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Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg (Bayern), 16. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] und nur die kahlen Stümpfe ragen noch einige Zoll hoch über der Erde
empor.

Der Bahnzug hielt auf der Brücke an und konnte ungehindert passi-
ren, nachdem die zehn oder zwölf Passagiere welche gleich mir im Gepäck-
wagen Aufnahme gefunden, ihre Geleitscheine vorgezeigt hatten. Jch
selber verließ den Wagen mit meinem Reisegefährten, dem Corresponden-
ten der "Kölnischen Zeitung," Dr. Arthur Levysohn, welcher bis zu seiner
gewaltsamen Austreibung am 19 Juli vorigen Jahrs in Asnieres ge-
wohnt, und sich kaum drei Monate vor Ausbruch des Krieges in einem
großen Hause der Rue du Chemin Vert völlig neu eingerichtet hatte. Seine
junge Frau, die erst kürzlich vom Wochenbett aufgestanden, war mit ihrem
Kind einstweilen in Asnieres zurückgeblieben -- hatte doch damals nie-
mand geglaubt daß über Frauen und Kinder gleichfalls das Loos der Aus-
treibung verhängt werden würde. Nach dem famosen "Siege von Saar-
brücken " ertheilte ihr der Maire den Befehl zur Feier des glorreichen Er-
eignisses eine französische Fahne auszuhängen und die Fenster ihres Hau-
ses festlich zu illuminiren. Da sie sich als Deutsche weigerte diesen Befehl
zu erfüllen, wurden ihr von den Einwohnern von Asnieres allabendlich
Katzenmusiken gebracht, und nach Verlauf von acht Tagen wurde sie zu
einer so beschleunigten Abreise gezwungen, daß man ihr nicht einmal ge-
stattete aus ihrer Wohnung einige Werthsachen und Kleidungsstücke mit-
zunehmen. Ein befreundeter Schweizer versuchte nach ihrer Abreise an-
fangs die Wohnung gegen die Wuth des Pöbels zu schützen, der alles zer-
trümmernd in dieselbe eindrang; aber er vermochte sich nur mit Lebens-
gefahr vor der fanatisirten Bande zu retten. Dr. Levysohn hatte ge-
ringe Hoffnung noch einen Rest seines Besitzthums vorzufinden; aber
der Anblick des verwüsteten Hauses übertraf selbst unsere schlimmsten
Befürchtungen. Weder in dem freundlichen Musiksaale, noch in dem
Speisesaale, im Wohn = und Empfangszimmer fanden wir, außer zwei
zerstampften Strohstühlen und den Fragmenten eines Gartentisches,
eine Spur von Mobiliar mehr vor. Ein kostbarer Erard'scher Flügel, die
großen Oelbilder an den Wänden, die nach künstlerischen Zeichnungen ge-
schnitzten Stühle, die schweren Damastgardinen, alles war von räuberischen
Händen fortgeschleppt. Sogar die Kaminroste waren gewaltsam zertrüm-
mert und die eisernen Splitter in den Garten hinab geschleudert. Jn den
oberen Etagen das gleiche Bild der Zerstörung! Bettgestelle und Bettzeug,
Schränke, Stühle, Wäsche und Silbergeräth waren aus den Zimmern ver-
schwunden; nur das Bruchstück eines Waschtisches, aus welchem die Mar-
morplatte herausgebrochen, war in den leeren Räumen zu erblicken. Die
ganze Bibliothek war verschwunden; von einem herrlichen Porcellan=Ser-
vice fanden wir in der Küche einzig die Reste einer zertrümmerten Schale,
im Weinkeller nur noch geleerte Flaschen; in einem Zimmer einen Haufen
zerrissener und verbrannter Kleidungsstücke; im Garten ein zertretener
Kanarienvogelkäfig und Hunderte grüner Correspondenz=Couverts der
"Kölnischen Zeitung" umhergestreut! Der Platzcommandant, Hr. Major
v. d. Lochau vom dritten preußischen Garderegiment zu Fuß, welcher uns
aufs liebenswürdigste empfieng, war so freundlich durch seinen Adjutanten,
Hrn. Premierlieutenant v. Cramm, eine Besichtigung des Hauses vor-
nehmen zu lassen, und den völlig verwüsteten und ausgeplünderten Zustand
desselben amtlich zu bescheinigen. Während wir uns mit dem feingebil-
deten zuvorkommenden Herrn unterhielten, hatten wir Gelegenheit seine
Geduld und Urbanität gegenüber der Ungeschliffenheit und Aufdringlich-
keit der Franzosen, welche ihn mit allen erdenklichen Anliegen behelligten, zu
bewundern. Kaum einer der nicht erst aufgefordert werden mußte die
Thür hinter sich zu schließen und die Mütze im wohlgeheizten Zimmer vom
Kopfe zu nehmen. Die meisten waren Pariser, welche sich erkundigen
wollten wie sie in die Hauptstadt zurück gelangen könnten. Es wurde
ihnen stets der Bescheid ertheilt daß sie entweder eines Regierungspasses
vom General Trochu oder eines Geleitscheines von dem in St. Germain
stationirten französischen Commissär bedürften, und daß in beiden Fällen
der Geleitschein von dem preußischen General v. Kessel in der Allee de
Courbevoie zu Asnieres abzustempeln sei. Trotz dieser deutlichen Erklä-
rung waren die schwatzhaften Leute meistens nicht zum Fortgehen zu be-
wegen ehe man ihnen die Thür öffnete. Der Maire von Asnieres hatte
sich anfangs sehr renitent gezeigt. Er behauptete daß weder Wein noch
sonstige Lebensmittel in dem Orte vorhanden seien; sobald er jedoch die
Drohung vernahm daß man solchen Falls in den Häusern selbst nachsuchen
werde, versprach er alles Verlangte zu liefern, und hielt auch Wort.

