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Badener Zeitung. Nr. 38, Baden (Niederösterreich), 12.05.1909.

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Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38

[Spaltenumbruch]

hatten nachts 600 französische Grenadiere das auf
der Auinsel befindliche Jägerhaus und den Hafendamm
besetzt und unter deren Deckung hätten andere Truppen
hinübergeschafft werden sollen und am nächsten Tage
hätte der Brückenschlag stattfinden sollen. Als der
Korpskommandant endlich dies erfuhr, beorderte er
sofort das 49. Infanterieregiment, den Franzosen die
besetzte Stellung, koste es, was es wolle, zu entreißen.
Mit unglaublichem Mute, durch eine zähe Ausdauer
im Angriff, wurden die Oesterreicher unter bedeuten-
den Verlusten der Franzosen Herr. Diese wurden
samt und sonders teils getötet, teils gefangen, so
daß keiner der Beteiligten seinem Kaiser die betrübende
Meldung hatte melden können. Es war ein gewaltiges
Ringen beiderseits; denn die Franzosen verteidigten
ihre Position mit dem Mute der Verzweiflung und
die Neunundvierziger griffen mit dem Willen, zu
siegen immer von neuem an, bis sie sich in den Besitz
des wichtigen Platzes gesetzt hatten. Napoleon mußte
die Absicht, hier die Donau zu passieren, aufgeben
und wandte sich nach der Lobau, von wo aus er
eine Woche später auf den Wahlplatz bei Aspern vor-
rückte. Hier wurde, wie bekannt, die französische Armee
geschlagen. Neidlos und voll Bewunderung anerkannten
alle die Bravour der Neunundvierziger. Schon am
14. Mai 1809 wurde dem Regimente im Armeekorps-
befehle der Dank ausgesprochen und die glänzende
Waffentat desselben wurde dem ganzen Armeekorps
als leuchtendes Beispiel zur Nacheiferung empfohlen.
Auch in der Schlacht bei Aspern zeichnete sich das
Regiment aus und die Anerkennung ihres Helden-
mutes lautete im Armeebefehle: "Auf dem Schlacht-
felde seid ihr die ersten Soldaten der Welt; denn
ohne Neunundvierzig gäbe es keinen Sieg bei Aspern".
Die Erinnerung an solche Ruhmestage des Landes-
regiments kann nie oft genug aufgefrischt werden,
damit auch die Epigonen sich an den Taten ihrer
Vorfahren erinnern. Und wahrlich, wir sahen es, als
unsere Landeskinder an die südöstlichen Grenzen zogen,
um dem österreichischen Doppeladler die ihm ge-
bührende Achtung zu verschaffen. Vor hundert Jahren
eine gewaltige Waffentat -- im heurigen Jahre eine
machtgebietende Rüstung, die uns den Frieden schuf.
Die Tage des mittleren Mai 1809 bleiben un
vergessen.

-- Die Eismänner.

Am 12., 13. und 14.
Mai befürchtet das Volk, jedenfalls nach vieljähriger
Beobachtung, Morgenfröste. Aber mit dem Datum
kommen Pankraz, Servaz und Bonifaz nicht immer.
Heuer haben sie drei frühere Tage okkupiert, Freitag,
Samstag und Sonntag. Besonders kalt war der
Samstag. In den ersten Morgenstunden, als eben
die Sonne aufgehen wollte, sah man an den saftigen
Kleestauden die glitzernden Reifkristalle. Bei der
Einöde fand man schon ganze Streifen bereiften
Bodens und auf den kleinen Lacken dünne Eiskrusten.
[Spaltenumbruch] Aber die Siegenfelder und die Gaadener Wiesen
waren weiß wie beschneit. Die Dicke des Eises betrug
bis 5 mm. Die Blätter der niederen Bänme waren
in Frost erstarrt und ein eisig kalter Nordwind strich
von den Bergen her. Wenn nicht aus dem grünen
Walde Kuckucksruf und das melodiöse Pfeifen des
Pfingstvogels (Goldamsel) erscholl, mochte man sich in
den Spätherbst versetzt fühlen. Um halb sieben bedeckte
sich das Sulzergebirge wie mit einem lichten Nebel
und da kams von Sittendorf in dichten Schwaden:
es waren veritable Schneeflocken, die als letzter Gruß
des hartnäckigen Winters zur Erde flatterten. Nicht
lange dauerte das Spiel, das Gewölke verzog sich
und die Temperatur stieg derart, daß binnen zehn
Minuten der ganze Reif in blinkenden Tau ver-
wandelt ward. Die niedrigen Buschen und Eschen
aber waren, wo die Sonnenstrahlen hinfielen, ver-
sengt und auch in den Weingärten zeigten sich bald
einige Frostschäden, aber sicherlich nicht in dem Aus-
maße, wie es von Weingärtnern dargestellt wird.
Der Sonntagsmorgen war ebenfalls sehr kühl, doch
sank das Quecksilber nicht unter + 1°. Tagsüber
aber war es sehr schön und alles eilte ins Freie, um
den Lenz zu genießen.

-- Die Vogelwelt.

Mit der Ankunft des
Pirols (Goldamsel) ist die Sommerornis unserer
Gegend komplett. Als Vorläufer war vor einer Woche
der rotrückige Würger (Dorndreher) angekommen.
Ihm folgten die Wachteln in der Ebene und die
Goldamseln in den Laubwäldern und am Sonntag
konnte man vom Walde her das Frühlingslied der
ersteren und Wachtelschlag von den Getreideäckern
verne[h]men. Ausständig ist noch der Turmsegler. Die
Schwalben waren die ganze Woche hindurch nicht
sichtbar. Wohin sie sich geflüchtet, ist nicht zu eruieren.
Es wurde erzählt, daß man bei Felixdorf ganze
Haufen toter Schwalben gefunden hätte. Es ist nicht
unmöglich, daß die armen Tierchen vor Hunger und
Kälte zugrunde gingen, nachdem sie in der Vorwoche
schon ihre alten Nester einer durchgreifenden Reparatur
unterzogen hatten. Aber am Sonntag Nachmittag
konnte man sie wieder beobachten, wie sie pfeilschnell
um die Häuser und durch die Gassen schossen. Mögen
sie von weiterem Ungemach verschont bleiben; auch die
Menschheit sehnt sich nach warmer Frühlingsluft.
Die Amseln und die Singdrosseln hatten schon Junge
ausgebrütet. Ob sie sie über die schlimme Regenzeit
am Leben erhielten, wird sich bald zeigen. Die Höhlen-
brüter, zumal die Meisen, die sich in den Nistkästchen
des Kurparkes wohnlich eingerichtet hatten, obliegen dem
Brutgeschäfte und in einigen Wochen wird man die
kleinen Familien von Zweig zu Zweig, von Wipfel
zu Wipfel flattern sehen. An Nachtigallen werden die
Auen von Jahr zu Jahr ärmer; denn die besten
Schläger werden abgefangen. Der Vogelschutz ist
eben noch mangelhaft.


