Allgemeine Zeitung, Nr. 97, 7. April 1849.[Spaltenumbruch]
so mußte er umsomehr eine runde Antwort darauf ertheilen ob er selbst P Berlin, 4 April. Sie werden ohne Zweifel schon früher als der Ministerpräsident habe erklärt der König sey bereit unter Zustimmung der Regierungen und der Nationalversammlnng provisorisch die Leitung der Centralgewalt zu übernehmen. Wir sinden dieß nirgends bestätigt. Schleswig-Holstein. * Schleswig, 1 April. Heute hatte Schleswig *) Und die Nationalversammlung? **) Noch mehrere bayerische Truppen sind auf dem Marsch nach Schleswig,
namentlich auch das in Zweibrücken liegende vom Oberst v. Hailbronner befehligte Chevaulegersregiment. [Spaltenumbruch]
ſo mußte er umſomehr eine runde Antwort darauf ertheilen ob er ſelbſt P Berlin, 4 April. Sie werden ohne Zweifel ſchon früher als der Miniſterpräſident habe erklärt der König ſey bereit unter Zuſtimmung der Regierungen und der Nationalverſammlnng proviſoriſch die Leitung der Centralgewalt zu übernehmen. Wir ſinden dieß nirgends beſtätigt. Schleswig-Holſtein. * Schleswig, 1 April. Heute hatte Schleswig *) Und die Nationalverſammlung? **) Noch mehrere bayeriſche Truppen ſind auf dem Marſch nach Schleswig,
namentlich auch das in Zweibrücken liegende vom Oberſt v. Hailbronner befehligte Chevaulegersregiment. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1484"/><cb/> ſo mußte er umſomehr eine runde Antwort darauf ertheilen ob er ſelbſt<lb/> unter den vorliegenden Umſtänden dieſelbe anzunehmen bereit ſey, oder<lb/> nicht. Mit den Fürſten mag er ſich darüber verſtändigen ob ſie ihn aner-<lb/> kennen wollen; ehe dieſe Unterhandlungen aber beginnen können, hätte er<lb/> wiſſen und ausſprechen müſſen ob <hi rendition="#g">ihm</hi> die vom Volke gebotene Macht ge-<lb/> nügt. Die Erklärung wie ſie iſt macht die Sache noch verwickelter, eröff-<lb/> net den Fürſten, welche vielleicht den gewählten Kaiſer nur deßhalb nicht<lb/> anerkennen wollen weil <hi rendition="#g">ſie ſelbſt</hi> ihm keine Rechte zugeſtehen mögen,<lb/> ein weites Feld für etwaige Ausflüchte, und kann außerdem noch im<lb/> Volke das Mißtrauen erwecken: die neue Centralgewalt wolle wohl gar<lb/> damit anfangen in Gemeinſchaft mit den Fürſten eine Verfaſſung für<lb/> Deutſchland zu octroyiren. Ueberhaupt aber hätten wir gewünſcht daß<lb/> durch eine möglichſt präciſe Antwort des Königs der große Act der Kaiſer-<lb/> wahl eine gewiſſe Weihe erhalten hätte, wenn wir auch ſehr wohl wiſſen<lb/> daß wir aus den Zeiten Heinrichs des Finklers längſt heraus ſind, und<lb/> daher auch bei dieſer Gelegenheit keine ſo einfache, zu Herz und Gemüth<lb/> ſprechende dramatiſche Scene mehr zu erwarten hatten als frühere Jahr-<lb/> hunderte. Der unbefriedigende Eindruck von der Antwort des Königs<lb/> zeigte ſich am deutlichſten in der geſtrigen Sitzung der zweiten Kammer.<lb/> Wir wollen das Fortwirken des großen Gedankens von Frankfurt auch<lb/> dort betrachten. In einem Antrage von Parriſius hatte ſich während der<lb/> ganzen Sitzung die Mittelmäßigkeit breit gemacht, bis das Miniſterium<lb/> über den Empfang der Frankfurter Deputation beim König Bericht erſtat-<lb/> tete. Da war an die Stelle einer gelangweilten Verſammlung plötzlich<lb/> eine ſtürmiſche getreten. Auf der Linken bildeten ſich Gruppen, von den<lb/> auf ihren Bänken ſitzenden Männern wurde heftig geſticulirt. Aber auch<lb/> die Rechte war ſehr bewegt. Nachdem Vincke den Antrag auf Nieder-<lb/> ſetzung einer neuen Adreßcommiſſion geſtellt hatte, die Sitzung auf eine<lb/> halbe Stunde vertagt, und währenddem durch die Abtheilungen die Com-<lb/> miſſion gewählt war, handelte es ſich darum ob dem bedenklichen Stürmen<lb/> und Drängen der Linken nun