Als wir Abends den Bahnhof erreichten, ward uns die unangenehme
Nachricht daß vor heute Morgens kein Zug mehr nach Versailles gehe.
Durch die Freundlichkeit einiger Gardesoldaten, die uns eines ihrer Betten
für die Nacht abtraten, fanden wir noch ein Unterkommen in einem ver-
lassenen hübsch möblirten Hause. Sogar ein elegantes Pianino war dort
zurück geblieben, und wir sangen mit unseren neuen Cameraden bis tief in
die Nacht hinein deutsche Lieder, die ein Soldat mit großem Geschick auf[Spaltenumbruch]
dem Claviere begleitete. Eine französische Bäckersfamilie, die im Nachbar-
hause wohnte, lud uns ein ihr Abendessen zu theilen. Die guten Leute
tischten auf was sie irgend noch besaßen: eine schmackhafte Bouillon, ein
Stück Rindfleisch, Sardinen, Wurst, Früchte und trefflichen Rothwein.
Der Mann hatte in der berittenen Nationalgarde gedient und alle Leiden
der Belagerung in Paris mit durchgemacht. Sein Pferd, das er sich für
2000 Francs angeschafft, war ihm abrequirirt und nur mit 840 Francs
bezahlt worden. Er hatte das Fleisch von Pferden, Maulthieren, Eseln,
Hunden, Katzen und Elephanten verspeist -- am erträglichsten fand er das
Esels= und Hundefleisch, dessen zarten Geschmack er rühmte. Jm Anfange
der Belagerung hatte er die großen Spiegelscheiben seines Ladens und des
dahinterliegenden Eßzimmers nach Paris geschafft, um sie vor Zertrümme-
rung zu schützen. Jn Folge dessen saßen wir zähneklappernd bei Tische,
während der Wind durch die offenen Fensterhöhlen heulte und die flackernde
Lampe jeden Augenblick zu erlöschen drohte.

Heute Morgens kehrte ich mit einem Personenzuge, deren fortan bis
auf weiteres täglich zwei zwischen Paris und Versailles fahren, hieher zu-
rück. Der Personenverkehr ist jedoch sehr beschränkt worden, da man in
Erfahrung gebracht daß viele französische Officiere in Civilkleidung Paris
verlassen um sich nach dem Süden durchzuschleichen. Bei der Ankunft in
Versailles wurde jeder Ankömmling aufs genaueste examinirt, um seine
Jdentität festzustellen, und mancher konnte erst den Bahnhof verlassen
nachdem er von dem anwesenden französischen Commissär oder von herbei
gerufenen Bekannten recognoscirt worden war.

*

Aus den Hauptquartieren in Versailles vom 8 Febr. wird dem "St. -
Anz." berichtet: "Es läßt sich schon jetzt übersehen daß der Zug von der Pro-
vinz nach Paris hinein ein bei weitem geringerer ist als umgekehrt. So viele
Jnteressen, namentlich pecuniärer Natur, die Leute aus den nächstgelegenen
Districten an Paris fesseln, von wo sie ihre Renten beziehen, so fürchtet
man doch die große Stadt, deren Gesundheitszustand sich nur allmählich
in Folge des Ravitaillement bessern wird. Die Zahl der Kranken in den
Hospitälern ist eine wahrhaft erschreckende: so befinden sich z. B. in der
großen Krankenanstalt unterhalb Bicetre nicht weniger als 1200 Personen
die an den Pocken krank liegen. Durch den Johanniter Grafen Maltzan
ist schon vor einigen Tagen mit der internationalen Gesellschaft in Paris
verhandelt worden. Man hat die deutschen Verwundeten die sich in Paris
befanden diesseits übernommen. Die Pariser Regierung hat ferner ein-
gewilligt daß zum Transport verwundeter deutscher Krieger, die nach
Lagny evacuirt werden sollen, die Pariser Gürtelbahn benutzt werden darf. --
9 Febr. Der Prinz Friedrich Karl hat sich gestern Morgen über Orleans
ins Hauptquartier Tours zurückbegeben. Der Prinz nahm am letzten Tag
seiner Anwesenheit das Mahl bei Sr. Maj. ein, und verweilte den Abend
über beim Kronprinzen in der Villa "Les Ombrages." Die Fügung hat
gewollt daß dieselben Truppentheile des 5. preußischen Armeecorps die im
Verein mit den Bayern die kriegerischen Operationen der 3. Armee bei
Weißenburg so glücklich begannen, auch das letzte Gefecht, das vor Paris
stattfand, bestehen mußten. Das 5. Corps war während des ganzen Kriegs
dem Oberbefehl des Kronprinzen unterstellt gewesen, es nahm an dem Vor-
postendienst auf der Westfront von Paris in hervorragender Weise theil,
indem es gerade die vom Mont Valerien am meisten gefährdeten Stellen,
zwischen Sevres und Rocquencourt, inne hatte. Das Commando des
5. Corps lag in Versailles, der Stab der 9. Division ebendaselbst, der der
10. im Schlosse Beauregard,2 1 / 2 Kilometer von Versailles, auf der Straße
zwischen Rocquencourt und St. Cloud."

