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[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.

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einem einsamen Vergnügen Anlaß gab. Sie war eine frische Wittwe von
siebzehn Jahren, in welchem Stand sie durch den Todt ihres Mannes, der
ein Ost-Jndianischer Kaufmann, von reichen Gütern war, und sein Leben 6.
Monat nach der Vermählung auf dem Meer endigte, gesetzet war. Sie begab
sich nach dessen Hintritt auf dieses Schloß, alwo sie 3. Jahr lang ein so lobens-
würdiges und rares Leben führte, daß auch die ältesten Matronen diese
muntere Wittwe ihren Töchtern als ein Exempel vorstellten. Sie ihres
Orts genoß gleichfals eines stillen Ergötzens und vertrieb ihre Zeit mit den
erbaulichsten Unternehmungen: Als ihr eines Tages früh ihre Hirten zwey
Mannes Personen zu brachten, welche sie in dem elendesten Zustande, da
die Hände der Räuber sie mit Beraubung ihrer Kleider an Bäume ange-
bunden hatten, angetroffen. Das Mitleiden der Schäffer hatte ihnen ein
paar zerrissene Kappen zugeworfen, in welchem Aufzug sie vor den Augen
der Victoria erschienen. Die Armuth des Habits benahm der vortreffli-
chen Gestalt des jüngsten nicht das geringste, welcher ihr mit einer freyen,
doch dabey modesten Art entdeckte, daß er ein Edelman aus Amsterdam
sey, und den Nahmen Joseph von Reinstadt führte. Er käm von die-
ser Stadt her, in der Meynung, nach Brüssel zu reisen, um alda Sachen
von der grösten Wichtigkeit zu Stande zu bringen. Er wär wegen der Eil
auch die Nacht durchgereiset, und in dem nur eine halbe Stunde von hier
entlegenen Walde von unterschiedlichen Räubern angefallen, und auf die
vorhin erzehlte Art tractiret worden. Victoria zweifelte nicht im geringsten
an der Wahrheit dieser Worte, und ließ ihm so wohl als seinem Diener,
zwey Habite von ihrem erblasten Gemahl reichen. Jhre Gütigkeit gegen
diesen unbekandten gieng noch weiter, indem sie ihn mit sich zu Mittag spei-
sen ließ, und davor hielt, daß sie diese Großmuth an keinem Orte besser
hätte eröfnen können. Die Nacht waren beyderseits über Gewohnheit unru-
hig, und das Hertze sagte einem jeden, daß schon mehr als die Helffte da-
von in des andern Händen sey. Früh wolte Joseph seinen Diener zurück
schicken, um von neuen Geld zu holen, welches aber die schöne Wittwe kei-
nes weges zu ließ, sondern ihm versprach, so viel zu geben, als er benöthi-
get seyn würde. Er sahe, daß sie ihn wohl leyden mochte, und dieses mach-
te ihn so behertzt, ihr noch diesen Tag von seiner Liebe vorzuschwatzen, und
sie war so geneigt, ihn anzuhören. Endlich machte die Bequemlichkeit des
Orts, die Gleichheit zwey junger Personen, die Menge der Schwüre auf
der einen, und eine allzuleichtsinnige Leichtgläubigkeit auf der andern Seite,
daß die schöne Victoria einen Fehler begieng, welchen man ihr niemahls
zutrauen sollen, da sie in Gegenwart zweyer Zeugen, des alten Barthels,
und
K
einem einſamen Vergnuͤgen Anlaß gab. Sie war eine friſche Wittwe von
ſiebzehn Jahren, in welchem Stand ſie durch den Todt ihres Mannes, der
ein Oſt-Jndianiſcher Kaufmann, von reichen Guͤtern war, und ſein Leben 6.
Monat nach der Vermaͤhlung auf dem Meer endigte, geſetzet war. Sie begab
ſich nach deſſen Hintritt auf dieſes Schloß, alwo ſie 3. Jahr lang ein ſo lobens-
wuͤrdiges und rares Leben fuͤhrte, daß auch die aͤlteſten Matronen dieſe
muntere Wittwe ihren Toͤchtern als ein Exempel vorſtellten. Sie ihres
Orts genoß gleichfals eines ſtillen Ergoͤtzens und vertrieb ihre Zeit mit den
erbaulichſten Unternehmungen: Als ihr eines Tages fruͤh ihre Hirten zwey
Mannes Perſonen zu brachten, welche ſie in dem elendeſten Zuſtande, da
die Haͤnde der Raͤuber ſie mit Beraubung ihrer Kleider an Baͤume ange-
bunden hatten, angetroffen. Das Mitleiden der Schaͤffer hatte ihnen ein
paar zerriſſene Kappen zugeworfen, in welchem Aufzug ſie vor den Augen
der Victoria erſchienen. Die Armuth des Habits benahm der vortreffli-
chen Geſtalt des juͤngſten nicht das geringſte, welcher ihr mit einer freyen,
doch dabey modeſten Art entdeckte, daß er ein Edelman aus Amſterdam
ſey, und den Nahmen Joſeph von Reinſtadt fuͤhrte. Er kaͤm von die-
ſer Stadt her, in der Meynung, nach Bruͤſſel zu reiſen, um alda Sachen
von der groͤſten Wichtigkeit zu Stande zu bringen. Er waͤr wegen der Eil
