Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

möglichst viele Lehrer vertheilt, weil Jeder es um so leich-
ter zur Meisterschaft bringt, auf ein je kleineres Gebiet er
sich beschränkt, wie man das bekanntlich in jeder Fabrik
sehen kann, wo der eine Arbeiter dieses Stück, der andere
jenes anfertigt. Zuletzt setzt man dann die einzelnen Stücke
zusammen, und da gibt es ein herrliches Ganzes, wenig-
stens in der Fabrik. Jn der Schule unterliegt freilich diese
letztere Operation des Zusammenfassens größeren Schwie-
rigkeiten: "Die Theile hat er in seiner Hand, fehlt leider
nur das geistige Band." Jndessen, der Kraft des Begriffes
ist ja kein Ding unmöglich.

Aber unter welchen Bedingungen kann denn der
Unterricht für sich allein, und abgesehen von dem, was
die Persönlichkeit des Lehrers dabei leistet, die erziehenden
Wirkungen äußern, welche man von ihm erwartet?

Jeder Unterricht, als solcher, kann nur insofern sittlich
bildend wirken, als er an die in unserem Bewußtsein bereits
niedergelegten sittlichen Erfahrungen erinnert, durch Dar-
legung ähnlicher Beispiele jene Empfindungen auffrischt,
und durch Erklärung ihrer höheren Bedeutung unser Jn-
teresse für sittliche Wahrheiten steigert. Schon hieraus ergibt
sich von selbst, daß die wissenschaftliche Form des
Unterrichts keine sittlich bildende Kraft haben könne, weil
sie sich an den Verstand und nicht an das sittliche Bewußt-
sein wendet, und daß, je mehr die Gedanken auf die wis-
seuschaftliche Form hingelenkt werden, um so weniger sie
sich dem sittlichen Bewußtsein zuwenden können. Und das
Nämliche wird von allem Wissen überhaupt gelten, mag
es nun mehr den Verstand oder mehr das Gedächtniß in
Anspruch nehmen. Einen sittlich bildenden Einfluß hat das

möglichſt viele Lehrer vertheilt, weil Jeder es um ſo leich-
ter zur Meiſterſchaft bringt, auf ein je kleineres Gebiet er
ſich beſchränkt, wie man das bekanntlich in jeder Fabrik
ſehen kann, wo der eine Arbeiter dieſes Stück, der andere
jenes anfertigt. Zuletzt ſetzt man dann die einzelnen Stücke
zuſammen, und da gibt es ein herrliches Ganzes, wenig-
ſtens in der Fabrik. Jn der Schule unterliegt freilich dieſe
letztere Operation des Zuſammenfaſſens größeren Schwie-
rigkeiten: „Die Theile hat er in ſeiner Hand, fehlt leider
nur das geiſtige Band.“ Jndeſſen, der Kraft des Begriffes
iſt ja kein Ding unmöglich.

Aber unter welchen Bedingungen kann denn der
Unterricht für ſich allein, und abgeſehen von dem, was
die Perſönlichkeit des Lehrers dabei leiſtet, die erziehenden
Wirkungen äußern, welche man von ihm erwartet?