Wie die Pariser "Presse" mittheilt, ist eine Commission in Ver-
sailles damit beauftragt die nicht vorhergesehenen oder nicht angedeute-
ten Details der Convention vom 28 Januar zu regeln. Diese Commission,
welche seit dem 9 d. functionirt, ist aus sechs Mitgliedern gebildet, je drei
für Frankreich und für Deutschland. Die drei Franzosen sind: de Ring,
vom Ministerium des Aeußern, der Cabinetschef des Polizeipräfecten und
ein Oberst des Generalstabs vom Kriegsministerium. Die drei deutschen
Commissäre sind den entsprechenden administrativen Stellungen ent-
nommen.

* Der Präfect von Lyon, Challemel Lacour, hat seine Entlassung
eingereicht, und ist durch Valentin, den ehemaligen Präfecten von Straß-
burg, ersetzt worden. Jn einer Sitzung des Stadtraths vom 7 erstatteten
die HH. Henon, Barodet und Vallier Bericht über ihre Sendung nach
Bordeaux, um den Krieg bis aufs äußerste zu verlangen, doch verlautet
nichts über den Jnhalt desselben. Am nämlichen Tage wurden den drei
Legionen des Elsaßes und Lothringens die Fahnen verliehen, dieselben
sind von den Damen der Departements Ober= und Niederrhein und Mosel
gefertigt worden. Die in Lyon anwesenden Elsäßer und Lothringer mach-
ten dabei eine Demonstration, indem sie eine Fahne mit der Jnschrift
"Elsaß und Lothringen bleiben französisch" vor sich hertrugen. Als die
Fahne der 2. Legion durch den Unterpräfecten Heinrich von Mülhausen
mit dem Bemerken überreicht wurde daß sie von den Damen Colmars ge-
arbeitet sei, leisteten die Officiere mit lauter Stimme einen Eid diese Fahne
nach Colmar zurückzutragen. Wie zahlreich diese Legionen sind, ist nicht
gesagt, doch scheinen auch andere den Elsäßern mehr oder minder verwandte

* ) Das Zeichen einer gewiß energischen Vertheidigung wenn provisorische An-
lagen offene Laufgräben erfordern.

[Spaltenumbruch] und nur die kahlen Stümpfe ragen noch einige Zoll hoch über der Erde
empor.

