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Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871.

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[Spaltenumbruch] wurde nicht die geringste Veränderung in den Gesellschaftsräumen des
französischen Präfectenhauses vorgenommen; alles überhaupt blieb, in den
5 Monaten welche der oberste Feldherr der deutschen Heere hier Hof hielt,
beim alten. Jetzt wird dem nicht so sein. Jn dem Festsaale befinden sich
als Ornament in der reichen Stuckbekleidung des Plafonds an den vier
Ecken mächtige Kaiseradler mit ausgebreiteten Flügeln. Hr. Thiers läßt
sie entfernen, denn die Republik nimmt Anstoß an diesen Attributen der
alten Kaiserglorie.

Der Grundton in den Empfindungen mit denen die Bürger von
Versailles den letzten deutschen Mann abziehen sehen, ist der daß die deutsche
Occupation für sie ein überaus lucratives Geschäft war. Magazine die
sonst kaum 8000 Francs das Jahr einnahmen, verdienten in den 6 Mo-
naten des Kriegslagers mindestens das vierfache; von einigen Gasthofs-
besitzern und Restaurateuren weiß die ganze Stadt daß sie durch die
Preußen und ihre Bundesgenossen reich geworden sind. Jn den letzten
Tagen, wo jeder seine Einkäufe machte, um Erinnerungen mit nach Deutsch-
land zu nehmen, konnten die Besitzer der Geschäftslocale nicht rasch genug
nach Paris gehen, von wo sie alles mögliche an Kunst= und Luxusgegen-
ständen herbeischafften. Man hört nicht daß die Pariser den Verkauf ver-
weigert hätten. Die Versailler aber werden die erlangten Vortheile mit
Ruhe genießen können, denn sollte hier ein Strafgericht an denen vollzogen
werden, die mit den Preußen in Verbindung traten, so müßte die ganze
Bürgerschaft sich unter einander zerfleischen; jeder wollte verdienen, und
jeder wußte zu verdienen.

Während der Stunden in denen der Kaiser die Württemberger, die
Sachsen und einen Theil der Bayern auf der Ebene vor Villiers Revue
passiren ließ, wurden die auf dem linken Seine=Ufer gelegenen Südforts
von den Deutschen geräumt. Bei der Wiederbesetzung des Forts Jssy durch
die Franzosen ereigneten sich einige charakteristische Scenen. Um 10 Uhr
Vormittags sollte die Uebergabe erfolgen. Die preußischen Truppen, welche
die Besatzung bildeten, ein Bataillon des 87. ( 1. hess. ) Regimentes, standen
Punkt 10 Uhr marschbereit auf ihrem Posten, an der Spitze der Batail-
lonscommandant Major v. Basse und Hauptmann Müller von der 5.
Compagnie, welcher die mündlichen Verhandlungen mit den Franzosen zu
übernehmen hatte. Gleichwohl war zur festgesetzten Stunde vor Jssy noch
nichts zu sehen als ein Pariser Fiaker, der am Eingang hielt -- in ihm
sitzend eine -- Dame, die allerhand Utensilien zur häuslichen Einrichtung
mitbrachte. Eine halbe Stunde später kamen 5 oder 6 Feldgendarmen,
und in einiger Entfernung sah man einen französischen Stabsofficier mit
mehreren Begleitern. Die Officiere die zum Empfange der Franzosen vor
dem Fort standen, forderten den einen der Gendarmen auf den französischen
Officieren mitzutheilen daß alles zum Abmarsch der Deutschen bereit sei.
Der französische Officier wandte sein Pferd und ritt bis vor das Fort, be-
sann sich dann aber anders und wartete bis um 11 Uhr die Truppen aus
Paris herbeikamen. Jetzt erst hielt der Stab der neuen Besatzung seinen
Einzug. Beim Act der Uebergabe wurden die französischen Officiere auf-
merksam auf einige neue Batteriebauten, welche die Unsrigen hier zum
Schutze der Casematten vor diesen, in der Kehle des Festungswerkes, aufge-
worfen hatten. Diese Erdarbeiten waren natürlich, da es an Muße zu ihrer
Vollendung nicht gefehlt, im höchsten Maße kunstgerecht; sie hatten den
Zweck den Eingang des Forts gegen einen Angriff zu vertheidigen. Bei
ihrem Anblick sagte einer der französischen Genieofficiere in spöttischem
Tone: "Es scheint mir als ob die Preußen sich gut zu decken wissen."
"Gewiß," antwortete ihm Hauptmann Müller, "auch wir haben nur eine
Haut zu verkaufen, und sollen wir sie verkaufen, so setzen wir eine Ehre
darein daß es um möglichst hohen Preis geschehe." Der kleine Zwischen-
fall that übrigens dem zuvorkommenden Benehmen der Preußen keinen
Abbruch. Sie bestiegen ihre Pferde und verabschiedeten sich in der höflich-
sten Form. Kaum waren sie einige Schritte geritten, so rief ihnen einer
der Franzosen im Uebermuth nach: " Peut~etre a revoir, Messieurs."
Hauptmann Müller warf sein Pferd auf die Seite und antwortete mit
Ruhe: " Messieurs, nous en serons ravis."