[Spaltenumbruch]
-- Die Kurorchesterkonzerte.

Vergan-
genen Sonntag war es dem Kurorchester zum ersten-
male vergönnt, sich im Freien, d. h. im Kurparke,
hören lassen zu können. Die Morgenkonzerte, die
Orchesterdirektor Hummer dirigiert, sind um diese
Jahreszeit wohl noch schwach besucht, desto besser die
Mittags- und Abendkonzerte. Am Sonntag wogte die
Hörermenge wie an einem Sommertage auf und ab
und lauschte den herrlichen Aufführungen, welche unter
der meisterhaften Leitung des Musikdirektors H. M.
Wallner Perlen der tonkünstlerischen Schöpfungen
bieten. Die Programme sind vorzüglich zusammen-
gestellt; man bekommt gediegene klassische Musik neben
solcher leichteren Genres zu hören und dies in voll-
kommener Ausführung. Wir wollen nur das Vorspiel
zur Oper "Mephistopheles" Boito's vom Samstag
anführen, die Verdi'sche Phantasie aus der Oper
"Der Maskenball" oder C. M. v. Weber's Oberon-
Ouverture, deren Aufführung alle Hörer entzückte und
die dem durchgeistigten Dirigieren Wallner's, wie
auch dem verständnisvollen Spiele der Mitwirkenden
den lebhaftesten und dankbarsten Beifall verschaffte.
Auch das Sonntagkonzert brachte glänzende Nummern,
wie überhaupt alles schöne Alte und hübsche Novi-
täten in den Programmen zu finden und tadellos zu
hören sind. Die Kurkommission kann mit Stolz auf
ihr erstklassiges Orchester hinweisen und tatsächlich ist
ein so vortreffliches Ensemble einer der Haupt-
anziehungspunkte eines Kurortes. Es hieße Eulen
nach Athen tragen, wollte man noch mehr Lob hin-
zufügen -- nur, wie wir im Vorjahre wiederholt
hervorgehoben hatten, wäre eine Vermehrung der
Streichinstrumente, besonders für die Produktionen
im Freien, sehr zu wünschen. Was aber die künst-
lerischen Darbietungen betrifft, so sind sie in der be-
währten Hand Wallner's in bester Hut.

-- Angekommene Fremde.

In Baden
sind in den letzten Tagen zum Kurgebrauche, resp.
Sommerfrische angekommen: Gutsbesitzer R. v. Hert-
berg
(Pension Landschaft), Prof. Kornelius Frei-
herr v. Hahn (Hotel Schäferin), Sektionschef August
Czapka Freiherr v. Winstetten, Frau Baroniu
Antonia Buschman, Vinzenz Graf Kuenburg
(Hotel Schäferin).

-- Der hiesige Verschönerungsverein,

dessen Tätigkeit eine wirklich anerkennenswerte ist
und der besonders heuer durch größere Arbeiten in
Anspruch genommen ist, scheint nun auch in letzterer
Zeit in weiten Kreisen sich Sympathien zu erringen,
die sich durch zahlreichen Beitritt von Mitgliedern
äußern. So sind in der letzten Zeit u. a. Herr Doro
Hein mit einem Jahresbeitrag von 100 Kronen und
und die Rennstallbesitzer Herren Piatnik mit einem
solchen von 50 Kronen als Mitglieder beigetreten;
außerdem spendete Herr Regierungsrat Rollett dem
Vereine 200 Kronen.




[Spaltenumbruch]

bei einsamem Denken und Lesen einen angenehmen
Aufenthalt bot. Auch gab es damals in den Städten
mancherlei Vergnügen, so daß wir keineswegs an-
nehmen dürfen, nur die Not hätte unsere Vorfahren
zu so manchem Kurzweil geführt.

Es lag für die Teilnehmer an solchen Abend-
zusammenkünften etwas geheimnisvoll Anregendes
darin, die Poesien gleichzeitig mit ihren Freunden
in sich aufzunehmen. Der ganze Gang einer Ge-
schichte entspann sich mit den Worten ihres Erzählers
vor den geistigen Augen der Hörer gleichzeitig und
in der gleichen Eingebung. Das Bewußtsein zu be-
sitzen, daß jeden Augenblick der andere Anwesende die
gleiche Vorstellung empfängt wie wir, übt auf uns
immer eine anheimelnde Wirkung aus. Und liegt
nicht auch in dem Tone eines guten Erzählers etwas
seelenvolles? Wenn wir lesen, so hören wir im
Geiste den Text immer in unserem eigenen Tone
vorgetragen, das heißt, wir beleben uns die Sprache
des Dichters in einer unserem persönlichen Empfinden
entsprechenden Weise; wenn wir aber das gleiche er-
zählen hören, klingt es uns nach der Empfindung des
Sprechers entgegen.

Aber auch für den Erzählenden selbst hatte diese
Sitte großen Wert und das Vergnügen, welches
darin lag, einen Kranz von Lieben, die stumm lauschten,
um sich versammelt zu sehen, braucht wohl auch nicht
ganz außeracht gelassen zu werden.

Und heute sind alle diese Bräuche dahin; man
sudelt seine Briefe, führt keine Stammbücher mehr,
man erzählt nimmer. Ja selbst das Vorlesen, eine
spätere Nachfolge des Erzählens, ist nicht mehr allge-
mein Sitte. Alles ist dahin und hat nur spärliche
Nachklänge hinterlassen. Aber das ist eigentlich tief
zu bedauern. Kühn widerspreche ich hier jener mäch-
tigen Stimme des Hypermodernismus, welche mit
fanatischer Wucht alles, was nur immer an alte
Zeiten erinnern könnte, blindlings niederschreit.
[Spaltenumbruch] Muß in dem Kampfe, welchen eine neue Idee gegen
schlechten alten Rost zu bestehen hat, denn durchaus
auch alles gute Alte zugrundegehen? Der Fortschritt,
welcher mehr zerstört als er bietet, ist in Wirklich-
keit keiner. Und einen solchen hat die geistig in-
materielle Kultur heute zu verzeichnen.

Von diesem Exkurse, welcher eine Tatsache
streifte, die sich außer in den gegenständlichen auch
in vielen anderen größeren Erscheinungen offenbart,
kehre ich zu meinem Thema zurück.

