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Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.

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31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Wien, 24. Oktober:

Die starken serbischen und montenegrinischen Kräfte, welche
seinerzeit über die von Truppen entblößten Grenzteile im östlichen
Bosnien eingedrungen sind und die einheimische moslemische Be-
völkerung auch mit zügellosen plündernden und mordenden Frei-
scharen heimgesucht haben, wurden am 22. Oktober nach drei-
tägigen erbitterten Kämpfen im Raume beiderseits der Straße
Mokro--Regatica geschlagen und zu eiligem Rückzug gezwungen.
Die Details des Treffens, bei welchem unsere Truppen unvergleich-
lich bravourös gekämpft haben und den Gegner aus mehreren
hintereinander gelegenen befestigten Stellungen mit dem Bajonett
wiederholt warfen, werden wegen der im Zuge befindlichen weite-
ren Aktionen der nächsten Berichterstattung vorbehalten.

25. Oktober:

Auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz stehen nunmehr unsere
Armeen und starke deutsche Kräfte in einer fast ununterbrochenen
Front, die sich von den Nordabfällen der östlichen Karpathen über
Stary-Sambor, das östliche Vorgelände der Festung Przemysl, den
unteren San und das polnische Weichselland bis in die Gegend von
Plozk erstreckt, im Kampfe gegen die Hauptmacht der Russen,
die auch ihre kaukasischen, sibirischen und turkestanischen Truppen
heranführten.

Unsere Offensive über die Karpathen zog stärkere feind-
liche Kräfte auf sich. In Mittelgalizien, wo beide Gegner befestigte
Stellungen innehaben, steht die Schlacht im allgemeinen. Süd-
östlich Przemysl und am unteren San errangen unsere Truppen
auch in den letzten Tagen mehrfache Erfolge. In Russisch-Polen
wurden beiderseits starke Kräfte eingesetzt, die seit gestern südwest-
lich der Weichselstrecke Iwangorod-Warschau kämpfen.

Vom österreichisch-serbischen Kriegsschauplatz wird unterm
26. Oktober amtlich bekanntgegeben:

Seit dem 23. Oktober werden Erfolge unserer Truppen
zwischen Mokro und Rogatika gemeldet. Die Operationen
zur Säuberung der bosnischen Gebiete machten weitere erfreuliche
Fortschritte.

Der auf Veliko, Brod und Bracerica westlich von Visegrad
eingeholte und gestellte Gegner wurde am 24. Oktober abends an-
gegriffen und nach Visegrad zurückgeworfen. Unsere Verfolgungs-
truppen erreichten gestern die Drina bei Visegrad, Megjepa, Go-
radca und westlich davon. Somit ist Ostbosnien bis zur Drina
vom Gegner vollständig gesäubert. Bei dieser Aktion erbeuteten
wir zwei Geschütze und eine große Menge Infanterie- und be-
sonders Artilleriemunition.

Die montenegrinischen Abteilungen trennten sich
von den Serben und ziehen sich südwestlich zurück. Gleichzeitig
fanden auch im Save- und Drinagebiet (Matschwa) für uns er-
folgreiche Kämpfe statt.

Bei Ravnja und Ardenkovic gelang es unseren Truppen nach
entsprechender Artillerievorbereitung trotz starker Drahthindernisse
zwei hintereinander gelegene feindliche Positionen zu erobern, wo-
bei vier Maschinengewehre und 600 Gewehre erbeutet, sowie zahl-
reiche Gefangene gemacht wurden. Heftige Gegenangriffe der Ser-
ben brachen blutig zusammen.

Ueberall fällt bei den Meldungen aus dem Osten die große
Zahl der russischen Gefangenen auf. So auch in den amtlichen
Berichten vom 26. und 27. Oktober:

In den Kämpfen vor Iwangorod machten wir bisher
8000 Russen zu Gefangenen und erbeuteten 19 Maschinengewehre.
In der Nähe von Jaroslau mußten sich ein russischer Oberst und
200 Mann ergeben. Bei Zalucze (südwestlich Sniatyn) und bei
Pasieczna (südwestlich Nadworna) wurde der Feind zurückgeworfen.
Die Lage ist im großen unverändert.

