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Allgemeine Zeitung, Nr. 345, 13. Dezember 1890.

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München, Samstag Allgemeine Zeitung 13. December 1890.Morgenblatt Nr. 345.
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selbstverständlich nichts zu erreichen, hier muß vielmehr das
materielle Recht geändert werden in der Art, daß beiden Con-
trahenten des Vertrags die Möglichkeit eröffnet wird, zum
voraus eine Caution für den Fall des verwirkten Schaden-
ersatzes zu erlangen. In dieser Hinsicht sind zur Zeit nament-
lich die Arbeitgeber so gut wie rechtlos, zumal dem socialdemo-
kratischen Arbeiter gegenüber, der dem Beweis der Wahrheit
des "ehernen Lohngesetzes" mit Erfolg dadurch zu Hülfe kommt,
daß er grundsätzlich nichts erspart. Sein Vermögen besteht
lediglich im Ertrag seiner Arbeit, und an diesen kann sich der
Arbeitgeber behufs Beschaffung der Caution gegen Vertrags-
bruch zufolge des Gesetzes über die Beschlagnahme des Ar-
beitslohnes nicht halten. Dieses Gesetz begründet ein Aus-
nahmerecht,
ein Privilegium zu Gunsten der Arbeiter; es
wurzelt in der Billigkeit, und Niemand wird daran denken, es
zu beseitigen. Aber wie es jetzt schon aus höheren Rücksichten
gewissen Beschränkungen unterliegt, so erscheint auch eine Be-
schränkung in der hier besprochenen Richtung statthaft und an-
gezeigt, zumal ja hier dem redlichen Arbeiter materiell nichts
entzogen wird, wenn ein kleiner Theil des Lohnes zum Zweck
der Cautionsleistung zurückbehalten wird; eine Einbuße erleidet
er nur, wenn er ("böslich" würden wir sagen, wenn das Bös-
liche, bewußt Rechtswidrige, nicht schon im Wort "Vertrags-
bruch" läge) den Vertrag bricht und dadurch die Buße ver-
wirkt. -- Die Gleichheit vor dem Gesetz erfordert es, daß wie
vom Arbeiter so auch vom Arbeitgeber die Leistung der
Sicherheit für etwaige Ansprüche aus Vertrags-
bruch
verlangt wird. Geschieht dies, dann liegt für die
Socialdemokratie auch nicht der Schatten eines Grundes vor,
über Ausnahmegesetzgebung zu klagen.



Deutsches Reich.

Telegramm. In der heutigen Sitzung
des Reichstages kam die Vorlage über die Zuckersteuer
zur ersten Berathung. Staatssecretär Frhr. v. Maltzahn
empfiehlt die Vorlage. Abg. Witte stimmt derselben zu.
Graf Stolberg-Wernigerode erklärt, die Abschaffung der
Materialsteuer sei für die Landwirthschaft nicht gleichgültig.
Abg. Oechelhäuser kann der Abschaffung des Prämien-
systems nicht zustimmen. Abg. v. Kardorff verlangt Aufrecht-
haltung der Materialsteuer. Staatssecretär v. Maltzahn er-
klärt die Vorlage durch den zwingenden Druck der Verhältnisse.
Abg. Dr. Buhl spricht im Namen eines Theiles der National-
liberalen deren Zustimmung aus. Abg. Barth verlangt rasche
Aufhebung der Prämien. Die Vorlage wird schließlich an eine
Commission verwiesen. Eine zweite Sitzung fand Nach-
mittags 4 Uhr statt; in derselben ward der türkische Handels-
vertrag
in dritter Lesung angenommen. Die nächste Sitzung
wird auf den 13. Januar anberaumt; auf die Tagesordnung
derselben werden die Anträge betreffend die Lebensmittelzölle gesetzt.

Das Reichsversicherungsamt hat unterm
31. v. M. eine Anleitung, betreffend den Kreis der nach dem
Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz versicher-
ten Personen,
herausgegeben, welche zunächst den Vorständen der
Versicherungsanstalten als Hülfsmittel für die oft schwierige Frage
der Versicherungspflichtigkeit dienen soll. In nicht zu langer Zeit
wird das Reichsversicherungsamt auch in die Lage kommen, über
die Versicherungspflichtigkeit einzelner Personen, soweit von den-
selben auf Grund der Uebergangsbestimmungen (§§. 156 bis 160
des Gesetzes) Rentensprüche erhoben werden, in der Revisionsinstanz
endgültige Entscheidungen zu treffen. In Bezug auf die in die
Versicherung neu eintretenden Personen hat das Gesetz in §. 122
zunächst den unteren und in der Beschwerdeinstanz den höheren
Verwaltungsbehörden die Entscheidung der Frage übertragen, ob
und zu welcher Versicherungsanstalt die betreffenden Personen ge-
hören. Um hiernach eine gleichmäßige Praxis bei den einzelnen
Verwaltungsbehörden zu erzielen, hat das Reichsversicherungsamt
die sämmtlichen Landescentralbehörden ersucht, die vorerwähnte An-
leitung den unterstellten Verwaltungsbehörden zur Kenntnißnahme
und thunlichsten Beachtung mitzutheilen. Dem entsprechend haben
nunmehr die Landescentralbehörden sowohl die mit der Ausstellung
der Quittungskarten betrauten Amtsstellen, sowie die zur Entschei-
dung von Streitigkeiten berufenen Verwaltungsbehörden angewiesen,
die Anleitung sich als Anhalt dienen zu lassen. Insbesondere sind
die preußischen in Betracht kommenden Behörden durch Erlaß der
Minister des Innern und für Handel und Gewerbe vom 14. No-
vember d. J. in diesem Sinne mit Anweisung versehen worden.
Die in der Anleitung des Reichsversicherungsamts niedergelegten
Grundsätze, welche übrigens aus wiederholten Berathungen mit
den Vertretern der Landescentralbehörden und Versicherungs-
anstalten hervorgegangen sind, werden demnach bis auf weiteres
[Spaltenumbruch] für die Frage der Versicherungspflichtigkeit eine grundlegende Be-
deutung haben.

Die sehr stark besuchte allgemeine Versammlung
deutscher Zuckerfabricanten und Landwirthe,
welche
am Mittwoch in Berlin stattfand, hat einstimmig folgende Resolu-
tion angenommen: "Durch die hohen Prämien, welche von einigen
Nachbarländern bei der Ausfuhr von Zucker gewährt werden, durch
die auch in den außereuropäischen Ländern schnell fortschreitende
Technik und durch die staatlichen Begünstigungen, welche auch dort
in steigendem Maße gewährt werden, ist die Concurrenz, gegen
welche die deutsche Zuckerindustrie auf dem Weltmarkte ankämpfen
muß, schon unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine so über-
mächtige, daß sie nur mit äußerster Mühe ihre Stellung aufrecht-
erhalten kann. Ihre Lage wird noch wesentlich verschlechtert durch
die großartige Förderung, welche in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika die heimische Industrie durch die in der Mac-Kinley-
Bill beschlossene hohe Prämie erfahren muß und durch die bevor-
zugte Stellung, welche man in den Vereinigten Staaten einigen
anderen amerikanischen Staaten für die Zuckereinfuhr scheint ein-
räumen zu wollen, sowie durch den hohen Einfuhrzoll, welcher
neuerdings auf Melasse in Frankreich gelegt ist. Unter diesen
Umständen ist der Zeitpunkt für eine abermalige Aenderung der
Zuckerbesteuerung, welche die deutsche Industrie gegenüber der durch
staatliche Vergünstigung jeder Art geförderten Concurrenz anderer
Länder auf dem Weltmarkt wehrlos macht, so unglücklich wie
möglich gewählt und widerspricht der von der deutschen Reichs-
regierung durch ihre Theilnahme an der Londoner Convention
früher bethätigten Meinung, daß die der deutschen Industrie aus
der bestehenden Gesetzgebung erwachsende mäßige Ausfuhrprämie
nur aufgehoben werden sollte, wenn auch die concurrirenden In-
dustrien des Auslandes die ihnen gewährten viel höheren Prämien
einbüßen. Die Annahme des dem Reichstage vorgelegten Gesetz-
entwurfs betreffend die Besteuerung des Zuckers ohne gleichzeitige
Aenderung der Steuerverhältnisse in den concurrirenden Ländern
würde die Concurrenz der deutschen Zuckerindustrie auf dem Welt-
markt fast unmöglich machen, die Ausfuhr deutschen Zuckers nach
dem Auslande auf das äußerste beschränken und einen Niedergang
der deutschen Zuckerindustrie zur Folge haben, welcher den natio-
nalen Wohlstand erheblich schwächen, der deutschen Landwirthschaft
und dem deutschen Gewerbefleiß schwere Wunden schlagen und die
gesammte volkswirthschaftliche Entwicklung unsres Vaterlandes em-
pfindlich schädigen müßte."

Eine Berliner Correspondenz der "Post", welche eine Anzahl
irriger Hofnachrichten berichtigt, bemerkt außerdem:

"Bei
dieser Gelegenheit sei auch das Gerücht von dem angeblich bevor-
stehenden Uebertritte J. kgl. Hoheit der Prinzessin Sophie,
Kronprinzessin von Griechenland, zur griechischen Kirche er-
wähnt. Das Gerücht hat aus der "Nowoje Wremja" einerseits,
andrerseits aus griechischen Blättern seinen Weg in einige deutsche
Zeitungen gefunden. Wie es scheint, hat es den einzigen Anhalt
darin, daß die Prinzessin hin und wieder, so auch letzthin in
Berlin, mit ihrem hohen Gemahl dem Gottesdienst nach griechi-
schem Ritus beigewohnt hat. Sie folgte damit der Landessitte
Griechenlands, die solche Kirchgänge bei bestimmten Gelegenheiten
fordert, vielleicht daneben auch einem Gesühl, das Jedermann be-
greifen wird, ohne es mit der Absicht eines Uebertritts zusammen-
zubringen. Im übrigen möge daran erinnert werden, daß die
Ehepacten J. kgl. Hoheit einen Punkt enthalten, wonach die Prin-
zessin bei ihrer väterlichen Confession verbleibt -- gerade so wie
Se. Majestät der König Georg bei der lutherischen Confession ver-
blieben ist."

