Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kirche, wo sie diesen Glauben wenigstens ebenso sehr
bedürften, ohne Glauben dahinleben.

Aber gerade dieses nämliche Beispiel, aus welchem die
Kirchenmänner entnehmen könnten, daß der Verstand seine
natürlichen Rechte hat, welche sich nicht ungestraft im Na-
men des Glaubens aufheben lassen, dieses nämliche Beispiel
könnte auch unsere gebildeten Denker lehren, daß der Ver-
stand seine natürlichen Grenzen hat, über welche hinaus
er nichts mehr vermag. Stellt euch doch einmal hinaus,
ihr Hochgebildeten, in einer sternenhellen Nacht und be-
trachtet die zahllosen Sterne. Jhr wisset perfekt, daß das
nicht Lichter sind, welche an einem über die Erde ausge-
spannten Gewölbe, Himmel genannt, hängen, sondern daß
das Weltkörper sind, welche in einem unendlichen Raume
schweben. Jhr wisset, daß die einen derselben uns näher
sind als die anderen, wieder andere liegen noch ferner von
uns, hinter diesen sind wieder andere, und nun denkt euch
doch gefälligst einmal, daß das in alle Ewigkeit so fort-
gehe, und daß hinter diesen Sternen immer wieder andere
seien, oder doch daß der Raum, in welchem sie schwimmen,
endlos sei, endlos -- denkt euch das doch gefälligst einmal,
ihr starken Denker! Kann euer Verstand, kann eure Phan-
tasie, kann all' eure Geisteskraft zusammengenommen, einen
endlosen Raum denken? Nein, ihr könnt es nicht. Wohlan,
so denket euch doch einmal das Gegentheil, denket euch hin-
ter diesem tiefen, endlos scheinenden Blau und hinter den
letzten, entferntesten Sternen eine Grenze, hinter welcher
nichts mehr kommt, aber wohlverstanden: lediglich gar nichts,
nicht einmal ein leerer Raum. Könnt ihr das? Auch nicht?
Nun, so denket euch doch wenigstens, daß keines von beiden

der Kirche, wo ſie dieſen Glauben wenigſtens ebenſo ſehr
bedürften, ohne Glauben dahinleben.