Deutsches Reich.

Karlsruhe, 13 März. Neben den als Mitgliedern des deutschen
Bundesraths fungirenden Chefs des großh. Staatsministeriums und des
Ministeriums des Auswärtigen ist noch der Vorstand des Finanzministe-
riums, Präsident Ellstätter, zum Bevollmächtigten beim Bundesrath des
Deutschen Reichs ernannt worden. Gleichzeitig wurde für den Fall der
Verhinderung dieses Bevollmächtigten Ministerialrath W. Eisenlohr zu
dessen Stellvertreter ernannt. -- Die Verfügungen welche seinerzeit wegen
des Kriegsausbruchs den Vollzug des außerordentlichen Budgets sistirt
und namentlich auch die Eisenbahn=Bauarbeiten auf das gebotene Maß
eingeschränkt haben, sind durch das großh. Staatsministerium wiederum
außer Wirksamkeit gesetzt worden. ( K. Z. )

[Spaltenumbruch]

+ * Berlin, 13 März. Allerdings soll mit den im Vertrag vom
26 Febr. ausbedungenen 5 Milliarden Fr. oder 1333.3 Millionen Thlrn.
Kriegscontribution den Franzosen eine fühlbare Strafe für den muthwillig
begonnenen und frevelhaft fortgesetzten Krieg auferlegt werden. Sie sollen
an der Abzahlung dieser Summe, wofür ihnen eine Frist von drei Jahren
gegeben ist, wirklich zu tragen haben, und werden sich unterdeß ein deut-
sches Occupationsheer als mahnenden Gast gefallen lassen, da der Vor-
schlag des Hrn. Cremieux, die ganze Summe durch eine freiwillige Anleihe
alsbald aufzubringen, sich der nicht übertriebenen Opferlust und der Er-
schöpsung des Landes gegenüber doch als unausführbar erweisen möchte.
Das hochmüthige, nach kaum erlangtem Frieden schon wieder von Rache
sprechende, Frankreich muß fühlen daß die mißlungene Promenade nach
Berlin, das vergebliche Massenaufgebot Gambetta's doch zu kostspielige
Unternehmungen waren, als daß sie so bald wiederholt werden dürften.
Wenn wir jedoch die ungeheuren Unkosten überschlagen welche der eben
beendigte Krieg Deutschland verursachte, so möchte nach ihrem Abzug kein
so bedeutender Ueberschuß verbleiben, um den Festungsbauten, für welche
Frankreich 1814 ausdrücklich, aber viel zu schonend, in Anspruch genom-
men wurde, und welche an unserer neuen Gränze unerläßlich sein werden,
eine wesentliche Hülfe zu bieten. Der genau genommen kaum vierzehn-
tägige Krieg von 1866 kostete Preußen an rein militärischen Ausgaben,
wie die noch wenig Landwehr in Anspruch nehmende Mobilmachung, die
Vergütung für Militärleistungen der Kreise, für Telegraphenleitung nach
dem Kriegsschauplatz, 132 Millionen Thaler. Wie ungleich umfassender
war die vorjährige Mobilmachung ganz Deutschlands mit ihrem fortwäh-
renden Nachschub an Reserven und Landwehr. Der französische Krieg hat
vierzehnmal so lange gedauert als der böhmische. Außer der Million
Krieger war für den Eisenbahn=, Post= und Telegraphen=Dienst auf fran-
zösischem Boden so viel Personal aufgewendet, daß der heimische Verkehr
darum beträchtlich beschränkt werden mußte. Die Ausrüstung war un-
gleich umfassender, die Entfernung des Kriegsschauplatzes viel größer, und
die Transporte an Mannschaften, Pferden, Geschützen, Wagen, Munition
und Proviant waren ungleich umfangreicher und kostspieliger. Jm böhmi-
schen Feldzug gab es keine Festungen zu belagern; gegenwärtig sind ihrer 26
eingenommen worden. Die Belagerung Straßburgs allein hat 2 Millio-
nen Thaler gekostet. 193,000 Geschosse aller Art, 50pfündige, 25pfün-
dige Bomben, Shrapnels, Langgeschosse sind dort zur Verwendung ge-
kommen, und die gewöhnliche Feldgranate kostet4 2 / 3 Thaler, die schwerere
10 und 20 Thaler. Bedeutende Kosten haben die Vorkehrungen für Ver-
wundete und Kranke verursacht. Den Aerzten und Wärtern mußten mög-
lichst günstige Bedingungen für ihren schweren Beruf gestellt werden. La-
zarethe waren in Frankreich und Deutschland zu errichten und zu unter-
halten. Für den Rücktransport der Leidenden wurden zum Theil ganz
neue Sanitätszüge gebaut. Wir haben 90,000 Verwundete gehabt. Viel