auch noch das Geſchäftsreglement geopfert und<lb/> die Adreſſe ſchon berathen werden ſolle, ohne 24 Stunden vorher den einzel-<lb/> nen Deputirten gedruckt vorgelegen zu haben. Man ſah wohl wieviel<lb/> Gewicht alle im parlamentariſchen Leben erfahrenen Männer auf dieſe<lb/> Formfrage legten. Zunächſt ſchickte die äußerſte Rechte Kleiſt-Retzow auf<lb/> die Rednerbühne um dort in militäriſcher Haltung für die Geſchäftsord-<lb/> nung zu donnern. Hr. Parriſtus mit einer möglichſt langen Rede von<lb/> gewohnter Unbedeutenheit drängte ſich wieder in die wichtigen Verhand-<lb/> lungen hinein. Bald aber kam der gewandte Keller, das ehemalige Haupt<lb/> der Züricher Radicalen, und meinte: man müſſe ſich in einem ſolchen Au-<lb/> genblick glücklich preiſen wenn man 24 Stunden zu ruhiger Ueberlegung<lb/> habe. Schon ſteht und rennt auf der Linken alles durcheinander. Ko-<lb/> miſch war es wie von der äußerſten Linken Berends und Jung für ihre<lb/> ultramontanen Freunde die Aeußerung hinwarfen: die Sitzung müſſe am<lb/> folgenden Tag (heute) ſtattfinden, denn der Gründonnerstag ſey für viele<lb/> Mitglieder ein wichtiger Feſttag. Wie eifrig Waldeck und der Bürger-<lb/> caplan — ſo nennt die Neue Preußiſche Zeitung Hrn. v. Berg — dieſen<lb/> Wink von Seiten des ſpecifiſchen Berlinerthums auffaßte! Beide gaben<lb/> ſo feierliche Erklärungen ab daß Hr. v. Berg, ein ungleich feinerer Kopf<lb/> als Waldeck, fichtlich in Verlegenheit kam als ein treuherziger Redner<lb/> von der Rechten fragte: Ob denn die Herren nicht wenigſtens Eine Stunde<lb/> bezeichnen wollten, die ſie der Feier des grünen Donnerstags abmüßi-<lb/> gen könnten? Die ganze bis dahin ſo laute Linke wurde ſtill bei dieſer<lb/> Frage. Aber dieſe Stille hält nicht lange an, die Aufregung iſt zu mäch-<lb/> tig, und Hr. Parriſtus will ſich ſchon „in dieſem wichtigen Momente“ an<lb/> gar keine formellen Beſtimmungen mehr binden! Selbſt der Geiſtliche<lb/> Schaffranek verläßt ſeinen permanenten Stephlatz als <hi rendition="#aq">spiritus familia-<lb/> ris</hi> am Miniſtertiſch und erklärt: dieß ſey ein großer Augenblick. Ver-<lb/> gebens ſucht Vincke ſelbſt, der Antragſteller, vom Standpunkte des Rechts-<lb/> bodens aus die Geſchäftsordnung aufrechtzuerhalten. Große Ereigniſſe<lb/> pflegen ihre Schatten vor ſich herzuwerfen. 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ſo mußte er umſomehr eine runde Antwort darauf ertheilen ob er ſelbſt
unter den vorliegenden Umſtänden dieſelbe anzunehmen bereit ſey, oder
nicht. Mit den Fürſten mag er ſich darüber verſtändigen ob ſie ihn aner-
kennen wollen; ehe dieſe Unterhandlungen aber beginnen können, hätte er
wiſſen und ausſprechen müſſen ob ihm die vom Volke gebotene Macht ge-
nügt. Die Erklärung wie ſie iſt macht die Sache noch verwickelter, eröff-
net den Fürſten, welche vielleicht den gewählten Kaiſer nur deßhalb nicht
anerkennen wollen weil ſie ſelbſt ihm keine Rechte zugeſtehen mögen,
ein weites Feld für etwaige Ausflüchte, und kann außerdem noch im
Volke das Mißtrauen erwecken: die neue Centralgewalt wolle wohl gar
damit anfangen in Gemeinſchaft mit den Fürſten eine Verfaſſung für
Deutſchland zu octroyiren. Ueberhaupt aber hätten wir gewünſcht daß
durch eine möglichſt präciſe Antwort des Königs der große Act der Kaiſer-
wahl eine gewiſſe Weihe erhalten hätte, wenn wir auch ſehr wohl wiſſen
daß wir aus den Zeiten Heinrichs des Finklers längſt heraus ſind, und
daher auch bei dieſer Gelegenheit keine ſo einfache, zu Herz und Gemüth
ſprechende dramatiſche Scene mehr zu erwarten hatten als frühere Jahr-
hunderte. Der unbefriedigende Eindruck von der Antwort des Königs
zeigte ſich am deutlichſten in der geſtrigen Sitzung der zweiten Kammer.