Ich habe bereits bei jedem der drei Titelpunkte
dieses Aufsatzes seine intimeren Werte genannt; es
gibt aber auch weitertragende, für die moralische und
geschichtliche Entwicklung der ganzen Menschheit be-
deutungsvolle Werte.

An dieser Stelle greife ich den zuvor schon
einmal berührten Gedanken über das in früheren
Zeiten größere Interesse an den Schicksalen seiner
Lieben wieder auf und es ist mir hier vor allem
darum zu tun, die eigentümliche Wechselwirkung, in
welcher der Niedergang des Gesellschaftslebens und
der Vorfall der besprochenen drei Sitten zu einander
stehen, zu kennzeichnen.

Es ist richtig, das nahezu gänzliche Aufhören
der häuslichen Gemütlichkeit hat den Zusammenbruch
alter Gebräuche verschuldet. Dieser trug aber wiederum
viel dazu bei, das erstere um so radikaler durchzu-
setzen. Das Schwinden der familiären Geselligkeit
machte in dem Falle wohl den Anfang des Zer-
störungswerkes, aber immerhin ist die wohltuende
Wirkung, besonders der zuletzt besprochenen Sitte auf
das Gesellschaftsleben ihren größten Wert, wenngleich
sie dieses auch nicht zu retten imstande war

Wo man sich im eigenen Heime zusammenschloß,
um ohne jeden Behelf sein Vergnügen in dem bloßen
seelischen Verkehre mit seinem Nächsten zu suchen,
dort erblühten wahre, edle Freundschaften, dort ent-
wickelte sich eine Liebe, die zuerst frei von Sinn-
[Spaltenumbruch] lichkeit ihren krystallreinen Quell nur in dem hin-
reißenden Eindrucke eines fremden Gemütes hatte.
Da bekam jedes ein richtiges Bild von den Nei-
gungen und Charakterzügen des anderen, weil man
es in seinem eigensten Milieu vor sich sah. Da auf
dem Lande während des Erzählens gearbeitet wurde,
gedieh die häusliche Kunst. Das Gedächtnis wurde
ungemein geschärft durch das Bestreben, das Gehörte
jederzeit wiedergeben zu können. Von dem Werte der
traditionellen Fortpflanzung überhaupt, soferne sie
den echten Volksgeist frischer erhält, will ich hier gar
nicht sprechen.

Hoch anzuschlagen ist aber der allgemein schön-
geistige Zug, welcher durch alle geschilderten Bräuche
seinerzeit in die Bevölkerung getragen wurde. In-
folge der Sorgfalt, mit der man seine Briefe ver-
faßte, der Freude, die man an guten Siunsprüchen
fand, und besonders der praktischen Uebung im Er-
zählen wurde die Ausdrucksfähigkeit für Geschäfts-
sachen ungemein erhöht. Und wenn gerade zu dieser
Zeit auf dem literarischen Himmel Sterne empor-
stiegen, deren unvergänglicher Glanz die Jahrhun-
derte überdauern wird, so darf uns das gar nicht
wundern.

Die Liebe zur Poesie und die Lust zum Fabu-
lieren wurde auf solche Weise bei talentvollen Menschen
schon frühzeitig geweckt und reifte in dieser Schule
oft zur schönsten Blüte. Wir erinnern uns hier nur
der bedeutungsvollen Stunden, wo Frau Rat dem
jungen Goethe vom Dr. Faust erzählte.

Die klassische Periode und das nachfolgende Zeit-
alter der Romantik verdankten ihre Lebenskraft un-
bestreitbar den begünstigenden Zuständen des damaligen
Gesellschaftslebens.

Heute treten die Ansichtskarten vielfach an Stelle
der früheren Luxusbriefe (man versteht wohl, was
ich mit dem Worte bezeichnen will), die Autographen-
fächer an Stelle der Stammbücher. Aber so nett jene


Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38

[Spaltenumbruch]

hatten nachts 600 franzöſiſche Grenadiere das auf
der Auinſel befindliche Jägerhaus und den Hafendamm
beſetzt und unter deren Deckung hätten andere Truppen
hinübergeſchafft werden ſollen und am nächſten Tage
hätte der Brückenſchlag ſtattfinden ſollen. Als der
Korpskommandant endlich dies erfuhr, beorderte er
ſofort das 49. Infanterieregiment, den Franzoſen die
beſetzte Stellung, koſte es, was es wolle, zu entreißen.
Mit unglaublichem Mute, durch eine zähe Ausdauer
im Angriff, wurden die Oeſterreicher unter bedeuten-
den Verluſten der Franzoſen Herr. Dieſe wurden
ſamt und ſonders teils getötet, teils gefangen, ſo
daß keiner der Beteiligten ſeinem Kaiſer die betrübende
Meldung hatte melden können. Es war ein gewaltiges
Ringen beiderſeits; denn die Franzoſen verteidigten
ihre Poſition mit dem Mute der Verzweiflung und
die Neunundvierziger griffen mit dem Willen, zu
ſiegen immer von neuem an, bis ſie ſich in den Beſitz
des wichtigen Platzes geſetzt hatten. Napoleon mußte
die Abſicht, hier die Donau zu paſſieren, aufgeben
und wandte ſich nach der Lobau, von wo aus er
eine Woche ſpäter auf den Wahlplatz bei Aſpern vor-
rückte. Hier wurde, wie bekannt, die franzöſiſche Armee
geſchlagen. Neidlos und voll Bewunderung anerkannten
alle die Bravour der Neunundvierziger. Schon am
14. Mai 1809 wurde dem Regimente im Armeekorps-
befehle der Dank ausgeſprochen und die glänzende
Waffentat desſelben wurde dem ganzen Armeekorps
als leuchtendes Beiſpiel zur Nacheiferung empfohlen.
Auch in der Schlacht bei Aſpern zeichnete ſich das
Regiment aus und die Anerkennung ihres Helden-
mutes lautete im Armeebefehle: „Auf dem Schlacht-
felde ſeid ihr die erſten Soldaten der Welt; denn
ohne Neunundvierzig gäbe es keinen Sieg bei Aſpern“.
Die Erinnerung an ſolche Ruhmestage des Landes-
regiments kann nie oft genug aufgefriſcht werden,
damit auch die Epigonen ſich an den Taten ihrer
Vorfahren erinnern. Und wahrlich, wir ſahen es, als
unſere Landeskinder an die ſüdöſtlichen Grenzen zogen,
um dem öſterreichiſchen Doppeladler die ihm ge-
bührende Achtung zu verſchaffen. Vor hundert Jahren
eine gewaltige Waffentat — im heurigen Jahre eine
machtgebietende Rüſtung, die uns den Frieden ſchuf.
Die Tage des mittleren Mai 1809 bleiben un
vergeſſen.