hat die freiwillige Pflege für sie gethan; aber meist mußte der Staat auch
in den Privathospitälern so zu sagen die Stammkosten tragen. Nicht we-
niger als 374,000 Franzosen, darunter 11,160 Officiere, sind als Kriegs-
gefangene nach Deutschland befördert worden. Auch unter ihnen gab es
viele Verwundete und Kranke, die nicht vernachlässigt werden durften.
Häufig mußten erst Baulichkeiten hergestellt werden um die Menschen-
menge unter Dach zu bringen. Jhre Beköstigung und Kleidung stieg im
Verlaufe der Zeit zu hohen Summen auf. Die untersten Officiersgrade
bekamen monatlich 12 Thlr. ausgezahlt, und Graf Chaudordy hat nicht
unterlassen hervorzuheben daß gefangene deutsche Officiere in Frankreich
mehr erhielten; allein die Franzosen konnten diesen Aufwand bei der ge-
ringen Anzahl ihrer Gefangenen leicht tragen. Während unsere Reserve-
und Landwehr=Männer im Felde standen, mußte für ihre Frauen und
Kinder gesorgt werden. Viel geschah durch Privatwohlthätigkeit; allein
der Staat mußte die gesetzlichen Monatsgaben verabreichen. Von 15,000
Todten haben ziemlich viele Wittwen und Waisen hinterlassen, die zu ver-
sorgen sind. Die Wittwe des Landwehrmannes erhält 50 Thlr. jährlicher
Pension, für jedes Kind 30 Thlr. bis zum 15. Lebensjahr. Officiers-
wittwen erhalten 200 bis 400 Thlr., jedes Kind 40 und 50 Thlr. Er-
werbsunfähige Mannschaften erhalten ihre Pension. Dem invaliden
Lieutenant stehen 240 Thlr. zu; verlor er ein Glied, erhält er 420, ver-
lor er zwei Glieder 620 Thlr., und das steigt in den höchsten Graden bis
zu 2400, 2600 und 2800 Thlrn. Da diese Männer, übrigens gesund,
meist in den besten Jahren stehen, so wird die Pension eine geraume Zeit
an sie bezahlt werden müssen. Dazu kommt daß in Straßburg und, wenn
wir nicht irren, in andern bei Deutschland bleibenden Festungen von den
diesseitigen Behörden Anmeldungen des durch die Beschießung erlittenen
Privatschadens angenommen wurden, woraus eine Anwartschaft auf Er-
satz erwuchs. Ebenso machen sich Tausende der aus Frankreich vertriebe-
nen Deutschen Hoffnung auf Entschädigung. Es wird sich zeigen ob ihnen
genügt werden kann. Hr. Thiers hatte, da die Friedensunterhandlungen

[Spaltenumbruch] wurde nicht die geringste Veränderung in den Gesellschaftsräumen des
französischen Präfectenhauses vorgenommen; alles überhaupt blieb, in den
5 Monaten welche der oberste Feldherr der deutschen Heere hier Hof hielt,
beim alten. Jetzt wird dem nicht so sein. Jn dem Festsaale befinden sich
als Ornament in der reichen Stuckbekleidung des Plafonds an den vier
Ecken mächtige Kaiseradler mit ausgebreiteten Flügeln. Hr. Thiers läßt
sie entfernen, denn die Republik nimmt Anstoß an diesen Attributen der
alten Kaiserglorie.

Der Grundton in den Empfindungen mit denen die Bürger von
Versailles den letzten deutschen Mann abziehen sehen, ist der daß die deutsche
Occupation für sie ein überaus lucratives Geschäft war. Magazine die
sonst kaum 8000 Francs das Jahr einnahmen, verdienten in den 6 Mo-
naten des Kriegslagers mindestens das vierfache; von einigen Gasthofs-
besitzern und Restaurateuren weiß die ganze Stadt daß sie durch die
Preußen und ihre Bundesgenossen reich geworden sind. Jn den letzten
Tagen, wo jeder seine Einkäufe machte, um Erinnerungen mit nach Deutsch-
land zu nehmen, konnten die Besitzer der Geschäftslocale nicht rasch genug
nach Paris gehen, von wo sie alles mögliche an Kunst= und Luxusgegen-
ständen herbeischafften. Man hört nicht daß die Pariser den Verkauf ver-
weigert hätten. Die Versailler aber werden die erlangten Vortheile mit
Ruhe genießen können, denn sollte hier ein Strafgericht an denen vollzogen
werden, die mit den Preußen in Verbindung traten, so müßte die ganze
Bürgerschaft sich unter einander zerfleischen; jeder wollte verdienen, und
jeder wußte zu verdienen.