Der Bahnzug hielt auf der Brücke an und konnte ungehindert passi-
ren, nachdem die zehn oder zwölf Passagiere welche gleich mir im Gepäck-
wagen Aufnahme gefunden, ihre Geleitscheine vorgezeigt hatten. Jch
selber verließ den Wagen mit meinem Reisegefährten, dem Corresponden-
ten der „Kölnischen Zeitung,“ Dr. Arthur Levysohn, welcher bis zu seiner
gewaltsamen Austreibung am 19 Juli vorigen Jahrs in Asnières ge-
wohnt, und sich kaum drei Monate vor Ausbruch des Krieges in einem
großen Hause der Rue du Chemin Vert völlig neu eingerichtet hatte. Seine
junge Frau, die erst kürzlich vom Wochenbett aufgestanden, war mit ihrem
Kind einstweilen in Asnières zurückgeblieben -- hatte doch damals nie-
mand geglaubt daß über Frauen und Kinder gleichfalls das Loos der Aus-
treibung verhängt werden würde. Nach dem famosen „Siege von Saar-
brücken “ ertheilte ihr der Maire den Befehl zur Feier des glorreichen Er-
eignisses eine französische Fahne auszuhängen und die Fenster ihres Hau-
ses festlich zu illuminiren. Da sie sich als Deutsche weigerte diesen Befehl
zu erfüllen, wurden ihr von den Einwohnern von Asnières allabendlich
Katzenmusiken gebracht, und nach Verlauf von acht Tagen wurde sie zu
einer so beschleunigten Abreise gezwungen, daß man ihr nicht einmal ge-
stattete aus ihrer Wohnung einige Werthsachen und Kleidungsstücke mit-
zunehmen. Ein befreundeter Schweizer versuchte nach ihrer Abreise an-
fangs die Wohnung gegen die Wuth des Pöbels zu schützen, der alles zer-
trümmernd in dieselbe eindrang; aber er vermochte sich nur mit Lebens-
gefahr vor der fanatisirten Bande zu retten. Dr. Levysohn hatte ge-
ringe Hoffnung noch einen Rest seines Besitzthums vorzufinden; aber
der Anblick des verwüsteten Hauses übertraf selbst unsere schlimmsten
Befürchtungen. Weder in dem freundlichen Musiksaale, noch in dem
Speisesaale, im Wohn = und Empfangszimmer fanden wir, außer zwei
zerstampften Strohstühlen und den Fragmenten eines Gartentisches,
eine Spur von Mobiliar mehr vor. Ein kostbarer Erard'scher Flügel, die
großen Oelbilder an den Wänden, die nach künstlerischen Zeichnungen ge-
schnitzten Stühle, die schweren Damastgardinen, alles war von räuberischen
Händen fortgeschleppt. Sogar die Kaminroste waren gewaltsam zertrüm-
mert und die eisernen Splitter in den Garten hinab geschleudert. Jn den
oberen Etagen das gleiche Bild der Zerstörung! Bettgestelle und Bettzeug,
Schränke, Stühle, Wäsche und Silbergeräth waren aus den Zimmern ver-
schwunden; nur das Bruchstück eines Waschtisches, aus welchem die Mar-
morplatte herausgebrochen, war in den leeren Räumen zu erblicken. Die
ganze Bibliothek war verschwunden; von einem herrlichen Porcellan=Ser-
vice fanden wir in der Küche einzig die Reste einer zertrümmerten Schale,
im Weinkeller nur noch geleerte Flaschen; in einem Zimmer einen Haufen
zerrissener und verbrannter Kleidungsstücke; im Garten ein zertretener
Kanarienvogelkäfig und Hunderte grüner Correspondenz=Couverts der
„Kölnischen Zeitung“ umhergestreut! Der Platzcommandant, Hr. Major
v. d. Lochau vom dritten preußischen Garderegiment zu Fuß, welcher uns
aufs liebenswürdigste empfieng, war so freundlich durch seinen Adjutanten,
Hrn. Premierlieutenant v. Cramm, eine Besichtigung des Hauses vor-
nehmen zu lassen, und den völlig verwüsteten und ausgeplünderten Zustand
desselben amtlich zu bescheinigen. Während wir uns mit dem feingebil-
deten zuvorkommenden Herrn unterhielten, hatten wir Gelegenheit seine
Geduld und Urbanität gegenüber der Ungeschliffenheit und Aufdringlich-
keit der Franzosen, welche ihn mit allen erdenklichen Anliegen behelligten, zu
bewundern. Kaum einer der nicht erst aufgefordert werden mußte die
Thür hinter sich zu schließen und die Mütze im wohlgeheizten Zimmer vom
Kopfe zu nehmen. Die meisten waren Pariser, welche sich erkundigen
wollten wie sie in die Hauptstadt zurück gelangen könnten. Es wurde
ihnen stets der Bescheid ertheilt daß sie entweder eines Regierungspasses
vom General Trochu oder eines Geleitscheines von dem in St. Germain
stationirten französischen Commissär bedürften, und daß in beiden Fällen
der Geleitschein von dem preußischen General v. Kessel in der Allée de
Courbevoie zu Asnières abzustempeln sei. Trotz dieser deutlichen Erklä-
rung waren die schwatzhaften Leute meistens nicht zum Fortgehen zu be-
wegen ehe man ihnen die Thür öffnete. Der Maire von Asnières hatte
sich anfangs sehr renitent gezeigt. Er behauptete daß weder Wein noch
sonstige Lebensmittel in dem Orte vorhanden seien; sobald er jedoch die
Drohung vernahm daß man solchen Falls in den Häusern selbst nachsuchen
werde, versprach er alles Verlangte zu liefern, und hielt auch Wort.

