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Deutsche Auswanderer-Zeitung. Nr. 49. Bremen, 18. Juni 1852.

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[Beginn Spaltensatz] über das Micogebirge nach Guatemala. Die von Balize und die von Omoa
( in Honduras ) verschickten Waaren nehmen diese Richtung, mit Umgehung
von Thomas, weil Niemand Lust hegen kann, die Gegenstände hier umzu-
laden und dann erst nach dem Rio dulce zu senden, was einen Umweg von
10 Leguas hin und zurück beträgt. Die Stadt enthält 83 Wohnhäuser,
welche meist mit Palmenblättern gedeckt sind, und eine Vevölkerung von
235 Seelen, darunter 79 Frauen und 66 Kinder unter 14 Jahren. Von
den Bewohnern sind 85 Deutsche und 112 Belgier. Außer dieser ansässi-
gen Bevölkerung existirt noch eine wandernde, welche von den Mahagoni-
schlägern gebildet wird. Urwald erhält hier Jeder umsonst unter der Bedingunng
des Ausrodens. Eine Palmenhütte wird mit 100 Thlr., eine Kuh mit 7 $
bezahlt. Der Magdeburger Morgen Land giebt etwa 45 Scheffel jährlichen
Ertrag. Die Yam ersetzt die deutsche Kartoffel und wird durch Stecklinge
verpflanzt, von denen eine 5 bis 6 Knollen zu 50 bis 125 Gewicht
liefert. Hülsenfrüchte und Obst gedeihen nicht, wohl aber Bohnen. Mehl
und Spirituosen werden von Europa oder Amerika eingeführt. Die Flasche
Bier bezahlt man gleich dem Rothwein mit12 1 / 2 Sgr. Cacaopflanzungen
tragen erst in 7 Jahren. Für den Kaffee ist der hohe Tagelohn zu kost-
spielig. Mit Zucker und Taback, Produkte, welche gut fortkommen, ist
noch kein nennenswerther Anfang gemacht. Westindische Produkte können
Europäer überhaupt besser auf Cuba bauen. Die Mahagonischlägereien
haben zwar einen guten Fortgang, erfordern jedoch viel Kapital. Ein
Bauer aus Düsseldorf, ein gewisser Wels, macht hier den Banquier und
leiht Geld monatlich zu 24 pCt. aus. Die Deutschen leben auch hier in
Zank und Zwietracht untereinander. Die vorhandene hölzerne Kirche ist
dem Einsturz nahe. Es giebt weder einen Geistlichen, noch Küster, noch
Schullehrer. Ebenso wenig existirt ein Arzt, oder Chirurg oder eine Apo-
theke. Die meisten Ehen sind daher gar nicht eingesegnet, die Kinder nicht
getauft, und die Zügellosigkeit und Verwilderung der Kolonisten wird sich
bald in einem unerhörten Grade geltend machen, wenn die fremden Kauf-
leute und die Beamten des belgischen Consulats die Kolonie verlassen haben.
Die Regierung von Guatemala hält zwar eine Besatzung, aus einem Lieute-
nant und 14 barfüßigen Soldaten bestehend, aber der Befehlshaber, welcher
zugleich Vorsteher einer Strafanstalt ist, bleibt als Halbindianer ohne Einfluß.
Die Hitze ist erträglich. Von 240 Einwohnern sind gestorben 1848 8,
1849 20, 1850 91, 1851 11. Die Sterblichkeit des Jahres 1850 wurde
bekanntlich durch die verunglückte Norma=Expedition hervorgerufen, welche
mit 137 Auswanderern 10 Leguas weiter an der Küste von British Honduras
unternommen war. Ein Theil der Auswanderer begab sich krank und elend
nach St. Thomas, wo 66 Pommern starben. Als bloße Ackerbaukolonie hat
St. Thomas keine Lebensfähigkeit, und nur in den höher gelegenen
Gegenden des innern Landes hätten nordische Bewohner
die Hoffnung, mit Erfolg den Ackerbau zu betreiben, sobald
nämlich Verbindungswege mit der Hauptstadt des Landes
hergestellt sind.
St. Thomas ist ein Freihafen. Der Zoll der Waaren
wird erst am Orte der Bestimmung mit 24 pCt. vom Werthe der Waaren
erhoben. Außerdem muß eine Kriegssublevation von 1 $ per Colli und
eine Wegesteuer von 1 / 2 $ per Colli entrichtet werden. Jm Jahre 1850
liefen 7 spanische, 6 belgische, 6 englische und 1 amerikanisches Schiff in
den Hafen, im Jahre 1851 nur 1 spanisches Schiff, 10 englische und
6 belgische Fahrzeuge. Der Bezirk Belize, welchen die Engländer in Besitz
genommen haben, zählt etwa 10,000 Einwohner, die Stadt selbst 5000.
Die Regierung ist in den Händen eines durch Wahl nach einem hohen
Census ernannten " public meeting ", dessen Beschlüsse der Genehmigung
des englischen Gouverneurs bedürfen. Dieser, Namens Eduard Woodhouse,
ressortirt vom Gouvernement von Jamaica. Die Besatzung besteht aus einigen
Compagnieen des ersten westindischen Regiments. Nur Officiere und Unter-
officiere gehören der weißen Race an. Für 1851 ist ein besonderer Zolltarif
erlassen. Jährlich besuchen gegen 120 große Schiffe den Hafen, selten
deutsche. Doch giebt es drei deutsche Handelshäuser: Hasted, Wesselhöft und
Düsseldorf. Die direkten Handelsbeziehungen mit Europa und Nordamerika
sind im Zunehmen begriffen. Die englischen Beamten werden aus den Zoll-
einkünften der Stadt mit 40,000 $ besoldet.     ( Wes.=Ztg. )



Aus dem Tagebuche eines 1850 nach Valdivia Ausgewanderten.