Während der Stunden in denen der Kaiser die Württemberger, die
Sachsen und einen Theil der Bayern auf der Ebene vor Villiers Revue
passiren ließ, wurden die auf dem linken Seine=Ufer gelegenen Südforts
von den Deutschen geräumt. Bei der Wiederbesetzung des Forts Jssy durch
die Franzosen ereigneten sich einige charakteristische Scenen. Um 10 Uhr
Vormittags sollte die Uebergabe erfolgen. Die preußischen Truppen, welche
die Besatzung bildeten, ein Bataillon des 87. ( 1. hess. ) Regimentes, standen
Punkt 10 Uhr marschbereit auf ihrem Posten, an der Spitze der Batail-
lonscommandant Major v. Basse und Hauptmann Müller von der 5.
Compagnie, welcher die mündlichen Verhandlungen mit den Franzosen zu
übernehmen hatte. Gleichwohl war zur festgesetzten Stunde vor Jssy noch
nichts zu sehen als ein Pariser Fiaker, der am Eingang hielt -- in ihm
sitzend eine -- Dame, die allerhand Utensilien zur häuslichen Einrichtung
mitbrachte. Eine halbe Stunde später kamen 5 oder 6 Feldgendarmen,
und in einiger Entfernung sah man einen französischen Stabsofficier mit
mehreren Begleitern. Die Officiere die zum Empfange der Franzosen vor
dem Fort standen, forderten den einen der Gendarmen auf den französischen
Officieren mitzutheilen daß alles zum Abmarsch der Deutschen bereit sei.
Der französische Officier wandte sein Pferd und ritt bis vor das Fort, be-
sann sich dann aber anders und wartete bis um 11 Uhr die Truppen aus
Paris herbeikamen. Jetzt erst hielt der Stab der neuen Besatzung seinen
Einzug. Beim Act der Uebergabe wurden die französischen Officiere auf-
merksam auf einige neue Batteriebauten, welche die Unsrigen hier zum
Schutze der Casematten vor diesen, in der Kehle des Festungswerkes, aufge-
worfen hatten. Diese Erdarbeiten waren natürlich, da es an Muße zu ihrer
Vollendung nicht gefehlt, im höchsten Maße kunstgerecht; sie hatten den
Zweck den Eingang des Forts gegen einen Angriff zu vertheidigen. Bei
ihrem Anblick sagte einer der französischen Genieofficiere in spöttischem
Tone: „Es scheint mir als ob die Preußen sich gut zu decken wissen.“
„Gewiß,“ antwortete ihm Hauptmann Müller, „auch wir haben nur eine
Haut zu verkaufen, und sollen wir sie verkaufen, so setzen wir eine Ehre
darein daß es um möglichst hohen Preis geschehe.“ Der kleine Zwischen-
fall that übrigens dem zuvorkommenden Benehmen der Preußen keinen
Abbruch. Sie bestiegen ihre Pferde und verabschiedeten sich in der höflich-
sten Form. Kaum waren sie einige Schritte geritten, so rief ihnen einer
der Franzosen im Uebermuth nach: „ Peut~être à revoir, Messieurs.“
Hauptmann Müller warf sein Pferd auf die Seite und antwortete mit
Ruhe: „ Messieurs, nous en serons ravis.“

Deutsches Reich.

Karlsruhe, 13 März. Neben den als Mitgliedern des deutschen
Bundesraths fungirenden Chefs des großh. Staatsministeriums und des
Ministeriums des Auswärtigen ist noch der Vorstand des Finanzministe-
riums, Präsident Ellstätter, zum Bevollmächtigten beim Bundesrath des
Deutschen Reichs ernannt worden. Gleichzeitig wurde für den Fall der
Verhinderung dieses Bevollmächtigten Ministerialrath W. Eisenlohr zu
dessen Stellvertreter ernannt. -- Die Verfügungen welche seinerzeit wegen
des Kriegsausbruchs den Vollzug des außerordentlichen Budgets sistirt
und namentlich auch die Eisenbahn=Bauarbeiten auf das gebotene Maß
eingeschränkt haben, sind durch das großh. Staatsministerium wiederum
außer Wirksamkeit gesetzt worden. ( K. Z. )