Wir wollen das Fortwirken des großen Gedankens von Frankfurt auch
dort betrachten. In einem Antrage von Parriſius hatte ſich während der
ganzen Sitzung die Mittelmäßigkeit breit gemacht, bis das Miniſterium
über den Empfang der Frankfurter Deputation beim König Bericht erſtat-
tete. Da war an die Stelle einer gelangweilten Verſammlung plötzlich
eine ſtürmiſche getreten. Auf der Linken bildeten ſich Gruppen, von den
auf ihren Bänken ſitzenden Männern wurde heftig geſticulirt. Aber auch
die Rechte war ſehr bewegt. Nachdem Vincke den Antrag auf Nieder-
ſetzung einer neuen Adreßcommiſſion geſtellt hatte, die Sitzung auf eine
halbe Stunde vertagt, und währenddem durch die Abtheilungen die Com-
miſſion gewählt war, handelte es ſich darum ob dem bedenklichen Stürmen
und Drängen der Linken nun auch noch das Geſchäftsreglement geopfert und
die Adreſſe ſchon berathen werden ſolle, ohne 24 Stunden vorher den einzel-
nen Deputirten gedruckt vorgelegen zu haben. Man ſah wohl wieviel
Gewicht alle im parlamentariſchen Leben erfahrenen Männer auf dieſe
Formfrage legten. Zunächſt ſchickte die äußerſte Rechte Kleiſt-Retzow auf
die Rednerbühne um dort in militäriſcher Haltung für die Geſchäftsord-
nung zu donnern. Hr. Parriſtus mit einer möglichſt langen Rede von
gewohnter Unbedeutenheit drängte ſich wieder in die wichtigen Verhand-
lungen hinein. Bald aber kam der gewandte Keller, das ehemalige Haupt
der Züricher Radicalen, und meinte: man müſſe ſich in einem ſolchen Au-
genblick glücklich preiſen wenn man 24 Stunden zu ruhiger Ueberlegung
habe. Schon ſteht und rennt auf der Linken alles durcheinander. Ko-
miſch war es wie von der äußerſten Linken Berends und Jung für ihre
ultramontanen Freunde die Aeußerung hinwarfen: die Sitzung müſſe am
folgenden Tag (heute) ſtattfinden, denn der Gründonnerstag ſey für viele
Mitglieder ein wichtiger Feſttag. Wie eifrig Waldeck und der Bürger-
caplan — ſo nennt die Neue Preußiſche Zeitung Hrn. v. Berg — dieſen
Wink von Seiten des ſpecifiſchen Berlinerthums auffaßte! Beide gaben
ſo feierliche Erklärungen ab daß Hr. v. Berg, ein ungleich feinerer Kopf
als Waldeck, fichtlich in Verlegenheit kam als ein treuherziger Redner
von der Rechten fragte: Ob denn die Herren nicht wenigſtens Eine Stunde
bezeichnen wollten, die ſie der Feier des grünen Donnerstags abmüßi-
gen könnten? Die ganze bis dahin ſo laute Linke wurde ſtill bei dieſer
Frage. Aber dieſe Stille hält nicht lange an, die Aufregung iſt zu mäch-
tig, und Hr. Parriſtus will ſich ſchon „in dieſem wichtigen Momente“ an
gar keine formellen Beſtimmungen mehr binden! Selbſt der Geiſtliche
Schaffranek verläßt ſeinen permanenten Stephlatz als spiritus familia-
ris am Miniſtertiſch und erklärt: dieß ſey ein großer Augenblick. Ver-
gebens ſucht Vincke ſelbſt, der Antragſteller, vom Standpunkte des Rechts-
bodens aus die Geſchäftsordnung aufrechtzuerhalten. Große Ereigniſſe
pflegen ihre Schatten vor ſich herzuwerfen. So beſteigt denn jetzt eine
ziemlich komiſche Figur von der Rechten die Rednerbühne; die Linke will
