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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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einzige Erzieher dieses Zöglings sein werde, sondern daß
man, um Einseitigkeit zu vermeiden, für diesen Zögling
eine kollegialische Erziehung durch ein halbes Dutzend Er-
zieher bestellen werde, welche unter einander nach den Ta-
gesstunden in ihrem erziehenden Geschäft abwechseln sollten,
daß er mit diesen Kollegen sich über die Grundsätze der Er-
ziehung zu verständigen suchen müsse, daß er aber jedenfalls
mit diesen gemeinschaftlich die Verantwortlichkeit für das
Resultat zu tragen haben werde, dann würde sicherlich die-
ser Erzieher sich auf dem Absatz umgedreht haben, und in
drei Sprüngen die Treppe hinabgeeilt sein, in der Meinung,
er sei in ein Haus gerathen, wo es bei den Leuten im
Oberstübchen nicht ganz geheuer sein möge.

Jndessen, wir stehen nun einmal in unserem ganzen
modernen Staatsleben auf jenem erleuchteten Standpunkte,
wo das Gewicht einer sittlichen Persönlichkeit gleich Null
gilt, und alles Heil von den durch unsere formale Weisheit
zu entwerfenden Jnstruktionen und leitenden Vorschriften
erwartet wird, und so dürfen wir uns denn auch nicht
wundern, daß man ebenso unserem kränkelnden und immer
mehr absterbenden Schulleben stets nur durch formale
Aenderungen, durch vermeintliche Verbesserungen im Lehr-
plane, und durch Erlasse, Jnstruktionen, Vorschriften, Be-
fehle und Verbote aller Art wieder auf die Beine zu helfen
sucht, dem eigentlichen Sitze der Krankheit aber um keinen
Preis zu Leibe geht. Und da man ferner im Schulwesen
nun einmal die eigentliche sittlich bildende Wirkung nicht
von den Personen, sondern von der Wissenschaftlich-
keit
des Unterrichts erwartet, so ist es auch ganz natür-
lich, daß man von Unten bis Oben das Lehrgeschäft unter

einzige Erzieher dieſes Zöglings ſein werde, ſondern daß
man, um Einſeitigkeit zu vermeiden, für dieſen Zögling
eine kollegialiſche Erziehung durch ein halbes Dutzend Er-
zieher beſtellen werde, welche unter einander nach den Ta-
gesſtunden in ihrem erziehenden Geſchäft abwechſeln ſollten,
daß er mit dieſen Kollegen ſich über die Grundſätze der Er-
ziehung zu verſtändigen ſuchen müſſe, daß er aber jedenfalls
mit dieſen gemeinſchaftlich die Verantwortlichkeit für das
Reſultat zu tragen haben werde, dann würde ſicherlich die-
ſer Erzieher ſich auf dem Abſatz umgedreht haben, und in
drei Sprüngen die Treppe hinabgeeilt ſein, in der Meinung,
er ſei in ein Haus gerathen, wo es bei den Leuten im
Oberſtübchen nicht ganz geheuer ſein möge.

Jndeſſen, wir ſtehen nun einmal in unſerem ganzen
modernen Staatsleben auf jenem erleuchteten Standpunkte,
wo das Gewicht einer ſittlichen Perſönlichkeit gleich Null
gilt, und alles Heil von den durch unſere formale Weisheit
zu entwerfenden Jnſtruktionen und leitenden Vorſchriften
erwartet wird, und ſo dürfen wir uns denn auch nicht
wundern, daß man ebenſo unſerem kränkelnden und immer
mehr abſterbenden Schulleben ſtets nur durch formale
Aenderungen, durch vermeintliche Verbeſſerungen im Lehr-
plane, und durch Erlaſſe, Jnſtruktionen, Vorſchriften, Be-
fehle und Verbote aller Art wieder auf die Beine zu helfen
ſucht, dem eigentlichen Sitze der Krankheit aber um keinen
Preis zu Leibe geht. Und da man ferner im Schulweſen
nun einmal die eigentliche ſittlich bildende Wirkung nicht
von den Perſonen, ſondern von der Wiſſenſchaftlich-
keit
des Unterrichts erwartet, ſo iſt es auch ganz natür-
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[93/0099] einzige Erzieher dieſes Zöglings ſein werde, ſondern daß man, um Einſeitigkeit zu vermeiden, für dieſen Zögling eine kollegialiſche Erziehung durch ein halbes Dutzend Er- zieher beſtellen werde, welche unter einander nach den Ta- gesſtunden in ihrem erziehenden Geſchäft abwechſeln ſollten, daß er mit dieſen Kollegen ſich über die Grundſätze der Er- ziehung zu verſtändigen ſuchen müſſe, daß er aber jedenfalls mit dieſen gemeinſchaftlich die Verantwortlichkeit für das Reſultat zu tragen haben werde, dann würde ſicherlich die- ſer Erzieher ſich auf dem Abſatz umgedreht haben, und in drei Sprüngen die Treppe hinabgeeilt ſein, in der Meinung, er ſei in ein Haus gerathen, wo es bei den Leuten im Oberſtübchen nicht ganz geheuer ſein möge. Jndeſſen, wir ſtehen nun einmal in unſerem ganzen modernen Staatsleben auf jenem erleuchteten Standpunkte, wo das Gewicht einer ſittlichen Perſönlichkeit gleich Null gilt, und alles Heil von den durch unſere formale Weisheit zu entwerfenden Jnſtruktionen und leitenden Vorſchriften erwartet wird, und ſo dürfen wir uns denn auch nicht wundern, daß man ebenſo unſerem kränkelnden und immer mehr abſterbenden Schulleben ſtets nur durch formale Aenderungen, durch vermeintliche Verbeſſerungen im Lehr- plane, und durch Erlaſſe, Jnſtruktionen, Vorſchriften, Be- fehle und Verbote aller Art wieder auf die Beine zu helfen ſucht, dem eigentlichen Sitze der Krankheit aber um keinen Preis zu Leibe geht. Und da man ferner im Schulweſen nun einmal die eigentliche ſittlich bildende Wirkung nicht von den Perſonen, ſondern von der Wiſſenſchaftlich- keit des Unterrichts erwartet, ſo iſt es auch ganz natür- lich, daß man von Unten bis Oben das Lehrgeſchäft unter

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/99>, abgerufen am 02.05.2024.