( Fortsetzung. )

Um 8 Uhr beginnt die Besuchszeit, welche sich bis 12 Uhr und länger
ausdehnt, in welcher Zeit dann ein Matezito eingenommen wird. Das nun
folgende Abendbrod beschließt das Tagewerk. Bei dieser Art zu leben ist
es erklärlich, daß schöne[unleserliches Material] Hände und dabei zerrissene Hemden nichts
Außerordentliches sind. Bei solcher ziemlich allgemeinen Unthätigkeit in
der Lebensweise der Cavalieros ist der Consum an Waaren sehr groß.
Fast in jedem Hause giebt es einen Laden, ja selbst zwei sind nicht
ungewöhnlich; der Marktplatz hat in seinen 13 Häusern 15 Läden
( Tiendas ) . - Ein Theil des geselligen Lebens besteht in Besuchen,
wobei natürlich ungeheuer geklatscht wird; einen andern Zusammenkunfts-
ort bildet die Kirche. Die Frauen gehen wo möglich alle Tage in die
Missa, gefolgt von schwarzbraunen zerlumpten Bedienten in schwarzer Klei-
dung; der Kopf ist durch ein großes schwarzseidnes Tuch verhangen, wel-
ches fast bis auf die Fersen geht. Allerdings sind diese schwarzen Nonnen
mit ihren weißen Gesichtern interessant genug. - Jn der Missa knieen
alle auf kostbaren Teppichen, welche ihre Bedienten tragen, während der
Geistliche eine lateinisch=spanische Messe liest, die er selbst nicht versteht;
[Spaltenumbruch] denn er kann nicht Lateinisch. Predigten giebt es nie! - Dagegen zur
Verherrlichung der großen Kirchenfeste werden die Kanonen gelöst, eine
Leier gedreht und bei den Klängen einer muntern Melodie die Mutter
Gottes im neuen Kleide herumgetragen. Abends werden mitten in den
Sand Lichter ohne Leuchter gestellt, die wohl auch zuweilen von den
massenhaft umherlaufenden Hunden zum Wohl der Heiligen aufgefressen
werden. - Soviel einstweilen über Dies. Eine andere Art Vergnügung
ist die Zusammenkunft am Namenstage, der durch den Genuß einer Menge
von Süßigkeiten, eingemachter Früchte und Liqueure gefeiert wird. -
Sehr feierlich begangen werden die Taufen, weniger die Hochzeiten, in
deren Gefolge sich aber die Gastereien 14 Tage und länger ausdehnen.
Sehr einfach ist die Sitte des Begrabens: ist Jemand gestorben, so
kommen in der Nacht, wenn die nahen Anverwandten des Todten, von
Schmerz und Kummer ermattet, dem Schlaf in die Arme gefallen sind,
die Freunde desselben, holen stillschweigend die Leiche ab und begraben sie,
so daß, wenn die Erwachenden am Morgen aufstehen, ihnen die Freunde
schon vom Kirchhof zurück entgegenkommen. Zu Ehren des Verstorbenen
werden dann aber die Krankenstuben, sowie die anstoßenden Gemächer ver-
schlossen, und 2 Monate lang in Trauer versunken, darf die Familie nicht
ausgehen. - Jm Ganzen kommen mir die hiesigen Sitten vor, wie ein
modischer eleganter Rock über einem ungehobelten Körper. Ueberall paart
sich die alte spanische Grandezza mit Prahlerei, der Glanz mit Tand, das
Ansehen mit Schein; man kann sagen: es ist ein großes Feld von Wider-
sprüchen. Bezeichnend für diesen Charakter sind die elegant eingerichteten
Häuser, durch welche doch der Wind pfeift, weil sie selten Fenster und
Schlösser haben. So giebt es elegante Kleider und kein ganzes Hemd,
viele Gerichte und wenig schmackhafte, viele Bedienung, aber in Schmutz
gewälzte, in der Kirche großes Gepränge, aber innere Hohlheit, gesetzlich
ausgesprochene allgemeine Gleichheit und einen faktisch bevorzugten Stand
von Edelleuten, viel Schwadroniren und wenig Kenntnisse, ein Mangel,
der sich bis auf's Lesen und Schreiben erstreckt. Von wirklicher Bildung
ist keine Rede, denn es fehlen die Schulen; wenn auch der Staat den
Willen hat und Einiges auf Schulen verwendet, so senden die Eltern ihre
Kinder doch nicht in dieselben. - Es ist kein so arger Skandal, wenn
Unverheirathete Kinder bekommen; jedoch dürfen sich Verehelichte in Gegen-
wart der Geschwister nicht küssen, viel weniger vor der Verheirathung.