Die Wahl des Abg. Dr. Witte
im II. Meininger Wahlkreis am 20. Februar d. J. ist so be-
gründet angefochten, daß deren Ungültigkeitserklärung selbst den
Parteigenossen des Gewählten nicht zweifelhaft ist. Eine Neuwahl
wird schon im nächsten Frühjahr erwartet. Für eine solche sind
die Socialdemokraten bereits stark in vorbereitender Thätigkeit.
Der Candidat Reißaus-Erfurt bereist schon den Wahlkreis und
hält in verschiedenen Orten Wahlreden. Der Wahlkreis zählt eine
starke Arbeiterbevölkerung. -- Als Zählungsergebnisse im
Meininger Lande sind zu verzeichnen: Meiningen 12,140 (+ 700),
Hildburghausen 6017 (+ 517), Sonneberg 11,376 (+ 1229),
Salzungen 4128 (+ 172), Pößneck 8949 (+ 1296).

Luxemburg.

Wie die "Luxemb. Ztg." meldet,
hat der Großherzog die mit der Ueberreichung der Adresse
betraute Kammerdeputation noch gestern Abend empfangen und der-
selben, nachdem Hr. de Wacquant das Schriftstück verlesen hatte,
Folgendes erwidert: Er sei glücklich, abermals die Uebereinstimmung
der Ansichten und Gefühle der Volksvertretung mit denjenigen des
Staatsoberhauptes zu constatiren. Er danke dafür, daß man
die Frau Großherzogin und seinen Sohn in die Wünsche für seine

[Spaltenumbruch]

den Schaden haftbar, den ihnen eine verlorene Sache brachte.
Nicht Alle konnten Hülse finden. Die Mittel des Hofes selbst
waren von allen Seiten her in Anspruch genommen.

Ueberdies zeigte es sich, daß Pierino's Vater seinen Ein-
fluß überschätzt hatte. Derselbe mochte wohl einmal, wie es
nach verschiedenen Anzeichen schien, ein nicht unerheblicher ge-
wesen sein. Aber auch hier mochte das Gerücht über die
Familienverhältnisse ungünstig einwirken. Genug, wenn es
auf den alten Herrn allein angekommen wäre, so würde Pierino
wahrscheinlich gleich einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von
anderen Bittstellern unverrichteter Sache von Rom wieder ab-
gezogen sein.

Es kam indessen nicht so weit. Durch die Fürsprache
einer Dame wurde Pierino hochgestellten Personen des Kaiser-
staates empfohlen und nach einem Jahr sehen wir ihn als
schmucken Cadetten eines k. k. Infanterieregimentes inmitten
seiner neuen Cameraden die Wache beziehen.

Trotzdem daß die Stadt, in welche ihn sein Dienst geführt
hatte, von einer Bevölkerung bewohnt war, die seine Mutter-
sprache redete, und sich auch im Regimente mehrere Landsleute
und außerdem auch noch andere Officiere befanden, die in der-
selben mit ihm verkehrten, so machte er sich doch die deutsche
Sprache mit einer Schnelligkeit zu eigen, wie sie wohl bei
einem Calabresen noch niemals erlebt wurde. Dabei wurde
eine Eigenthümlichkeit bemerkt, die bei Menschen seiner Art
nicht selten vorkommt. Eine erstaunliche Menge von Dingen,
die ihm nach seinem bisherigen Lebensgange ganz und gar
fremd waren, beherrschte er in der kürzesten Zeit. Dabei hätte
aber sein bester Bekannter nicht zu sagen vermocht, wann und
wo er studirte. Man sah ihn an allen Ecken und Enden,
Jeder hätte geglaubt, er führe, sobald er des Dienstes ledig
wäre, das Leben eines der zahllosen Müßiggänger seiner Hei-
math. Er schien allgegenwärtig. Je nach den Gewohnheiten,
die Einer selbst hatte, glaubte dieser, Pierino sei nur auf dem
Corso zu sehen, ein Zweiter, er habe seine Wohnung im Kaffee-
haus aufgeschlagen, und die eine und andere jugendliche Schön-
heit der Stadt war überzeugt, daß derselbe seine Zeit damit
hinbringe, den Damen den Hof zu machen.

[Spaltenumbruch]

Der Titel eines Marchese trug in dem Städtchen, in
welchem es nicht vielen Adel gab, nicht wenig dazu bei, Pierino
zu einer allgemein bewunderten Gestalt zu machen. Bald
empfand er das Bedürfniß, durch einen entsprechenden Auf-
wand die glänzende Meinung zu rechtfertigen, die man von
seiner Persönlichkeit hatte. Obwohl seine Familie ihn aus
irgendwelchem Grunde nicht unterstützte und seine Revenuen als
Cadett keinerlei Verschwendung gestatteten, so mochte er doch
irgendwelche Quellen entdeckt haben, aus denen er das für seine
Vergnügungen nöthige Metall gewann. Er betheiligte sich an
Ausflügen und Gondelfahrten, gehörte zu den ständigen Be-
suchern einer Theaterloge und blieb auch nicht zurück, wenn es
sich um ein Spiel oder um eine Gasterei handelte.

So weit war Alles für den jungen Herrn ganz gut und
angenehm bestellt, als er plötzlich zur Verwunderung seiner
Cameraden denselben ankündigte, daß er sich einen Urlaub er-
bitten wolle, um seine Angehörigen in Italien zu besuchen.

Wenn es nach ihm ging, so hatten ihn seine Gönner,
Bekannten und Freunde das letzte Mal gesehen.

Mit der kühlen Berechnung, welche ihn niemals verließ,
glaubte er herausgefunden zu haben, daß ihm der Dienst unter
des Kaisers Fahnen nicht jene günstigen Aussichten in die
Zukunft eröffnete, welche ihm der Eintritt in das Heer des
neugeschaffenen Königreichs auf der Halbinsel gewähren konnte.
Denn dort war eine Großmacht, welche sich erst einrichtete, die
durch die Lage gezwungen war, den inneren und äußeren
Gefahren durch die Herstellung von Streitkräften zu begegnen.

Indessen lehnte man hier seine Dienste ab. Nachdem
weder unter dem sechsstrahligen Stern Italiens, noch unter
den blauen und goldenen Lilien des verschwundenen König-
reiches beider Sicilien die Glücksblume des kleinen Pierino
gedeihen wollte, so mußte er sich daran erinnern, daß sein Ur-
laub noch nicht abgelaufen war. Dagegen war der geringe
Baarschatz, den er auf seine Fahrt nach dem Glück mitgenom-
men hatte, längst erschöpft, und es quälte ihn nunmehr die
Verlegenheit, auf welche Weise er in den Schatten der kaiser-
lichen Fahnen, wo man ihn so wohlwollend aufgenommen
hatte, zurückzukommen vermöchte. (Schluß folgt.)

[Spaltenumbruch]

Zukunft miteinbegriffen habe; seine Familie sei allezeit seine Freude
und sein Trost gewesen. Seit er Luxemburger geworden, habe sich
diese Familie vergrößert. Der von ihm vor der Kammer geleistete
Eid enthalte eine patriarchalische Formel: er habe geschworen, so
zu regieren, wie es einem guten Fürsten gezieme; man hätte fast
sagen können: wie es die Pflicht eines guten Familienvaters sei.
In diesem Sinne wenigstens fasse er die Tragweite jenes Satzes auf.
Der Großherzog zog die Mitglieder der Deputation zur Tasel, bei
welcher die Großherzogin zwischen dem Kammerpräsidenten und
dem Staatsminister saß, während der Großherzog die Hofdamen
Frl. v. Preen und Frl. v. Apor zu Nachbarinnen hatte. Nach der
Tafel wurde noch einstündiger Cercle abgehalten. Die "Luxemburger
Zeitung" hebt hervor, daß sich die Großherzogin in der Unter-
haltung der französischen Sprache bediente. Heute Vormittag
empfing der Großherzog in feierlicher Audienz den Abgesandten
des Kaisers von Oesterreich, General Frhrn. v. Bechtholsheim,
welcher ein Glückwunschschreiben seines Souveräns überbrachte.
Der französische Ministerresident, Hr. Raindre, wird morgen
empfangen werden. Der Erbgroßherzog wird morgen seine Reise
nach Berlin antreten.

Belgien.

