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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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Erziehung, es ist traurig, wenn man dieses in einem Lande
nicht mehr weiß, welches so lange Zeit halb Europa mit
Erziehern versorgte. Der unbedeutendste dieser Erzieher,
der jüngste Kandidat der Theologie, welcher irgendwo eine
Hauslehrerstelle mit erziehenden Verpflichtungen übernahm,
wußte früher ganz klar, welche Stellung er fordern müsse,
um eine Verantwortlichkeit für seine erziehende Thätigkeit
zu übernehmen, und wenn ihm diese Bedingungen nicht gewährt
wurden, so lehnte er entweder die Verantwortlichkeit oder
die Stelle ab. Wenn man einem solchen Erzieher bei
seinem Eintritt in das Haus eine schriftliche Anweisung
überreicht hätte, in welcher nicht blos Alles, was er zu
thun habe, genau verzeichnet stünde, sondern auch die Art,
wie er es zu thun habe, mit welchen Hülfsmitteln und Lehr-
büchern, nach welcher Methode, in welcher Aufeinanderfolge
der Zeit und in welchen Tagesstunden, ferner wie weit er
in jedem einzelnen Gegenstande von Jahr zu Jahr kommen
müsse, wie groß die Aufgaben sein könnten, welche er Tag
für Tag seinem Zögling zumuthen dürfe, endlich in welchen
Fällen er strafen dürfe, und in welchen Fällen nicht, so
würde der angehende Erzieher sich sehr gewundert haben,
daß man unter solchen Verhältnissen einen erziehenden Ein-
fluß von ihm erwarte. Wenn man ihm dann ferner gesagt
haben würde, daß er bei seiner Thätigkeit unter die fort-
währende Aufsicht eines respektabeln Jnstanzenzugs gestellt
werden solle, welcher darüber wachen werde, daß er sich in
Allem genau an die vorgeschriebene Form halte, dann würde
dieser Erzieher kaum mehr gewußt haben, ob er wache oder
träume. Hätte man aber endlich gar diesem ehrsamen Kan-
didaten der Theologie noch weiter eröffnet, daß er nicht der

Erziehung, es iſt traurig, wenn man dieſes in einem Lande
nicht mehr weiß, welches ſo lange Zeit halb Europa mit
Erziehern verſorgte. Der unbedeutendſte dieſer Erzieher,
der jüngſte Kandidat der Theologie, welcher irgendwo eine
Hauslehrerſtelle mit erziehenden Verpflichtungen übernahm,
wußte früher ganz klar, welche Stellung er fordern müſſe,
um eine Verantwortlichkeit für ſeine erziehende Thätigkeit
zu übernehmen, und wenn ihm dieſe Bedingungen nicht gewährt
wurden, ſo lehnte er entweder die Verantwortlichkeit oder
die Stelle ab. Wenn man einem ſolchen Erzieher bei
ſeinem Eintritt in das Haus eine ſchriftliche Anweiſung
überreicht hätte, in welcher nicht blos Alles, was er zu
thun habe, genau verzeichnet ſtünde, ſondern auch die Art,
wie er es zu thun habe, mit welchen Hülfsmitteln und Lehr-
büchern, nach welcher Methode, in welcher Aufeinanderfolge
der Zeit und in welchen Tagesſtunden, ferner wie weit er
in jedem einzelnen Gegenſtande von Jahr zu Jahr kommen
müſſe, wie groß die Aufgaben ſein könnten, welche er Tag
für Tag ſeinem Zögling zumuthen dürfe, endlich in welchen
Fällen er ſtrafen dürfe, und in welchen Fällen nicht, ſo
würde der angehende Erzieher ſich ſehr gewundert haben,
daß man unter ſolchen Verhältniſſen einen erziehenden Ein-
fluß von ihm erwarte. Wenn man ihm dann ferner geſagt
haben würde, daß er bei ſeiner Thätigkeit unter die fort-
währende Aufſicht eines reſpektabeln Jnſtanzenzugs geſtellt
werden ſolle, welcher darüber wachen werde, daß er ſich in
Allem genau an die vorgeſchriebene Form halte, dann würde
dieſer Erzieher kaum mehr gewußt haben, ob er wache oder
träume. Hätte man aber endlich gar dieſem ehrſamen Kan-
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[92/0098] Erziehung, es iſt traurig, wenn man dieſes in einem Lande nicht mehr weiß, welches ſo lange Zeit halb Europa mit Erziehern verſorgte. Der unbedeutendſte dieſer Erzieher, der jüngſte Kandidat der Theologie, welcher irgendwo eine Hauslehrerſtelle mit erziehenden Verpflichtungen übernahm, wußte früher ganz klar, welche Stellung er fordern müſſe, um eine Verantwortlichkeit für ſeine erziehende Thätigkeit zu übernehmen, und wenn ihm dieſe Bedingungen nicht gewährt wurden, ſo lehnte er entweder die Verantwortlichkeit oder die Stelle ab. Wenn man einem ſolchen Erzieher bei ſeinem Eintritt in das Haus eine ſchriftliche Anweiſung überreicht hätte, in welcher nicht blos Alles, was er zu thun habe, genau verzeichnet ſtünde, ſondern auch die Art, wie er es zu thun habe, mit welchen Hülfsmitteln und Lehr- büchern, nach welcher Methode, in welcher Aufeinanderfolge der Zeit und in welchen Tagesſtunden, ferner wie weit er in jedem einzelnen Gegenſtande von Jahr zu Jahr kommen müſſe, wie groß die Aufgaben ſein könnten, welche er Tag für Tag ſeinem Zögling zumuthen dürfe, endlich in welchen Fällen er ſtrafen dürfe, und in welchen Fällen nicht, ſo würde der angehende Erzieher ſich ſehr gewundert haben, daß man unter ſolchen Verhältniſſen einen erziehenden Ein- fluß von ihm erwarte. Wenn man ihm dann ferner geſagt haben würde, daß er bei ſeiner Thätigkeit unter die fort- währende Aufſicht eines reſpektabeln Jnſtanzenzugs geſtellt werden ſolle, welcher darüber wachen werde, daß er ſich in Allem genau an die vorgeſchriebene Form halte, dann würde dieſer Erzieher kaum mehr gewußt haben, ob er wache oder träume. Hätte man aber endlich gar dieſem ehrſamen Kan- didaten der Theologie noch weiter eröffnet, daß er nicht der

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/98>, abgerufen am 21.11.2024.