Zu leugnen ist es nicht, daß gerade durch dieses steife Leben auf der andern
Seite wieder eine Menge von Poesie sich entwickelt, die hauptsächlich für
junge unverheirathete Leute sehr anziehend ist und durch den Conflikt der
Herzensregungen mit der Etiquette hervorgerufen wird. Ein sehr hübsches
geselliges Vergnügen ist ein Tanz, Gueca genannt. Er stellt ein Paar,
zwei Liebende vor, die nach gewissen Regeln und Modulationen der Musik
sich bald zu erhaschen, bald zu vermeiden suchen. Das Sprechen in Versen
früherer berühmter Dichter, die ausgedehnte Blumen=, Farben= und Augen=,
sowie Zeichensprache, die Verschmitztheit der Bedienten, dies Alles bietet
ein reiches Feld für die Poesie. Jch würde euch gern viel darüber schrei-
ben, jedoch fehlt mir zu regelrechter Abfassung die Zeit und noch etwas
Anderes, wie es einem jungen Ehemann geht. -

Bei dem starken Consum, bei der Sucht, ausländische und theuere
Sachen zu tragen, bei dem Mangel von Handwerkern jeder Art ist es
erklärlich, daß der Handel stark geht, der noch mehr gehoben würde, wenn
die Landesprodukte einen höhern Werth hätten. - Ein Pferd gilt 10 bis
20 Thlr., eine Kuh 6 bis 10 Thlr., ein Ochse 10 bis 12 Thlr., ein Schaf
1 / 2 Thlr., ein Schwein 3 Thlr. Und doch ist hier, wo es Tausende von
Kühen giebt, 1 Quart Butter 1 Pesos ( 1 Thlr. 10 Sgr. 6 Pf. ) werth, ein
Paar Stiefels soviel, wie ein Ochse. - Es fehlt demnach an Handwer-
kern.*) Tischler ( Deutsche ) sind 3, welche Jeder auf ein Vierteljahr voraus
Arbeit haben, Schmiede 2 ( 1 Chilene und 1 Deutscher ) , sie arbeiten gegen
zehnfach höhere Preise, als bei Euch; 2 Schuhmacher sind Deutsche. -
Außer den angeführten Handwerkern fehlen sehr: Töpfer, Glaser, Klempner,
Tuchmacher, Flachs= und Leinenarbeiter, Glasbläser ( eine Flasche7 1 / 2 Sgr. ) ,
Wurstmacher, Jnstrumentenbauer, Drechsler; Silberarbeiter machen gute
Geschäfte, selbst bei wenig Kenntnissen, wenn sie nur Steigbügel, Sporen
und Zaumzeug von gediegenem Silber zu machen verstehen; Modistinnen,
deutsche Dienstmädchen, Galanteriearbeiter, Barbiere, Friseure, Daguerreo-
typisten, Maschinenarbeiter, Tapezirer, Sattler, Hutmacher ( ein Hut 6 bis
10 span. Thlr. ) , Stellmacher, Bierbrauer, Zuckerbäcker, Handschuhmacher
finden dort ihr Fortkommen. Weniger gute Geschäfte würden Papier-
fabrikanten, Gewehrfabrikanten, Buchdrucker, Seifensieder, und für jetzt
Maurer, auch Viehärzte machen, wenn sie sich nicht dabei auf den Landbau
oder Handel legen.

Der Handel besteht hauptsächlich darin, daß die Kaufleute mit 1000
und mehr Thalern nach Valparaiso gehen, dort alle Arten Waaren
einkaufen und wieder zurückkommen. Hier verkaufen sie dann niemals
unter 40 pCt. die Waaren, entweder für Geld, oder in Conchao ( Tausch ) ;
z. B. für einen Ochsen von 12 Thlr. Werth, giebt der Kaufmann 9 Thlr.
Waaren! - Auch wird Holz in Tausch angenommen, was überhaupt das
beste Geschäft ist. Wer es irgend erschwingen kann, kauft sich einen Wald,
geht nach Valparaiso, kauft Waaren und legt einen Laden ( Tienda ) an.
Zu gleicher Zeit sendet er Arbeiter, d. h. Peones, in den Wald, läßt Bretter
schneiden und bezahlt die Arbeiter mit Waaren. Die Bretter wird er reißend
[Ende Spaltensatz]

*) Hierbei dürfte daran zu erinnern sein, daß der Brief vor reichlich einem
Jahre geschrieben wurde.

[Beginn Spaltensatz] über das Micogebirge nach Guatemala. Die von Balize und die von Omoa
( in Honduras ) verschickten Waaren nehmen diese Richtung, mit Umgehung
von Thomas, weil Niemand Lust hegen kann, die Gegenstände hier umzu-
laden und dann erst nach dem Rio dulce zu senden, was einen Umweg von
10 Leguas hin und zurück beträgt. Die Stadt enthält 83 Wohnhäuser,
welche meist mit Palmenblättern gedeckt sind, und eine Vevölkerung von
235 Seelen, darunter 79 Frauen und 66 Kinder unter 14 Jahren. Von
den Bewohnern sind 85 Deutsche und 112 Belgier. Außer dieser ansässi-
gen Bevölkerung existirt noch eine wandernde, welche von den Mahagoni-
schlägern gebildet wird. Urwald erhält hier Jeder umsonst unter der Bedingunng
des Ausrodens. Eine Palmenhütte wird mit 100 Thlr., eine Kuh mit 7 $
bezahlt. Der Magdeburger Morgen Land giebt etwa 45 Scheffel jährlichen
Ertrag. Die Yam ersetzt die deutsche Kartoffel und wird durch Stecklinge
verpflanzt, von denen eine 5 bis 6 Knollen zu 50 bis 125 Gewicht
liefert. Hülsenfrüchte und Obst gedeihen nicht, wohl aber Bohnen. Mehl
und Spirituosen werden von Europa oder Amerika eingeführt. Die Flasche
Bier bezahlt man gleich dem Rothwein mit12 1 / 2 Sgr. Cacaopflanzungen
tragen erst in 7 Jahren. Für den Kaffee ist der hohe Tagelohn zu kost-
spielig. Mit Zucker und Taback, Produkte, welche gut fortkommen, ist
noch kein nennenswerther Anfang gemacht. Westindische Produkte können
Europäer überhaupt besser auf Cuba bauen. Die Mahagonischlägereien
haben zwar einen guten Fortgang, erfordern jedoch viel Kapital. Ein
Bauer aus Düsseldorf, ein gewisser Wels, macht hier den Banquier und
leiht Geld monatlich zu 24 pCt. aus. Die Deutschen leben auch hier in
Zank und Zwietracht untereinander. Die vorhandene hölzerne Kirche ist
dem Einsturz nahe. Es giebt weder einen Geistlichen, noch Küster, noch
Schullehrer. Ebenso wenig existirt ein Arzt, oder Chirurg oder eine Apo-
theke. Die meisten Ehen sind daher gar nicht eingesegnet, die Kinder nicht
getauft, und die Zügellosigkeit und Verwilderung der Kolonisten wird sich
bald in einem unerhörten Grade geltend machen, wenn die fremden Kauf-
leute und die Beamten des belgischen Consulats die Kolonie verlassen haben.