[Spaltenumbruch]

* Berlin, 13 März. Allerdings soll mit den im Vertrag vom
26 Febr. ausbedungenen 5 Milliarden Fr. oder 1333.3 Millionen Thlrn.
Kriegscontribution den Franzosen eine fühlbare Strafe für den muthwillig
begonnenen und frevelhaft fortgesetzten Krieg auferlegt werden. Sie sollen
an der Abzahlung dieser Summe, wofür ihnen eine Frist von drei Jahren
gegeben ist, wirklich zu tragen haben, und werden sich unterdeß ein deut-
sches Occupationsheer als mahnenden Gast gefallen lassen, da der Vor-
schlag des Hrn. Crémieux, die ganze Summe durch eine freiwillige Anleihe
alsbald aufzubringen, sich der nicht übertriebenen Opferlust und der Er-
schöpsung des Landes gegenüber doch als unausführbar erweisen möchte.
Das hochmüthige, nach kaum erlangtem Frieden schon wieder von Rache
sprechende, Frankreich muß fühlen daß die mißlungene Promenade nach
Berlin, das vergebliche Massenaufgebot Gambetta's doch zu kostspielige
Unternehmungen waren, als daß sie so bald wiederholt werden dürften.
Wenn wir jedoch die ungeheuren Unkosten überschlagen welche der eben
beendigte Krieg Deutschland verursachte, so möchte nach ihrem Abzug kein
so bedeutender Ueberschuß verbleiben, um den Festungsbauten, für welche
Frankreich 1814 ausdrücklich, aber viel zu schonend, in Anspruch genom-
men wurde, und welche an unserer neuen Gränze unerläßlich sein werden,
eine wesentliche Hülfe zu bieten. Der genau genommen kaum vierzehn-
tägige Krieg von 1866 kostete Preußen an rein militärischen Ausgaben,
wie die noch wenig Landwehr in Anspruch nehmende Mobilmachung, die
Vergütung für Militärleistungen der Kreise, für Telegraphenleitung nach
dem Kriegsschauplatz, 132 Millionen Thaler. Wie ungleich umfassender
war die vorjährige Mobilmachung ganz Deutschlands mit ihrem fortwäh-
renden Nachschub an Reserven und Landwehr. Der französische Krieg hat
vierzehnmal so lange gedauert als der böhmische. Außer der Million
Krieger war für den Eisenbahn=, Post= und Telegraphen=Dienst auf fran-
zösischem Boden so viel Personal aufgewendet, daß der heimische Verkehr
darum beträchtlich beschränkt werden mußte. Die Ausrüstung war un-
gleich umfassender, die Entfernung des Kriegsschauplatzes viel größer, und
die Transporte an Mannschaften, Pferden, Geschützen, Wagen, Munition
und Proviant waren ungleich umfangreicher und kostspieliger. Jm böhmi-
schen Feldzug gab es keine Festungen zu belagern; gegenwärtig sind ihrer 26
eingenommen worden. Die Belagerung Straßburgs allein hat 2 Millio-
nen Thaler gekostet. 193,000 Geschosse aller Art, 50pfündige, 25pfün-
dige Bomben, Shrapnels, Langgeschosse sind dort zur Verwendung ge-
kommen, und die gewöhnliche Feldgranate kostet4 2 / 3 Thaler, die schwerere
10 und 20 Thaler. Bedeutende Kosten haben die Vorkehrungen für Ver-
wundete und Kranke verursacht. Den Aerzten und Wärtern mußten mög-
lichst günstige Bedingungen für ihren schweren Beruf gestellt werden. La-
zarethe waren in Frankreich und Deutschland zu errichten und zu unter-
halten. Für den Rücktransport der Leidenden wurden zum Theil ganz
neue Sanitätszüge gebaut. Wir haben 90,000 Verwundete gehabt. Viel
hat die freiwillige Pflege für sie gethan; aber meist mußte der Staat auch
in den Privathospitälern so zu sagen die Stammkosten tragen. Nicht we-
niger als 374,000 Franzosen, darunter 11,160 Officiere, sind als Kriegs-
gefangene nach Deutschland befördert worden. Auch unter ihnen gab es
viele Verwundete und Kranke, die nicht vernachlässigt werden durften.
Häufig mußten erst Baulichkeiten hergestellt werden um die Menschen-
menge unter Dach zu bringen. Jhre Beköstigung und Kleidung stieg im
Verlaufe der Zeit zu hohen Summen auf. Die untersten Officiersgrade
bekamen monatlich 12 Thlr. ausgezahlt, und Graf Chaudordy hat nicht
unterlassen hervorzuheben daß gefangene deutsche Officiere in Frankreich
mehr erhielten; allein die Franzosen konnten diesen Aufwand bei der ge-
ringen Anzahl ihrer Gefangenen leicht tragen. Während unsere Reserve-