den Mann nicht hören; er aber, in ſeinem dunkeln Drange ſich mit ihr
zu verſtändigen, geſticulirt lange, nach vorn übergebeugt, mit beiden Hän-
den nach ihr hin, und als er endlich zu Worte kommt (ſein erſtes Wort
iſt: „Deutſchland!“) erklärt er ſich für ſie. Unter dem wilden Bravo der
Linken kehrte er auf die Rechte zurück. Gleich darauf bei der Abſtimmung
ſtimmte faſt die halbe Rechte mit der Linken. Betraf der Gegenſtand auch
nur die Geſchäftsordnung, ſo war doch aus dem Jauchzen der Linken ſehr
wohl zu erſehen welche Bedeutung ſie dem Vorfall beilegte. Die HH.
Waldeck und Berg alſo werden den Gründonnerstag feiern können. Heute
Nachmittag um 4 Uhr iſt die nächſte Sitzung. Wer weiß ob nicht man-
cher Abgeordnete ſchon wieder von erleuchteten Sälen, Nachtſitzungen und
Permanenz träumt ....
P Berlin, 4 April.
Sie werden ohne Zweifel ſchon früher als
dieſe Zeilen mit der Poſt zu Ihnen gelangen, auf telegraphiſchem Wege
über Frankfurt erfahren haben was hier am 3 d. Vormittags auf dem
Schloſſe zwiſchen unſerem König und der Deputation der Nationalver-
ſammlung vorgegangen iſt. Die gedruckte Nachricht davon kam niemand
in unſeren unterrichteten Kreiſen unerwartet; daß aber das Ereigniß
ſelbſt, wenn es anders dieſen Namen verdienen ſollte, hier ſowohl als
im Auslande die verſchiedenſten Urtheile und Auffaſſungen erfahren muß,
liegt in der Natur der Sache eben ſowohl als in der heutigen großen
Meinungsſpaltung von Deutſchland. Aus einem höheren, leidenſchafts-
loſen und beſonders aus einem ſtaatsmänniſchen Geſichtspunkte be-
trachtet konnte Friedrich Wilhelm IV nur ſo handeln als er gehandelt
hat. Die Annahme der deutſchen Kaiſerkrone von ſeiner Seite hieß unter
den gegebenen Umſtänden das Signal zu einer Theilung von Deutſchland
geben, hieß einen directen Conflict mit Oeſterreich herbeiführen und
aus der deutſchen Verfaſſungsfrage eine europäiſche machen. Der
König hat ſolchen Ausſichten, hat ſolchen bedauerlichen Wechſelfällen eben
ſowohl Preußen als Deutſchland nicht preisgeben wollen, und die ruhige
urtheilsbegabte Mitwelt wird ihm dafür ſchon heute aufrichtig Dank wiſ-
ſen, beſonders ſobald nur erſt die Stunde des erſten Rauſches ob der
neugeträumten kaiſerlichen Herrlichkeit vorübergegangen iſt. Daß man
in Frankfurt immer das Symbol mit der Sache, alſo den Kaiſer
mit der Einigkeit verwechſelt, das können wir hier ebenſowenig gut-
heißen, als daß man uns um dieſer — ruhig betrachtet — jedes Bodens
entbehrenden Schöpfung willen, mit ganz Europa überwerfen und von
ganz Europa iſoliren will. Preußen hat in der heutigen Weltlage, hat
in der nächſten gar nichts weniger als wolkenloſen Zukunft keinen ande-
ren ſicheren und hülfsreichen Alliirten als — Oeſterreich; Preußen mit
ſeinen achtundzwanzig Vereinsſtaaten iſt viel zu ſchwach, um für ſich
allein Frankreich oder Rußland, geſchweige denn dieſen beiden Mächten
zugleich zu widerſtehen. Und ihr verlangt von uns daß wir uns ſo ohne
weiters mit einem Federſtriche von Oeſterreich trennen, und die Hand der
Zerſtörung und Auflöſung an Deutſchland und an uns ſelbſt legen ſollen?