Die Regierung von Guatemala hält zwar eine Besatzung, aus einem Lieute-
nant und 14 barfüßigen Soldaten bestehend, aber der Befehlshaber, welcher
zugleich Vorsteher einer Strafanstalt ist, bleibt als Halbindianer ohne Einfluß.
Die Hitze ist erträglich. Von 240 Einwohnern sind gestorben 1848 8,
1849 20, 1850 91, 1851 11. Die Sterblichkeit des Jahres 1850 wurde
bekanntlich durch die verunglückte Norma=Expedition hervorgerufen, welche
mit 137 Auswanderern 10 Leguas weiter an der Küste von British Honduras
unternommen war. Ein Theil der Auswanderer begab sich krank und elend
nach St. Thomas, wo 66 Pommern starben. Als bloße Ackerbaukolonie hat
St. Thomas keine Lebensfähigkeit, und nur in den höher gelegenen
Gegenden des innern Landes hätten nordische Bewohner
die Hoffnung, mit Erfolg den Ackerbau zu betreiben, sobald
nämlich Verbindungswege mit der Hauptstadt des Landes
hergestellt sind.
St. Thomas ist ein Freihafen. Der Zoll der Waaren
wird erst am Orte der Bestimmung mit 24 pCt. vom Werthe der Waaren
erhoben. Außerdem muß eine Kriegssublevation von 1 $ per Colli und
eine Wegesteuer von 1 / 2 $ per Colli entrichtet werden. Jm Jahre 1850
liefen 7 spanische, 6 belgische, 6 englische und 1 amerikanisches Schiff in
den Hafen, im Jahre 1851 nur 1 spanisches Schiff, 10 englische und
6 belgische Fahrzeuge. Der Bezirk Belize, welchen die Engländer in Besitz
genommen haben, zählt etwa 10,000 Einwohner, die Stadt selbst 5000.
Die Regierung ist in den Händen eines durch Wahl nach einem hohen
Census ernannten „ public meeting “, dessen Beschlüsse der Genehmigung
des englischen Gouverneurs bedürfen. Dieser, Namens Eduard Woodhouse,
ressortirt vom Gouvernement von Jamaica. Die Besatzung besteht aus einigen
Compagnieen des ersten westindischen Regiments. Nur Officiere und Unter-
officiere gehören der weißen Raçe an. Für 1851 ist ein besonderer Zolltarif
erlassen. Jährlich besuchen gegen 120 große Schiffe den Hafen, selten
deutsche. Doch giebt es drei deutsche Handelshäuser: Hasted, Wesselhöft und
Düsseldorf. Die direkten Handelsbeziehungen mit Europa und Nordamerika
sind im Zunehmen begriffen. Die englischen Beamten werden aus den Zoll-
einkünften der Stadt mit 40,000 $ besoldet.     ( Wes.=Ztg. )



Aus dem Tagebuche eines 1850 nach Valdivia Ausgewanderten.
( Fortsetzung. )

Um 8 Uhr beginnt die Besuchszeit, welche sich bis 12 Uhr und länger
ausdehnt, in welcher Zeit dann ein Matezito eingenommen wird. Das nun
folgende Abendbrod beschließt das Tagewerk. Bei dieser Art zu leben ist
es erklärlich, daß schöne[unleserliches Material] Hände und dabei zerrissene Hemden nichts
Außerordentliches sind. Bei solcher ziemlich allgemeinen Unthätigkeit in
der Lebensweise der Cavalieros ist der Consum an Waaren sehr groß.
Fast in jedem Hause giebt es einen Laden, ja selbst zwei sind nicht
ungewöhnlich; der Marktplatz hat in seinen 13 Häusern 15 Läden
( Tiendas ) . – Ein Theil des geselligen Lebens besteht in Besuchen,
wobei natürlich ungeheuer geklatscht wird; einen andern Zusammenkunfts-
ort bildet die Kirche. Die Frauen gehen wo möglich alle Tage in die
Missa, gefolgt von schwarzbraunen zerlumpten Bedienten in schwarzer Klei-
dung; der Kopf ist durch ein großes schwarzseidnes Tuch verhangen, wel-
ches fast bis auf die Fersen geht. Allerdings sind diese schwarzen Nonnen
mit ihren weißen Gesichtern interessant genug. – Jn der Missa knieen
alle auf kostbaren Teppichen, welche ihre Bedienten tragen, während der
Geistliche eine lateinisch=spanische Messe liest, die er selbst nicht versteht;
[Spaltenumbruch] denn er kann nicht Lateinisch. Predigten giebt es nie! – Dagegen zur
Verherrlichung der großen Kirchenfeste werden die Kanonen gelöst, eine
Leier gedreht und bei den Klängen einer muntern Melodie die Mutter
Gottes im neuen Kleide herumgetragen. Abends werden mitten in den
Sand Lichter ohne Leuchter gestellt, die wohl auch zuweilen von den
massenhaft umherlaufenden Hunden zum Wohl der Heiligen aufgefressen
werden. – Soviel einstweilen über Dies. Eine andere Art Vergnügung
ist die Zusammenkunft am Namenstage, der durch den Genuß einer Menge
von Süßigkeiten, eingemachter Früchte und Liqueure gefeiert wird. –
Sehr feierlich begangen werden die Taufen, weniger die Hochzeiten, in
deren Gefolge sich aber die Gastereien 14 Tage und länger ausdehnen.