Die Situation in Mittelgalizien ist unverändert. Südwestlich
Iwangorod stehen unsere bravourös fechtenden Korps, von welchen
eins allein 10,000 Gefangene machte, im Kampf gegen überlegene
Kräfte.

Die Meldung aus dem deutschen Hauptquartier vom Tage
darauf lautet:

Westlich Augustowo ist der Angriff der Deutschen in lang-
samem Fortschreiten. Südwestlich Warschau sind alle Angriffe
starker russischer Kräfte von unseren Truppen zurückgewiesen wor-
den. Nördlich Iwangorod haben neue russische Armeekorps
die Weichsel überschritten.

*

[Spaltenumbruch]

In Polen mußten die deutsch-österreichischen Truppen vor
neuen russischen Kräften, die von Iwangorod, Warschau und
Nowogeorgiewsk vorgingen, ausweichen, nachdem sie bis dahin in
mehrtätigen Kämpfen alle russischen Angriffe erfolgreich abgewiesen
hatten. Die Russen folgten zunächst nicht. Die Loslösung vom
Feinde geschah ohne Schwierigkeiten. Unsere Truppen werden
sich der Lage entsprechend neu gruppieren.

Auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz keine wesentlichen
Aenderungen.

Dagegen werden uns aus Wien unterm 26. Oktober neue
Erfolge der Oesterreicher in Serbien
gemeldet.
Feldzeugmeister Potiorek teilt amtlich mit:

Am 27. Oktober haben wir in Serbien erneute Erfolge er-
rungen. Der Ort Ravnja und die stark befestigte feindliche Stellung
an der Dammstraße nördlich Crnaba in der Mecva wurden nach
tapferer seindlicher Gegenwehr von unseren Truppen erstürmt.
Hierbei wurden 4 Geschütze und 8 Maschinengewehre erbeutet,
sowie 5 Offiziere und 500 Mann gefangen genommen und viel
Kriegsmaterial erbeutet.

*


Aehnlich wie das Terrain an der belgischen Küste dem deut-
schen Vorrücken große Schwierigkeiten entgegensetzt, so ist dies
auch in Galizien auf einem Teil des österreichischen Kriegsschau-
platzes der Fall. Ueber den Tod, den bei der Verfolgung die
Russen in den galizischen Sümpfen gefunden haben,
sinden wir in der neuen Züricher Zeitung eine erschütternde Schil-
derung aus der Feder ihres Kriegskorrespondenten:

"Endlich kam das Kommando "Sturm". Sehnsüchtig hatten es
die Oesterreicher erwartet und nun sprangen sie ungestüm auf, sie
verspürten auf einmal keine Müdigkeit mehr. Sie rannten über die
weiche Erde hin, daß die Tornister auf den Rücken kollerten, die
vom Wachen müden Augen hatten plötzlich wieder Glanz bekom-
men und es war wie ein munterer Wettlauf auf der weiten Ebene
unter dem blauen Himmel. Die Russen standen einen Augenblick
wie verdutzt und unschlüssig, dann wendeten sie sich und liefen zu-
rück. Einige von den Oesterreichern schossen im Laufen auf den
Feind, die meisten aber hielten sich damit nicht auf, wollten ihn ein-
holen. Eine Art Jagdeifer war in diesen uniformierten Landleuten,
eine unbewußte Erinnerung an ihr friedliches Leben von einst, das
von ihnen abgefallen war. Hastig ging ihr Atem und sie liefen
weiter, jeder wollte den Feind zuerst packen. Weit ausgedehnt zog
sich unsere Linie. Die fliehenden Russen dachten auch gar nicht an
einen Durchbruch, sahen sich gar nicht um und rannten eben nur
weiter. Der Zwischenraum zwischen ihnen und ihren Verfolgern
wurde nicht größer nicht kleiner.

