen. Jedenfalls steht fest, daß der Zahn der Zeit das Erzhaus schon merklich angegriffen hat und daß die nächste Zukunft gerade nicht viel Hoffnung auf Besserung erweckt. Die Krise, in welcher sich das dualistische Staatsprinzip befindet, muß ihre Spuren auch an der Dynastie zurücklassen und das Ende der dualistischen Episode, das nun mit Riesenschritten herannaht, wird in der Geschichte Osterreich=Ungarns nicht nur, sondern auch des Hauses Habsburg=Lothringen eine Rolle spielen. Die Zeiten sind vorbei, da irgend ein Land als Mitgift für die Aus- steuer einer Prinzessin behandelt wurde; heute beginnen die Völker sich ihre Dynastien selbst zu bestimmen. Diese müssen sich nach der Sprache und den sonstigen Kulturgewohnheiten der von ihnen regierten Nationen richten, wenn sie nicht entwurzelt werden wollen. Diese Tatsache läßt sich gerade am Erz- hause studieren, dessen Glieder möglichst viele Landessprachen beherrschen müssen, um jeder Nation gegenüber in der ihr eigenen Tracht auftreten zu können. Kennt die Geschichte spanische Habsburger, warum soll sie nicht auch ungarische oder polnische kennen? Jn Voraussicht lauter Herrschergrößen ward, wie Grillparzer im „ Bruder- zwist “ sagt, das Erbrecht nicht eingeführt in Reich und Staat, sondern damit ein Mittelpunkt vorhanden sei. Diesen Mittelpunkt bilden kann aber nur eine Dynastie, deren Förderalismus nicht zentrifugal wirkt.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/23>, abgerufen am 10.06.2024.