Sehr einfach ist die Sitte des Begrabens: ist Jemand gestorben, so
kommen in der Nacht, wenn die nahen Anverwandten des Todten, von
Schmerz und Kummer ermattet, dem Schlaf in die Arme gefallen sind,
die Freunde desselben, holen stillschweigend die Leiche ab und begraben sie,
so daß, wenn die Erwachenden am Morgen aufstehen, ihnen die Freunde
schon vom Kirchhof zurück entgegenkommen. Zu Ehren des Verstorbenen
werden dann aber die Krankenstuben, sowie die anstoßenden Gemächer ver-
schlossen, und 2 Monate lang in Trauer versunken, darf die Familie nicht
ausgehen. – Jm Ganzen kommen mir die hiesigen Sitten vor, wie ein
modischer eleganter Rock über einem ungehobelten Körper. Ueberall paart
sich die alte spanische Grandezza mit Prahlerei, der Glanz mit Tand, das
Ansehen mit Schein; man kann sagen: es ist ein großes Feld von Wider-
sprüchen. Bezeichnend für diesen Charakter sind die elegant eingerichteten
Häuser, durch welche doch der Wind pfeift, weil sie selten Fenster und
Schlösser haben. So giebt es elegante Kleider und kein ganzes Hemd,
viele Gerichte und wenig schmackhafte, viele Bedienung, aber in Schmutz
gewälzte, in der Kirche großes Gepränge, aber innere Hohlheit, gesetzlich
ausgesprochene allgemeine Gleichheit und einen faktisch bevorzugten Stand
von Edelleuten, viel Schwadroniren und wenig Kenntnisse, ein Mangel,
der sich bis auf's Lesen und Schreiben erstreckt. Von wirklicher Bildung
ist keine Rede, denn es fehlen die Schulen; wenn auch der Staat den
Willen hat und Einiges auf Schulen verwendet, so senden die Eltern ihre
Kinder doch nicht in dieselben. – Es ist kein so arger Skandal, wenn
Unverheirathete Kinder bekommen; jedoch dürfen sich Verehelichte in Gegen-
wart der Geschwister nicht küssen, viel weniger vor der Verheirathung.
Zu leugnen ist es nicht, daß gerade durch dieses steife Leben auf der andern
Seite wieder eine Menge von Poesie sich entwickelt, die hauptsächlich für
junge unverheirathete Leute sehr anziehend ist und durch den Conflikt der
Herzensregungen mit der Etiquette hervorgerufen wird. Ein sehr hübsches
geselliges Vergnügen ist ein Tanz, Gueca genannt. Er stellt ein Paar,
zwei Liebende vor, die nach gewissen Regeln und Modulationen der Musik
sich bald zu erhaschen, bald zu vermeiden suchen. Das Sprechen in Versen
früherer berühmter Dichter, die ausgedehnte Blumen=, Farben= und Augen=,
sowie Zeichensprache, die Verschmitztheit der Bedienten, dies Alles bietet
ein reiches Feld für die Poesie. Jch würde euch gern viel darüber schrei-
ben, jedoch fehlt mir zu regelrechter Abfassung die Zeit und noch etwas
Anderes, wie es einem jungen Ehemann geht. –

Bei dem starken Consum, bei der Sucht, ausländische und theuere
Sachen zu tragen, bei dem Mangel von Handwerkern jeder Art ist es
erklärlich, daß der Handel stark geht, der noch mehr gehoben würde, wenn
die Landesprodukte einen höhern Werth hätten. – Ein Pferd gilt 10 bis
20 Thlr., eine Kuh 6 bis 10 Thlr., ein Ochse 10 bis 12 Thlr., ein Schaf
1 / 2 Thlr., ein Schwein 3 Thlr. Und doch ist hier, wo es Tausende von
Kühen giebt, 1 Quart Butter 1 Pesos ( 1 Thlr. 10 Sgr. 6 Pf. ) werth, ein
Paar Stiefels soviel, wie ein Ochse. – Es fehlt demnach an Handwer-
kern.*) Tischler ( Deutsche ) sind 3, welche Jeder auf ein Vierteljahr voraus
Arbeit haben, Schmiede 2 ( 1 Chilene und 1 Deutscher ) , sie arbeiten gegen
zehnfach höhere Preise, als bei Euch; 2 Schuhmacher sind Deutsche. –
Außer den angeführten Handwerkern fehlen sehr: Töpfer, Glaser, Klempner,
Tuchmacher, Flachs= und Leinenarbeiter, Glasbläser ( eine Flasche7 1 / 2 Sgr. ) ,
Wurstmacher, Jnstrumentenbauer, Drechsler; Silberarbeiter machen gute
Geschäfte, selbst bei wenig Kenntnissen, wenn sie nur Steigbügel, Sporen
und Zaumzeug von gediegenem Silber zu machen verstehen; Modistinnen,
deutsche Dienstmädchen, Galanteriearbeiter, Barbiere, Friseure, Daguerreo-
typisten, Maschinenarbeiter, Tapezirer, Sattler, Hutmacher ( ein Hut 6 bis
10 span. Thlr. ) , Stellmacher, Bierbrauer, Zuckerbäcker, Handschuhmacher
finden dort ihr Fortkommen. Weniger gute Geschäfte würden Papier-
fabrikanten, Gewehrfabrikanten, Buchdrucker, Seifensieder, und für jetzt
Maurer, auch Viehärzte machen, wenn sie sich nicht dabei auf den Landbau
oder Handel legen.