Bis auf einmal das Verwunderliche und Unerklärliche sich er-
eignete, daß die zuvor rennenden und von den Unsrigen am meisten
entfernten Russen stehen blieben. Sammelten sie sich? Wollten
sie Widerstand leisten? Die Oesterreicher waren derart in der
Wollust des Sturmes, daß sie es kaum bemerkten, nur dies sehen
sie, daß sie dem Feinde endlich näher kamen, also wohl Aussicht
hatten, ihn endlich zu erreichen. Aber jene Russen, die stehen ge-
blieben waren, wandten sich seltsamerweise nicht um, kehrten sich
nicht gegen ihre Verfolger, unbeweglich standen sie. Und die näch-
sten, die hinter ihnen herliefen, folgten jenem Beispiel, auch sie stan-
den, als seien sie vor einem unermeßlichen Abgrund angelangt. Ein
Knäuel von Menschen bildete sich, an den die dritte Reihe der Flüch-
tigen anstürmte. Sie schienen sich zu zerstreuen, liefen seitwärts
wie die Fliegen am Fenster, die aufgeschreckt einen Ausweg suchten.
Die Oesterreicher waren schon ganz nahe gekommen, jetzt, da der
Feind ihnen nicht mehr entrinnen konnte, wurden sie verblüfft über
jenes starre, sinnlose Innehalten, dem keine Verteidigung folgte.
War es eine Kriegslist? Sollte eine Mine aufflattern? "Halt" und
die Verfolger taumelten mitten in der Bewegung zurück. Und nun
hörten sie schreckliche Schreie, die Russen wendeten die Köpfe zu
ihnen, und hoben ihre Hände. Gleichzeitig bemerkten die Ver-
folger, daß die Russen kleiner zu werden begannen. Ihre Beine
verschwanden im grünen Boden, sie standen wie auf den Knien. Die
Gewehre hatten sie weggeworfen und streckten den Verfolgern
flehentlich die Arme entgegen. Keiner der unsrigen schoß, sie starr-
ten auf jene Menschen, die langsam vom tückischen Schlamme hinab-
gezogen wurden, von dem keiner loskam, der nur einige Schritte
hineingerannt war. Die Füße versanken im klebrigen Moraste, und
wenn einer der Unglücklichen einen Fuß herausgearbeitet hatte,
31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Wien, 24. Oktober:

Die ſtarken ſerbiſchen und montenegriniſchen Kräfte, welche
ſeinerzeit über die von Truppen entblößten Grenzteile im öſtlichen
Bosnien eingedrungen ſind und die einheimiſche moslemiſche Be-
völkerung auch mit zügelloſen plündernden und mordenden Frei-
ſcharen heimgeſucht haben, wurden am 22. Oktober nach drei-
tägigen erbitterten Kämpfen im Raume beiderſeits der Straße
Mokro—Regatica geſchlagen und zu eiligem Rückzug gezwungen.
Die Details des Treffens, bei welchem unſere Truppen unvergleich-
lich bravourös gekämpft haben und den Gegner aus mehreren
hintereinander gelegenen befeſtigten Stellungen mit dem Bajonett
wiederholt warfen, werden wegen der im Zuge befindlichen weite-
ren Aktionen der nächſten Berichterſtattung vorbehalten.

25. Oktober:

Auf dem nordöſtlichen Kriegsſchauplatz ſtehen nunmehr unſere
Armeen und ſtarke deutſche Kräfte in einer faſt ununterbrochenen
Front, die ſich von den Nordabfällen der öſtlichen Karpathen über
Stary-Sambor, das öſtliche Vorgelände der Feſtung Przemysl, den
unteren San und das polniſche Weichſelland bis in die Gegend von
Plozk erſtreckt, im Kampfe gegen die Hauptmacht der Ruſſen,
die auch ihre kaukaſiſchen, ſibiriſchen und turkeſtaniſchen Truppen
heranführten.