Am heutigen Tage begeht Belgien
den 25. Jahrestag der Thronbesteigung König Leopolds II. Bei
dem Rückblicke auf die Regierung des Monarchen, den sein Land
als Muster eines constitutionellen Fürsten verehrt, wollen wir
heute nur einige Punkte hervorheben, in welchen sich seine streng
rechtliche Gesinnung und seine Weisheit in Fragen bewährten, die
auch das Ausland, insbesondere auch das Deutsche Reich näher be-
rührten. Kurz nach dem Besuche, welchen im Jahre 1867 König
Wilhelm I. von Preußen und Graf Bismarck am Brüsseler Hofe
abstatteten, bedrohte die luxemburgische Frage den Frieden Europa's.
Als das Großherzogthum, welches König Wilhelm III. der Nieder-
lande dem französischen Kaiser zum Kaufe angeboten hatte, dem
König der Belgier angetragen wurde, lehnte der letztere in
Voraussicht möglicher Verwicklungen das Danaer-Geschenk ab, so
sehr sich auch im belgischen Volke Sympathie für den Anschluß der
Luxemburger kundgab. Auch in der Frage der belgischen Eisen-
bahnen, welche Frankreich unter dem Deckmantel wirthschaftlicher
Interessen, in Wahrheit aber zur Vorbereitung seiner späteren
kriegerischen Action gegen Deutschland unter seinen Einfluß zu
bringen suchte, bewies König Leopold Scharffinn und Klugheit,
Ausdauer und Standhaftigkeit nicht allein im wohlverstandenen
Interesse seines Landes, sondern auch in demjenigen des inter-
nationalen Friedens. Bei seinen inneren Reformen, namentlich
auf dem Gebiete der Heeresverfassung und auf demjenigen der
socialen Frage, hat König Leopold große Einsicht und die besten
Intentionen bewährt, und zwar im Kampfe gegen mächtige Hinder-
nisse, die ihm aus den Reihen der belgischen Politiker und Indu-
striellen entgegentraten. Wo sich aber der Scharfblick des Königs
der Belgier am glänzendsten zeigt, wo der Monarch, dessen Jubel-
fest wir heute freudig begehen, als der größte Bahnbrecher der
europäischen Civilisation betrachtet werden muß, das ist das Werk
der afrikanischen Colonisation, das Congo-Unternehmen. Als
König Leopold II. im Jahre 1874 mit eigenen Mitteln die
"Internationale Afrika-Gesellschaft" gründete, wurde er lediglich
als ein Gönner der geographischen Wissenschaft gefeiert. Denn
damals dachte noch Niemand daran, daß einst die Großmächte
Europa's im schwarzen Erdtheile Colonien gründen würden. Nur
im Königspalaste zu Brüssel saß ein erlauchter Fürst, der über die
Mittel nachsann, seinem im Reichthum förmlich erstickenden Volke
ein Absatzgebiet zu verschaffen. Der Herrscher blickte auf das kleine
Holland, welches jährlich Hunderte von Millionen aus seinen
Colonien zieht, auf das schwache Spanien, welches die reichen
Antillen beherrscht, auf das arme Portugal, welches sein Banner
auf allen Meeren flattern läßt. Und das reiche Belgien, das einst
die Nordsee beherrschte, sollte kein Land finden, in dem es den
Ueberschuß seines Reichthums absetzen konnte? Der König kannte
wohl den geringen Unternehmungsgeist seiner Landsleute. Er
wußte, daß die kalt berechnenden Belgier bereit sein würden, eine
schon blühende Colonie zu übernehmen, aber sich auf große
Forschungsreisen nicht hinauswagen würden. Da gründete der
Monarch den Congo-Staat auf eigene Kosten. Fünfzehn Jahre
lang leistete der König, was vor ihm kein einzelner Mensch ge-
leistet: er gab nicht bloß sein ganzes Privatvermögen, sondern die
Hälfte seiner jährlichen Civilliste für die Gründung und staatliche
Organisirung des Congo-Reiches aus, und nachdem das junge
afrikanische Staatswesen aufzublühen begann, vermachte er es als
Erbtheil seinem geliebten Volke. Dank seinem König tritt Belgien
mit einem Schlage und ohne sonderliche Opfer in den Besitz einer
Colonie, um die andere Völker vielleicht schwere Schlachten hätten
schlagen und blutige Feldzüge hätten unternehmen müssen. Lange
Zeit haben die Belgier die großmüthige That des Königs mit
Undank und Gleichgültigkeit gelohnt. Aber heute ist das Eis ge-
brochen. Wir hoffen, daß der Wunsch des hochherzigen Monarchen,
der gern noch selbst die reichen Früchte des Congo-Werkes für
Belgien gesehen hätte, in Erfüllung gehen wird. In seinem
Privatleben ist König Leopold II. leider nicht so glücklich ge-
wesen, wie in seinen politischen Bestrebungen. Er hat an sich die
Bitterkeiten des menschlichen Schicksals, das die Großen der Erde
nicht verschont, erfahren, und man kann von diesem edlen Fürsten
sagen, daß er den Kelch des Leidens bis zur Neige geleert hat.
Schon in den ersten Jahren seiner Regierung brach die Katastrophe
von Queretaro herein, und die einzige Schwester des Königs, die
Prinzessin Charlotte, verfiel in jenen Schreckenstagen, wo auf sernem
Boden Kaiser Maximilian den Heldentod starb, dem unheilbaren
Wahnsinn. Zwei Jahre darauf verschied der einzige Sohn des
Königs, der hoffnungsvolle Herzog von Brabant, und seither gibt
sich der König der politischen Erziehung seines Neffen, des Prinzen
Balduin hin, der ihm einst auf dem Throne nachfolgen soll. Die
letzte erschütternde Katastrophe zu Meyerling ist noch in Aller Er-
innerung. Mit stoischer Festigkeit hat König Leopold II. alle
Schicksalsschläge ertragen. Denn er lebt nicht sich und seiner
Familie, sondern nur seinem Volke. "Das Glück eines Fürsten",
so sagt er in seinem letzten Schreiben an den Ministerpräsidenten,
"liegt in dem Glücke des Volkes." Diesem Grundsatze treu hat
König Leopold II. stets gehandelt und deßhalb grüßt ihn an seinem
Ehrentage ein dankbares Volk und feiert ihn die aufrichtige Anerken-
nung der Mitwelt.

Asien.

* Dem "Standard" wird aus Bangkok, 4. November, ge-
schrieben, dort gehe das Gerücht, daß Deutschland wegen Er-
werbung eines Streifens siamesischen Gebiets nördlich von
Penang verhandle. Das Stück Land soll als Koblenstation und
Entrepot für den stets wachsenden deutschen Handel nach Siam
und anderen Ländern im Osten dienen.

Afrika.

* Der italienische Capitän Hugo Ferrandi, der bereits
wiederholt Reisen in Afrika unternommen hat und sich zuletzt einige
Zeit in Harrar aufhielt, wird sich nach dem Gebiete des Juba be-
geben. Er beabsichtigt, bis zum Galla-Lande zu ziehen und durch
seine Forschungen zur Aufhellung des Juba-Gebietes beizutragen.

München, Samſtag Allgemeine Zeitung 13. December 1890.Morgenblatt Nr. 345.
[Spaltenumbruch]

ſelbſtverſtändlich nichts zu erreichen, hier muß vielmehr das
materielle Recht geändert werden in der Art, daß beiden Con-
trahenten des Vertrags die Möglichkeit eröffnet wird, zum
voraus eine Caution für den Fall des verwirkten Schaden-
erſatzes zu erlangen. In dieſer Hinſicht ſind zur Zeit nament-
lich die Arbeitgeber ſo gut wie rechtlos, zumal dem ſocialdemo-
kratiſchen Arbeiter gegenüber, der dem Beweis der Wahrheit
des „ehernen Lohngeſetzes“ mit Erfolg dadurch zu Hülfe kommt,
daß er grundſätzlich nichts erſpart. Sein Vermögen beſteht
lediglich im Ertrag ſeiner Arbeit, und an dieſen kann ſich der
Arbeitgeber behufs Beſchaffung der Caution gegen Vertrags-
bruch zufolge des Geſetzes über die Beſchlagnahme des Ar-
beitslohnes nicht halten. Dieſes Geſetz begründet ein Aus-
nahmerecht,
ein Privilegium zu Gunſten der Arbeiter; es
wurzelt in der Billigkeit, und Niemand wird daran denken, es
zu beſeitigen. Aber wie es jetzt ſchon aus höheren Rückſichten
gewiſſen Beſchränkungen unterliegt, ſo erſcheint auch eine Be-
ſchränkung in der hier beſprochenen Richtung ſtatthaft und an-
gezeigt, zumal ja hier dem redlichen Arbeiter materiell nichts
entzogen wird, wenn ein kleiner Theil des Lohnes zum Zweck
der Cautionsleiſtung zurückbehalten wird; eine Einbuße erleidet
er nur, wenn er („böslich“ würden wir ſagen, wenn das Bös-
liche, bewußt Rechtswidrige, nicht ſchon im Wort „Vertrags-
bruch“ läge) den Vertrag bricht und dadurch die Buße ver-
wirkt. — Die Gleichheit vor dem Geſetz erfordert es, daß wie
vom Arbeiter ſo auch vom Arbeitgeber die Leiſtung der
Sicherheit für etwaige Anſprüche aus Vertrags-
bruch
verlangt wird. Geſchieht dies, dann liegt für die
Socialdemokratie auch nicht der Schatten eines Grundes vor,
über Ausnahmegeſetzgebung zu klagen.



Deutſches Reich.

Telegramm. In der heutigen Sitzung
des Reichstages kam die Vorlage über die Zuckerſteuer
zur erſten Berathung. Staatsſecretär Frhr. v. Maltzahn
empfiehlt die Vorlage. Abg. Witte ſtimmt derſelben zu.
Graf Stolberg-Wernigerode erklärt, die Abſchaffung der
Materialſteuer ſei für die Landwirthſchaft nicht gleichgültig.
Abg. Oechelhäuſer kann der Abſchaffung des Prämien-
ſyſtems nicht zuſtimmen. Abg. v. Kardorff verlangt Aufrecht-
haltung der Materialſteuer. Staatsſecretär v. Maltzahn er-
klärt die Vorlage durch den zwingenden Druck der Verhältniſſe.
Abg. Dr. Buhl ſpricht im Namen eines Theiles der National-
liberalen deren Zuſtimmung aus. Abg. Barth verlangt raſche
Aufhebung der Prämien. Die Vorlage wird ſchließlich an eine
Commiſſion verwieſen. Eine zweite Sitzung fand Nach-
mittags 4 Uhr ſtatt; in derſelben ward der türkiſche Handels-
vertrag
in dritter Leſung angenommen. Die nächſte Sitzung
wird auf den 13. Januar anberaumt; auf die Tagesordnung
derſelben werden die Anträge betreffend die Lebensmittelzölle geſetzt.