Der Handel besteht hauptsächlich darin, daß die Kaufleute mit 1000
und mehr Thalern nach Valparaiso gehen, dort alle Arten Waaren
einkaufen und wieder zurückkommen. Hier verkaufen sie dann niemals
unter 40 pCt. die Waaren, entweder für Geld, oder in Conchao ( Tausch ) ;
z. B. für einen Ochsen von 12 Thlr. Werth, giebt der Kaufmann 9 Thlr.
Waaren! – Auch wird Holz in Tausch angenommen, was überhaupt das
beste Geschäft ist. Wer es irgend erschwingen kann, kauft sich einen Wald,
geht nach Valparaiso, kauft Waaren und legt einen Laden ( Tienda ) an.
Zu gleicher Zeit sendet er Arbeiter, d. h. Peones, in den Wald, läßt Bretter
schneiden und bezahlt die Arbeiter mit Waaren. Die Bretter wird er reißend
[Ende Spaltensatz]

*) Hierbei dürfte daran zu erinnern sein, daß der Brief vor reichlich einem
Jahre geschrieben wurde.
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geht nach Valparaiso, kauft Waaren und legt einen Laden ( <hi rendition="#aq">Tienda</hi> ) an.<lb/>
Zu gleicher Zeit sendet er Arbeiter, d. h. <hi rendition="#aq">Peones</hi>, in den Wald, läßt Bretter<lb/>
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[197/0003] 197 über das Micogebirge nach Guatemala. Die von Balize und die von Omoa ( in Honduras ) verschickten Waaren nehmen diese Richtung, mit Umgehung von Thomas, weil Niemand Lust hegen kann, die Gegenstände hier umzu- laden und dann erst nach dem Rio dulce zu senden, was einen Umweg von 10 Leguas hin und zurück beträgt. Die Stadt enthält 83 Wohnhäuser, welche meist mit Palmenblättern gedeckt sind, und eine Vevölkerung von 235 Seelen, darunter 79 Frauen und 66 Kinder unter 14 Jahren. Von den Bewohnern sind 85 Deutsche und 112 Belgier. Außer dieser ansässi- gen Bevölkerung existirt noch eine wandernde, welche von den Mahagoni- schlägern gebildet wird. Urwald erhält hier Jeder umsonst unter der Bedingunng des Ausrodens. Eine Palmenhütte wird mit 100 Thlr., eine Kuh mit 7 $ bezahlt. Der Magdeburger Morgen Land giebt etwa 45 Scheffel jährlichen Ertrag. Die Yam ersetzt die deutsche Kartoffel und wird durch Stecklinge verpflanzt, von denen eine 5 bis 6 Knollen zu 50 bis 125 Gewicht liefert. Hülsenfrüchte und Obst gedeihen nicht, wohl aber Bohnen. Mehl und Spirituosen werden von Europa oder Amerika eingeführt. Die Flasche Bier bezahlt man gleich dem Rothwein mit12 1 / 2 Sgr. Cacaopflanzungen tragen erst in 7 Jahren. Für den Kaffee ist der hohe Tagelohn zu kost- spielig. Mit Zucker und Taback, Produkte, welche gut fortkommen, ist noch kein nennenswerther Anfang gemacht. Westindische Produkte können Europäer überhaupt besser auf Cuba bauen. Die Mahagonischlägereien haben zwar einen guten Fortgang, erfordern jedoch viel Kapital. Ein Bauer aus Düsseldorf, ein gewisser Wels, macht hier den Banquier und leiht Geld monatlich zu 24 pCt. aus. Die Deutschen leben auch hier in Zank und Zwietracht untereinander. Die vorhandene hölzerne Kirche ist dem Einsturz nahe. Es giebt weder einen Geistlichen, noch Küster, noch Schullehrer. Ebenso wenig existirt ein Arzt, oder Chirurg oder eine Apo- theke. Die meisten Ehen sind daher gar nicht eingesegnet, die Kinder nicht getauft, und die Zügellosigkeit und Verwilderung der Kolonisten wird sich bald in einem unerhörten Grade geltend machen, wenn die fremden Kauf- leute und die Beamten des belgischen Consulats die Kolonie verlassen haben. Die Regierung von Guatemala hält zwar eine Besatzung, aus einem Lieute- nant und 14 barfüßigen Soldaten bestehend, aber der Befehlshaber, welcher zugleich Vorsteher einer Strafanstalt ist, bleibt als Halbindianer ohne Einfluß. Die Hitze ist erträglich. Von 240 Einwohnern sind gestorben 1848 8, 1849 20, 1850 91, 1851 11. Die Sterblichkeit des Jahres 1850 wurde bekanntlich durch die verunglückte Norma=Expedition hervorgerufen, welche mit 137 Auswanderern 10 Leguas weiter an der Küste von British Honduras unternommen war. Ein Theil der Auswanderer begab sich krank und elend nach St. Thomas, wo 66 Pommern starben. Als bloße Ackerbaukolonie hat St. Thomas keine Lebensfähigkeit, und nur in den höher gelegenen Gegenden des innern Landes hätten nordische Bewohner die Hoffnung, mit Erfolg den Ackerbau zu betreiben, sobald nämlich Verbindungswege mit der Hauptstadt des Landes hergestellt sind. St. Thomas ist ein Freihafen. Der Zoll der