Unſere Offenſive über die Karpathen zog ſtärkere feind-
liche Kräfte auf ſich. In Mittelgalizien, wo beide Gegner befeſtigte
Stellungen innehaben, ſteht die Schlacht im allgemeinen. Süd-
öſtlich Przemysl und am unteren San errangen unſere Truppen
auch in den letzten Tagen mehrfache Erfolge. In Ruſſiſch-Polen
wurden beiderſeits ſtarke Kräfte eingeſetzt, die ſeit geſtern ſüdweſt-
lich der Weichſelſtrecke Iwangorod-Warſchau kämpfen.

Vom öſterreichiſch-ſerbiſchen Kriegsſchauplatz wird unterm
26. Oktober amtlich bekanntgegeben:

Seit dem 23. Oktober werden Erfolge unſerer Truppen
zwiſchen Mokro und Rogatika gemeldet. Die Operationen
zur Säuberung der bosniſchen Gebiete machten weitere erfreuliche
Fortſchritte.

Der auf Veliko, Brod und Bracerica weſtlich von Viſegrad
eingeholte und geſtellte Gegner wurde am 24. Oktober abends an-
gegriffen und nach Viſegrad zurückgeworfen. Unſere Verfolgungs-
truppen erreichten geſtern die Drina bei Viſegrad, Megjepa, Go-
radca und weſtlich davon. Somit iſt Oſtbosnien bis zur Drina
vom Gegner vollſtändig geſäubert. Bei dieſer Aktion erbeuteten
wir zwei Geſchütze und eine große Menge Infanterie- und be-
ſonders Artilleriemunition.

Die montenegriniſchen Abteilungen trennten ſich
von den Serben und ziehen ſich ſüdweſtlich zurück. Gleichzeitig
fanden auch im Save- und Drinagebiet (Matſchwa) für uns er-
folgreiche Kämpfe ſtatt.

Bei Ravnja und Ardenkovic gelang es unſeren Truppen nach
entſprechender Artillerievorbereitung trotz ſtarker Drahthinderniſſe
zwei hintereinander gelegene feindliche Poſitionen zu erobern, wo-
bei vier Maſchinengewehre und 600 Gewehre erbeutet, ſowie zahl-
reiche Gefangene gemacht wurden. Heftige Gegenangriffe der Ser-
ben brachen blutig zuſammen.

Ueberall fällt bei den Meldungen aus dem Oſten die große
Zahl der ruſſiſchen Gefangenen auf. So auch in den amtlichen
Berichten vom 26. und 27. Oktober:

In den Kämpfen vor Iwangorod machten wir bisher
8000 Ruſſen zu Gefangenen und erbeuteten 19 Maſchinengewehre.
In der Nähe von Jaroslau mußten ſich ein ruſſiſcher Oberſt und
200 Mann ergeben. Bei Zalucze (ſüdweſtlich Sniatyn) und bei
Paſieczna (ſüdweſtlich Nadworna) wurde der Feind zurückgeworfen.
Die Lage iſt im großen unverändert.

Die Situation in Mittelgalizien iſt unverändert. Südweſtlich
Iwangorod ſtehen unſere bravourös fechtenden Korps, von welchen
eins allein 10,000 Gefangene machte, im Kampf gegen überlegene
Kräfte.

Die Meldung aus dem deutſchen Hauptquartier vom Tage
darauf lautet:

Weſtlich Auguſtowo iſt der Angriff der Deutſchen in lang-
ſamem Fortſchreiten. Südweſtlich Warſchau ſind alle Angriffe
ſtarker ruſſiſcher Kräfte von unſeren Truppen zurückgewieſen wor-
den. Nördlich Iwangorod haben neue ruſſiſche Armeekorps
die Weichſel überſchritten.