Als wir Abends den Bahnhof erreichten, ward uns die unangenehme
Nachricht daß vor heute Morgens kein Zug mehr nach Versailles gehe.
Durch die Freundlichkeit einiger Gardesoldaten, die uns eines ihrer Betten
für die Nacht abtraten, fanden wir noch ein Unterkommen in einem ver-
lassenen hübsch möblirten Hause. Sogar ein elegantes Pianino war dort
zurück geblieben, und wir sangen mit unseren neuen Cameraden bis tief in
die Nacht hinein deutsche Lieder, die ein Soldat mit großem Geschick auf[Spaltenumbruch]
dem Claviere begleitete. Eine französische Bäckersfamilie, die im Nachbar-
hause wohnte, lud uns ein ihr Abendessen zu theilen. Die guten Leute
tischten auf was sie irgend noch besaßen: eine schmackhafte Bouillon, ein
Stück Rindfleisch, Sardinen, Wurst, Früchte und trefflichen Rothwein.
Der Mann hatte in der berittenen Nationalgarde gedient und alle Leiden
der Belagerung in Paris mit durchgemacht. Sein Pferd, das er sich für
2000 Francs angeschafft, war ihm abrequirirt und nur mit 840 Francs
bezahlt worden. Er hatte das Fleisch von Pferden, Maulthieren, Eseln,
Hunden, Katzen und Elephanten verspeist -- am erträglichsten fand er das
Esels= und Hundefleisch, dessen zarten Geschmack er rühmte. Jm Anfange
der Belagerung hatte er die großen Spiegelscheiben seines Ladens und des
dahinterliegenden Eßzimmers nach Paris geschafft, um sie vor Zertrümme-
rung zu schützen. Jn Folge dessen saßen wir zähneklappernd bei Tische,
während der Wind durch die offenen Fensterhöhlen heulte und die flackernde
Lampe jeden Augenblick zu erlöschen drohte.

Heute Morgens kehrte ich mit einem Personenzuge, deren fortan bis
auf weiteres täglich zwei zwischen Paris und Versailles fahren, hieher zu-
rück. Der Personenverkehr ist jedoch sehr beschränkt worden, da man in
Erfahrung gebracht daß viele französische Officiere in Civilkleidung Paris
verlassen um sich nach dem Süden durchzuschleichen. Bei der Ankunft in
Versailles wurde jeder Ankömmling aufs genaueste examinirt, um seine
Jdentität festzustellen, und mancher konnte erst den Bahnhof verlassen
nachdem er von dem anwesenden französischen Commissär oder von herbei
gerufenen Bekannten recognoscirt worden war.

*

Aus den Hauptquartieren in Versailles vom 8 Febr. wird dem „St. -
Anz.“ berichtet: „Es läßt sich schon jetzt übersehen daß der Zug von der Pro-
vinz nach Paris hinein ein bei weitem geringerer ist als umgekehrt. So viele
Jnteressen, namentlich pecuniärer Natur, die Leute aus den nächstgelegenen
Districten an Paris fesseln, von wo sie ihre Renten beziehen, so fürchtet
man doch die große Stadt, deren Gesundheitszustand sich nur allmählich
in Folge des Ravitaillement bessern wird. Die Zahl der Kranken in den
Hospitälern ist eine wahrhaft erschreckende: so befinden sich z. B. in der
großen Krankenanstalt unterhalb Bicêtre nicht weniger als 1200 Personen
die an den Pocken krank liegen. Durch den Johanniter Grafen Maltzan
ist schon vor einigen Tagen mit der internationalen Gesellschaft in Paris
verhandelt worden. Man hat die deutschen Verwundeten die sich in Paris
befanden diesseits übernommen. Die Pariser Regierung hat ferner ein-
gewilligt daß zum Transport verwundeter deutscher Krieger, die nach
Lagny evacuirt werden sollen, die Pariser Gürtelbahn benutzt werden darf. --
9 Febr. Der Prinz Friedrich Karl hat sich gestern Morgen über Orleans
ins Hauptquartier Tours zurückbegeben. Der Prinz nahm am letzten Tag
seiner Anwesenheit das Mahl bei Sr. Maj. ein, und verweilte den Abend
über beim Kronprinzen in der Villa „Les Ombrages.“ Die Fügung hat
gewollt daß dieselben Truppentheile des 5. preußischen Armeecorps die im
Verein mit den Bayern die kriegerischen Operationen der 3. Armee bei
Weißenburg so glücklich begannen, auch das letzte Gefecht, das vor Paris
stattfand, bestehen mußten. Das 5. Corps war während des ganzen Kriegs
dem Oberbefehl des Kronprinzen unterstellt gewesen, es nahm an dem Vor-
postendienst auf der Westfront von Paris in hervorragender Weise theil,
indem es gerade die vom Mont Valérien am meisten gefährdeten Stellen,
zwischen Sèvres und Rocquencourt, inne hatte. Das Commando des
5. Corps lag in Versailles, der Stab der 9. Division ebendaselbst, der der
10. im Schlosse Beauregard,2 1 / 2 Kilometer von Versailles, auf der Straße
zwischen Rocquencourt und St. Cloud.“

Wie die Pariser „Presse“ mittheilt, ist eine Commission in Ver-
sailles damit beauftragt die nicht vorhergesehenen oder nicht angedeute-
ten Details der Convention vom 28 Januar zu regeln. Diese Commission,
welche seit dem 9 d. functionirt, ist aus sechs Mitgliedern gebildet, je drei
für Frankreich und für Deutschland. Die drei Franzosen sind: de Ring,
vom Ministerium des Aeußern, der Cabinetschef des Polizeipräfecten und
ein Oberst des Generalstabs vom Kriegsministerium. Die drei deutschen
Commissäre sind den entsprechenden administrativen Stellungen ent-
nommen.

