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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 4. Freiburg im Breisgau, 1856.

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Kurbrandenburg (s. Brandenburg), das sich seit Friedrich I. (1415-40) durch Kottbus, Peitz, die Neumark und das Jülich'sche Erbe erweitert, aber durch die Trennung der fränk. Marken (s. Ansbach u. Bayreuth) geschwächt hatte. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640-88) schüttelte die poln. Oberlehensherrlichkeit über P. ab, erhielt im westfäl. Frieden ansehnliche Vergrößerungen, schuf eine Heeresmacht und regelmäßige Finanzen, gründete durch Demüthigung des Adels die souveräne Fürstengewalt und hinterließ einen wohlgeordneten Staat von 2000 #M. Größe mit 11/2 Mill. E, zu jener Zeit eine bedeutende Macht (s. Friedrich Wilhelm). Sein Sohn Friedrich III. war zwar kein Staatswirth wie Friedrich Wilhelm, regierte aber doch sonst in demselben Systeme, übte das Heer im span. Erbfolgekriege, erwarb Meurs u. Lingen, deßgleichen Neuenburg, u. krönte sich mit kaiserl. Bewilligung 18. Jan. 1701 zu Königsberg als Friedrich I. zum König von P; st. 1713. Sein Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713-40) hielt einen fast bürgerlichen Hof, hob den Wohlstand der erschöpften Landestheile, ordnete die Landesverwaltung umsichtig u. streng, bildete durch Disciplin u. Uebung ein tüchtiges Heer, sammelte einen Schatz von 870000 Thlrn. u. eroberte von Schweden Stettin sowie einen Theil von Vorpommern. Sein Nachfolger Friedrich II. (1740-86) benutzte die ererbten Hilfsmittel und die seltene Gunst der Zeitverhältnisse im ganzen Umfange und in genialer Weise; durch ihn wurde P. in die Vorderreihe der europ. Mächte gestellt u. das Volk mit jenem militärischen Geiste beseelt, welcher in dem entscheidenden Augenblicke Streitkräfte zu entfalten möglich machte, wie sie der Feind nie erwartet hatte (vergl. Friedrich II). Er eroberte Schlesien, ererbte Ostfriesland u. einen Theil des Mansfeldischen, gewann durch die erste Theilung Polens Westpreußen außer Danzig und Thorn und das anliegende Stück von Großpolen bis an die Netze, wodurch Ostpreußen mit dem kurmärk. Gebiete in geographischen Zusammenhang gebracht wurde. Unter seinem Neffen u. Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786-97) vergrößerte sich P. zwar bei der 2. und 3. Theilung Polens um 2000 #M. sowie durch den Heimfall der fränk. Markgrafschaften, allein die Regierung behielt nur die Formen von der Friedrichs II.; die Finanzen wurden erschöpft, der Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ohne Erfolg geführt, im Basler Frieden (1795) Oesterreich u. das südwestl. Deutschland im Stiche gelassen u. dadurch der Ruf der preuß. Politik als einer eigennützigen u. "perfiden", den der Angriff Friedrichs II. auf Maria Theresia u. die Betheiligung an der Vernichtung Polens verbreitet hatte, im deutschen Volksglauben bestätigt. Friedrich Wilhelm III. (1797-1840) führte manche Verbesserung im Innern ein, konnte aber das überlieferte, als unübertrefflich geltende System, das den Namen Friedrichs II. trug, dem aber der Geist des großen Regenten längst fehlte, nicht beseitigen und ebensowenig die Neutralität gegen das übermächtige Frankreich behaupten. Die Verletzung des Ansbach'schen Gebiets durch Napoleon I. 1805, sowie dessen feindselige Gesinnung gegen P., welche durch die zur Schau getragene Verachtung gegen P. noch kränkender wurde, zwangen den König 1806 das Schwert zu ziehen. Der Tag von Jena und Auerstädt, die Capitulationen v. Prenzlau, Pasewalk und Anclam, die Uebergabe der stärksten Festungen, ohne daß deren Commandanten die Vertheidigung nur versuchten, der Diensteifer, mit dem so manche hochgestellte Beamten dem Feinde entgegenkamen, bewiesen nur zu schlagend, wie wenig das bisherige militärische u. bureaukratische System getaugt hatte. P. war in Napoleons I. Gewalt und es war wirklich nur Rücksicht auf Rußland, daß der preuß. Staat nach dem Tilsiter Frieden noch aus Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen bestand. Aber nun folgte die ganze Reorganisation des gesammten Staatslebens, durch welche P.s Zukunft gesichert wurde; die Leibeigenschaft hörte auf, die bürgerlichen Lasten wurden abgelöst, die Gewerbefreiheit eingeführt, die Städteordnung erlassen, den