*

[Spaltenumbruch]

In Polen mußten die deutſch-öſterreichiſchen Truppen vor
neuen ruſſiſchen Kräften, die von Iwangorod, Warſchau und
Nowogeorgiewsk vorgingen, ausweichen, nachdem ſie bis dahin in
mehrtätigen Kämpfen alle ruſſiſchen Angriffe erfolgreich abgewieſen
hatten. Die Ruſſen folgten zunächſt nicht. Die Loslöſung vom
Feinde geſchah ohne Schwierigkeiten. Unſere Truppen werden
ſich der Lage entſprechend neu gruppieren.

Auf dem nordöſtlichen Kriegsſchauplatz keine weſentlichen
Aenderungen.

Dagegen werden uns aus Wien unterm 26. Oktober neue
Erfolge der Oeſterreicher in Serbien
gemeldet.
Feldzeugmeiſter Potiorek teilt amtlich mit:

Am 27. Oktober haben wir in Serbien erneute Erfolge er-
rungen. Der Ort Ravnja und die ſtark befeſtigte feindliche Stellung
an der Dammſtraße nördlich Crnaba in der Mecva wurden nach
tapferer ſeindlicher Gegenwehr von unſeren Truppen erſtürmt.
Hierbei wurden 4 Geſchütze und 8 Maſchinengewehre erbeutet,
ſowie 5 Offiziere und 500 Mann gefangen genommen und viel
Kriegsmaterial erbeutet.

*


Aehnlich wie das Terrain an der belgiſchen Küſte dem deut-
ſchen Vorrücken große Schwierigkeiten entgegenſetzt, ſo iſt dies
auch in Galizien auf einem Teil des öſterreichiſchen Kriegsſchau-
platzes der Fall. Ueber den Tod, den bei der Verfolgung die
Ruſſen in den galiziſchen Sümpfen gefunden haben,
ſinden wir in der neuen Züricher Zeitung eine erſchütternde Schil-
derung aus der Feder ihres Kriegskorreſpondenten:

„Endlich kam das Kommando „Sturm“. Sehnſüchtig hatten es
die Oeſterreicher erwartet und nun ſprangen ſie ungeſtüm auf, ſie
verſpürten auf einmal keine Müdigkeit mehr. Sie rannten über die
weiche Erde hin, daß die Torniſter auf den Rücken kollerten, die
vom Wachen müden Augen hatten plötzlich wieder Glanz bekom-
men und es war wie ein munterer Wettlauf auf der weiten Ebene
unter dem blauen Himmel. Die Ruſſen ſtanden einen Augenblick
wie verdutzt und unſchlüſſig, dann wendeten ſie ſich und liefen zu-
rück. Einige von den Oeſterreichern ſchoſſen im Laufen auf den
Feind, die meiſten aber hielten ſich damit nicht auf, wollten ihn ein-
holen. Eine Art Jagdeifer war in dieſen uniformierten Landleuten,
eine unbewußte Erinnerung an ihr friedliches Leben von einſt, das
von ihnen abgefallen war. Haſtig ging ihr Atem und ſie liefen
weiter, jeder wollte den Feind zuerſt packen. Weit ausgedehnt zog
ſich unſere Linie. Die fliehenden Ruſſen dachten auch gar nicht an
einen Durchbruch, ſahen ſich gar nicht um und rannten eben nur
weiter. Der Zwiſchenraum zwiſchen ihnen und ihren Verfolgern
wurde nicht größer nicht kleiner.