Das Reichsverſicherungsamt hat unterm
31. v. M. eine Anleitung, betreffend den Kreis der nach dem
Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetz verſicher-
ten Perſonen,
herausgegeben, welche zunächſt den Vorſtänden der
Verſicherungsanſtalten als Hülfsmittel für die oft ſchwierige Frage
der Verſicherungspflichtigkeit dienen ſoll. In nicht zu langer Zeit
wird das Reichsverſicherungsamt auch in die Lage kommen, über
die Verſicherungspflichtigkeit einzelner Perſonen, ſoweit von den-
ſelben auf Grund der Uebergangsbeſtimmungen (§§. 156 bis 160
des Geſetzes) Rentenſprüche erhoben werden, in der Reviſionsinſtanz
endgültige Entſcheidungen zu treffen. In Bezug auf die in die
Verſicherung neu eintretenden Perſonen hat das Geſetz in §. 122
zunächſt den unteren und in der Beſchwerdeinſtanz den höheren
Verwaltungsbehörden die Entſcheidung der Frage übertragen, ob
und zu welcher Verſicherungsanſtalt die betreffenden Perſonen ge-
hören. Um hiernach eine gleichmäßige Praxis bei den einzelnen
Verwaltungsbehörden zu erzielen, hat das Reichsverſicherungsamt
die ſämmtlichen Landescentralbehörden erſucht, die vorerwähnte An-
leitung den unterſtellten Verwaltungsbehörden zur Kenntnißnahme
und thunlichſten Beachtung mitzutheilen. Dem entſprechend haben
nunmehr die Landescentralbehörden ſowohl die mit der Ausſtellung
der Quittungskarten betrauten Amtsſtellen, ſowie die zur Entſchei-
dung von Streitigkeiten berufenen Verwaltungsbehörden angewieſen,
die Anleitung ſich als Anhalt dienen zu laſſen. Insbeſondere ſind
die preußiſchen in Betracht kommenden Behörden durch Erlaß der
Miniſter des Innern und für Handel und Gewerbe vom 14. No-
vember d. J. in dieſem Sinne mit Anweiſung verſehen worden.
Die in der Anleitung des Reichsverſicherungsamts niedergelegten
Grundſätze, welche übrigens aus wiederholten Berathungen mit
den Vertretern der Landescentralbehörden und Verſicherungs-
anſtalten hervorgegangen ſind, werden demnach bis auf weiteres
[Spaltenumbruch] für die Frage der Verſicherungspflichtigkeit eine grundlegende Be-
deutung haben.

Die ſehr ſtark beſuchte allgemeine Verſammlung
deutſcher Zuckerfabricanten und Landwirthe,
welche
am Mittwoch in Berlin ſtattfand, hat einſtimmig folgende Reſolu-
tion angenommen: „Durch die hohen Prämien, welche von einigen
Nachbarländern bei der Ausfuhr von Zucker gewährt werden, durch
die auch in den außereuropäiſchen Ländern ſchnell fortſchreitende
Technik und durch die ſtaatlichen Begünſtigungen, welche auch dort
in ſteigendem Maße gewährt werden, iſt die Concurrenz, gegen
welche die deutſche Zuckerinduſtrie auf dem Weltmarkte ankämpfen
muß, ſchon unter den gegenwärtigen Verhältniſſen eine ſo über-
mächtige, daß ſie nur mit äußerſter Mühe ihre Stellung aufrecht-
erhalten kann. Ihre Lage wird noch weſentlich verſchlechtert durch
die großartige Förderung, welche in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika die heimiſche Induſtrie durch die in der Mac-Kinley-
Bill beſchloſſene hohe Prämie erfahren muß und durch die bevor-
zugte Stellung, welche man in den Vereinigten Staaten einigen
anderen amerikaniſchen Staaten für die Zuckereinfuhr ſcheint ein-
räumen zu wollen, ſowie durch den hohen Einfuhrzoll, welcher
neuerdings auf Melaſſe in Frankreich gelegt iſt. Unter dieſen
Umſtänden iſt der Zeitpunkt für eine abermalige Aenderung der
Zuckerbeſteuerung, welche die deutſche Induſtrie gegenüber der durch
ſtaatliche Vergünſtigung jeder Art geförderten Concurrenz anderer
Länder auf dem Weltmarkt wehrlos macht, ſo unglücklich wie
möglich gewählt und widerſpricht der von der deutſchen Reichs-
regierung durch ihre Theilnahme an der Londoner Convention
früher bethätigten Meinung, daß die der deutſchen Induſtrie aus
der beſtehenden Geſetzgebung erwachſende mäßige Ausfuhrprämie
nur aufgehoben werden ſollte, wenn auch die concurrirenden In-
duſtrien des Auslandes die ihnen gewährten viel höheren Prämien
einbüßen. Die Annahme des dem Reichstage vorgelegten Geſetz-
entwurfs betreffend die Beſteuerung des Zuckers ohne gleichzeitige
Aenderung der Steuerverhältniſſe in den concurrirenden Ländern
würde die Concurrenz der deutſchen Zuckerinduſtrie auf dem Welt-
markt faſt unmöglich machen, die Ausfuhr deutſchen Zuckers nach
dem Auslande auf das äußerſte beſchränken und einen Niedergang
der deutſchen Zuckerinduſtrie zur Folge haben, welcher den natio-
nalen Wohlſtand erheblich ſchwächen, der deutſchen Landwirthſchaft
und dem deutſchen Gewerbefleiß ſchwere Wunden ſchlagen und die
geſammte volkswirthſchaftliche Entwicklung unſres Vaterlandes em-
pfindlich ſchädigen müßte.“

Eine Berliner Correſpondenz der „Poſt“, welche eine Anzahl
irriger Hofnachrichten berichtigt, bemerkt außerdem:

„Bei
dieſer Gelegenheit ſei auch das Gerücht von dem angeblich bevor-
ſtehenden Uebertritte J. kgl. Hoheit der Prinzeſſin Sophie,
Kronprinzeſſin von Griechenland, zur griechiſchen Kirche er-
wähnt. Das Gerücht hat aus der „Nowoje Wremja“ einerſeits,
andrerſeits aus griechiſchen Blättern ſeinen Weg in einige deutſche
Zeitungen gefunden. Wie es ſcheint, hat es den einzigen Anhalt
darin, daß die Prinzeſſin hin und wieder, ſo auch letzthin in
Berlin, mit ihrem hohen Gemahl dem Gottesdienſt nach griechi-
ſchem Ritus beigewohnt hat. Sie folgte damit der Landesſitte
Griechenlands, die ſolche Kirchgänge bei beſtimmten Gelegenheiten
fordert, vielleicht daneben auch einem Geſühl, das Jedermann be-
greifen wird, ohne es mit der Abſicht eines Uebertritts zuſammen-
zubringen. Im übrigen möge daran erinnert werden, daß die
Ehepacten J. kgl. Hoheit einen Punkt enthalten, wonach die Prin-
zeſſin bei ihrer väterlichen Confeſſion verbleibt — gerade ſo wie
Se. Majeſtät der König Georg bei der lutheriſchen Confeſſion ver-
blieben iſt.“

Die Wahl des Abg. Dr. Witte
im II. Meininger Wahlkreis am 20. Februar d. J. iſt ſo be-
gründet angefochten, daß deren Ungültigkeitserklärung ſelbſt den
Parteigenoſſen des Gewählten nicht zweifelhaft iſt. Eine Neuwahl
wird ſchon im nächſten Frühjahr erwartet. Für eine ſolche ſind
die Socialdemokraten bereits ſtark in vorbereitender Thätigkeit.
Der Candidat Reißaus-Erfurt bereist ſchon den Wahlkreis und
hält in verſchiedenen Orten Wahlreden. Der Wahlkreis zählt eine
ſtarke Arbeiterbevölkerung. — Als Zählungsergebniſſe im
Meininger Lande ſind zu verzeichnen: Meiningen 12,140 (+ 700),
Hildburghauſen 6017 (+ 517), Sonneberg 11,376 (+ 1229),
Salzungen 4128 (+ 172), Pößneck 8949 (+ 1296).

Luxemburg.

Wie die „Luxemb. Ztg.“ meldet,
hat der Großherzog die mit der Ueberreichung der Adreſſe
betraute Kammerdeputation noch geſtern Abend empfangen und der-
ſelben, nachdem Hr. de Wacquant das Schriftſtück verleſen hatte,
Folgendes erwidert: Er ſei glücklich, abermals die Uebereinſtimmung
der Anſichten und Gefühle der Volksvertretung mit denjenigen des
Staatsoberhauptes zu conſtatiren. Er danke dafür, daß man
die Frau Großherzogin und ſeinen Sohn in die Wünſche für ſeine

[Spaltenumbruch]

den Schaden haftbar, den ihnen eine verlorene Sache brachte.
Nicht Alle konnten Hülſe finden. Die Mittel des Hofes ſelbſt
waren von allen Seiten her in Anſpruch genommen.

Ueberdies zeigte es ſich, daß Pierino’s Vater ſeinen Ein-
fluß überſchätzt hatte. Derſelbe mochte wohl einmal, wie es
nach verſchiedenen Anzeichen ſchien, ein nicht unerheblicher ge-
weſen ſein. Aber auch hier mochte das Gerücht über die
Familienverhältniſſe ungünſtig einwirken. Genug, wenn es
auf den alten Herrn allein angekommen wäre, ſo würde Pierino
wahrſcheinlich gleich einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von
anderen Bittſtellern unverrichteter Sache von Rom wieder ab-
gezogen ſein.

Es kam indeſſen nicht ſo weit. Durch die Fürſprache
einer Dame wurde Pierino hochgeſtellten Perſonen des Kaiſer-
ſtaates empfohlen und nach einem Jahr ſehen wir ihn als
ſchmucken Cadetten eines k. k. Infanterieregimentes inmitten
ſeiner neuen Cameraden die Wache beziehen.