* Der Präfect von Lyon, Challemel Lacour, hat seine Entlassung
eingereicht, und ist durch Valentin, den ehemaligen Präfecten von Straß-
burg, ersetzt worden. Jn einer Sitzung des Stadtraths vom 7 erstatteten
die HH. Hénon, Barodet und Vallier Bericht über ihre Sendung nach
Bordeaux, um den Krieg bis aufs äußerste zu verlangen, doch verlautet
nichts über den Jnhalt desselben. Am nämlichen Tage wurden den drei
Legionen des Elsaßes und Lothringens die Fahnen verliehen, dieselben
sind von den Damen der Departements Ober= und Niederrhein und Mosel
gefertigt worden. Die in Lyon anwesenden Elsäßer und Lothringer mach-
ten dabei eine Demonstration, indem sie eine Fahne mit der Jnschrift
„Elsaß und Lothringen bleiben französisch“ vor sich hertrugen. Als die
Fahne der 2. Legion durch den Unterpräfecten Heinrich von Mülhausen
mit dem Bemerken überreicht wurde daß sie von den Damen Colmars ge-
arbeitet sei, leisteten die Officiere mit lauter Stimme einen Eid diese Fahne
nach Colmar zurückzutragen. Wie zahlreich diese Legionen sind, ist nicht
gesagt, doch scheinen auch andere den Elsäßern mehr oder minder verwandte