Die Eismänner.

Am 12., 13. und 14.
Mai befürchtet das Volk, jedenfalls nach vieljähriger
Beobachtung, Morgenfröſte. Aber mit dem Datum
kommen Pankraz, Servaz und Bonifaz nicht immer.
Heuer haben ſie drei frühere Tage okkupiert, Freitag,
Samstag und Sonntag. Beſonders kalt war der
Samstag. In den erſten Morgenſtunden, als eben
die Sonne aufgehen wollte, ſah man an den ſaftigen
Kleeſtauden die glitzernden Reifkriſtalle. Bei der
Einöde fand man ſchon ganze Streifen bereiften
Bodens und auf den kleinen Lacken dünne Eiskruſten.
[Spaltenumbruch] Aber die Siegenfelder und die Gaadener Wieſen
waren weiß wie beſchneit. Die Dicke des Eiſes betrug
bis 5 mm. Die Blätter der niederen Bänme waren
in Froſt erſtarrt und ein eiſig kalter Nordwind ſtrich
von den Bergen her. Wenn nicht aus dem grünen
Walde Kuckucksruf und das melodiöſe Pfeifen des
Pfingſtvogels (Goldamſel) erſcholl, mochte man ſich in
den Spätherbſt verſetzt fühlen. Um halb ſieben bedeckte
ſich das Sulzergebirge wie mit einem lichten Nebel
und da kams von Sittendorf in dichten Schwaden:
es waren veritable Schneeflocken, die als letzter Gruß
des hartnäckigen Winters zur Erde flatterten. Nicht
lange dauerte das Spiel, das Gewölke verzog ſich
und die Temperatur ſtieg derart, daß binnen zehn
Minuten der ganze Reif in blinkenden Tau ver-
wandelt ward. Die niedrigen Buſchen und Eſchen
aber waren, wo die Sonnenſtrahlen hinfielen, ver-
ſengt und auch in den Weingärten zeigten ſich bald
einige Froſtſchäden, aber ſicherlich nicht in dem Aus-
maße, wie es von Weingärtnern dargeſtellt wird.
Der Sonntagsmorgen war ebenfalls ſehr kühl, doch
ſank das Queckſilber nicht unter + 1°. Tagsüber
aber war es ſehr ſchön und alles eilte ins Freie, um
den Lenz zu genießen.

Die Vogelwelt.

Mit der Ankunft des
Pirols (Goldamſel) iſt die Sommerornis unſerer
Gegend komplett. Als Vorläufer war vor einer Woche
der rotrückige Würger (Dorndreher) angekommen.
Ihm folgten die Wachteln in der Ebene und die
Goldamſeln in den Laubwäldern und am Sonntag
konnte man vom Walde her das Frühlingslied der
erſteren und Wachtelſchlag von den Getreideäckern
verne[h]men. Ausſtändig iſt noch der Turmſegler. Die
Schwalben waren die ganze Woche hindurch nicht
ſichtbar. Wohin ſie ſich geflüchtet, iſt nicht zu eruieren.
Es wurde erzählt, daß man bei Felixdorf ganze
Haufen toter Schwalben gefunden hätte. Es iſt nicht
unmöglich, daß die armen Tierchen vor Hunger und
Kälte zugrunde gingen, nachdem ſie in der Vorwoche
ſchon ihre alten Neſter einer durchgreifenden Reparatur
unterzogen hatten. Aber am Sonntag Nachmittag
konnte man ſie wieder beobachten, wie ſie pfeilſchnell
um die Häuſer und durch die Gaſſen ſchoſſen. Mögen
ſie von weiterem Ungemach verſchont bleiben; auch die
Menſchheit ſehnt ſich nach warmer Frühlingsluft.
Die Amſeln und die Singdroſſeln hatten ſchon Junge
ausgebrütet. Ob ſie ſie über die ſchlimme Regenzeit
am Leben erhielten, wird ſich bald zeigen. Die Höhlen-
brüter, zumal die Meiſen, die ſich in den Niſtkäſtchen
des Kurparkes wohnlich eingerichtet hatten, obliegen dem
Brutgeſchäfte und in einigen Wochen wird man die
kleinen Familien von Zweig zu Zweig, von Wipfel
zu Wipfel flattern ſehen. An Nachtigallen werden die
Auen von Jahr zu Jahr ärmer; denn die beſten
Schläger werden abgefangen. Der Vogelſchutz iſt
eben noch mangelhaft.


[Spaltenumbruch]
Die Kurorcheſterkonzerte.

Vergan-
genen Sonntag war es dem Kurorcheſter zum erſten-
male vergönnt, ſich im Freien, d. h. im Kurparke,
hören laſſen zu können. Die Morgenkonzerte, die
Orcheſterdirektor Hummer dirigiert, ſind um dieſe
Jahreszeit wohl noch ſchwach beſucht, deſto beſſer die
Mittags- und Abendkonzerte. Am Sonntag wogte die
Hörermenge wie an einem Sommertage auf und ab
und lauſchte den herrlichen Aufführungen, welche unter
der meiſterhaften Leitung des Muſikdirektors H. M.
Wallner Perlen der tonkünſtleriſchen Schöpfungen
bieten. Die Programme ſind vorzüglich zuſammen-
geſtellt; man bekommt gediegene klaſſiſche Muſik neben
ſolcher leichteren Genres zu hören und dies in voll-
kommener Ausführung. Wir wollen nur das Vorſpiel
zur Oper „Mephiſtopheles“ Boito’s vom Samstag
anführen, die Verdi’ſche Phantaſie aus der Oper
„Der Maskenball“ oder C. M. v. Weber’s Oberon-
Ouverture, deren Aufführung alle Hörer entzückte und
die dem durchgeiſtigten Dirigieren Wallner’s, wie
auch dem verſtändnisvollen Spiele der Mitwirkenden
den lebhafteſten und dankbarſten Beifall verſchaffte.
Auch das Sonntagkonzert brachte glänzende Nummern,
wie überhaupt alles ſchöne Alte und hübſche Novi-
täten in den Programmen zu finden und tadellos zu
hören ſind. Die Kurkommiſſion kann mit Stolz auf
ihr erſtklaſſiges Orcheſter hinweiſen und tatſächlich iſt
ein ſo vortreffliches Enſemble einer der Haupt-
anziehungspunkte eines Kurortes. Es hieße Eulen
nach Athen tragen, wollte man noch mehr Lob hin-
zufügen — nur, wie wir im Vorjahre wiederholt
hervorgehoben hatten, wäre eine Vermehrung der
Streichinſtrumente, beſonders für die Produktionen
im Freien, ſehr zu wünſchen. Was aber die künſt-
leriſchen Darbietungen betrifft, ſo ſind ſie in der be-
währten Hand Wallner’s in beſter Hut.

