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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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und der Verschwendung ertheilten Freibrief die bereits nur
allzu sehr gelockerten Bande der Zucht und Sitte sich bald
allgemein lösen würden. Dann haben wir keinen Staat mehr,
sondern eine Heerde wilder Thiere.

"Bildung für Alle" heißt die dritte Forderung der
Anarchie. Man sollte meinen, es sei ein Jrrthum, aber es
ist wirklich so, die zerstörungslustige Anarchie verlangt nach
Bildung. Was mag das wohl für eine fremdartige Bildung
sein, welche der Anarchie "eben recht" ist? Man mag von
der Anarchie noch so schlecht denken, aber Eines wird man
ihr lassen müssen: Sie weiß, was sie will, sie geht geraden
Weges auf ihr Ziel los und weiß dabei mit sicherem Jnstinkt
Freund und Feind wohl zu unterscheiden. Eine Bildung, gegen
deren Bestehen die Anarchie nichts einzuwenden hat, ja, die
sie sogar geradezu als Symbol ihres Strebens hinstellt, eine
solche Bildung kann unmöglich ihren Bestrebungen feindlich sein.

Sollte jene Bildung, deren Bundesgenossenschaft die
zerstörungslustige Anarchie anruft, vielleicht gar unsere eigene,
unsere hochgepriesene, von uns fast vergötterte moderne Bil-
dung sein? Das wäre eine sonderbare Erscheinung, welche
sich nicht einmal durch Unbekanntschaft mit der Sache er-
klären ließe, denn es standen ja überall Litteraten und Advo-
katen, Professoren und Geistliche, Aerzte und Kaufleute,
Schreiber und Volksschullehrer an der Spitze, welche doch
Alle genau wissen, was Bildung heißt. Aber Eines läßt sich
jedenfalls nicht bestreiten, und das ist immerhin schon un-
angenehm genug: Unsere so viel gepriesene und heutzutage
so allgemein verbreitete Bildung konnte den wie ein Lauf-
feuer sich verbreitenden anarchischen Bewegungen keinen
Damm entgegensetzen, während wir doch noch kurz zuvor ihr

und der Verſchwendung ertheilten Freibrief die bereits nur
allzu ſehr gelockerten Bande der Zucht und Sitte ſich bald
allgemein löſen würden. Dann haben wir keinen Staat mehr,
ſondern eine Heerde wilder Thiere.

Bildung für Alle“ heißt die dritte Forderung der
Anarchie. Man ſollte meinen, es ſei ein Jrrthum, aber es
iſt wirklich ſo, die zerſtörungsluſtige Anarchie verlangt nach
Bildung. Was mag das wohl für eine fremdartige Bildung
ſein, welche der Anarchie „eben recht“ iſt? Man mag von
der Anarchie noch ſo ſchlecht denken, aber Eines wird man
ihr laſſen müſſen: Sie weiß, was ſie will, ſie geht geraden
Weges auf ihr Ziel los und weiß dabei mit ſicherem Jnſtinkt
Freund und Feind wohl zu unterſcheiden. Eine Bildung, gegen
deren Beſtehen die Anarchie nichts einzuwenden hat, ja, die
ſie ſogar geradezu als Symbol ihres Strebens hinſtellt, eine
ſolche Bildung kann unmöglich ihren Beſtrebungen feindlich ſein.

Sollte jene Bildung, deren Bundesgenoſſenſchaft die
zerſtörungsluſtige Anarchie anruft, vielleicht gar unſere eigene,
unſere hochgeprieſene, von uns faſt vergötterte moderne Bil-
dung ſein? Das wäre eine ſonderbare Erſcheinung, welche
ſich nicht einmal durch Unbekanntſchaft mit der Sache er-
klären ließe, denn es ſtanden ja überall Litteraten und Advo-
katen, Profeſſoren und Geiſtliche, Aerzte und Kaufleute,
Schreiber und Volksſchullehrer an der Spitze, welche doch
Alle genau wiſſen, was Bildung heißt. Aber Eines läßt ſich
jedenfalls nicht beſtreiten, und das iſt immerhin ſchon un-
angenehm genug: Unſere ſo viel geprieſene und heutzutage
ſo allgemein verbreitete Bildung konnte den wie ein Lauf-
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[9/0015] und der Verſchwendung ertheilten Freibrief die bereits nur allzu ſehr gelockerten Bande der Zucht und Sitte ſich bald allgemein löſen würden. Dann haben wir keinen Staat mehr, ſondern eine Heerde wilder Thiere. „Bildung für Alle“ heißt die dritte Forderung der Anarchie. Man ſollte meinen, es ſei ein Jrrthum, aber es iſt wirklich ſo, die zerſtörungsluſtige Anarchie verlangt nach Bildung. Was mag das wohl für eine fremdartige Bildung ſein, welche der Anarchie „eben recht“ iſt? Man mag von der Anarchie noch ſo ſchlecht denken, aber Eines wird man ihr laſſen müſſen: Sie weiß, was ſie will, ſie geht geraden Weges auf ihr Ziel los und weiß dabei mit ſicherem Jnſtinkt Freund und Feind wohl zu unterſcheiden. Eine Bildung, gegen deren Beſtehen die Anarchie nichts einzuwenden hat, ja, die ſie ſogar geradezu als Symbol ihres Strebens hinſtellt, eine ſolche Bildung kann unmöglich ihren Beſtrebungen feindlich ſein. Sollte jene Bildung, deren Bundesgenoſſenſchaft die zerſtörungsluſtige Anarchie anruft, vielleicht gar unſere eigene, unſere hochgeprieſene, von uns faſt vergötterte moderne Bil- dung ſein? Das wäre eine ſonderbare Erſcheinung, welche ſich nicht einmal durch Unbekanntſchaft mit der Sache er- klären ließe, denn es ſtanden ja überall Litteraten und Advo- katen, Profeſſoren und Geiſtliche, Aerzte und Kaufleute, Schreiber und Volksſchullehrer an der Spitze, welche doch Alle genau wiſſen, was Bildung heißt. Aber Eines läßt ſich jedenfalls nicht beſtreiten, und das iſt immerhin ſchon un- angenehm genug: Unſere ſo viel geprieſene und heutzutage ſo allgemein verbreitete Bildung konnte den wie ein Lauf- feuer ſich verbreitenden anarchiſchen Bewegungen keinen Damm entgegenſetzen, während wir doch noch kurz zuvor ihr

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/15>, abgerufen am 26.04.2024.