auch die Nacht durchgereiſet, und in dem nur eine halbe Stunde von hier
entlegenen Walde von unterſchiedlichen Raͤubern angefallen, und auf die
vorhin erzehlte Art tractiret worden. Victoria zweifelte nicht im geringſten
an der Wahrheit dieſer Worte, und ließ ihm ſo wohl als ſeinem Diener,
zwey Habite von ihrem erblaſten Gemahl reichen. Jhre Guͤtigkeit gegen
dieſen unbekandten gieng noch weiter, indem ſie ihn mit ſich zu Mittag ſpei-
ſen ließ, und davor hielt, daß ſie dieſe Großmuth an keinem Orte beſſer
haͤtte eroͤfnen koͤnnen. Die Nacht waren beyderſeits uͤber Gewohnheit unru-
hig, und das Hertze ſagte einem jeden, daß ſchon mehr als die Helffte da-
von in des andern Haͤnden ſey. Fruͤh wolte Joſeph ſeinen Diener zuruͤck
ſchicken, um von neuen Geld zu holen, welches aber die ſchoͤne Wittwe kei-
nes weges zu ließ, ſondern ihm verſprach, ſo viel zu geben, als er benoͤthi-
get ſeyn wuͤrde. Er ſahe, daß ſie ihn wohl leyden mochte, und dieſes mach-
te ihn ſo behertzt, ihr noch dieſen Tag von ſeiner Liebe vorzuſchwatzen, und
ſie war ſo geneigt, ihn anzuhoͤren. Endlich machte die Bequemlichkeit des
Orts, die Gleichheit zwey junger Perſonen, die Menge der Schwuͤre auf
der einen, und eine allzuleichtſinnige Leichtglaͤubigkeit auf der andern Seite,
daß die ſchoͤne Victoria einen Fehler begieng, welchen man ihr niemahls
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[73/0083] einem einſamen Vergnuͤgen Anlaß gab. Sie war eine friſche Wittwe von ſiebzehn Jahren, in welchem Stand ſie durch den Todt ihres Mannes, der ein Oſt-Jndianiſcher Kaufmann, von reichen Guͤtern war, und ſein Leben 6. Monat nach der Vermaͤhlung auf dem Meer endigte, geſetzet war. Sie begab ſich nach deſſen Hintritt auf dieſes Schloß, alwo ſie 3. Jahr lang ein ſo lobens- wuͤrdiges und rares Leben fuͤhrte, daß auch die aͤlteſten Matronen dieſe muntere Wittwe ihren Toͤchtern als ein Exempel vorſtellten. Sie ihres Orts genoß gleichfals eines ſtillen Ergoͤtzens und vertrieb ihre Zeit mit den erbaulichſten Unternehmungen: Als ihr eines Tages fruͤh ihre Hirten zwey Mannes Perſonen zu brachten, welche ſie in dem elendeſten Zuſtande, da die Haͤnde der Raͤuber ſie mit Beraubung ihrer Kleider an Baͤume ange- bunden hatten, angetroffen. Das Mitleiden der Schaͤffer hatte ihnen ein paar zerriſſene Kappen zugeworfen, in welchem Aufzug ſie vor den Augen der Victoria erſchienen. Die Armuth des Habits benahm der vortreffli- chen Geſtalt des juͤngſten nicht das geringſte, welcher ihr mit einer freyen, doch dabey modeſten Art entdeckte, daß er ein Edelman aus Amſterdam ſey, und den Nahmen Joſeph von Reinſtadt fuͤhrte. Er kaͤm von die- ſer Stadt her, in der Meynung, nach Bruͤſſel zu reiſen, um alda Sachen von der groͤſten Wichtigkeit zu Stande zu bringen. Er waͤr wegen der Eil auch die Nacht durchgereiſet, und in dem nur eine halbe Stunde von hier entlegenen Walde von unterſchiedlichen Raͤubern angefallen, und auf die vorhin erzehlte Art tractiret worden. Victoria zweifelte nicht im geringſten an der Wahrheit dieſer Worte, und ließ ihm ſo wohl als ſeinem Diener, zwey Habite von ihrem erblaſten Gemahl reichen. Jhre Guͤtigkeit gegen dieſen unbekandten gieng noch weiter, indem ſie ihn mit ſich zu Mittag ſpei- ſen ließ, und davor hielt, daß ſie dieſe Großmuth an keinem Orte beſſer haͤtte eroͤfnen koͤnnen. Die Nacht waren beyderſeits uͤber Gewohnheit unru- hig, und das Hertze ſagte einem jeden, daß ſchon mehr als die Helffte da- von in des andern Haͤnden ſey. Fruͤh wolte Joſeph ſeinen Diener zuruͤck ſchicken, um von neuen Geld zu holen, welches aber die ſchoͤne Wittwe kei- nes weges zu ließ, ſondern ihm verſprach, ſo viel zu geben, als er benoͤthi- get ſeyn wuͤrde. Er ſahe, daß ſie ihn wohl leyden mochte, und dieſes mach- te ihn ſo behertzt, ihr noch dieſen Tag von ſeiner Liebe vorzuſchwatzen, und ſie war ſo geneigt, ihn anzuhoͤren. Endlich machte die Bequemlichkeit des Orts, die Gleichheit zwey junger Perſonen, die Menge der Schwuͤre auf der einen, und eine allzuleichtſinnige Leichtglaͤubigkeit auf der andern Seite, daß die ſchoͤne Victoria einen Fehler begieng, welchen man ihr niemahls zutrauen ſollen, da ſie in Gegenwart zweyer Zeugen, des alten Barthels, und K

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Zitationshilfe: [N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/83>, abgerufen am 21.11.2024.