Waaren wird erst am Orte der Bestimmung mit 24 pCt. vom Werthe der Waaren erhoben. Außerdem muß eine Kriegssublevation von 1 $ per Colli und eine Wegesteuer von 1 / 2 $ per Colli entrichtet werden. Jm Jahre 1850 liefen 7 spanische, 6 belgische, 6 englische und 1 amerikanisches Schiff in den Hafen, im Jahre 1851 nur 1 spanisches Schiff, 10 englische und 6 belgische Fahrzeuge. Der Bezirk Belize, welchen die Engländer in Besitz genommen haben, zählt etwa 10,000 Einwohner, die Stadt selbst 5000. Die Regierung ist in den Händen eines durch Wahl nach einem hohen Census ernannten „ public meeting “, dessen Beschlüsse der Genehmigung des englischen Gouverneurs bedürfen. Dieser, Namens Eduard Woodhouse, ressortirt vom Gouvernement von Jamaica. Die Besatzung besteht aus einigen Compagnieen des ersten westindischen Regiments. Nur Officiere und Unter- officiere gehören der weißen Raçe an. Für 1851 ist ein besonderer Zolltarif erlassen. Jährlich besuchen gegen 120 große Schiffe den Hafen, selten deutsche. Doch giebt es drei deutsche Handelshäuser: Hasted, Wesselhöft und Düsseldorf. Die direkten Handelsbeziehungen mit Europa und Nordamerika sind im Zunehmen begriffen. Die englischen Beamten werden aus den Zoll- einkünften der Stadt mit 40,000 $ besoldet. ( Wes.=Ztg. ) Aus dem Tagebuche eines 1850 nach Valdivia Ausgewanderten. ( Fortsetzung. ) Um 8 Uhr beginnt die Besuchszeit, welche sich bis 12 Uhr und länger ausdehnt, in welcher Zeit dann ein Matezito eingenommen wird. Das nun folgende Abendbrod beschließt das Tagewerk. Bei dieser Art zu leben ist es erklärlich, daß schöne_ Hände und dabei zerrissene Hemden nichts Außerordentliches sind. Bei solcher ziemlich allgemeinen Unthätigkeit in der Lebensweise der Cavalieros ist der Consum an Waaren sehr groß. Fast in jedem Hause giebt es einen Laden, ja selbst zwei sind nicht ungewöhnlich; der Marktplatz hat in seinen 13 Häusern 15 Läden ( Tiendas ) . – Ein Theil des geselligen Lebens besteht in Besuchen, wobei natürlich ungeheuer geklatscht wird; einen andern Zusammenkunfts- ort bildet die Kirche. Die Frauen gehen wo möglich alle Tage in die Missa, gefolgt von schwarzbraunen zerlumpten Bedienten in schwarzer Klei- dung; der Kopf ist durch ein großes schwarzseidnes Tuch verhangen, wel- ches fast bis auf die Fersen geht. Allerdings sind diese schwarzen Nonnen mit ihren weißen Gesichtern interessant genug. – Jn der Missa knieen alle auf kostbaren Teppichen, welche ihre Bedienten tragen, während der Geistliche eine lateinisch=spanische Messe liest, die er selbst nicht versteht; denn er kann nicht Lateinisch. Predigten giebt es nie! – Dagegen zur Verherrlichung der großen Kirchenfeste werden die Kanonen gelöst, eine Leier gedreht und bei den Klängen einer muntern Melodie die Mutter Gottes im neuen Kleide herumgetragen. Abends werden mitten in den Sand Lichter ohne Leuchter gestellt, die wohl auch zuweilen von den massenhaft umherlaufenden Hunden zum Wohl der Heiligen aufgefressen werden. – Soviel einstweilen über Dies. Eine andere Art Vergnügung ist die Zusammenkunft am Namenstage, der durch den Genuß einer Menge von Süßigkeiten, eingemachter Früchte und Liqueure gefeiert wird. – Sehr feierlich begangen werden die Taufen, weniger die Hochzeiten, in deren Gefolge sich aber die Gastereien 14 Tage und länger ausdehnen. Sehr einfach ist die Sitte des Begrabens: ist Jemand gestorben, so kommen in der Nacht, wenn die nahen Anverwandten des Todten, von Schmerz und Kummer ermattet, dem Schlaf in die Arme gefallen sind, die Freunde desselben, holen stillschweigend die Leiche ab und begraben sie, so daß, wenn die Erwachenden am Morgen aufstehen, ihnen die Freunde schon vom Kirchhof zurück entgegenkommen. Zu Ehren des Verstorbenen werden dann aber die Krankenstuben, sowie die anstoßenden Gemächer ver- schlossen, und 2 Monate lang in Trauer versunken, darf die Familie nicht ausgehen. – Jm Ganzen kommen mir die hiesigen Sitten vor, wie ein modischer eleganter Rock über einem ungehobelten Körper. Ueberall paart sich die alte spanische Grandezza mit Prahlerei, der Glanz mit Tand, das Ansehen mit Schein; man kann sagen: es ist ein großes Feld von Wider- sprüchen. Bezeichnend für diesen Charakter sind die elegant eingerichteten Häuser, durch welche doch der Wind pfeift, weil sie selten Fenster