Kurbrandenburg (s. Brandenburg), das sich seit Friedrich I. (1415–40) durch Kottbus, Peitz, die Neumark und das Jülichʼsche Erbe erweitert, aber durch die Trennung der fränk. Marken (s. Ansbach u. Bayreuth) geschwächt hatte. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640–88) schüttelte die poln. Oberlehensherrlichkeit über P. ab, erhielt im westfäl. Frieden ansehnliche Vergrößerungen, schuf eine Heeresmacht und regelmäßige Finanzen, gründete durch Demüthigung des Adels die souveräne Fürstengewalt und hinterließ einen wohlgeordneten Staat von 2000 □M. Größe mit 11/2 Mill. E, zu jener Zeit eine bedeutende Macht (s. Friedrich Wilhelm). Sein Sohn Friedrich III. war zwar kein Staatswirth wie Friedrich Wilhelm, regierte aber doch sonst in demselben Systeme, übte das Heer im span. Erbfolgekriege, erwarb Meurs u. Lingen, deßgleichen Neuenburg, u. krönte sich mit kaiserl. Bewilligung 18. Jan. 1701 zu Königsberg als Friedrich I. zum König von P; st. 1713. Sein Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713–40) hielt einen fast bürgerlichen Hof, hob den Wohlstand der erschöpften Landestheile, ordnete die Landesverwaltung umsichtig u. streng, bildete durch Disciplin u. Uebung ein tüchtiges Heer, sammelte einen Schatz von 870000 Thlrn. u. eroberte von Schweden Stettin sowie einen Theil von Vorpommern. Sein Nachfolger Friedrich II. (1740–86) benutzte die ererbten Hilfsmittel und die seltene Gunst der Zeitverhältnisse im ganzen Umfange und in genialer Weise; durch ihn wurde P. in die Vorderreihe der europ. Mächte gestellt u. das Volk mit jenem militärischen Geiste beseelt, welcher in dem entscheidenden Augenblicke Streitkräfte zu entfalten möglich machte, wie sie der Feind nie erwartet hatte (vergl. Friedrich II). Er eroberte Schlesien, ererbte Ostfriesland u. einen Theil des Mansfeldischen, gewann durch die erste Theilung Polens Westpreußen außer Danzig und Thorn und das anliegende Stück von Großpolen bis an die Netze, wodurch Ostpreußen mit dem kurmärk. Gebiete in geographischen Zusammenhang gebracht wurde. Unter seinem Neffen u. Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786–97) vergrößerte sich P. zwar bei der 2. und 3. Theilung Polens um 2000 □M. sowie durch den Heimfall der fränk. Markgrafschaften, allein die Regierung behielt nur die Formen von der Friedrichs II.; die Finanzen wurden erschöpft, der Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ohne Erfolg geführt, im Basler Frieden (1795) Oesterreich u. das südwestl. Deutschland im Stiche gelassen u. dadurch der Ruf der preuß. Politik als einer eigennützigen u. „perfiden“, den der Angriff Friedrichs II. auf Maria Theresia u. die Betheiligung an der Vernichtung Polens verbreitet hatte, im deutschen Volksglauben bestätigt. Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) führte manche Verbesserung im Innern ein, konnte aber das überlieferte, als unübertrefflich geltende System, das den Namen Friedrichs II. trug, dem aber der Geist des großen Regenten längst fehlte, nicht beseitigen und ebensowenig die Neutralität gegen das übermächtige Frankreich behaupten. Die Verletzung des Ansbachʼschen Gebiets durch Napoleon I. 1805, sowie dessen feindselige Gesinnung gegen P., welche durch die zur Schau getragene Verachtung gegen P. noch kränkender wurde, zwangen den König 1806 das Schwert zu ziehen. Der Tag von Jena und Auerstädt, die Capitulationen v. Prenzlau, Pasewalk und Anclam, die Uebergabe der stärksten Festungen, ohne daß deren Commandanten die Vertheidigung nur versuchten, der Diensteifer, mit dem so manche hochgestellte Beamten dem Feinde entgegenkamen, bewiesen nur zu schlagend, wie wenig das bisherige militärische u. bureaukratische System getaugt hatte. P. war in Napoleons I. Gewalt und es war wirklich nur Rücksicht auf Rußland, daß der preuß. Staat nach dem Tilsiter Frieden noch aus Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen bestand. Aber nun folgte die ganze Reorganisation des gesammten Staatslebens, durch welche P.s Zukunft gesichert wurde; die Leibeigenschaft hörte auf, die bürgerlichen Lasten wurden abgelöst, die Gewerbefreiheit eingeführt, die Städteordnung erlassen, den