* ) Das Zeichen einer gewiß energischen Vertheidigung wenn provisorische An-
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[784/0004] und nur die kahlen Stümpfe ragen noch einige Zoll hoch über der Erde empor. Der Bahnzug hielt auf der Brücke an und konnte ungehindert passi- ren, nachdem die zehn oder zwölf Passagiere welche gleich mir im Gepäck- wagen Aufnahme gefunden, ihre Geleitscheine vorgezeigt hatten. Jch selber verließ den Wagen mit meinem Reisegefährten, dem Corresponden- ten der „Kölnischen Zeitung,“ Dr. Arthur Levysohn, welcher bis zu seiner gewaltsamen Austreibung am 19 Juli vorigen Jahrs in Asnières ge- wohnt, und sich kaum drei Monate vor Ausbruch des Krieges in einem großen Hause der Rue du Chemin Vert völlig neu eingerichtet hatte. Seine junge Frau, die erst kürzlich vom Wochenbett aufgestanden, war mit ihrem Kind einstweilen in Asnières zurückgeblieben -- hatte doch damals nie- mand geglaubt daß über Frauen und Kinder gleichfalls das Loos der Aus- treibung verhängt werden würde. Nach dem famosen „Siege von Saar- brücken “ ertheilte ihr der Maire den Befehl zur Feier des glorreichen Er- eignisses eine französische Fahne auszuhängen und die Fenster ihres Hau- ses festlich zu illuminiren. Da sie sich als Deutsche weigerte diesen Befehl zu erfüllen, wurden ihr von den Einwohnern von Asnières allabendlich Katzenmusiken gebracht, und nach Verlauf von acht Tagen wurde sie zu einer so beschleunigten Abreise gezwungen, daß man ihr nicht einmal ge- stattete aus ihrer Wohnung einige Werthsachen und Kleidungsstücke mit- zunehmen. Ein befreundeter Schweizer versuchte nach ihrer Abreise an- fangs die Wohnung gegen die Wuth des Pöbels zu schützen, der alles zer- trümmernd in dieselbe eindrang; aber er vermochte sich nur mit Lebens- gefahr vor der fanatisirten Bande zu retten. Dr. Levysohn hatte ge- ringe Hoffnung noch einen Rest seines Besitzthums vorzufinden; aber der Anblick des verwüsteten Hauses übertraf selbst unsere schlimmsten Befürchtungen. Weder in dem freundlichen Musiksaale, noch in dem Speisesaale, im Wohn = und Empfangszimmer fanden wir, außer zwei zerstampften Strohstühlen und den Fragmenten eines Gartentisches, eine Spur von Mobiliar mehr vor. Ein kostbarer Erard'scher Flügel, die großen Oelbilder an den Wänden, die nach künstlerischen Zeichnungen ge- schnitzten Stühle, die schweren Damastgardinen, alles war von räuberischen Händen fortgeschleppt. Sogar die Kaminroste waren gewaltsam zertrüm- mert und die eisernen Splitter in den Garten hinab geschleudert. Jn den oberen Etagen das gleiche Bild der Zerstörung! Bettgestelle und Bettzeug, Schränke, Stühle, Wäsche und Silbergeräth waren aus den Zimmern ver- schwunden; nur das Bruchstück eines Waschtisches, aus welchem die Mar- morplatte herausgebrochen, war in den leeren Räumen zu erblicken. Die ganze Bibliothek war verschwunden; von einem herrlichen Porcellan=Ser- vice fanden wir in der Küche einzig die Reste einer zertrümmerten Schale, im Weinkeller nur noch geleerte Flaschen; in einem Zimmer einen Haufen zerrissener und verbrannter Kleidungsstücke; im Garten ein zertretener Kanarienvogelkäfig und Hunderte grüner Correspondenz=Couverts der „Kölnischen Zeitung“ umhergestreut! Der Platzcommandant, Hr. Major v. d. Lochau vom dritten preußischen Garderegiment zu Fuß, welcher uns aufs liebenswürdigste empfieng, war so freundlich durch seinen Adjutanten, Hrn. Premierlieutenant v. Cramm, eine Besichtigung des Hauses vor- nehmen zu lassen, und den völlig verwüsteten und ausgeplünderten Zustand desselben amtlich zu bescheinigen. Während wir uns mit dem feingebil- deten zuvorkommenden Herrn unterhielten, hatten wir Gelegenheit seine Geduld und Urbanität gegenüber der Ungeschliffenheit und Aufdringlich- keit der Franzosen, welche ihn mit allen erdenklichen Anliegen behelligten, zu bewundern. Kaum einer der nicht erst aufgefordert werden mußte die Thür hinter sich zu schließen und die Mütze im wohlgeheizten Zimmer vom Kopfe zu nehmen. Die meisten waren Pariser, welche sich erkundigen wollten wie sie in die Hauptstadt zurück gelangen könnten. Es wurde ihnen stets der Bescheid ertheilt daß sie entweder eines Regierungspasses vom General Trochu oder eines Geleitscheines von dem in St. Germain stationirten französischen Commissär bedürften, und daß in beiden Fällen der Geleitschein von dem preußischen General v. Kessel in der Allée de Courbevoie zu Asnières abzustempeln sei. Trotz dieser deutlichen Erklä- rung waren die schwatzhaften Leute meistens nicht zum Fortgehen zu be- wegen ehe man ihnen die Thür öffnete. Der Maire von Asnières hatte sich anfangs sehr renitent gezeigt. Er behauptete daß weder Wein noch sonstige Lebensmittel in dem Orte vorhanden seien; sobald er jedoch die Drohung vernahm daß man solchen Falls in den Häusern selbst nachsuchen werde, versprach er alles Verlangte zu liefern, und hielt auch Wort. Als wir Abends den Bahnhof erreichten, ward uns die unangenehme Nachricht daß vor heute Morgens kein Zug mehr nach Versailles gehe. Durch die Freundlichkeit einiger Gardesoldaten, die uns eines ihrer Betten für die Nacht abtraten, fanden wir noch ein Unterkommen in einem ver- lassenen hübsch möblirten Hause. Sogar ein elegantes Pianino war dort zurück geblieben, und wir sangen mit unseren neuen Cameraden bis tief in die Nacht hinein deutsche Lieder, die ein Soldat mit großem Geschick auf dem Claviere begleitete. Eine französische Bäckersfamilie, die im Nachbar- hause wohnte, lud uns ein ihr Abendessen zu theilen. Die guten Leute tischten auf was sie irgend noch besaßen: eine