und Landwehr=Männer im Felde standen, mußte für ihre Frauen und
Kinder gesorgt werden. Viel geschah durch Privatwohlthätigkeit; allein
der Staat mußte die gesetzlichen Monatsgaben verabreichen. Von 15,000
Todten haben ziemlich viele Wittwen und Waisen hinterlassen, die zu ver-
sorgen sind. Die Wittwe des Landwehrmannes erhält 50 Thlr. jährlicher
Pension, für jedes Kind 30 Thlr. bis zum 15. Lebensjahr. Officiers-
wittwen erhalten 200 bis 400 Thlr., jedes Kind 40 und 50 Thlr. Er-
werbsunfähige Mannschaften erhalten ihre Pension. Dem invaliden
Lieutenant stehen 240 Thlr. zu; verlor er ein Glied, erhält er 420, ver-
lor er zwei Glieder 620 Thlr., und das steigt in den höchsten Graden bis
zu 2400, 2600 und 2800 Thlrn. Da diese Männer, übrigens gesund,
meist in den besten Jahren stehen, so wird die Pension eine geraume Zeit
an sie bezahlt werden müssen. Dazu kommt daß in Straßburg und, wenn
wir nicht irren, in andern bei Deutschland bleibenden Festungen von den
diesseitigen Behörden Anmeldungen des durch die Beschießung erlittenen
Privatschadens angenommen wurden, woraus eine Anwartschaft auf Er-
satz erwuchs. Ebenso machen sich Tausende der aus Frankreich vertriebe-
nen Deutschen Hoffnung auf Entschädigung. Es wird sich zeigen ob ihnen
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[1263/0003] wurde nicht die geringste Veränderung in den Gesellschaftsräumen des französischen Präfectenhauses vorgenommen; alles überhaupt blieb, in den 5 Monaten welche der oberste Feldherr der deutschen Heere hier Hof hielt, beim alten. Jetzt wird dem nicht so sein. Jn dem Festsaale befinden sich als Ornament in der reichen Stuckbekleidung des Plafonds an den vier Ecken mächtige Kaiseradler mit ausgebreiteten Flügeln. Hr. Thiers läßt sie entfernen, denn die Republik nimmt Anstoß an diesen Attributen der alten Kaiserglorie. Der Grundton in den Empfindungen mit denen die Bürger von Versailles den letzten deutschen Mann abziehen sehen, ist der daß die deutsche Occupation für sie ein überaus lucratives Geschäft war. Magazine die sonst kaum 8000 Francs das Jahr einnahmen, verdienten in den 6 Mo- naten des Kriegslagers mindestens das vierfache; von einigen Gasthofs- besitzern und Restaurateuren weiß die ganze Stadt daß sie durch die Preußen und ihre Bundesgenossen reich geworden sind. Jn den letzten Tagen, wo jeder seine Einkäufe machte, um Erinnerungen mit nach Deutsch- land zu nehmen, konnten die Besitzer der Geschäftslocale nicht rasch genug nach Paris gehen, von wo sie alles mögliche an Kunst= und Luxusgegen- ständen herbeischafften. Man hört nicht daß die Pariser den Verkauf ver- weigert hätten. Die Versailler aber werden die erlangten Vortheile mit Ruhe genießen können, denn sollte hier ein Strafgericht an denen vollzogen werden, die mit den Preußen in Verbindung traten, so müßte die ganze Bürgerschaft sich unter einander zerfleischen; jeder wollte verdienen, und jeder wußte zu verdienen. Während der Stunden in denen der Kaiser die Württemberger, die Sachsen und einen Theil der Bayern auf der Ebene vor Villiers Revue passiren ließ, wurden die auf dem linken Seine=Ufer gelegenen Südforts von den Deutschen geräumt. Bei der Wiederbesetzung des Forts Jssy durch die Franzosen ereigneten sich einige charakteristische Scenen. Um 10 Uhr Vormittags sollte die Uebergabe erfolgen. Die preußischen Truppen, welche die Besatzung bildeten, ein Bataillon des 87. ( 1. hess. ) Regimentes, standen Punkt 10 Uhr marschbereit auf ihrem Posten, an der Spitze der Batail- lonscommandant Major v. Basse und Hauptmann Müller von der 5. Compagnie, welcher die mündlichen Verhandlungen mit den Franzosen zu übernehmen hatte. Gleichwohl war zur festgesetzten Stunde vor Jssy noch nichts zu sehen als ein Pariser Fiaker, der am Eingang hielt -- in ihm sitzend eine -- Dame, die allerhand Utensilien zur häuslichen Einrichtung mitbrachte. Eine halbe Stunde später kamen 5 oder 6 Feldgendarmen, und in einiger