Trotzdem daß die Stadt, in welche ihn ſein Dienſt geführt
hatte, von einer Bevölkerung bewohnt war, die ſeine Mutter-
ſprache redete, und ſich auch im Regimente mehrere Landsleute
und außerdem auch noch andere Officiere befanden, die in der-
ſelben mit ihm verkehrten, ſo machte er ſich doch die deutſche
Sprache mit einer Schnelligkeit zu eigen, wie ſie wohl bei
einem Calabreſen noch niemals erlebt wurde. Dabei wurde
eine Eigenthümlichkeit bemerkt, die bei Menſchen ſeiner Art
nicht ſelten vorkommt. Eine erſtaunliche Menge von Dingen,
die ihm nach ſeinem bisherigen Lebensgange ganz und gar
fremd waren, beherrſchte er in der kürzeſten Zeit. Dabei hätte
aber ſein beſter Bekannter nicht zu ſagen vermocht, wann und
wo er ſtudirte. Man ſah ihn an allen Ecken und Enden,
Jeder hätte geglaubt, er führe, ſobald er des Dienſtes ledig
wäre, das Leben eines der zahlloſen Müßiggänger ſeiner Hei-
math. Er ſchien allgegenwärtig. Je nach den Gewohnheiten,
die Einer ſelbſt hatte, glaubte dieſer, Pierino ſei nur auf dem
Corſo zu ſehen, ein Zweiter, er habe ſeine Wohnung im Kaffee-
haus aufgeſchlagen, und die eine und andere jugendliche Schön-
heit der Stadt war überzeugt, daß derſelbe ſeine Zeit damit
hinbringe, den Damen den Hof zu machen.

[Spaltenumbruch]

Der Titel eines Marcheſe trug in dem Städtchen, in
welchem es nicht vielen Adel gab, nicht wenig dazu bei, Pierino
zu einer allgemein bewunderten Geſtalt zu machen. Bald
empfand er das Bedürfniß, durch einen entſprechenden Auf-
wand die glänzende Meinung zu rechtfertigen, die man von
ſeiner Perſönlichkeit hatte. Obwohl ſeine Familie ihn aus
irgendwelchem Grunde nicht unterſtützte und ſeine Revenuen als
Cadett keinerlei Verſchwendung geſtatteten, ſo mochte er doch
irgendwelche Quellen entdeckt haben, aus denen er das für ſeine
Vergnügungen nöthige Metall gewann. Er betheiligte ſich an
Ausflügen und Gondelfahrten, gehörte zu den ſtändigen Be-
ſuchern einer Theaterloge und blieb auch nicht zurück, wenn es
ſich um ein Spiel oder um eine Gaſterei handelte.

So weit war Alles für den jungen Herrn ganz gut und
angenehm beſtellt, als er plötzlich zur Verwunderung ſeiner
Cameraden denſelben ankündigte, daß er ſich einen Urlaub er-
bitten wolle, um ſeine Angehörigen in Italien zu beſuchen.

Wenn es nach ihm ging, ſo hatten ihn ſeine Gönner,
Bekannten und Freunde das letzte Mal geſehen.

Mit der kühlen Berechnung, welche ihn niemals verließ,
glaubte er herausgefunden zu haben, daß ihm der Dienſt unter
des Kaiſers Fahnen nicht jene günſtigen Ausſichten in die
Zukunft eröffnete, welche ihm der Eintritt in das Heer des
neugeſchaffenen Königreichs auf der Halbinſel gewähren konnte.
Denn dort war eine Großmacht, welche ſich erſt einrichtete, die
durch die Lage gezwungen war, den inneren und äußeren
Gefahren durch die Herſtellung von Streitkräften zu begegnen.

Indeſſen lehnte man hier ſeine Dienſte ab. Nachdem
weder unter dem ſechsſtrahligen Stern Italiens, noch unter
den blauen und goldenen Lilien des verſchwundenen König-
reiches beider Sicilien die Glücksblume des kleinen Pierino
gedeihen wollte, ſo mußte er ſich daran erinnern, daß ſein Ur-
laub noch nicht abgelaufen war. Dagegen war der geringe
Baarſchatz, den er auf ſeine Fahrt nach dem Glück mitgenom-
men hatte, längſt erſchöpft, und es quälte ihn nunmehr die
Verlegenheit, auf welche Weiſe er in den Schatten der kaiſer-
lichen Fahnen, wo man ihn ſo wohlwollend aufgenommen
hatte, zurückzukommen vermöchte. (Schluß folgt.)

[Spaltenumbruch]

Zukunft miteinbegriffen habe; ſeine Familie ſei allezeit ſeine Freude
und ſein Troſt geweſen. Seit er Luxemburger geworden, habe ſich
dieſe Familie vergrößert. Der von ihm vor der Kammer geleiſtete
Eid enthalte eine patriarchaliſche Formel: er habe geſchworen, ſo
zu regieren, wie es einem guten Fürſten gezieme; man hätte faſt
ſagen können: wie es die Pflicht eines guten Familienvaters ſei.
In dieſem Sinne wenigſtens faſſe er die Tragweite jenes Satzes auf.
Der Großherzog zog die Mitglieder der Deputation zur Taſel, bei
welcher die Großherzogin zwiſchen dem Kammerpräſidenten und
dem Staatsminiſter ſaß, während der Großherzog die Hofdamen
Frl. v. Preen und Frl. v. Apor zu Nachbarinnen hatte. Nach der
Tafel wurde noch einſtündiger Cercle abgehalten. Die „Luxemburger
Zeitung“ hebt hervor, daß ſich die Großherzogin in der Unter-
haltung der franzöſiſchen Sprache bediente. Heute Vormittag
empfing der Großherzog in feierlicher Audienz den Abgeſandten
des Kaiſers von Oeſterreich, General Frhrn. v. Bechtholsheim,
welcher ein Glückwunſchſchreiben ſeines Souveräns überbrachte.
Der franzöſiſche Miniſterreſident, Hr. Raindre, wird morgen
empfangen werden. Der Erbgroßherzog wird morgen ſeine Reiſe
nach Berlin antreten.

Belgien.

Am heutigen Tage begeht Belgien
den 25. Jahrestag der Thronbeſteigung König Leopolds II. Bei
dem Rückblicke auf die Regierung des Monarchen, den ſein Land
als Muſter eines conſtitutionellen Fürſten verehrt, wollen wir
heute nur einige Punkte hervorheben, in welchen ſich ſeine ſtreng
rechtliche Geſinnung und ſeine Weisheit in Fragen bewährten, die
auch das Ausland, insbeſondere auch das Deutſche Reich näher be-
rührten. Kurz nach dem Beſuche, welchen im Jahre 1867 König
Wilhelm I. von Preußen und Graf Bismarck am Brüſſeler Hofe
abſtatteten, bedrohte die luxemburgiſche Frage den Frieden Europa’s.
Als das Großherzogthum, welches König Wilhelm III. der Nieder-
lande dem franzöſiſchen Kaiſer zum Kaufe angeboten hatte, dem
König der Belgier angetragen wurde, lehnte der letztere in
Vorausſicht möglicher Verwicklungen das Danaer-Geſchenk ab, ſo
ſehr ſich auch im belgiſchen Volke Sympathie für den Anſchluß der
Luxemburger kundgab. Auch in der Frage der belgiſchen Eiſen-
bahnen, welche Frankreich unter dem Deckmantel wirthſchaftlicher
Intereſſen, in Wahrheit aber zur Vorbereitung ſeiner ſpäteren
kriegeriſchen Action gegen Deutſchland unter ſeinen Einfluß zu
bringen ſuchte, bewies König Leopold Scharffinn und Klugheit,
Ausdauer und Standhaftigkeit nicht allein im wohlverſtandenen
Intereſſe ſeines Landes, ſondern auch in demjenigen des inter-
nationalen Friedens. Bei ſeinen inneren Reformen, namentlich
auf dem Gebiete der Heeresverfaſſung und auf demjenigen der
ſocialen Frage, hat König Leopold große Einſicht und die beſten
Intentionen bewährt, und zwar im Kampfe gegen mächtige Hinder-
niſſe, die ihm aus den Reihen der belgiſchen Politiker und Indu-
ſtriellen entgegentraten. Wo ſich aber der Scharfblick des Königs
der Belgier am glänzendſten zeigt, wo der Monarch, deſſen Jubel-
feſt wir heute freudig begehen, als der größte Bahnbrecher der
europäiſchen Civiliſation betrachtet werden muß, das iſt das Werk
der afrikaniſchen Coloniſation, das Congo-Unternehmen. Als
König Leopold II. im Jahre 1874 mit eigenen Mitteln die
„Internationale Afrika-Geſellſchaft“ gründete, wurde er lediglich
als ein Gönner der geographiſchen Wiſſenſchaft gefeiert. Denn
damals dachte noch Niemand daran, daß einſt die Großmächte
Europa’s im ſchwarzen Erdtheile Colonien gründen würden. Nur
im Königspalaſte zu Brüſſel ſaß ein erlauchter Fürſt, der über die
Mittel nachſann, ſeinem im Reichthum förmlich erſtickenden Volke
ein Abſatzgebiet zu verſchaffen. Der Herrſcher blickte auf das kleine
Holland, welches jährlich Hunderte von Millionen aus ſeinen
Colonien zieht, auf das ſchwache Spanien, welches die reichen
Antillen beherrſcht, auf das arme Portugal, welches ſein Banner
auf allen Meeren flattern läßt. Und das reiche Belgien, das einſt
die Nordſee beherrſchte, ſollte kein Land finden, in dem es den
Ueberſchuß ſeines Reichthums abſetzen konnte? Der König kannte
wohl den geringen Unternehmungsgeiſt ſeiner Landsleute. Er
wußte, daß die kalt berechnenden Belgier bereit ſein würden, eine
ſchon blühende Colonie zu übernehmen, aber ſich auf große
Forſchungsreiſen nicht hinauswagen würden. Da gründete der
Monarch den Congo-Staat auf eigene Koſten. Fünfzehn Jahre
lang leiſtete der König, was vor ihm kein einzelner Menſch ge-
leiſtet: er gab nicht bloß ſein ganzes Privatvermögen, ſondern die
Hälfte ſeiner jährlichen Civilliſte für die Gründung und ſtaatliche
Organiſirung des Congo-Reiches aus, und nachdem das junge
afrikaniſche Staatsweſen aufzublühen begann, vermachte er es als
Erbtheil ſeinem geliebten Volke. Dank ſeinem König tritt Belgien
mit einem Schlage und ohne ſonderliche Opfer in den Beſitz einer
Colonie, um die andere Völker vielleicht ſchwere Schlachten hätten
ſchlagen und blutige Feldzüge hätten unternehmen müſſen. Lange
Zeit haben die Belgier die großmüthige That des Königs mit
Undank und Gleichgültigkeit gelohnt. Aber heute iſt das Eis ge-
brochen. Wir hoffen, daß der Wunſch des hochherzigen Monarchen,
der gern noch ſelbſt die reichen Früchte des Congo-Werkes für
Belgien geſehen hätte, in Erfüllung gehen wird. In ſeinem
Privatleben iſt König Leopold II. leider nicht ſo glücklich ge-
weſen, wie in ſeinen politiſchen Beſtrebungen. Er hat an ſich die
Bitterkeiten des menſchlichen Schickſals, das die Großen der Erde
nicht verſchont, erfahren, und man kann von dieſem edlen Fürſten
ſagen, daß er den Kelch des Leidens bis zur Neige geleert hat.
Schon in den erſten Jahren ſeiner Regierung brach die Kataſtrophe
von Queretaro herein, und die einzige Schweſter des Königs, die
Prinzeſſin Charlotte, verfiel in jenen Schreckenstagen, wo auf ſernem
Boden Kaiſer Maximilian den Heldentod ſtarb, dem unheilbaren
Wahnſinn. Zwei Jahre darauf verſchied der einzige Sohn des
Königs, der hoffnungsvolle Herzog von Brabant, und ſeither gibt
ſich der König der politiſchen Erziehung ſeines Neffen, des Prinzen
Balduin hin, der ihm einſt auf dem Throne nachfolgen ſoll. Die
letzte erſchütternde Kataſtrophe zu Meyerling iſt noch in Aller Er-
innerung. Mit ſtoiſcher Feſtigkeit hat König Leopold II. alle
Schickſalsſchläge ertragen. Denn er lebt nicht ſich und ſeiner
Familie, ſondern nur ſeinem Volke. „Das Glück eines Fürſten“,
ſo ſagt er in ſeinem letzten Schreiben an den Miniſterpräſidenten,
„liegt in dem Glücke des Volkes.“ Dieſem Grundſatze treu hat
König Leopold II. ſtets gehandelt und deßhalb grüßt ihn an ſeinem
Ehrentage ein dankbares Volk und feiert ihn die aufrichtige Anerken-
nung der Mitwelt.

