[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.
und einer Magd der Victoria diesen unbekandten in den Besitz ihrer Per- son setzte. Acht Tage giengen unter lauter Hertzen und Lecken vorbey, biß Joseph von Reinstadt ihr eröfnete, daß die Wichtigkeit seiner Sache ihn auf eine kurtze Zeit aus ihren Armen entreissen müste, worein sie auch end- lich nach vieler angewandten Mühe willigte. Er war aber kaum etliche Stunden auf der Reise, da eine Magd seine Schlaf-Kammer reinigen wol- te, und ein Bildniß in einen Brief eingewickelt sahe. Sie trug es alsobald zu der Victoria, welche das Bildniß vollkommen schön befand, und in dem Briefe folgende Worte laß: Mein Herr. Jch schicke euch das Portrait der schönen Elvira von Brüssel, wel- che ihr, wenn ihr sie sehen soltet, noch viel schöner befinden würdet, als sie der Pinsel hier abschildert. Jhr Herr Vater erwartet euch mit äusserstem Verlangen, und die Artickel von eurer Verbindung sind so eingerichtet, wie ihr selbst verlanget, und nach meiner Meynung vor euch sehr vortheilhafftig. Eilet derowegen, und beschleuniget eure Reise. etc. Stellet euch, bitte ich, das Entsetzen vor, welches die Victoria bey Lesung dieses Briefes überfiel, der an niemand anders als ihren Joseph ge- schrieben seyn konte, und Liebe und Rachgier stritten in ihr, da sie sich des- sen Untreu so lebhafftig einprägte. Hier überlegte sie erst aber zu späte, die Grösse ihres Fehlers, da sie sich auf den ersten Anblick einem fremden, und unbekandten überlassen hatte. Jedoch ihr Fehler war noch lange nicht so groß, als ihr Gemüthe, und dieses brachte sie zu dem Entschluß, ihm nachzufolgen. Sie that es auch, und nahm niemand mit sich, als ihren alten Barthel und die Magd, so als Zeugen bey ihrer Verheyra- thung gewesen waren. So bald als sie zu Brüssel angelangt, beküm- merte sich, um die Wohnung des Vaters der Elvira zu erfahren. Sie miethete sich eine Stube in eben demselben Hause hintenaus, und be- kam die Nachricht noch desselben Tages, daß die Elvira sich an einen Edel- mann von Amsterdam vermählen würde. Der Vater dieser Schönen war von Gebuhrt ein Spanier, insgeheim der Reformirten Religion zugethan, und hieß Don Petro. Er suchte schon tüchtige Personen zu Bedienten vor seine Tochter, und dieses gab der Victoria Gelegenheit bey ihn um eine Stelle anzuhalten. Sie that es mit veränderter Kleidung und unter der Ge- stalt einer armen Wittwe, welche durch den frühen Verlust ihres Mannes in dieses Elend gerathen wär. Sie war so glücklich, daß Don Petro et- was angenehmes an ihr fand, und sie augenblicklich zur Hofmeisterin sei- ner
und einer Magd der Victoria dieſen unbekandten in den Beſitz ihrer Per- ſon ſetzte. Acht Tage giengen unter lauter Hertzen und Lecken vorbey, biß Joſeph von Reinſtadt ihr eroͤfnete, daß die Wichtigkeit ſeiner Sache ihn auf eine kurtze Zeit aus ihren Armen entreiſſen muͤſte, worein ſie auch end- lich nach vieler angewandten Muͤhe willigte. Er war aber kaum etliche Stunden auf der Reiſe, da eine Magd ſeine Schlaf-Kammer reinigen wol- te, und ein Bildniß in einen Brief eingewickelt ſahe. Sie trug es alſobald zu der Victoria, welche das Bildniß vollkommen ſchoͤn befand, und in dem Briefe folgende Worte laß: Mein Herr. Jch ſchicke euch das Portrait der ſchoͤnen Elvira von Bruͤſſel, wel- che ihr, wenn ihr ſie ſehen ſoltet, noch viel ſchoͤner befinden wuͤrdet, als ſie der Pinſel hier abſchildert. Jhr Herr Vater erwartet euch mit aͤuſſerſtem Verlangen, und die Artickel von eurer Verbindung ſind ſo eingerichtet, wie ihr ſelbſt verlanget, und nach meiner Meynung vor euch ſehr vortheilhafftig. Eilet derowegen, und beſchleuniget eure Reiſe. ꝛc. Stellet euch, bitte ich, das Entſetzen vor, welches die Victoria bey Leſung dieſes Briefes uͤberfiel, der an niemand anders als ihren Joſeph ge- ſchrieben ſeyn konte, und Liebe und Rachgier ſtritten in ihr, da ſie ſich deſ- ſen Untreu ſo lebhafftig einpraͤgte. Hier