Entfernung sah man einen französischen Stabsofficier mit mehreren Begleitern. Die Officiere die zum Empfange der Franzosen vor dem Fort standen, forderten den einen der Gendarmen auf den französischen Officieren mitzutheilen daß alles zum Abmarsch der Deutschen bereit sei. Der französische Officier wandte sein Pferd und ritt bis vor das Fort, be- sann sich dann aber anders und wartete bis um 11 Uhr die Truppen aus Paris herbeikamen. Jetzt erst hielt der Stab der neuen Besatzung seinen Einzug. Beim Act der Uebergabe wurden die französischen Officiere auf- merksam auf einige neue Batteriebauten, welche die Unsrigen hier zum Schutze der Casematten vor diesen, in der Kehle des Festungswerkes, aufge- worfen hatten. Diese Erdarbeiten waren natürlich, da es an Muße zu ihrer Vollendung nicht gefehlt, im höchsten Maße kunstgerecht; sie hatten den Zweck den Eingang des Forts gegen einen Angriff zu vertheidigen. Bei ihrem Anblick sagte einer der französischen Genieofficiere in spöttischem Tone: „Es scheint mir als ob die Preußen sich gut zu decken wissen.“ „Gewiß,“ antwortete ihm Hauptmann Müller, „auch wir haben nur eine Haut zu verkaufen, und sollen wir sie verkaufen, so setzen wir eine Ehre darein daß es um möglichst hohen Preis geschehe.“ Der kleine Zwischen- fall that übrigens dem zuvorkommenden Benehmen der Preußen keinen Abbruch. Sie bestiegen ihre Pferde und verabschiedeten sich in der höflich- sten Form. Kaum waren sie einige Schritte geritten, so rief ihnen einer der Franzosen im Uebermuth nach: „ Peut~être à revoir, Messieurs.“ Hauptmann Müller warf sein Pferd auf die Seite und antwortete mit Ruhe: „ Messieurs, nous en serons ravis.“ Deutsches Reich. Karlsruhe, 13 März. Neben den als Mitgliedern des deutschen Bundesraths fungirenden Chefs des großh. Staatsministeriums und des Ministeriums des Auswärtigen ist noch der Vorstand des Finanzministe- riums, Präsident Ellstätter, zum Bevollmächtigten beim Bundesrath des Deutschen Reichs ernannt worden. Gleichzeitig wurde für den Fall der Verhinderung dieses Bevollmächtigten Ministerialrath W. Eisenlohr zu dessen Stellvertreter ernannt. -- Die Verfügungen welche seinerzeit wegen des Kriegsausbruchs den Vollzug des außerordentlichen Budgets sistirt und namentlich auch die Eisenbahn=Bauarbeiten auf das gebotene Maß eingeschränkt haben, sind durch das großh. Staatsministerium wiederum außer Wirksamkeit gesetzt worden. ( K. Z. ) † * Berlin, 13 März. Allerdings soll mit den im Vertrag vom 26 Febr. ausbedungenen 5 Milliarden Fr. oder 1333.3 Millionen Thlrn. Kriegscontribution den Franzosen eine fühlbare Strafe für den muthwillig begonnenen und frevelhaft fortgesetzten Krieg auferlegt werden. Sie sollen an der Abzahlung dieser Summe, wofür ihnen eine Frist von drei Jahren gegeben ist, wirklich zu tragen haben, und werden sich unterdeß ein deut- sches Occupationsheer als mahnenden Gast gefallen lassen, da der Vor- schlag des Hrn. Crémieux, die ganze Summe durch eine freiwillige Anleihe alsbald aufzubringen, sich der nicht übertriebenen Opferlust und der Er- schöpsung des Landes gegenüber doch als unausführbar erweisen möchte. Das hochmüthige, nach kaum erlangtem Frieden schon wieder von Rache sprechende, Frankreich muß fühlen daß die mißlungene Promenade nach Berlin, das vergebliche Massenaufgebot Gambetta's doch zu kostspielige Unternehmungen waren, als daß sie so bald wiederholt werden dürften. Wenn wir jedoch die ungeheuren Unkosten überschlagen welche der eben beendigte Krieg Deutschland verursachte, so möchte nach ihrem Abzug kein so bedeutender Ueberschuß verbleiben, um den Festungsbauten, für welche Frankreich 1814 ausdrücklich, aber viel zu schonend, in Anspruch genom- men wurde, und welche an unserer neuen Gränze unerläßlich sein werden, eine wesentliche Hülfe zu bieten. Der genau genommen kaum vierzehn- tägige Krieg von 1866 kostete Preußen an rein militärischen Ausgaben, wie die noch wenig Landwehr in Anspruch nehmende