Aſien.

* Dem „Standard“ wird aus Bangkok, 4. November, ge-
ſchrieben, dort gehe das Gerücht, daß Deutſchland wegen Er-
werbung eines Streifens ſiameſiſchen Gebiets nördlich von
Penang verhandle. Das Stück Land ſoll als Koblenſtation und
Entrepôt für den ſtets wachſenden deutſchen Handel nach Siam
und anderen Ländern im Oſten dienen.

Afrika.

* Der italieniſche Capitän Hugo Ferrandi, der bereits
wiederholt Reiſen in Afrika unternommen hat und ſich zuletzt einige
Zeit in Harrar aufhielt, wird ſich nach dem Gebiete des Juba be-
geben. Er beabſichtigt, bis zum Galla-Lande zu ziehen und durch
ſeine Forſchungen zur Aufhellung des Juba-Gebietes beizutragen.

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[2/0002] München, Samſtag Allgemeine Zeitung 13. December 1890.Morgenblatt Nr. 345. ſelbſtverſtändlich nichts zu erreichen, hier muß vielmehr das materielle Recht geändert werden in der Art, daß beiden Con- trahenten des Vertrags die Möglichkeit eröffnet wird, zum voraus eine Caution für den Fall des verwirkten Schaden- erſatzes zu erlangen. In dieſer Hinſicht ſind zur Zeit nament- lich die Arbeitgeber ſo gut wie rechtlos, zumal dem ſocialdemo- kratiſchen Arbeiter gegenüber, der dem Beweis der Wahrheit des „ehernen Lohngeſetzes“ mit Erfolg dadurch zu Hülfe kommt, daß er grundſätzlich nichts erſpart. Sein Vermögen beſteht lediglich im Ertrag ſeiner Arbeit, und an dieſen kann ſich der Arbeitgeber behufs Beſchaffung der Caution gegen Vertrags- bruch zufolge des Geſetzes über die Beſchlagnahme des Ar- beitslohnes nicht halten. Dieſes Geſetz begründet ein Aus- nahmerecht, ein Privilegium zu Gunſten der Arbeiter; es wurzelt in der Billigkeit, und Niemand wird daran denken, es zu beſeitigen. Aber wie es jetzt ſchon aus höheren Rückſichten gewiſſen Beſchränkungen unterliegt, ſo erſcheint auch eine Be- ſchränkung in der hier beſprochenen Richtung ſtatthaft und an- gezeigt, zumal ja hier dem redlichen Arbeiter materiell nichts entzogen wird, wenn ein kleiner Theil des Lohnes zum Zweck der Cautionsleiſtung zurückbehalten wird; eine Einbuße erleidet er nur, wenn er („böslich“ würden wir ſagen, wenn das Bös- liche, bewußt Rechtswidrige, nicht ſchon im Wort „Vertrags- bruch“ läge) den Vertrag bricht und dadurch die Buße ver- wirkt. — Die Gleichheit vor dem Geſetz erfordert es, daß wie vom Arbeiter ſo auch vom Arbeitgeber die Leiſtung der Sicherheit für etwaige Anſprüche aus Vertrags- bruch verlangt wird. Geſchieht dies, dann liegt für die Socialdemokratie auch nicht der Schatten eines Grundes vor, über Ausnahmegeſetzgebung zu klagen. Deutſches Reich. * Berlin, 12. Dec. Telegramm. In der heutigen Sitzung des Reichstages kam die Vorlage über die Zuckerſteuer zur erſten Berathung. Staatsſecretär Frhr. v. Maltzahn empfiehlt die Vorlage. Abg. Witte ſtimmt derſelben zu. Graf Stolberg-Wernigerode erklärt, die Abſchaffung der Materialſteuer ſei für die Landwirthſchaft nicht gleichgültig. Abg. Oechelhäuſer kann der Abſchaffung des Prämien- ſyſtems nicht zuſtimmen. Abg. v. Kardorff verlangt Aufrecht- haltung der Materialſteuer. Staatsſecretär v. Maltzahn er- klärt die Vorlage durch den zwingenden Druck der Verhältniſſe. Abg. Dr. Buhl ſpricht im Namen eines Theiles der National- liberalen deren Zuſtimmung aus. Abg. Barth verlangt raſche Aufhebung der Prämien. Die Vorlage wird ſchließlich an eine Commiſſion verwieſen. Eine zweite Sitzung fand Nach- mittags 4 Uhr ſtatt; in derſelben ward der türkiſche Handels- vertrag in dritter Leſung angenommen. Die nächſte Sitzung wird auf den 13. Januar anberaumt; auf die Tagesordnung derſelben werden die Anträge betreffend die Lebensmittelzölle geſetzt. * Berlin, 11. Dec. Das Reichsverſicherungsamt hat unterm 31. v. M. eine Anleitung, betreffend den Kreis der nach dem Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetz verſicher- ten Perſonen, herausgegeben, welche zunächſt den Vorſtänden der Verſicherungsanſtalten als Hülfsmittel für die oft ſchwierige Frage der Verſicherungspflichtigkeit dienen ſoll. In nicht zu langer Zeit wird das Reichsverſicherungsamt auch in die Lage kommen, über die Verſicherungspflichtigkeit einzelner Perſonen, ſoweit von den- ſelben auf Grund der Uebergangsbeſtimmungen (§§. 156 bis 160 des Geſetzes) Rentenſprüche erhoben werden, in der Reviſionsinſtanz endgültige Entſcheidungen zu treffen. In Bezug auf die in die Verſicherung neu eintretenden Perſonen hat das Geſetz in §. 122 zunächſt den unteren und in der Beſchwerdeinſtanz den höheren Verwaltungsbehörden die Entſcheidung der Frage übertragen, ob und zu welcher Verſicherungsanſtalt die betreffenden Perſonen ge- hören. Um hiernach eine gleichmäßige Praxis bei den einzelnen Verwaltungsbehörden zu erzielen, hat das Reichsverſicherungsamt die ſämmtlichen Landescentralbehörden erſucht, die vorerwähnte An- leitung den unterſtellten Verwaltungsbehörden zur Kenntnißnahme und thunlichſten Beachtung mitzutheilen. Dem entſprechend haben nunmehr die Landescentralbehörden ſowohl die mit der Ausſtellung der Quittungskarten betrauten Amtsſtellen, ſowie die zur Entſchei- dung von Streitigkeiten berufenen Verwaltungsbehörden angewieſen, die Anleitung ſich als Anhalt dienen zu laſſen. Insbeſondere ſind die preußiſchen in Betracht kommenden Behörden durch Erlaß der Miniſter des Innern und für Handel und Gewerbe vom 14. No- vember d. J. in dieſem Sinne mit Anweiſung verſehen worden. Die in der Anleitung des Reichsverſicherungsamts niedergelegten Grundſätze, welche übrigens aus wiederholten Berathungen mit den Vertretern der Landescentralbehörden und Verſicherungs- anſtalten hervorgegangen ſind, werden demnach bis auf weiteres für die Frage der Verſicherungspflichtigkeit eine grundlegende Be- deutung haben. Die ſehr ſtark beſuchte allgemeine Verſammlung deutſcher Zuckerfabricanten und Landwirthe, welche am Mittwoch in Berlin ſtattfand, hat einſtimmig folgende Reſolu- tion angenommen: „Durch die hohen Prämien, welche von einigen Nachbarländern bei der Ausfuhr von Zucker gewährt werden, durch die auch in den außereuropäiſchen Ländern ſchnell fortſchreitende Technik und durch die ſtaatlichen Begünſtigungen, welche auch dort in ſteigendem Maße gewährt werden, iſt die Concurrenz, gegen welche die deutſche Zuckerinduſtrie auf dem Weltmarkte ankämpfen muß, ſchon unter den gegenwärtigen Verhältniſſen eine ſo über- mächtige, daß ſie nur mit äußerſter Mühe ihre Stellung aufrecht- erhalten kann. Ihre Lage wird noch weſentlich verſchlechtert durch die großartige Förderung, welche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die heimiſche Induſtrie durch die in der Mac-Kinley- Bill beſchloſſene hohe Prämie erfahren muß und durch die bevor- zugte Stellung, welche man in den Vereinigten Staaten einigen anderen amerikaniſchen Staaten für die Zuckereinfuhr ſcheint ein- räumen zu wollen, ſowie durch den hohen Einfuhrzoll, welcher neuerdings auf Melaſſe in Frankreich gelegt iſt. Unter dieſen Umſtänden iſt der Zeitpunkt für eine abermalige Aenderung der Zuckerbeſteuerung, welche die deutſche Induſtrie gegenüber der durch ſtaatliche Vergünſtigung jeder Art geförderten Concurrenz anderer Länder auf dem Weltmarkt wehrlos macht, ſo unglücklich wie möglich gewählt und widerſpricht der von der deutſchen Reichs- regierung durch ihre Theilnahme an der Londoner Convention früher bethätigten Meinung, daß die der deutſchen Induſtrie aus der beſtehenden Geſetzgebung erwachſende mäßige Ausfuhrprämie nur aufgehoben werden ſollte, wenn auch die concurrirenden In- duſtrien des Auslandes die ihnen gewährten viel höheren Prämien einbüßen. Die Annahme des dem Reichstage vorgelegten Geſetz- entwurfs betreffend die Beſteuerung des Zuckers ohne gleichzeitige Aenderung der Steuerverhältniſſe in den concurrirenden Ländern würde die Concurrenz der deutſchen Zuckerinduſtrie auf dem Welt- markt faſt unmöglich machen, die Ausfuhr deutſchen Zuckers nach dem Auslande auf das äußerſte beſchränken und einen Niedergang der deutſchen Zuckerinduſtrie zur Folge haben, welcher den natio- nalen Wohlſtand erheblich ſchwächen, der deutſchen Landwirthſchaft und dem deutſchen Gewerbefleiß ſchwere Wunden ſchlagen und die geſammte volkswirthſchaftliche Entwicklung unſres Vaterlandes em- pfindlich ſchädigen müßte.