Jeder Unterricht, als ſolcher, kann nur inſofern ſittlich
bildend wirken, als er an die in unſerem Bewußtſein bereits
niedergelegten ſittlichen Erfahrungen erinnert, durch Dar-
legung ähnlicher Beiſpiele jene Empfindungen auffriſcht,
und durch Erklärung ihrer höheren Bedeutung unſer Jn-
tereſſe für ſittliche Wahrheiten ſteigert. Schon hieraus ergibt
ſich von ſelbſt, daß die wiſſenſchaftliche Form des
Unterrichts keine ſittlich bildende Kraft haben könne, weil
ſie ſich an den Verſtand und nicht an das ſittliche Bewußt-
ſein wendet, und daß, je mehr die Gedanken auf die wiſ-
ſeuſchaftliche Form hingelenkt werden, um ſo weniger ſie
ſich dem ſittlichen Bewußtſein zuwenden können. Und das
Nämliche wird von allem Wiſſen überhaupt gelten, mag
es nun mehr den Verſtand oder mehr das Gedächtniß in
Anſpruch nehmen. Einen ſittlich bildenden Einfluß hat das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="94"/>
möglich&#x017F;t <hi rendition="#g">viele</hi> Lehrer vertheilt, weil Jeder es um &#x017F;o leich-<lb/>
ter zur Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft bringt, auf ein je kleineres Gebiet er<lb/>
&#x017F;ich be&#x017F;chränkt, wie man das bekanntlich in jeder Fabrik<lb/>
&#x017F;ehen kann, wo der eine Arbeiter die&#x017F;es Stück, der andere<lb/>
jenes anfertigt. Zuletzt &#x017F;etzt man dann die einzelnen Stücke<lb/>
zu&#x017F;ammen, und da gibt es ein herrliches Ganzes, wenig-<lb/>
&#x017F;tens in der Fabrik. Jn der Schule unterliegt freilich die&#x017F;e<lb/>
letztere Operation des Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;ens größeren Schwie-<lb/>
rigkeiten: &#x201E;Die Theile hat er in &#x017F;einer Hand, fehlt leider<lb/>
nur das gei&#x017F;tige Band.&#x201C; Jnde&#x017F;&#x017F;en, der Kraft des Begriffes<lb/>
i&#x017F;t ja kein Ding unmöglich.</p><lb/>
        <p>Aber unter welchen <hi rendition="#g">Bedingungen</hi> kann denn der<lb/><hi rendition="#g">Unterricht</hi> für &#x017F;ich allein, und abge&#x017F;ehen von dem, was<lb/>
die Per&#x017F;önlichkeit des Lehrers dabei lei&#x017F;tet, die erziehenden<lb/>
Wirkungen äußern, welche man von ihm erwartet?</p><lb/>
        <p>Jeder Unterricht, als &#x017F;olcher, kann nur in&#x017F;ofern &#x017F;ittlich<lb/>
bildend wirken, als er an die in un&#x017F;erem Bewußt&#x017F;ein bereits<lb/>
niedergelegten &#x017F;ittlichen Erfahrungen <hi rendition="#g">erinnert,</hi> durch Dar-<lb/>
legung ähnlicher Bei&#x017F;piele jene Empfindungen auffri&#x017F;cht,<lb/>
und durch Erklärung ihrer höheren Bedeutung un&#x017F;er Jn-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e für &#x017F;ittliche Wahrheiten &#x017F;teigert. Schon hieraus ergibt<lb/>
&#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, daß die <hi rendition="#g">wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Form</hi> des<lb/>
Unterrichts keine &#x017F;ittlich bildende Kraft haben könne, weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich an den Ver&#x017F;tand und nicht an das &#x017F;ittliche Bewußt-<lb/>
&#x017F;ein wendet, und daß, je mehr die Gedanken auf die wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eu&#x017F;chaftliche Form hingelenkt werden, um &#x017F;o weniger &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich dem &#x017F;ittlichen Bewußt&#x017F;ein zuwenden können. Und das<lb/>
Nämliche wird von allem <hi rendition="#g">Wi&#x017F;&#x017F;en</hi> überhaupt gelten, mag<lb/>
es nun mehr den Ver&#x017F;tand oder mehr das Gedächtniß in<lb/>
An&#x017F;pruch nehmen. Einen &#x017F;ittlich bildenden Einfluß hat das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0100] möglichſt viele Lehrer vertheilt, weil Jeder es um ſo leich- ter zur Meiſterſchaft bringt, auf ein je kleineres Gebiet er ſich beſchränkt, wie man das bekanntlich in jeder Fabrik ſehen kann, wo der eine Arbeiter dieſes Stück, der andere jenes anfertigt. Zuletzt ſetzt man dann die einzelnen Stücke zuſammen, und da gibt es ein herrliches Ganzes, wenig- ſtens in der Fabrik. Jn der Schule unterliegt freilich dieſe letztere Operation des Zuſammenfaſſens größeren Schwie- rigkeiten: „Die Theile hat er in ſeiner Hand, fehlt leider nur das geiſtige Band.“ Jndeſſen, der Kraft des Begriffes iſt ja kein Ding unmöglich. Aber unter welchen Bedingungen kann denn der Unterricht für ſich allein, und abgeſehen von dem, was die Perſönlichkeit des Lehrers dabei leiſtet, die erziehenden Wirkungen äußern, welche man von ihm erwartet? Jeder Unterricht, als ſolcher, kann nur inſofern ſittlich bildend wirken, als er an die in unſerem Bewußtſein bereits niedergelegten ſittlichen Erfahrungen erinnert, durch Dar- legung ähnlicher Beiſpiele jene Empfindungen auffriſcht, und durch Erklärung ihrer höheren Bedeutung unſer Jn- tereſſe für ſittliche Wahrheiten ſteigert. Schon hieraus ergibt ſich von ſelbſt, daß die wiſſenſchaftliche Form des Unterrichts keine ſittlich bildende Kraft haben könne, weil ſie ſich an den Verſtand und nicht an das ſittliche Bewußt- ſein wendet, und daß, je mehr die Gedanken auf die wiſ- ſeuſchaftliche Form hingelenkt werden, um ſo weniger ſie ſich dem ſittlichen Bewußtſein zuwenden können. Und das Nämliche wird von allem Wiſſen überhaupt gelten, mag es nun mehr den Verſtand oder mehr das Gedächtniß in Anſpruch nehmen. Einen ſittlich bildenden Einfluß hat das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/100
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/100>, abgerufen am 24.11.2024.