Angekommene Fremde.

In Baden
ſind in den letzten Tagen zum Kurgebrauche, reſp.
Sommerfriſche angekommen: Gutsbeſitzer R. v. Hert-
berg
(Penſion Landſchaft), Prof. Kornelius Frei-
herr v. Hahn (Hotel Schäferin), Sektionschef Auguſt
Czapka Freiherr v. Winſtetten, Frau Baroniu
Antonia Buſchman, Vinzenz Graf Kuenburg
(Hotel Schäferin).

Der hieſige Verſchönerungsverein,

deſſen Tätigkeit eine wirklich anerkennenswerte iſt
und der beſonders heuer durch größere Arbeiten in
Anſpruch genommen iſt, ſcheint nun auch in letzterer
Zeit in weiten Kreiſen ſich Sympathien zu erringen,
die ſich durch zahlreichen Beitritt von Mitgliedern
äußern. So ſind in der letzten Zeit u. a. Herr Doro
Hein mit einem Jahresbeitrag von 100 Kronen und
und die Rennſtallbeſitzer Herren Piatnik mit einem
ſolchen von 50 Kronen als Mitglieder beigetreten;
außerdem ſpendete Herr Regierungsrat Rollett dem
Vereine 200 Kronen.




[Spaltenumbruch]

bei einſamem Denken und Leſen einen angenehmen
Aufenthalt bot. Auch gab es damals in den Städten
mancherlei Vergnügen, ſo daß wir keineswegs an-
nehmen dürfen, nur die Not hätte unſere Vorfahren
zu ſo manchem Kurzweil geführt.

Es lag für die Teilnehmer an ſolchen Abend-
zuſammenkünften etwas geheimnisvoll Anregendes
darin, die Poeſien gleichzeitig mit ihren Freunden
in ſich aufzunehmen. Der ganze Gang einer Ge-
ſchichte entſpann ſich mit den Worten ihres Erzählers
vor den geiſtigen Augen der Hörer gleichzeitig und
in der gleichen Eingebung. Das Bewußtſein zu be-
ſitzen, daß jeden Augenblick der andere Anweſende die
gleiche Vorſtellung empfängt wie wir, übt auf uns
immer eine anheimelnde Wirkung aus. Und liegt
nicht auch in dem Tone eines guten Erzählers etwas
ſeelenvolles? Wenn wir leſen, ſo hören wir im
Geiſte den Text immer in unſerem eigenen Tone
vorgetragen, das heißt, wir beleben uns die Sprache
des Dichters in einer unſerem perſönlichen Empfinden
entſprechenden Weiſe; wenn wir aber das gleiche er-
zählen hören, klingt es uns nach der Empfindung des
Sprechers entgegen.

Aber auch für den Erzählenden ſelbſt hatte dieſe
Sitte großen Wert und das Vergnügen, welches
darin lag, einen Kranz von Lieben, die ſtumm lauſchten,
um ſich verſammelt zu ſehen, braucht wohl auch nicht
ganz außeracht gelaſſen zu werden.

Und heute ſind alle dieſe Bräuche dahin; man
ſudelt ſeine Briefe, führt keine Stammbücher mehr,
man erzählt nimmer. Ja ſelbſt das Vorleſen, eine
ſpätere Nachfolge des Erzählens, iſt nicht mehr allge-
mein Sitte. Alles iſt dahin und hat nur ſpärliche
Nachklänge hinterlaſſen. Aber das iſt eigentlich tief
zu bedauern. Kühn widerſpreche ich hier jener mäch-
tigen Stimme des Hypermodernismus, welche mit
fanatiſcher Wucht alles, was nur immer an alte
Zeiten erinnern könnte, blindlings niederſchreit.
[Spaltenumbruch] Muß in dem Kampfe, welchen eine neue Idee gegen
ſchlechten alten Roſt zu beſtehen hat, denn durchaus
auch alles gute Alte zugrundegehen? Der Fortſchritt,
welcher mehr zerſtört als er bietet, iſt in Wirklich-
keit keiner. Und einen ſolchen hat die geiſtig in-
materielle Kultur heute zu verzeichnen.

Von dieſem Exkurſe, welcher eine Tatſache
ſtreifte, die ſich außer in den gegenſtändlichen auch
in vielen anderen größeren Erſcheinungen offenbart,
kehre ich zu meinem Thema zurück.

Ich habe bereits bei jedem der drei Titelpunkte
dieſes Aufſatzes ſeine intimeren Werte genannt; es
gibt aber auch weitertragende, für die moraliſche und
geſchichtliche Entwicklung der ganzen Menſchheit be-
deutungsvolle Werte.

An dieſer Stelle greife ich den zuvor ſchon
einmal berührten Gedanken über das in früheren
Zeiten größere Intereſſe an den Schickſalen ſeiner
Lieben wieder auf und es iſt mir hier vor allem
darum zu tun, die eigentümliche Wechſelwirkung, in
welcher der Niedergang des Geſellſchaftslebens und
der Vorfall der beſprochenen drei Sitten zu einander
ſtehen, zu kennzeichnen.

Es iſt richtig, das nahezu gänzliche Aufhören
der häuslichen Gemütlichkeit hat den Zuſammenbruch
alter Gebräuche verſchuldet. Dieſer trug aber wiederum
viel dazu bei, das erſtere um ſo radikaler durchzu-
ſetzen. Das Schwinden der familiären Geſelligkeit
machte in dem Falle wohl den Anfang des Zer-
ſtörungswerkes, aber immerhin iſt die wohltuende
Wirkung, beſonders der zuletzt beſprochenen Sitte auf
das Geſellſchaftsleben ihren größten Wert, wenngleich
ſie dieſes auch nicht zu retten imſtande war

Wo man ſich im eigenen Heime zuſammenſchloß,
um ohne jeden Behelf ſein Vergnügen in dem bloßen
ſeeliſchen Verkehre mit ſeinem Nächſten zu ſuchen,
dort erblühten wahre, edle Freundſchaften, dort ent-
wickelte ſich eine Liebe, die zuerſt frei von Sinn-
[Spaltenumbruch] lichkeit ihren kryſtallreinen Quell nur in dem hin-
reißenden Eindrucke eines fremden Gemütes hatte.
Da bekam jedes ein richtiges Bild von den Nei-
gungen und Charakterzügen des anderen, weil man
es in ſeinem eigenſten Milieu vor ſich ſah. Da auf
dem Lande während des Erzählens gearbeitet wurde,
gedieh die häusliche Kunſt. Das Gedächtnis wurde
ungemein geſchärft durch das Beſtreben, das Gehörte
jederzeit wiedergeben zu können. Von dem Werte der
traditionellen Fortpflanzung überhaupt, ſoferne ſie
den echten Volksgeiſt friſcher erhält, will ich hier gar
nicht ſprechen.