Bis auf einmal das Verwunderliche und Unerklärliche ſich er-
eignete, daß die zuvor rennenden und von den Unſrigen am meiſten
entfernten Ruſſen ſtehen blieben. Sammelten ſie ſich? Wollten
ſie Widerſtand leiſten? Die Oeſterreicher waren derart in der
Wolluſt des Sturmes, daß ſie es kaum bemerkten, nur dies ſehen
ſie, daß ſie dem Feinde endlich näher kamen, alſo wohl Ausſicht
hatten, ihn endlich zu erreichen. Aber jene Ruſſen, die ſtehen ge-
blieben waren, wandten ſich ſeltſamerweiſe nicht um, kehrten ſich
nicht gegen ihre Verfolger, unbeweglich ſtanden ſie. Und die näch-
ſten, die hinter ihnen herliefen, folgten jenem Beiſpiel, auch ſie ſtan-
den, als ſeien ſie vor einem unermeßlichen Abgrund angelangt. Ein
Knäuel von Menſchen bildete ſich, an den die dritte Reihe der Flüch-
tigen anſtürmte. Sie ſchienen ſich zu zerſtreuen, liefen ſeitwärts
wie die Fliegen am Fenſter, die aufgeſchreckt einen Ausweg ſuchten.
Die Oeſterreicher waren ſchon ganz nahe gekommen, jetzt, da der
Feind ihnen nicht mehr entrinnen konnte, wurden ſie verblüfft über
jenes ſtarre, ſinnloſe Innehalten, dem keine Verteidigung folgte.
War es eine Kriegsliſt? Sollte eine Mine aufflattern? „Halt“ und
die Verfolger taumelten mitten in der Bewegung zurück. Und nun
hörten ſie ſchreckliche Schreie, die Ruſſen wendeten die Köpfe zu
ihnen, und hoben ihre Hände. Gleichzeitig bemerkten die Ver-
folger, daß die Ruſſen kleiner zu werden begannen. Ihre Beine
verſchwanden im grünen Boden, ſie ſtanden wie auf den Knien. Die
Gewehre hatten ſie weggeworfen und ſtreckten den Verfolgern
flehentlich die Arme entgegen. Keiner der unſrigen ſchoß, ſie ſtarr-
ten auf jene Menſchen, die langſam vom tückiſchen Schlamme hinab-
gezogen wurden, von dem keiner loskam, der nur einige Schritte
hineingerannt war. Die Füße verſanken im klebrigen Moraſte, und
wenn einer der Unglücklichen einen Fuß herausgearbeitet hatte,
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[635/0003] 31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung Wien, 24. Oktober: Die ſtarken ſerbiſchen und montenegriniſchen Kräfte, welche ſeinerzeit über die von Truppen entblößten Grenzteile im öſtlichen Bosnien eingedrungen ſind und die einheimiſche moslemiſche Be- völkerung auch mit zügelloſen plündernden und mordenden Frei- ſcharen heimgeſucht haben, wurden am 22. Oktober nach drei- tägigen erbitterten Kämpfen im Raume beiderſeits der Straße Mokro—Regatica geſchlagen und zu eiligem Rückzug gezwungen. Die Details des Treffens, bei welchem unſere Truppen unvergleich- lich bravourös gekämpft haben und den Gegner aus mehreren hintereinander gelegenen befeſtigten Stellungen mit dem Bajonett wiederholt warfen, werden wegen der im Zuge befindlichen weite- ren Aktionen der nächſten Berichterſtattung vorbehalten. 