Mobilmachung, die Vergütung für Militärleistungen der Kreise, für Telegraphenleitung nach dem Kriegsschauplatz, 132 Millionen Thaler. Wie ungleich umfassender war die vorjährige Mobilmachung ganz Deutschlands mit ihrem fortwäh- renden Nachschub an Reserven und Landwehr. Der französische Krieg hat vierzehnmal so lange gedauert als der böhmische. Außer der Million Krieger war für den Eisenbahn=, Post= und Telegraphen=Dienst auf fran- zösischem Boden so viel Personal aufgewendet, daß der heimische Verkehr darum beträchtlich beschränkt werden mußte. Die Ausrüstung war un- gleich umfassender, die Entfernung des Kriegsschauplatzes viel größer, und die Transporte an Mannschaften, Pferden, Geschützen, Wagen, Munition und Proviant waren ungleich umfangreicher und kostspieliger. Jm böhmi- schen Feldzug gab es keine Festungen zu belagern; gegenwärtig sind ihrer 26 eingenommen worden. Die Belagerung Straßburgs allein hat 2 Millio- nen Thaler gekostet. 193,000 Geschosse aller Art, 50pfündige, 25pfün- dige Bomben, Shrapnels, Langgeschosse sind dort zur Verwendung ge- kommen, und die gewöhnliche Feldgranate kostet4 2 / 3 Thaler, die schwerere 10 und 20 Thaler. Bedeutende Kosten haben die Vorkehrungen für Ver- wundete und Kranke verursacht. Den Aerzten und Wärtern mußten mög- lichst günstige Bedingungen für ihren schweren Beruf gestellt werden. La- zarethe waren in Frankreich und Deutschland zu errichten und zu unter- halten. Für den Rücktransport der Leidenden wurden zum Theil ganz neue Sanitätszüge gebaut. Wir haben 90,000 Verwundete gehabt. Viel hat die freiwillige Pflege für sie gethan; aber meist mußte der Staat auch in den Privathospitälern so zu sagen die Stammkosten tragen. Nicht we- niger als 374,000 Franzosen, darunter 11,160 Officiere, sind als Kriegs- gefangene nach Deutschland befördert worden. Auch unter ihnen gab es viele Verwundete und Kranke, die nicht vernachlässigt werden durften. Häufig mußten erst Baulichkeiten hergestellt werden um die Menschen- menge unter Dach zu bringen. Jhre Beköstigung und Kleidung stieg im Verlaufe der Zeit zu hohen Summen auf. Die untersten Officiersgrade bekamen monatlich 12 Thlr. ausgezahlt, und Graf Chaudordy hat nicht unterlassen hervorzuheben daß gefangene deutsche Officiere in Frankreich mehr erhielten; allein die Franzosen konnten diesen Aufwand bei der ge- ringen Anzahl ihrer Gefangenen leicht tragen. Während unsere Reserve- und Landwehr=Männer im Felde standen, mußte für ihre Frauen und Kinder gesorgt werden. Viel geschah durch Privatwohlthätigkeit; allein der Staat mußte die gesetzlichen Monatsgaben verabreichen. Von 15,000 Todten haben ziemlich viele Wittwen und Waisen hinterlassen, die zu ver- sorgen sind. Die Wittwe des Landwehrmannes erhält 50 Thlr. jährlicher Pension, für jedes Kind 30 Thlr. bis zum 15. Lebensjahr. Officiers- wittwen erhalten 200 bis 400 Thlr., jedes Kind 40 und 50 Thlr. Er- werbsunfähige Mannschaften erhalten ihre Pension. Dem invaliden Lieutenant stehen 240 Thlr. zu; verlor er ein Glied, erhält er 420, ver- lor er zwei Glieder 620 Thlr., und das steigt in den höchsten Graden bis zu 2400, 2600 und 2800 Thlrn. Da diese Männer, übrigens gesund, meist in den besten Jahren stehen, so wird die Pension eine geraume Zeit an sie bezahlt werden müssen. Dazu kommt daß in Straßburg und, wenn wir nicht irren, in andern bei Deutschland bleibenden Festungen von den diesseitigen Behörden Anmeldungen des durch die Beschießung erlittenen Privatschadens angenommen wurden, woraus eine Anwartschaft auf Er- satz erwuchs. Ebenso machen sich Tausende der aus Frankreich vertriebe- nen Deutschen Hoffnung auf Entschädigung. Es wird sich zeigen ob ihnen genügt werden kann. Hr. Thiers hatte, da die Friedensunterhandlungen

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  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871, S. 1263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg75_1871/3>, abgerufen am 28.04.2024.