Hoch anzuſchlagen iſt aber der allgemein ſchön-
geiſtige Zug, welcher durch alle geſchilderten Bräuche
ſeinerzeit in die Bevölkerung getragen wurde. In-
folge der Sorgfalt, mit der man ſeine Briefe ver-
faßte, der Freude, die man an guten Siunſprüchen
fand, und beſonders der praktiſchen Uebung im Er-
zählen wurde die Ausdrucksfähigkeit für Geſchäfts-
ſachen ungemein erhöht. Und wenn gerade zu dieſer
Zeit auf dem literariſchen Himmel Sterne empor-
ſtiegen, deren unvergänglicher Glanz die Jahrhun-
derte überdauern wird, ſo darf uns das gar nicht
wundern.

Die Liebe zur Poeſie und die Luſt zum Fabu-
lieren wurde auf ſolche Weiſe bei talentvollen Menſchen
ſchon frühzeitig geweckt und reifte in dieſer Schule
oft zur ſchönſten Blüte. Wir erinnern uns hier nur
der bedeutungsvollen Stunden, wo Frau Rat dem
jungen Goethe vom Dr. Fauſt erzählte.

Die klaſſiſche Periode und das nachfolgende Zeit-
alter der Romantik verdankten ihre Lebenskraft un-
beſtreitbar den begünſtigenden Zuſtänden des damaligen
Geſellſchaftslebens.

Heute treten die Anſichtskarten vielfach an Stelle
der früheren Luxusbriefe (man verſteht wohl, was
ich mit dem Worte bezeichnen will), die Autographen-
fächer an Stelle der Stammbücher. Aber ſo nett jene