25. Oktober: Auf dem nordöſtlichen Kriegsſchauplatz ſtehen nunmehr unſere Armeen und ſtarke deutſche Kräfte in einer faſt ununterbrochenen Front, die ſich von den Nordabfällen der öſtlichen Karpathen über Stary-Sambor, das öſtliche Vorgelände der Feſtung Przemysl, den unteren San und das polniſche Weichſelland bis in die Gegend von Plozk erſtreckt, im Kampfe gegen die Hauptmacht der Ruſſen, die auch ihre kaukaſiſchen, ſibiriſchen und turkeſtaniſchen Truppen heranführten. Unſere Offenſive über die Karpathen zog ſtärkere feind- liche Kräfte auf ſich. In Mittelgalizien, wo beide Gegner befeſtigte Stellungen innehaben, ſteht die Schlacht im allgemeinen. Süd- öſtlich Przemysl und am unteren San errangen unſere Truppen auch in den letzten Tagen mehrfache Erfolge. In Ruſſiſch-Polen wurden beiderſeits ſtarke Kräfte eingeſetzt, die ſeit geſtern ſüdweſt- lich der Weichſelſtrecke Iwangorod-Warſchau kämpfen. Vom öſterreichiſch-ſerbiſchen Kriegsſchauplatz wird unterm 26. Oktober amtlich bekanntgegeben: Seit dem 23. Oktober werden Erfolge unſerer Truppen zwiſchen Mokro und Rogatika gemeldet. Die Operationen zur Säuberung der bosniſchen Gebiete machten weitere erfreuliche Fortſchritte. Der auf Veliko, Brod und Bracerica weſtlich von Viſegrad eingeholte und geſtellte Gegner wurde am 24. Oktober abends an- gegriffen und nach Viſegrad zurückgeworfen. Unſere Verfolgungs- truppen erreichten geſtern die Drina bei Viſegrad, Megjepa, Go- radca und weſtlich davon. Somit iſt Oſtbosnien bis zur Drina vom Gegner vollſtändig geſäubert. Bei dieſer Aktion erbeuteten wir zwei Geſchütze und eine große Menge Infanterie- und be- ſonders Artilleriemunition. Die montenegriniſchen Abteilungen trennten ſich von den Serben und ziehen ſich ſüdweſtlich zurück. Gleichzeitig fanden auch im Save- und Drinagebiet (Matſchwa) für uns er- folgreiche Kämpfe ſtatt. Bei Ravnja und Ardenkovic gelang es unſeren Truppen nach entſprechender Artillerievorbereitung trotz ſtarker Drahthinderniſſe zwei hintereinander gelegene feindliche Poſitionen zu erobern, wo- bei vier Maſchinengewehre und 600 Gewehre erbeutet, ſowie zahl- reiche Gefangene gemacht wurden. Heftige Gegenangriffe der Ser- ben brachen blutig zuſammen. Ueberall fällt bei den Meldungen aus dem Oſten die große Zahl der ruſſiſchen Gefangenen auf. So auch in den amtlichen Berichten vom 26. und 27. Oktober: In den Kämpfen vor Iwangorod machten wir bisher 8000 Ruſſen zu Gefangenen und erbeuteten 19 Maſchinengewehre. In der Nähe von Jaroslau mußten ſich ein ruſſiſcher Oberſt und 200 Mann ergeben. Bei Zalucze (ſüdweſtlich Sniatyn) und bei Paſieczna (ſüdweſtlich Nadworna) wurde der Feind zurückgeworfen. Die Lage iſt im großen unverändert. Die Situation in Mittelgalizien iſt unverändert. Südweſtlich Iwangorod ſtehen unſere bravourös fechtenden Korps, von welchen eins allein 10,000 Gefangene machte, im Kampf gegen überlegene Kräfte. Die Meldung aus dem deutſchen Hauptquartier vom Tage darauf lautet: Weſtlich Auguſtowo iſt der Angriff der Deutſchen in lang- ſamem Fortſchreiten. Südweſtlich Warſchau ſind alle Angriffe ſtarker ruſſiſcher Kräfte von unſeren Truppen zurückgewieſen wor- den. Nördlich Iwangorod haben neue ruſſiſche Armeekorps die Weichſel überſchritten. * In Polen mußten die deutſch-öſterreichiſchen Truppen vor neuen ruſſiſchen Kräften, die von Iwangorod, Warſchau und Nowogeorgiewsk vorgingen, ausweichen, nachdem ſie bis dahin in mehrtätigen Kämpfen alle ruſſiſchen Angriffe erfolgreich abgewieſen hatten. Die Ruſſen folgten zunächſt nicht. Die Loslöſung vom Feinde geſchah ohne Schwierigkeiten. Unſere Truppen werden ſich der Lage entſprechend neu gruppieren. Auf dem nordöſtlichen Kriegsſchauplatz keine weſentlichen