“ Eine Berliner Correſpondenz der „Poſt“, welche eine Anzahl irriger Hofnachrichten berichtigt, bemerkt außerdem: „Bei dieſer Gelegenheit ſei auch das Gerücht von dem angeblich bevor- ſtehenden Uebertritte J. kgl. Hoheit der Prinzeſſin Sophie, Kronprinzeſſin von Griechenland, zur griechiſchen Kirche er- wähnt. Das Gerücht hat aus der „Nowoje Wremja“ einerſeits, andrerſeits aus griechiſchen Blättern ſeinen Weg in einige deutſche Zeitungen gefunden. Wie es ſcheint, hat es den einzigen Anhalt darin, daß die Prinzeſſin hin und wieder, ſo auch letzthin in Berlin, mit ihrem hohen Gemahl dem Gottesdienſt nach griechi- ſchem Ritus beigewohnt hat. Sie folgte damit der Landesſitte Griechenlands, die ſolche Kirchgänge bei beſtimmten Gelegenheiten fordert, vielleicht daneben auch einem Geſühl, das Jedermann be- greifen wird, ohne es mit der Abſicht eines Uebertritts zuſammen- zubringen. Im übrigen möge daran erinnert werden, daß die Ehepacten J. kgl. Hoheit einen Punkt enthalten, wonach die Prin- zeſſin bei ihrer väterlichen Confeſſion verbleibt — gerade ſo wie Se. Majeſtät der König Georg bei der lutheriſchen Confeſſion ver- blieben iſt.“ λ. Meiningen, 11. Dec. Die Wahl des Abg. Dr. Witte im II. Meininger Wahlkreis am 20. Februar d. J. iſt ſo be- gründet angefochten, daß deren Ungültigkeitserklärung ſelbſt den Parteigenoſſen des Gewählten nicht zweifelhaft iſt. Eine Neuwahl wird ſchon im nächſten Frühjahr erwartet. Für eine ſolche ſind die Socialdemokraten bereits ſtark in vorbereitender Thätigkeit. Der Candidat Reißaus-Erfurt bereist ſchon den Wahlkreis und hält in verſchiedenen Orten Wahlreden. Der Wahlkreis zählt eine ſtarke Arbeiterbevölkerung. — Als Zählungsergebniſſe im Meininger Lande ſind zu verzeichnen: Meiningen 12,140 (+ 700), Hildburghauſen 6017 (+ 517), Sonneberg 11,376 (+ 1229), Salzungen 4128 (+ 172), Pößneck 8949 (+ 1296). Luxemburg. * Luxemburg, 11. Dec. Wie die „Luxemb. Ztg.“ meldet, hat der Großherzog die mit der Ueberreichung der Adreſſe betraute Kammerdeputation noch geſtern Abend empfangen und der- ſelben, nachdem Hr. de Wacquant das Schriftſtück verleſen hatte, Folgendes erwidert: Er ſei glücklich, abermals die Uebereinſtimmung der Anſichten und Gefühle der Volksvertretung mit denjenigen des Staatsoberhauptes zu conſtatiren. Er danke dafür, daß man die Frau Großherzogin und ſeinen Sohn in die Wünſche für ſeine den Schaden haftbar, den ihnen eine verlorene Sache brachte. Nicht Alle konnten Hülſe finden. Die Mittel des Hofes ſelbſt waren von allen Seiten her in Anſpruch genommen. Ueberdies zeigte es ſich, daß Pierino’s Vater ſeinen Ein- fluß überſchätzt hatte. Derſelbe mochte wohl einmal, wie es nach verſchiedenen Anzeichen ſchien, ein nicht unerheblicher ge- weſen ſein. Aber auch hier mochte das Gerücht über die Familienverhältniſſe ungünſtig einwirken. Genug, wenn es auf den alten Herrn allein angekommen wäre, ſo würde Pierino wahrſcheinlich gleich einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von anderen Bittſtellern unverrichteter Sache von Rom wieder ab- gezogen ſein. Es kam indeſſen nicht ſo weit. Durch die Fürſprache einer Dame wurde Pierino hochgeſtellten Perſonen des Kaiſer- ſtaates empfohlen und nach einem Jahr ſehen wir ihn als ſchmucken Cadetten eines k. k. Infanterieregimentes inmitten ſeiner neuen Cameraden die Wache beziehen. Trotzdem daß die Stadt, in welche ihn ſein Dienſt geführt hatte, von einer Bevölkerung bewohnt war, die ſeine Mutter- ſprache redete, und ſich auch im Regimente mehrere Landsleute und außerdem auch noch andere Officiere befanden, die in der- ſelben mit ihm verkehrten, ſo machte er ſich doch die deutſche Sprache mit einer Schnelligkeit zu eigen, wie ſie wohl bei einem Calabreſen noch niemals erlebt wurde. Dabei wurde eine Eigenthümlichkeit bemerkt, die bei Menſchen ſeiner Art nicht ſelten vorkommt. Eine erſtaunliche Menge von Dingen, die ihm nach ſeinem bisherigen Lebensgange ganz und gar fremd waren, beherrſchte er in der kürzeſten Zeit. Dabei hätte aber ſein beſter Bekannter nicht zu ſagen vermocht, wann und wo er ſtudirte. Man ſah ihn an allen Ecken und Enden, Jeder hätte geglaubt, er führe, ſobald er des Dienſtes ledig wäre, das Leben eines der zahlloſen Müßiggänger ſeiner Hei- math. Er ſchien allgegenwärtig. Je nach den Gewohnheiten, die Einer ſelbſt hatte, glaubte dieſer, Pierino ſei nur auf dem Corſo zu ſehen, ein Zweiter, er habe ſeine Wohnung im Kaffee- haus aufgeſchlagen, und die eine und andere jugendliche Schön- heit der Stadt war überzeugt, daß derſelbe ſeine Zeit damit hinbringe, den Damen den Hof zu machen. Der Titel eines Marcheſe trug in dem Städtchen, in welchem es nicht vielen Adel gab, nicht wenig dazu bei, Pierino zu einer allgemein bewunderten Geſtalt zu machen. Bald empfand er das Bedürfniß, durch einen entſprechenden Auf- wand die glänzende Meinung zu rechtfertigen, die man von ſeiner Perſönlichkeit hatte. Obwohl ſeine Familie ihn aus irgendwelchem Grunde nicht unterſtützte und ſeine Revenuen als Cadett keinerlei Verſchwendung geſtatteten, ſo mochte er doch irgendwelche Quellen entdeckt haben, aus denen er das für ſeine Vergnügungen nöthige Metall gewann. Er betheiligte ſich an Ausflügen und Gondelfahrten, gehörte zu den ſtändigen Be- ſuchern einer Theaterloge und blieb auch nicht zurück, wenn es ſich um ein Spiel oder um eine Gaſterei handelte. So weit war Alles für den jungen Herrn ganz gut und angenehm beſtellt, als er plötzlich zur Verwunderung ſeiner Cameraden denſelben ankündigte, daß er ſich einen Urlaub er- bitten wolle, um ſeine Angehörigen in Italien zu beſuchen. Wenn es nach ihm ging, ſo hatten ihn ſeine Gönner, Bekannten und Freunde das letzte Mal geſehen. Mit der kühlen Berechnung, welche ihn niemals verließ, glaubte er herausgefunden zu haben, daß ihm der Dienſt unter des Kaiſers Fahnen nicht jene günſtigen Ausſichten in die Zukunft eröffnete, welche ihm der Eintritt in das Heer des neugeſchaffenen Königreichs auf der Halbinſel gewähren konnte. Denn dort war eine Großmacht, welche ſich erſt einrichtete, die durch die Lage gezwungen war, den inneren und äußeren Gefahren durch die Herſtellung von Streitkräften zu begegnen. Indeſſen lehnte man hier ſeine Dienſte ab. Nachdem weder unter dem ſechsſtrahligen Stern Italiens, noch unter den blauen und goldenen Lilien des verſchwundenen König- reiches beider Sicilien die Glücksblume des kleinen Pierino gedeihen wollte, ſo mußte er ſich daran erinnern, daß ſein Ur- laub noch nicht abgelaufen war. Dagegen war der geringe Baarſchatz, den er auf ſeine Fahrt nach dem Glück mitgenom- men hatte, längſt erſchöpft, und es quälte ihn nunmehr die Verlegenheit, auf welche Weiſe er in den Schatten der kaiſer- lichen Fahnen, wo man ihn ſo wohlwollend aufgenommen hatte, zurückzukommen vermöchte. (Schluß folgt.) Zukunft miteinbegriffen