und Schlösser haben. So giebt es elegante Kleider und kein ganzes Hemd, viele Gerichte und wenig schmackhafte, viele Bedienung, aber in Schmutz gewälzte, in der Kirche großes Gepränge, aber innere Hohlheit, gesetzlich ausgesprochene allgemeine Gleichheit und einen faktisch bevorzugten Stand von Edelleuten, viel Schwadroniren und wenig Kenntnisse, ein Mangel, der sich bis auf's Lesen und Schreiben erstreckt. Von wirklicher Bildung ist keine Rede, denn es fehlen die Schulen; wenn auch der Staat den Willen hat und Einiges auf Schulen verwendet, so senden die Eltern ihre Kinder doch nicht in dieselben. – Es ist kein so arger Skandal, wenn Unverheirathete Kinder bekommen; jedoch dürfen sich Verehelichte in Gegen- wart der Geschwister nicht küssen, viel weniger vor der Verheirathung. Zu leugnen ist es nicht, daß gerade durch dieses steife Leben auf der andern Seite wieder eine Menge von Poesie sich entwickelt, die hauptsächlich für junge unverheirathete Leute sehr anziehend ist und durch den Conflikt der Herzensregungen mit der Etiquette hervorgerufen wird. Ein sehr hübsches geselliges Vergnügen ist ein Tanz, Gueca genannt. Er stellt ein Paar, zwei Liebende vor, die nach gewissen Regeln und Modulationen der Musik sich bald zu erhaschen, bald zu vermeiden suchen. Das Sprechen in Versen früherer berühmter Dichter, die ausgedehnte Blumen=, Farben= und Augen=, sowie Zeichensprache, die Verschmitztheit der Bedienten, dies Alles bietet ein reiches Feld für die Poesie. Jch würde euch gern viel darüber schrei- ben, jedoch fehlt mir zu regelrechter Abfassung die Zeit und noch etwas Anderes, wie es einem jungen Ehemann geht. – Bei dem starken Consum, bei der Sucht, ausländische und theuere Sachen zu tragen, bei dem Mangel von Handwerkern jeder Art ist es erklärlich, daß der Handel stark geht, der noch mehr gehoben würde, wenn die Landesprodukte einen höhern Werth hätten. – Ein Pferd gilt 10 bis 20 Thlr., eine Kuh 6 bis 10 Thlr., ein Ochse 10 bis 12 Thlr., ein Schaf 1 / 2 Thlr., ein Schwein 3 Thlr. Und doch ist hier, wo es Tausende von Kühen giebt, 1 Quart Butter 1 Pesos ( 1 Thlr. 10 Sgr. 6 Pf. ) werth, ein Paar Stiefels soviel, wie ein Ochse. – Es fehlt demnach an Handwer- kern. *) Tischler ( Deutsche ) sind 3, welche Jeder auf ein Vierteljahr voraus Arbeit haben, Schmiede 2 ( 1 Chilene und 1 Deutscher ) , sie arbeiten gegen zehnfach höhere Preise, als bei Euch; 2 Schuhmacher sind Deutsche. – Außer den angeführten Handwerkern fehlen sehr: Töpfer, Glaser, Klempner, Tuchmacher, Flachs= und Leinenarbeiter, Glasbläser ( eine Flasche7 1 / 2 Sgr. ) , Wurstmacher, Jnstrumentenbauer, Drechsler; Silberarbeiter machen gute Geschäfte, selbst bei wenig Kenntnissen, wenn sie nur Steigbügel, Sporen und Zaumzeug von gediegenem Silber zu machen verstehen; Modistinnen, deutsche Dienstmädchen, Galanteriearbeiter, Barbiere, Friseure, Daguerreo- typisten, Maschinenarbeiter, Tapezirer, Sattler, Hutmacher ( ein Hut 6 bis 10 span. Thlr. ) , Stellmacher, Bierbrauer, Zuckerbäcker, Handschuhmacher finden dort ihr Fortkommen. Weniger gute Geschäfte würden Papier- fabrikanten, Gewehrfabrikanten, Buchdrucker, Seifensieder, und für jetzt Maurer, auch Viehärzte machen, wenn sie sich nicht dabei auf den Landbau oder Handel legen. Der Handel besteht hauptsächlich darin, daß die Kaufleute mit 1000 und mehr Thalern nach Valparaiso gehen, dort alle Arten Waaren einkaufen und wieder zurückkommen. Hier verkaufen sie dann niemals unter 40 pCt. die Waaren, entweder für Geld, oder in Conchao ( Tausch ) ; z. B. für einen Ochsen von 12 Thlr. Werth, giebt der Kaufmann 9 Thlr. Waaren! – Auch wird Holz in Tausch angenommen, was überhaupt das beste Geschäft ist. Wer es irgend erschwingen kann, kauft sich einen Wald, geht nach Valparaiso, kauft Waaren und legt einen Laden ( Tienda ) an. Zu gleicher Zeit sendet er Arbeiter, d. h. Peones, in den Wald, läßt Bretter schneiden und bezahlt die Arbeiter mit Waaren. Die Bretter wird er reißend *) Hierbei dürfte daran zu erinnern sein, daß der Brief vor reichlich einem Jahre geschrieben wurde.

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Zitationshilfe: Deutsche Auswanderer-Zeitung. Nr. 49. Bremen, 18. Juni 1852, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswandererzeitung049_1852/3>, abgerufen am 04.06.2024.