Aenderungen. Dagegen werden uns aus Wien unterm 26. Oktober neue Erfolge der Oeſterreicher in Serbien gemeldet. Feldzeugmeiſter Potiorek teilt amtlich mit: Am 27. Oktober haben wir in Serbien erneute Erfolge er- rungen. Der Ort Ravnja und die ſtark befeſtigte feindliche Stellung an der Dammſtraße nördlich Crnaba in der Mecva wurden nach tapferer ſeindlicher Gegenwehr von unſeren Truppen erſtürmt. Hierbei wurden 4 Geſchütze und 8 Maſchinengewehre erbeutet, ſowie 5 Offiziere und 500 Mann gefangen genommen und viel Kriegsmaterial erbeutet. * Aehnlich wie das Terrain an der belgiſchen Küſte dem deut- ſchen Vorrücken große Schwierigkeiten entgegenſetzt, ſo iſt dies auch in Galizien auf einem Teil des öſterreichiſchen Kriegsſchau- platzes der Fall. Ueber den Tod, den bei der Verfolgung die Ruſſen in den galiziſchen Sümpfen gefunden haben, ſinden wir in der neuen Züricher Zeitung eine erſchütternde Schil- derung aus der Feder ihres Kriegskorreſpondenten: „Endlich kam das Kommando „Sturm“. Sehnſüchtig hatten es die Oeſterreicher erwartet und nun ſprangen ſie ungeſtüm auf, ſie verſpürten auf einmal keine Müdigkeit mehr. Sie rannten über die weiche Erde hin, daß die Torniſter auf den Rücken kollerten, die vom Wachen müden Augen hatten plötzlich wieder Glanz bekom- men und es war wie ein munterer Wettlauf auf der weiten Ebene unter dem blauen Himmel. Die Ruſſen ſtanden einen Augenblick wie verdutzt und unſchlüſſig, dann wendeten ſie ſich und liefen zu- rück. Einige von den Oeſterreichern ſchoſſen im Laufen auf den Feind, die meiſten aber hielten ſich damit nicht auf, wollten ihn ein- holen. Eine Art Jagdeifer war in dieſen uniformierten Landleuten, eine unbewußte Erinnerung an ihr friedliches Leben von einſt, das von ihnen abgefallen war. Haſtig ging ihr Atem und ſie liefen weiter, jeder wollte den Feind zuerſt packen. Weit ausgedehnt zog ſich unſere Linie. Die fliehenden Ruſſen dachten auch gar nicht an einen Durchbruch, ſahen ſich gar nicht um und rannten eben nur weiter. Der Zwiſchenraum zwiſchen ihnen und ihren Verfolgern wurde nicht größer nicht kleiner. Bis auf einmal das Verwunderliche und Unerklärliche ſich er- eignete, daß die zuvor rennenden und von den Unſrigen am meiſten entfernten Ruſſen ſtehen blieben. Sammelten ſie ſich? Wollten ſie Widerſtand leiſten? Die Oeſterreicher waren derart in der Wolluſt des Sturmes, daß ſie es kaum bemerkten, nur dies ſehen ſie, daß ſie dem Feinde endlich näher kamen, alſo wohl Ausſicht hatten, ihn endlich zu erreichen. Aber jene Ruſſen, die ſtehen ge- blieben waren, wandten ſich ſeltſamerweiſe nicht um, kehrten ſich nicht gegen ihre Verfolger, unbeweglich ſtanden ſie. Und die näch- ſten, die hinter ihnen herliefen, folgten jenem Beiſpiel, auch ſie ſtan- den, als ſeien ſie vor einem unermeßlichen Abgrund angelangt. 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Keiner der unſrigen ſchoß, ſie ſtarr- ten auf jene Menſchen, die langſam vom tückiſchen Schlamme hinab- gezogen wurden, von dem keiner loskam, der nur einige Schritte hineingerannt war. Die Füße verſanken im klebrigen Moraſte, und wenn einer der Unglücklichen einen Fuß herausgearbeitet hatte,

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine44_1914/3>, abgerufen am 10.06.2024.