uͤberlegte ſie erſt aber zu ſpaͤte, die Groͤſſe ihres Fehlers, da ſie ſich auf den erſten Anblick einem fremden, und unbekandten uͤberlaſſen hatte. Jedoch ihr Fehler war noch lange nicht ſo groß, als ihr Gemuͤthe, und dieſes brachte ſie zu dem Entſchluß, ihm nachzufolgen. Sie that es auch, und nahm niemand mit ſich, als ihren alten Barthel und die Magd, ſo als Zeugen bey ihrer Verheyra- thung geweſen waren. So bald als ſie zu Bruͤſſel angelangt, bekuͤm- merte ſich, um die Wohnung des Vaters der Elvira zu erfahren. Sie miethete ſich eine Stube in eben demſelben Hauſe hintenaus, und be- kam die Nachricht noch deſſelben Tages, daß die Elvira ſich an einen Edel- mann von Amſterdam vermaͤhlen wuͤrde. Der Vater dieſer Schoͤnen war von Gebuhrt ein Spanier, insgeheim der Reformirten Religion zugethan, und hieß Don Petro. Er ſuchte ſchon tuͤchtige Perſonen zu Bedienten vor ſeine Tochter, und dieſes gab der Victoria Gelegenheit bey ihn um eine Stelle anzuhalten. Sie that es mit veraͤnderter Kleidung und unter der Ge- ſtalt einer armen Wittwe, welche durch den fruͤhen Verluſt ihres Mannes in dieſes Elend gerathen waͤr. Sie war ſo gluͤcklich, daß Don Petro et- was angenehmes an ihr fand, und ſie augenblicklich zur Hofmeiſterin ſei- ner
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und einer Magd der Victoria dieſen unbekandten in den Beſitz ihrer Per-
ſon ſetzte. Acht Tage giengen unter lauter Hertzen und Lecken vorbey, biß
Joſeph von Reinſtadt ihr eroͤfnete, daß die Wichtigkeit ſeiner Sache ihn
auf eine kurtze Zeit aus ihren Armen entreiſſen muͤſte, worein ſie auch end-
lich nach vieler angewandten Muͤhe willigte. Er war aber kaum etliche
Stunden auf der Reiſe, da eine Magd ſeine Schlaf-Kammer reinigen wol-
te, und ein Bildniß in einen Brief eingewickelt ſahe. Sie trug es alſobald
zu der Victoria, welche das Bildniß vollkommen ſchoͤn befand, und in dem
Briefe folgende Worte laß:
Mein Herr.
Jch ſchicke euch das Portrait der ſchoͤnen Elvira von Bruͤſſel, wel-
che ihr, wenn ihr ſie ſehen ſoltet, noch viel ſchoͤner befinden wuͤrdet, als ſie
der Pinſel hier abſchildert. Jhr Herr Vater erwartet euch mit aͤuſſerſtem
Verlangen, und die Artickel von eurer Verbindung ſind ſo eingerichtet, wie
ihr ſelbſt verlanget, und nach meiner Meynung vor euch ſehr vortheilhafftig.
Eilet derowegen, und beſchleuniget eure Reiſe. ꝛc.
Stellet euch, bitte ich, das Entſetzen vor, welches die Victoria bey
Leſung dieſes Briefes uͤberfiel, der an niemand anders als ihren Joſeph ge-
ſchrieben ſeyn konte, und Liebe und Rachgier ſtritten in ihr, da ſie ſich deſ-
ſen Untreu ſo lebhafftig einpraͤgte. Hier uͤberlegte ſie erſt aber zu ſpaͤte, die
Groͤſſe ihres Fehlers, da ſie ſich auf den erſten Anblick einem fremden,
und unbekandten uͤberlaſſen hatte. Jedoch ihr Fehler war noch lange
nicht ſo groß, als ihr Gemuͤthe, und dieſes brachte ſie zu dem Entſchluß,
ihm nachzufolgen. Sie that es auch, und nahm niemand mit ſich, als
ihren alten Barthel und die Magd, ſo als Zeugen bey ihrer Verheyra-
thung geweſen waren. So bald als ſie zu Bruͤſſel angelangt, bekuͤm-
merte ſich, um die Wohnung des Vaters der Elvira zu erfahren. Sie
miethete ſich eine Stube in eben demſelben Hauſe hintenaus, und be-
kam die Nachricht noch deſſelben Tages, daß die Elvira ſich an einen Edel-
mann von Amſterdam vermaͤhlen wuͤrde. Der Vater dieſer Schoͤnen war
von Gebuhrt ein Spanier, insgeheim der Reformirten Religion zugethan,
und hieß Don Petro. Er ſuchte ſchon tuͤchtige Perſonen zu Bedienten
vor ſeine Tochter, und dieſes gab der Victoria Gelegenheit bey ihn um eine
Stelle anzuhalten. Sie that es mit veraͤnderter Kleidung und unter der Ge-
ſtalt einer armen Wittwe, welche durch den fruͤhen Verluſt ihres Mannes
in dieſes Elend gerathen waͤr. Sie war ſo gluͤcklich, daß Don Petro et-
was angenehmes an ihr fand, und ſie augenblicklich zur Hofmeiſterin ſei-
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