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[611/0612] Kurbrandenburg (s. Brandenburg), das sich seit Friedrich I. (1415–40) durch Kottbus, Peitz, die Neumark und das Jülichʼsche Erbe erweitert, aber durch die Trennung der fränk. Marken (s. Ansbach u. Bayreuth) geschwächt hatte. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640–88) schüttelte die poln. Oberlehensherrlichkeit über P. ab, erhielt im westfäl. Frieden ansehnliche Vergrößerungen, schuf eine Heeresmacht und regelmäßige Finanzen, gründete durch Demüthigung des Adels die souveräne Fürstengewalt und hinterließ einen wohlgeordneten Staat von 2000 □M. Größe mit 11/2 Mill. E, zu jener Zeit eine bedeutende Macht (s. Friedrich Wilhelm). Sein Sohn Friedrich III. war zwar kein Staatswirth wie Friedrich Wilhelm, regierte aber doch sonst in demselben Systeme, übte das Heer im span. Erbfolgekriege, erwarb Meurs u. Lingen, deßgleichen Neuenburg, u. krönte sich mit kaiserl. Bewilligung 18. Jan. 1701 zu Königsberg als Friedrich I. zum König von P; st. 1713. Sein Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713–40) hielt einen fast bürgerlichen Hof, hob den Wohlstand der erschöpften Landestheile, ordnete die Landesverwaltung umsichtig u. streng, bildete durch Disciplin u. Uebung ein tüchtiges Heer, sammelte einen Schatz von 870000 Thlrn. u. eroberte von Schweden Stettin sowie einen Theil von Vorpommern. Sein Nachfolger Friedrich II. (1740–86) benutzte die ererbten Hilfsmittel und die seltene Gunst der Zeitverhältnisse im ganzen Umfange und in genialer Weise; durch ihn wurde P. in die Vorderreihe der europ. Mächte gestellt u. das Volk mit jenem militärischen Geiste beseelt, welcher in dem entscheidenden Augenblicke Streitkräfte zu entfalten möglich machte, wie sie der Feind nie erwartet hatte (vergl. Friedrich II). Er eroberte Schlesien, ererbte Ostfriesland u. einen Theil des Mansfeldischen, gewann durch die erste Theilung Polens Westpreußen außer Danzig und Thorn und das anliegende Stück von Großpolen bis an die Netze, wodurch Ostpreußen mit dem kurmärk. Gebiete in geographischen Zusammenhang gebracht wurde. Unter seinem Neffen u. Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786–97) vergrößerte sich P. zwar bei der 2. und 3. Theilung Polens um 2000 □M. sowie durch den Heimfall der fränk. Markgrafschaften, allein die Regierung behielt nur die Formen von der Friedrichs II.; die Finanzen wurden erschöpft, der Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ohne Erfolg geführt, im Basler Frieden (1795) Oesterreich u. das südwestl. Deutschland im Stiche gelassen u. dadurch der Ruf der preuß. Politik als einer eigennützigen u. „perfiden“, den der Angriff Friedrichs II. auf Maria Theresia u. die Betheiligung an der Vernichtung Polens verbreitet hatte, im deutschen Volksglauben bestätigt. Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) führte manche Verbesserung im Innern ein, konnte aber das überlieferte, als unübertrefflich geltende System, das den Namen Friedrichs II. trug, dem aber der Geist des großen Regenten längst fehlte, nicht beseitigen und ebensowenig die Neutralität gegen das übermächtige Frankreich behaupten. Die Verletzung des Ansbachʼschen Gebiets durch Napoleon I. 1805, sowie dessen feindselige Gesinnung gegen P., welche durch die zur Schau getragene Verachtung gegen P. noch kränkender wurde, zwangen den König 1806 das Schwert zu ziehen. Der Tag von Jena und Auerstädt, die Capitulationen v. Prenzlau, Pasewalk und Anclam, die Uebergabe der stärksten Festungen, ohne daß deren Commandanten die Vertheidigung nur versuchten, der Diensteifer, mit dem so manche hochgestellte Beamten dem Feinde entgegenkamen, bewiesen nur zu schlagend, wie wenig das bisherige militärische u. bureaukratische System getaugt hatte. P. war in Napoleons I. Gewalt und es war wirklich nur Rücksicht auf Rußland, daß der preuß. Staat nach dem Tilsiter Frieden noch aus Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen bestand. Aber nun folgte die ganze Reorganisation des gesammten Staatslebens, durch welche P.s Zukunft gesichert wurde; die Leibeigenschaft hörte auf, die bürgerlichen Lasten wurden abgelöst, die Gewerbefreiheit eingeführt, die Städteordnung erlassen, den

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 4. Freiburg im Breisgau, 1856, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon04_1856/612>, abgerufen am 23.11.2024.