Aber gerade dieſes nämliche Beiſpiel, aus welchem die
Kirchenmänner entnehmen könnten, daß der Verſtand ſeine
natürlichen Rechte hat, welche ſich nicht ungeſtraft im Na-
men des Glaubens aufheben laſſen, dieſes nämliche Beiſpiel
könnte auch unſere gebildeten Denker lehren, daß der Ver-
ſtand ſeine natürlichen Grenzen hat, über welche hinaus
er nichts mehr vermag. Stellt euch doch einmal hinaus,
ihr Hochgebildeten, in einer ſternenhellen Nacht und be-
trachtet die zahlloſen Sterne. Jhr wiſſet perfekt, daß das
nicht Lichter ſind, welche an einem über die Erde ausge-
ſpannten Gewölbe, Himmel genannt, hängen, ſondern daß
das Weltkörper ſind, welche in einem unendlichen Raume
ſchweben. Jhr wiſſet, daß die einen derſelben uns näher
ſind als die anderen, wieder andere liegen noch ferner von
uns, hinter dieſen ſind wieder andere, und nun denkt euch
doch gefälligſt einmal, daß das in alle Ewigkeit ſo fort-
gehe, und daß hinter dieſen Sternen immer wieder andere
ſeien, oder doch daß der Raum, in welchem ſie ſchwimmen,
endlos ſei, endlos — denkt euch das doch gefälligſt einmal,
ihr ſtarken Denker! Kann euer Verſtand, kann eure Phan-
taſie, kann all’ eure Geiſteskraft zuſammengenommen, einen
endloſen Raum denken? Nein, ihr könnt es nicht. Wohlan,
ſo denket euch doch einmal das Gegentheil, denket euch hin-
ter dieſem tiefen, endlos ſcheinenden Blau und hinter den
letzten, entfernteſten Sternen eine Grenze, hinter welcher
nichts mehr kommt, aber wohlverſtanden: lediglich gar nichts,
nicht einmal ein leerer Raum. Könnt ihr das? Auch nicht?
Nun, ſo denket euch doch wenigſtens, daß keines von beiden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="69"/>
der Kirche, wo &#x017F;ie die&#x017F;en Glauben wenig&#x017F;tens eben&#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
bedürften, ohne Glauben dahinleben.</p><lb/>
        <p>Aber gerade die&#x017F;es nämliche Bei&#x017F;piel, aus welchem die<lb/>
Kirchenmänner entnehmen könnten, daß der Ver&#x017F;tand &#x017F;eine<lb/>
natürlichen <hi rendition="#g">Rechte</hi> hat, welche &#x017F;ich nicht unge&#x017F;traft im Na-<lb/>
men des Glaubens aufheben la&#x017F;&#x017F;en, die&#x017F;es nämliche Bei&#x017F;piel<lb/>
könnte auch un&#x017F;ere gebildeten Denker lehren, daß der Ver-<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;eine natürlichen <hi rendition="#g">Grenzen</hi> hat, über welche hinaus<lb/>
er nichts mehr vermag. Stellt euch doch einmal hinaus,<lb/>
ihr Hochgebildeten, in einer &#x017F;ternenhellen Nacht und be-<lb/>
trachtet die zahllo&#x017F;en Sterne. Jhr wi&#x017F;&#x017F;et perfekt, daß das<lb/>
nicht Lichter &#x017F;ind, welche an einem über die Erde ausge-<lb/>
&#x017F;pannten Gewölbe, Himmel genannt, hängen, &#x017F;ondern daß<lb/>
das Weltkörper &#x017F;ind, welche in einem unendlichen Raume<lb/>
&#x017F;chweben. Jhr wi&#x017F;&#x017F;et, daß die einen der&#x017F;elben uns näher<lb/>
&#x017F;ind als die anderen, wieder andere liegen noch ferner von<lb/>
uns, hinter die&#x017F;en &#x017F;ind wieder andere, und nun denkt euch<lb/>
doch gefällig&#x017F;t einmal, daß das in alle Ewigkeit &#x017F;o fort-<lb/>
gehe, und daß hinter die&#x017F;en Sternen immer wieder andere<lb/>
&#x017F;eien, oder doch daß der Raum, in welchem &#x017F;ie &#x017F;chwimmen,<lb/>
endlos &#x017F;ei, endlos &#x2014; denkt euch das doch gefällig&#x017F;t einmal,<lb/>
ihr &#x017F;tarken Denker! Kann euer Ver&#x017F;tand, kann eure Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie, kann all&#x2019; eure Gei&#x017F;teskraft zu&#x017F;ammengenommen, einen<lb/>
endlo&#x017F;en Raum denken? Nein, ihr könnt es nicht. Wohlan,<lb/>
&#x017F;o denket euch doch einmal das Gegentheil, denket euch hin-<lb/>
ter die&#x017F;em tiefen, endlos &#x017F;cheinenden Blau und hinter den<lb/>
letzten, entfernte&#x017F;ten Sternen eine Grenze, hinter welcher<lb/>
nichts mehr kommt, aber wohlver&#x017F;tanden: lediglich gar nichts,<lb/>
nicht einmal ein leerer Raum. Könnt ihr das? Auch nicht?<lb/>
Nun, &#x017F;o denket euch doch wenig&#x017F;tens, daß keines von beiden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0075] der Kirche, wo ſie dieſen Glauben wenigſtens ebenſo ſehr bedürften, ohne Glauben dahinleben. Aber gerade dieſes nämliche Beiſpiel, aus welchem die Kirchenmänner entnehmen könnten, daß der Verſtand ſeine natürlichen Rechte hat, welche ſich nicht ungeſtraft im Na- men des Glaubens aufheben laſſen, dieſes nämliche Beiſpiel könnte auch unſere gebildeten Denker lehren, daß der Ver- ſtand ſeine natürlichen Grenzen hat, über welche hinaus er nichts mehr vermag. Stellt euch doch einmal hinaus, ihr Hochgebildeten, in einer ſternenhellen Nacht und be- trachtet die zahlloſen Sterne. Jhr wiſſet perfekt, daß das nicht Lichter ſind, welche an einem über die Erde ausge- ſpannten Gewölbe, Himmel genannt, hängen, ſondern daß das Weltkörper ſind, welche in einem unendlichen Raume ſchweben. Jhr wiſſet, daß die einen derſelben uns näher ſind als die anderen, wieder andere liegen noch ferner von uns, hinter dieſen ſind wieder andere, und nun denkt euch doch gefälligſt einmal, daß das in alle Ewigkeit ſo fort- gehe, und daß hinter dieſen Sternen immer wieder andere ſeien, oder doch daß der Raum, in welchem ſie ſchwimmen, endlos ſei, endlos — denkt euch das doch gefälligſt einmal, ihr ſtarken Denker! Kann euer Verſtand, kann eure Phan- taſie, kann all’ eure Geiſteskraft zuſammengenommen, einen endloſen Raum denken? Nein, ihr könnt es nicht. Wohlan, ſo denket euch doch einmal das Gegentheil, denket euch hin- ter dieſem tiefen, endlos ſcheinenden Blau und hinter den letzten, entfernteſten Sternen eine Grenze, hinter welcher nichts mehr kommt, aber wohlverſtanden: lediglich gar nichts, nicht einmal ein leerer Raum. Könnt ihr das? Auch nicht? Nun, ſo denket euch doch wenigſtens, daß keines von beiden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/75
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/75>, abgerufen am 02.05.2024.