habe; ſeine Familie ſei allezeit ſeine Freude und ſein Troſt geweſen. Seit er Luxemburger geworden, habe ſich dieſe Familie vergrößert. Der von ihm vor der Kammer geleiſtete Eid enthalte eine patriarchaliſche Formel: er habe geſchworen, ſo zu regieren, wie es einem guten Fürſten gezieme; man hätte faſt ſagen können: wie es die Pflicht eines guten Familienvaters ſei. In dieſem Sinne wenigſtens faſſe er die Tragweite jenes Satzes auf. Der Großherzog zog die Mitglieder der Deputation zur Taſel, bei welcher die Großherzogin zwiſchen dem Kammerpräſidenten und dem Staatsminiſter ſaß, während der Großherzog die Hofdamen Frl. v. Preen und Frl. v. Apor zu Nachbarinnen hatte. Nach der Tafel wurde noch einſtündiger Cercle abgehalten. Die „Luxemburger Zeitung“ hebt hervor, daß ſich die Großherzogin in der Unter- haltung der franzöſiſchen Sprache bediente. Heute Vormittag empfing der Großherzog in feierlicher Audienz den Abgeſandten des Kaiſers von Oeſterreich, General Frhrn. v. Bechtholsheim, welcher ein Glückwunſchſchreiben ſeines Souveräns überbrachte. Der franzöſiſche Miniſterreſident, Hr. Raindre, wird morgen empfangen werden. Der Erbgroßherzog wird morgen ſeine Reiſe nach Berlin antreten. Belgien. □ Brüſſel, 10. Dec. Am heutigen Tage begeht Belgien den 25. Jahrestag der Thronbeſteigung König Leopolds II. Bei dem Rückblicke auf die Regierung des Monarchen, den ſein Land als Muſter eines conſtitutionellen Fürſten verehrt, wollen wir heute nur einige Punkte hervorheben, in welchen ſich ſeine ſtreng rechtliche Geſinnung und ſeine Weisheit in Fragen bewährten, die auch das Ausland, insbeſondere auch das Deutſche Reich näher be- rührten. Kurz nach dem Beſuche, welchen im Jahre 1867 König Wilhelm I. von Preußen und Graf Bismarck am Brüſſeler Hofe abſtatteten, bedrohte die luxemburgiſche Frage den Frieden Europa’s. Als das Großherzogthum, welches König Wilhelm III. der Nieder- lande dem franzöſiſchen Kaiſer zum Kaufe angeboten hatte, dem König der Belgier angetragen wurde, lehnte der letztere in Vorausſicht möglicher Verwicklungen das Danaer-Geſchenk ab, ſo ſehr ſich auch im belgiſchen Volke Sympathie für den Anſchluß der Luxemburger kundgab. Auch in der Frage der belgiſchen Eiſen- bahnen, welche Frankreich unter dem Deckmantel wirthſchaftlicher Intereſſen, in Wahrheit aber zur Vorbereitung ſeiner ſpäteren kriegeriſchen Action gegen Deutſchland unter ſeinen Einfluß zu bringen ſuchte, bewies König Leopold Scharffinn und Klugheit, Ausdauer und Standhaftigkeit nicht allein im wohlverſtandenen Intereſſe ſeines Landes, ſondern auch in demjenigen des inter- nationalen Friedens. Bei ſeinen inneren Reformen, namentlich auf dem Gebiete der Heeresverfaſſung und auf demjenigen der ſocialen Frage, hat König Leopold große Einſicht und die beſten Intentionen bewährt, und zwar im Kampfe gegen mächtige Hinder- niſſe, die ihm aus den Reihen der belgiſchen Politiker und Indu- ſtriellen entgegentraten. Wo ſich aber der Scharfblick des Königs der Belgier am glänzendſten zeigt, wo der Monarch, deſſen Jubel- feſt wir heute freudig begehen, als der größte Bahnbrecher der europäiſchen Civiliſation betrachtet werden muß, das iſt das Werk der afrikaniſchen Coloniſation, das Congo-Unternehmen. Als König Leopold II. im Jahre 1874 mit eigenen Mitteln die „Internationale Afrika-Geſellſchaft“ gründete, wurde er lediglich als ein Gönner der geographiſchen Wiſſenſchaft gefeiert. Denn damals dachte noch Niemand daran, daß einſt die Großmächte Europa’s im ſchwarzen Erdtheile Colonien gründen würden. Nur im Königspalaſte zu Brüſſel ſaß ein erlauchter Fürſt, der über die Mittel nachſann, ſeinem im Reichthum förmlich erſtickenden Volke ein Abſatzgebiet zu verſchaffen. Der Herrſcher blickte auf das kleine Holland, welches jährlich Hunderte von Millionen aus ſeinen Colonien zieht, auf das ſchwache Spanien, welches die reichen Antillen beherrſcht, auf das arme Portugal, welches ſein Banner auf allen Meeren flattern läßt. Und das reiche Belgien, das einſt die Nordſee beherrſchte, ſollte kein Land finden, in dem es den Ueberſchuß ſeines Reichthums abſetzen konnte? Der König kannte wohl den geringen Unternehmungsgeiſt ſeiner Landsleute. Er wußte, daß die kalt berechnenden Belgier bereit ſein würden, eine ſchon blühende Colonie zu übernehmen, aber ſich auf große Forſchungsreiſen nicht hinauswagen würden. Da gründete der Monarch den Congo-Staat auf eigene Koſten. Fünfzehn Jahre lang leiſtete der König, was vor ihm kein einzelner Menſch ge- leiſtet: er gab nicht bloß ſein ganzes Privatvermögen, ſondern die Hälfte ſeiner jährlichen Civilliſte für die Gründung und ſtaatliche Organiſirung des Congo-Reiches aus, und nachdem das junge afrikaniſche Staatsweſen aufzublühen begann, vermachte er es als Erbtheil ſeinem geliebten Volke. Dank ſeinem König tritt Belgien mit einem Schlage und ohne ſonderliche Opfer in den Beſitz einer Colonie, um die andere Völker vielleicht ſchwere Schlachten hätten ſchlagen und blutige Feldzüge hätten unternehmen müſſen. Lange Zeit haben die Belgier die großmüthige That des Königs mit Undank und Gleichgültigkeit gelohnt. Aber heute iſt das Eis ge- brochen. Wir hoffen, daß der Wunſch des hochherzigen Monarchen, der gern noch ſelbſt die reichen Früchte des Congo-Werkes für Belgien geſehen hätte, in Erfüllung gehen wird. In ſeinem Privatleben iſt König Leopold II. leider nicht ſo glücklich ge- weſen, wie in ſeinen politiſchen Beſtrebungen. Er hat an ſich die Bitterkeiten des menſchlichen Schickſals, das die Großen der Erde nicht verſchont, erfahren, und man kann von dieſem edlen Fürſten ſagen, daß er den Kelch des Leidens bis zur Neige geleert hat. Schon in den erſten Jahren ſeiner Regierung brach die Kataſtrophe von Queretaro herein, und die einzige Schweſter des Königs, die Prinzeſſin Charlotte, verfiel in jenen Schreckenstagen, wo auf ſernem Boden Kaiſer Maximilian den Heldentod ſtarb, dem unheilbaren Wahnſinn. Zwei Jahre darauf verſchied der einzige Sohn des Königs, der hoffnungsvolle Herzog von Brabant, und ſeither gibt ſich der König der politiſchen Erziehung ſeines Neffen, des Prinzen Balduin hin, der ihm einſt auf dem Throne nachfolgen ſoll. Die letzte erſchütternde Kataſtrophe zu Meyerling iſt noch in Aller Er- innerung. Mit ſtoiſcher Feſtigkeit hat König Leopold II. alle Schickſalsſchläge ertragen. Denn er lebt nicht ſich und ſeiner Familie, ſondern nur ſeinem Volke. „Das Glück eines Fürſten“, ſo ſagt er in ſeinem letzten Schreiben an den Miniſterpräſidenten, „liegt in dem Glücke des Volkes.“ Dieſem Grundſatze treu hat König Leopold II. ſtets gehandelt und deßhalb grüßt ihn an ſeinem Ehrentage ein dankbares Volk und feiert ihn die aufrichtige Anerken- nung der Mitwelt. Aſien. * Dem „Standard“ wird aus Bangkok, 4. November, ge- ſchrieben, dort gehe das Gerücht, daß Deutſchland wegen Er- werbung eines Streifens ſiameſiſchen Gebiets nördlich von Penang verhandle. Das Stück Land ſoll als Koblenſtation und Entrepôt für den ſtets wachſenden deutſchen Handel nach Siam und anderen Ländern im Oſten dienen. Afrika. * Der italieniſche Capitän Hugo Ferrandi, der bereits wiederholt Reiſen in Afrika unternommen hat und ſich zuletzt einige Zeit in Harrar aufhielt, wird ſich nach dem Gebiete des Juba be- geben. Er beabſichtigt, bis zum Galla-Lande zu ziehen und durch ſeine Forſchungen zur Aufhellung des Juba-Gebietes beizutragen.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 345, 13. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine345_1890/2>, abgerufen am 23.11.2024.