schmackhafte Bouillon, ein Stück Rindfleisch, Sardinen, Wurst, Früchte und trefflichen Rothwein. Der Mann hatte in der berittenen Nationalgarde gedient und alle Leiden der Belagerung in Paris mit durchgemacht. Sein Pferd, das er sich für 2000 Francs angeschafft, war ihm abrequirirt und nur mit 840 Francs bezahlt worden. Er hatte das Fleisch von Pferden, Maulthieren, Eseln, Hunden, Katzen und Elephanten verspeist -- am erträglichsten fand er das Esels= und Hundefleisch, dessen zarten Geschmack er rühmte. Jm Anfange der Belagerung hatte er die großen Spiegelscheiben seines Ladens und des dahinterliegenden Eßzimmers nach Paris geschafft, um sie vor Zertrümme- rung zu schützen. Jn Folge dessen saßen wir zähneklappernd bei Tische, während der Wind durch die offenen Fensterhöhlen heulte und die flackernde Lampe jeden Augenblick zu erlöschen drohte. Heute Morgens kehrte ich mit einem Personenzuge, deren fortan bis auf weiteres täglich zwei zwischen Paris und Versailles fahren, hieher zu- rück. Der Personenverkehr ist jedoch sehr beschränkt worden, da man in Erfahrung gebracht daß viele französische Officiere in Civilkleidung Paris verlassen um sich nach dem Süden durchzuschleichen. Bei der Ankunft in Versailles wurde jeder Ankömmling aufs genaueste examinirt, um seine Jdentität festzustellen, und mancher konnte erst den Bahnhof verlassen nachdem er von dem anwesenden französischen Commissär oder von herbei gerufenen Bekannten recognoscirt worden war. * Aus den Hauptquartieren in Versailles vom 8 Febr. wird dem „St. - Anz.“ berichtet: „Es läßt sich schon jetzt übersehen daß der Zug von der Pro- vinz nach Paris hinein ein bei weitem geringerer ist als umgekehrt. So viele Jnteressen, namentlich pecuniärer Natur, die Leute aus den nächstgelegenen Districten an Paris fesseln, von wo sie ihre Renten beziehen, so fürchtet man doch die große Stadt, deren Gesundheitszustand sich nur allmählich in Folge des Ravitaillement bessern wird. Die Zahl der Kranken in den Hospitälern ist eine wahrhaft erschreckende: so befinden sich z. B. in der großen Krankenanstalt unterhalb Bicêtre nicht weniger als 1200 Personen die an den Pocken krank liegen. Durch den Johanniter Grafen Maltzan ist schon vor einigen Tagen mit der internationalen Gesellschaft in Paris verhandelt worden. Man hat die deutschen Verwundeten die sich in Paris befanden diesseits übernommen. Die Pariser Regierung hat ferner ein- gewilligt daß zum Transport verwundeter deutscher Krieger, die nach Lagny evacuirt werden sollen, die Pariser Gürtelbahn benutzt werden darf. -- 9 Febr. Der Prinz Friedrich Karl hat sich gestern Morgen über Orleans ins Hauptquartier Tours zurückbegeben. Der Prinz nahm am letzten Tag seiner Anwesenheit das Mahl bei Sr. Maj. ein, und verweilte den Abend über beim Kronprinzen in der Villa „Les Ombrages.“ Die Fügung hat gewollt daß dieselben Truppentheile des 5. preußischen Armeecorps die im Verein mit den Bayern die kriegerischen Operationen der 3. Armee bei Weißenburg so glücklich begannen, auch das letzte Gefecht, das vor Paris stattfand, bestehen mußten. Das 5. Corps war während des ganzen Kriegs dem Oberbefehl des Kronprinzen unterstellt gewesen, es nahm an dem Vor- postendienst auf der Westfront von Paris in hervorragender Weise theil, indem es gerade die vom Mont Valérien am meisten gefährdeten Stellen, zwischen Sèvres und Rocquencourt, inne hatte. Das Commando des 5. Corps lag in Versailles, der Stab der 9. Division ebendaselbst, der der 10. im Schlosse Beauregard,2 1 / 2 Kilometer von Versailles, auf der Straße zwischen Rocquencourt und St. Cloud.“ Wie die Pariser „Presse“ mittheilt, ist eine Commission in Ver- sailles damit beauftragt die nicht vorhergesehenen oder nicht angedeute- ten Details der Convention vom 28 Januar zu regeln. Diese Commission, welche seit dem 9 d. functionirt, ist aus sechs Mitgliedern gebildet, je drei für Frankreich und für Deutschland. Die drei Franzosen sind: de Ring, vom Ministerium des Aeußern, der Cabinetschef des Polizeipräfecten und ein Oberst des Generalstabs vom Kriegsministerium. Die drei deutschen Commissäre sind den entsprechenden administrativen Stellungen ent- nommen. * Der Präfect von Lyon, Challemel Lacour, hat seine Entlassung eingereicht, und ist durch Valentin, den ehemaligen Präfecten von Straß- burg, ersetzt worden. Jn einer Sitzung des Stadtraths vom 7 erstatteten die HH. Hénon, Barodet und Vallier Bericht über ihre Sendung nach Bordeaux, um den Krieg bis aufs äußerste zu verlangen, doch verlautet nichts über den Jnhalt desselben. Am nämlichen Tage wurden den drei Legionen des Elsaßes und Lothringens die Fahnen verliehen, dieselben sind von den Damen der Departements Ober= und Niederrhein und Mosel gefertigt worden. Die in Lyon anwesenden Elsäßer und Lothringer mach- ten dabei eine Demonstration, indem sie eine Fahne mit der Jnschrift „Elsaß und Lothringen bleiben französisch“ vor sich hertrugen. Als die Fahne der 2. Legion durch den Unterpräfecten Heinrich von Mülhausen mit dem Bemerken überreicht wurde daß sie von den Damen Colmars ge- arbeitet sei, leisteten die Officiere mit lauter Stimme einen Eid diese Fahne nach Colmar zurückzutragen. Wie zahlreich diese Legionen sind, ist nicht gesagt, doch scheinen auch andere den Elsäßern mehr oder minder verwandte * ) Das Zeichen einer gewiß energischen Vertheidigung wenn provisorische An- lagen offene Laufgräben erfordern.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg (Bayern), 16. Februar 1871, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg47_1871/4>, abgerufen am 28.04.2024.