Die Rheinländer, Hr. v. Camphauſen zumal, ſind ſehr thätig gegen
Oeſterreich. Wenn es aber früher oder ſpäter zu einem Kriege mit
Frankreich kommen ſollte, wer wird ihr Vaterland vor der Schmach der
Unterjochung beſchirmen können, wenn dieß nicht Alt-Preußen und mit
ihm das treuverbündete Oeſterreich im Stande iſt? — Unſer Miniſterium
hatte im Einverſtändniſſe mit dem König verſucht die Deputation zu be-
wegen nicht herzukommen. Da dieß nicht gelang und ſie einmal
da war, ſo blieb nichts übrig als ſie zu empfangen, beſonders bei der
hier augenblicklich vorherrſchenden Stimmung. Der förmliche Proteſt
den die königl. bayeriſche Regierung unſerm Miniſter des Auswärtigen
unterm 31 März durch den hieſigen königl. bayeriſchen Geſchäftsträger
ebenſowohl gegen die Kaiſerkrone als gegen die von der Nationalver-
ſammlung angenommene Reichsverfaſſung hat übergeben laſſen, wird
Ihnen ſicherlich ſchon bekannt ſeyn, weniger aber wohl daß der Eindruck
dieſes diplomatiſchen Schrittes auf unſere Regierung den verdienten Ein-
druck nicht verfehlt hat. Auch der König von Hannover, welcher un-
ſerem König rieth die Frankfurter Deputation nicht anzunehmen, iſt
eben ſowohl mit ſeiner eigenen Regierung als mit dem Münchner Ca-
binette über die Unerläßlichkeit des Vereinbarungsprincips, ſowie über
ein Einverſtändniß mit Oeſterreich zu Gunſten einer oberſten Executiv-
gewalt in Form eines Directoriums einverſtanden. Unſere Regierung
hat ſolchergeſtalt nur zwei Wege vor ſich — den der Verſtändigung
mit Oeſterreich und den übrigen Kronen *), oder den der Spal-
tung von Deutſchland, mit andern Worten den der Größe und Macht,
oder den der Zerſplitterung und Ohnmacht. Ihr Gang in dieſer Bezie-
hung kann nicht zweifelhaft ſeyn!
* Der Nürnberger Kurier will aus Berlin vom 4 April wiſſen,
der Miniſterpräſident habe erklärt der König ſey bereit unter Zuſtimmung
der Regierungen und der Nationalverſammlnng proviſoriſch die Leitung
der Centralgewalt zu übernehmen. Wir ſinden dieß nirgends beſtätigt.
Schleswig-Holſtein.
* Schleswig, 1 April.
Heute hatte Schleswig
ſich des erſten Anblicks der bayeriſchen Truppen zu erfreuen, indem mehrere
Bataillone Infanterie und zwei Batterien, eine zwölfpfündige und eine
ſechspfündige, einrückten. **) Man war begierig die Bayern zu ſehen, nach-
dem aus faſt allen übrigen deutſchen Landen theils in dieſem theils im vo-
rigen Jahr Durchzüge ſchon ſtattgefunden. Die Bayern waren die letzten
Fremden hier, und doch die erſten in der Eile und Bereitwilligkeit uns zu
*) Und die Nationalverſammlung?
**) Noch mehrere bayeriſche Truppen ſind auf dem Marſch nach Schleswig,
namentlich auch das in Zweibrücken liegende vom Oberſt v. Hailbronner
befehligte Chevaulegersregiment.
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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