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Mit unglaublichem Mute, durch eine zähe Ausdauer<lb/>
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[4/0004] Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 Nr. 38 hatten nachts 600 franzöſiſche Grenadiere das auf der Auinſel befindliche Jägerhaus und den Hafendamm beſetzt und unter deren Deckung hätten andere Truppen hinübergeſchafft werden ſollen und am nächſten Tage hätte der Brückenſchlag ſtattfinden ſollen. Als der Korpskommandant endlich dies erfuhr, beorderte er ſofort das 49. Infanterieregiment, den Franzoſen die beſetzte Stellung, koſte es, was es wolle, zu entreißen. Mit unglaublichem Mute, durch eine zähe Ausdauer im Angriff, wurden die Oeſterreicher unter bedeuten- den Verluſten der Franzoſen Herr. Dieſe wurden ſamt und ſonders teils getötet, teils gefangen, ſo daß keiner der Beteiligten ſeinem Kaiſer die betrübende Meldung hatte melden können. Es war ein gewaltiges Ringen beiderſeits; denn die Franzoſen verteidigten ihre Poſition mit dem Mute der Verzweiflung und die Neunundvierziger griffen mit dem Willen, zu ſiegen immer von neuem an, bis ſie ſich in den Beſitz des wichtigen Platzes geſetzt hatten. Napoleon mußte die Abſicht, hier die Donau zu paſſieren, aufgeben und wandte ſich nach der Lobau, von wo aus er eine Woche ſpäter auf den Wahlplatz bei Aſpern vor- rückte. Hier wurde, wie bekannt, die franzöſiſche Armee geſchlagen. Neidlos und voll Bewunderung anerkannten alle die Bravour der Neunundvierziger. Schon am 14. Mai 1809 wurde dem Regimente im Armeekorps- befehle der Dank ausgeſprochen und die glänzende Waffentat desſelben wurde dem ganzen Armeekorps als leuchtendes Beiſpiel zur Nacheiferung empfohlen. Auch in der Schlacht bei Aſpern zeichnete ſich das Regiment aus und die Anerkennung ihres Helden- mutes lautete im Armeebefehle: „Auf dem Schlacht- felde ſeid ihr die erſten Soldaten der Welt; denn ohne Neunundvierzig gäbe es keinen Sieg bei Aſpern“. Die Erinnerung an ſolche Ruhmestage des Landes- regiments kann nie oft genug aufgefriſcht werden, damit auch die Epigonen ſich an den Taten ihrer Vorfahren erinnern. Und wahrlich, wir ſahen es, als unſere Landeskinder an die ſüdöſtlichen Grenzen zogen, um dem öſterreichiſchen Doppeladler die ihm ge- bührende Achtung zu verſchaffen. Vor hundert Jahren eine gewaltige Waffentat — im heurigen Jahre eine machtgebietende Rüſtung, die uns den Frieden ſchuf. Die Tage des mittleren Mai 1809 bleiben un vergeſſen. — Die Eismänner. Am 12., 13. und 14. Mai befürchtet das Volk, jedenfalls nach vieljähriger Beobachtung, Morgenfröſte. Aber mit dem Datum kommen Pankraz, Servaz und Bonifaz nicht immer. Heuer haben ſie drei frühere Tage okkupiert, Freitag, Samstag und Sonntag. Beſonders kalt war der Samstag. In den erſten Morgenſtunden, als eben die Sonne aufgehen wollte, ſah man an den ſaftigen Kleeſtauden die glitzernden Reifkriſtalle. Bei der Einöde fand man ſchon ganze Streifen bereiften Bodens und auf den kleinen Lacken dünne Eiskruſten. Aber die Siegenfelder und die Gaadener Wieſen waren weiß wie beſchneit. Die Dicke des Eiſes betrug bis 5 mm. Die Blätter der niederen Bänme waren in Froſt erſtarrt und ein eiſig kalter Nordwind ſtrich von den Bergen her. Wenn nicht aus dem grünen Walde Kuckucksruf und das melodiöſe Pfeifen des Pfingſtvogels (Goldamſel) erſcholl, mochte man ſich in den Spätherbſt verſetzt fühlen. Um halb ſieben bedeckte ſich das Sulzergebirge wie mit einem lichten Nebel und da kams von Sittendorf in dichten Schwaden: es waren veritable Schneeflocken, die als letzter Gruß des hartnäckigen Winters zur Erde flatterten. Nicht lange dauerte das Spiel, das Gewölke verzog ſich und die Temperatur ſtieg derart, daß binnen zehn Minuten der ganze Reif in blinkenden Tau ver- wandelt ward. Die niedrigen Buſchen und Eſchen aber waren, wo die Sonnenſtrahlen hinfielen, ver- ſengt und auch in den Weingärten zeigten ſich bald einige Froſtſchäden, aber ſicherlich nicht in dem Aus- maße, wie es von Weingärtnern dargeſtellt wird. Der Sonntagsmorgen war ebenfalls ſehr kühl, doch ſank das Queckſilber nicht unter + 1°. Tagsüber aber war es ſehr ſchön und alles eilte ins Freie, um den Lenz zu genießen. — Die Vogelwelt. Mit der Ankunft des Pirols (Goldamſel) iſt die Sommerornis unſerer Gegend komplett. Als Vorläufer war vor einer Woche der rotrückige Würger (Dorndreher) angekommen. Ihm folgten die Wachteln in der Ebene und die Goldamſeln in den Laubwäldern und am Sonntag konnte man vom Walde her das Frühlingslied der erſteren und Wachtelſchlag von den Getreideäckern vernehmen. Ausſtändig iſt noch der Turmſegler. Die Schwalben waren die ganze Woche hindurch nicht ſichtbar. Wohin ſie ſich geflüchtet, iſt nicht zu eruieren. Es wurde erzählt, daß man bei Felixdorf ganze Haufen toter Schwalben gefunden hätte. Es iſt nicht unmöglich, daß die armen Tierchen vor Hunger und Kälte zugrunde gingen, nachdem ſie in der Vorwoche ſchon ihre alten Neſter einer durchgreifenden Reparatur unterzogen hatten. Aber am Sonntag Nachmittag konnte man ſie wieder beobachten, wie ſie pfeilſchnell um die Häuſer und durch die Gaſſen ſchoſſen. Mögen ſie von weiterem Ungemach verſchont bleiben; auch die Menſchheit ſehnt ſich nach warmer Frühlingsluft. Die Amſeln und die Singdroſſeln hatten ſchon Junge ausgebrütet. Ob ſie ſie über die ſchlimme Regenzeit am Leben erhielten, wird ſich bald zeigen. Die Höhlen- brüter, zumal die Meiſen, die ſich in den Niſtkäſtchen des Kurparkes wohnlich eingerichtet hatten, obliegen dem Brutgeſchäfte und in einigen Wochen wird man die kleinen Familien von Zweig zu Zweig, von Wipfel zu Wipfel flattern ſehen. An Nachtigallen werden die Auen von Jahr zu Jahr ärmer; denn die beſten Schläger werden abgefangen. Der Vogelſchutz iſt eben noch mangelhaft. — Die Kurorcheſterkonzerte. Vergan- genen Sonntag war es dem Kurorcheſter zum erſten- male vergönnt, ſich im Freien, d. h. im Kurparke, hören laſſen zu können. Die Morgenkonzerte, die Orcheſterdirektor Hummer dirigiert, ſind um dieſe Jahreszeit wohl noch ſchwach beſucht, deſto beſſer die Mittags- und Abendkonzerte. Am Sonntag wogte die Hörermenge wie an einem Sommertage auf und ab und lauſchte den herrlichen Aufführungen, welche unter der meiſterhaften Leitung des Muſikdirektors H. M. Wallner Perlen der tonkünſtleriſchen Schöpfungen bieten. Die Programme ſind vorzüglich zuſammen- geſtellt; man bekommt gediegene klaſſiſche Muſik neben ſolcher leichteren Genres zu hören und dies in voll- kommener Ausführung. Wir wollen nur das Vorſpiel zur Oper „Mephiſtopheles“ Boito’s vom Samstag anführen, die Verdi’ſche Phantaſie aus der Oper „Der Maskenball“ oder C. M. v. Weber’s Oberon- Ouverture, deren Aufführung alle Hörer entzückte und die dem durchgeiſtigten Dirigieren Wallner’s, wie auch dem verſtändnisvollen Spiele der Mitwirkenden den lebhafteſten und dankbarſten Beifall verſchaffte. Auch das Sonntagkonzert brachte glänzende Nummern, wie überhaupt alles ſchöne Alte und hübſche Novi- täten in den Programmen zu finden und tadellos zu hören ſind. Die Kurkommiſſion kann mit Stolz auf ihr erſtklaſſiges Orcheſter hinweiſen und tatſächlich iſt ein ſo vortreffliches Enſemble einer der Haupt- anziehungspunkte eines Kurortes. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man noch mehr Lob hin- zufügen — nur, wie wir im Vorjahre wiederholt hervorgehoben hatten, wäre eine Vermehrung der Streichinſtrumente, beſonders für die Produktionen im Freien, ſehr zu wünſchen. Was aber die künſt- leriſchen Darbietungen betrifft, ſo ſind ſie in der be- währten Hand Wallner’s in beſter Hut. — Angekommene Fremde. In Baden ſind in den letzten Tagen zum Kurgebrauche, reſp. Sommerfriſche angekommen: Gutsbeſitzer R. v. Hert- berg (Penſion Landſchaft), Prof. Kornelius Frei- herr v. Hahn (Hotel Schäferin), Sektionschef Auguſt Czapka Freiherr v. Winſtetten, Frau Baroniu Antonia Buſchman, Vinzenz Graf Kuenburg (Hotel Schäferin). — Der hieſige Verſchönerungsverein, deſſen Tätigkeit eine wirklich anerkennenswerte iſt und der beſonders heuer durch größere Arbeiten in Anſpruch genommen iſt, ſcheint nun auch in letzterer Zeit in weiten Kreiſen ſich Sympathien zu erringen, die ſich durch zahlreichen Beitritt von Mitgliedern äußern. So ſind in der letzten Zeit u. a. Herr Doro Hein mit einem Jahresbeitrag von 100 Kronen und und die Rennſtallbeſitzer Herren Piatnik mit einem ſolchen von 50 Kronen als Mitglieder beigetreten; außerdem ſpendete Herr Regierungsrat Rollett dem Vereine 200 Kronen. bei einſamem Denken und Leſen einen angenehmen Aufenthalt bot. Auch gab es damals in den Städten mancherlei Vergnügen, ſo daß wir keineswegs an- nehmen dürfen, nur die Not hätte unſere Vorfahren zu ſo manchem Kurzweil geführt. Es lag für die Teilnehmer an ſolchen Abend- zuſammenkünften etwas geheimnisvoll Anregendes darin, die Poeſien gleichzeitig mit ihren Freunden in ſich aufzunehmen. Der ganze Gang einer Ge- ſchichte entſpann ſich mit den Worten ihres Erzählers vor den geiſtigen Augen der Hörer gleichzeitig und in der gleichen Eingebung. Das Bewußtſein zu be- ſitzen, daß jeden Augenblick der andere Anweſende die gleiche Vorſtellung empfängt wie wir, übt auf uns immer eine anheimelnde Wirkung aus. Und liegt nicht auch in dem Tone eines guten Erzählers etwas ſeelenvolles? Wenn wir leſen, ſo hören wir im Geiſte den Text immer in unſerem eigenen Tone vorgetragen, das heißt, wir beleben uns die Sprache des Dichters in einer unſerem perſönlichen Empfinden entſprechenden Weiſe; wenn wir aber das gleiche er- zählen hören, klingt es uns nach der Empfindung des Sprechers entgegen. Aber auch für den Erzählenden ſelbſt hatte dieſe Sitte großen Wert und das Vergnügen, welches darin lag, einen Kranz von Lieben, die ſtumm lauſchten, um ſich verſammelt zu ſehen, braucht wohl auch nicht ganz außeracht gelaſſen zu werden. Und heute ſind alle dieſe Bräuche dahin; man ſudelt ſeine Briefe, führt keine Stammbücher mehr, man erzählt nimmer. Ja ſelbſt das Vorleſen, eine ſpätere Nachfolge des Erzählens, iſt nicht mehr allge- mein Sitte. Alles iſt dahin und hat nur ſpärliche Nachklänge hinterlaſſen. Aber das iſt eigentlich tief zu bedauern. Kühn widerſpreche ich hier jener mäch- tigen Stimme des Hypermodernismus, welche mit fanatiſcher Wucht alles, was nur immer an alte Zeiten erinnern könnte, blindlings niederſchreit. Muß in dem Kampfe, welchen eine neue Idee gegen ſchlechten alten Roſt zu beſtehen hat, denn durchaus auch alles gute Alte zugrundegehen? Der Fortſchritt, welcher mehr zerſtört als er bietet, iſt in Wirklich- keit keiner. Und einen ſolchen hat die geiſtig in- materielle Kultur heute zu verzeichnen. Von dieſem Exkurſe, welcher eine Tatſache ſtreifte, die ſich außer in den gegenſtändlichen auch in vielen anderen größeren Erſcheinungen offenbart, kehre ich zu meinem Thema zurück. Ich habe bereits bei jedem der drei Titelpunkte dieſes Aufſatzes ſeine intimeren Werte genannt; es gibt aber auch weitertragende, für die moraliſche und geſchichtliche Entwicklung der ganzen Menſchheit be- deutungsvolle Werte. An dieſer Stelle greife ich den zuvor ſchon einmal berührten Gedanken über das in früheren Zeiten größere Intereſſe an den Schickſalen ſeiner Lieben wieder auf und es iſt mir hier vor allem darum zu tun, die eigentümliche Wechſelwirkung, in welcher der Niedergang des Geſellſchaftslebens und der Vorfall der beſprochenen drei Sitten zu einander ſtehen, zu kennzeichnen. Es iſt richtig, das nahezu gänzliche Aufhören der häuslichen Gemütlichkeit hat den Zuſammenbruch alter Gebräuche verſchuldet. Dieſer trug aber wiederum viel dazu bei, das erſtere um ſo radikaler durchzu- ſetzen. Das Schwinden der familiären Geſelligkeit machte in dem Falle wohl den Anfang des Zer- ſtörungswerkes, aber immerhin iſt die wohltuende Wirkung, beſonders der zuletzt beſprochenen Sitte auf das Geſellſchaftsleben ihren größten Wert, wenngleich ſie dieſes auch nicht zu retten imſtande war Wo man ſich im eigenen Heime zuſammenſchloß, um ohne jeden Behelf ſein Vergnügen in dem bloßen ſeeliſchen Verkehre mit ſeinem Nächſten zu ſuchen, dort erblühten wahre, edle Freundſchaften, dort ent- wickelte ſich eine Liebe, die zuerſt frei von Sinn- lichkeit ihren kryſtallreinen Quell nur in dem hin- reißenden Eindrucke eines fremden Gemütes hatte. Da bekam jedes ein richtiges Bild von den Nei- gungen und Charakterzügen des anderen, weil man es in ſeinem eigenſten Milieu vor ſich ſah. Da auf dem Lande während des Erzählens gearbeitet wurde, gedieh die häusliche Kunſt. Das Gedächtnis wurde ungemein geſchärft durch das Beſtreben, das Gehörte jederzeit wiedergeben zu können. Von dem Werte der traditionellen Fortpflanzung überhaupt, ſoferne ſie den echten Volksgeiſt friſcher erhält, will ich hier gar nicht ſprechen. Hoch anzuſchlagen iſt aber der allgemein ſchön- geiſtige Zug, welcher durch alle geſchilderten Bräuche ſeinerzeit in die Bevölkerung getragen wurde. In- folge der Sorgfalt, mit der man ſeine Briefe ver- faßte, der Freude, die man an guten Siunſprüchen fand, und beſonders der praktiſchen Uebung im Er- zählen wurde die Ausdrucksfähigkeit für Geſchäfts- ſachen ungemein erhöht. Und wenn gerade zu dieſer Zeit auf dem literariſchen Himmel Sterne empor- ſtiegen, deren unvergänglicher Glanz die Jahrhun- derte überdauern wird, ſo darf uns das gar nicht wundern. Die Liebe zur Poeſie und die Luſt zum Fabu- lieren wurde auf ſolche Weiſe bei talentvollen Menſchen ſchon frühzeitig geweckt und reifte in dieſer Schule oft zur ſchönſten Blüte. Wir erinnern uns hier nur der bedeutungsvollen Stunden, wo Frau Rat dem jungen Goethe vom Dr. Fauſt erzählte. Die klaſſiſche Periode und das nachfolgende Zeit- alter der Romantik verdankten ihre Lebenskraft un- beſtreitbar den begünſtigenden Zuſtänden des damaligen Geſellſchaftslebens. Heute treten die Anſichtskarten vielfach an Stelle der früheren Luxusbriefe (man verſteht wohl, was ich mit dem Worte bezeichnen will), die Autographen- fächer an Stelle der Stammbücher. Aber ſo nett jene

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 38, Baden (Niederösterreich), 12.05.1909, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener038_1909/4>, abgerufen am 21.11.2024.