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Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914.

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Allgemeine Zeitung 1. August 1914.
[Spaltenumbruch] sondern innerlich zusammengehörten, daß sie gemeinsam zu dem
einen großen Ziele hinarbeiten, daß kein anderes ist als der Wohl-
stand und das Gedeihen des ganzen deutschen Volkes. Als Gegner
aber sah das Bismarcksche Kartell alle Mächte und Parteien an,
welche entweder, wie die Sozialdemokratie den allgemeinen Umsturz
und die allgemeine Expropriation aller Produktivmittel, d. h. des
Ackers, der Fabriken, Werkstätten usw. forderte, oder welche wie die
Deutsch-freisinnige Partei nicht eine Vertretung des schaffenden Bür-
gertums, sondern des ausbeutenden, internationalen oder Börsen-
kapitals seien.

Dieser durch und durch gesunde Gedanke eines Kartells aller
schaffenden Stände gegen ihre gemeinsamen Feinde hatte sich nun
zwei Jahrzehnte lang glänzend bewährt. Er hatte unseren inneren
Zuständen eine Festigkeit gegeben, die so leicht nicht zu erschüttern
war. Gewiß war das Bismarcksche Kartell im Jahre 1887 auch
gegen das Zentrum geschlossen, da dieses damals unter der Führung
des verbitterten Welfen Windthorst allen Militär- und Flotten-
vorschlägen ablehnend gegenüber stand. Seit aber mit dem Ende
der neunziger Jahre das Zentrum seine oppositionelle Politik immer
mehr aufgab und an der sozialen Gesetzgebung ebenso mitarbeitete
wie an allen volkswirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Auf-
gaben, blieb als zu bekämpfender Gegner im wesentlichen nur der
Freisinn und die Sozialdemokratie übrig.

Das Werk des Herrn Bassermann nun ist es gewesen, dieses
natürliche und so heilsame Bündnis der schaffenden Stände gesprengt
zu haben. Er lehrte seine Partei, nicht mehr im kapitalistischen
Freisinn und der sozialistischen Umsturzpartei, sondern in den rechts-
stehenden Parteien und der konservativen Landwirtschaft ihre Haupt-
feinde zu suchen. Sein Werk in erster Linie ist es gewesen, wenn
heute die nationalliberale Partei den Konservativen haßerfüllt gegen-
übersteht und ein furchtbarer Riß durch unser innerpolitisches Leben
geht. Statt der Bismarckschen und Bennigsenschen Politik, welche
den Frieden und die Harmonie der produzierenden Stände pflegen
und aufrecht erhalten wollte, predigte er den Krieg gegen die kon-
servative Landwirtschaft. Und in diesem Kampfe, den er herauf-
beschworen half, trug er kein Bedenken, sich auf die demokratischen
Mächte des antimonarchischen Freisinns zu stützen. Er fand nichts
Tadelnswertes dabei, wenn die nationalliberale Partei in Bayern
und Baden sich mit der vaterlandsfeindlichen Sozialdemokratie ver-
bündete. Für ihn selbst hatte es nichts Bedenkliches, wenn er sein
Mandat zum Reichstage nur der Hilfe der Sozialdemokratie ver-
dankte. Und so fand er auch nichts Demütigendes dabei, wenn seine
Partei zu einem großen Teile für die Wahl sozialdemokratischer
Reichstragspräsidenten eintrat.

Gewiß hat Herr Bassermann so wenig wie seine Partei bei
Fragen der nationalen Wehrhaftigkeit versagt, und darum glauben
heute seine Anhänger nicht laut genug seine nationale Gesinnung
preisen zu müssen. Aber die nationale Gesinnung besteht nicht nur
darin, daß man die selbstverständliche Pflicht erfüllt, sein Vaterland
wehrhaft zu erhalten. Das ist noch kein Verdienst, sondern die aller-
einfachste selbstverständlichste Pflicht jedes Volksvertreters. Sondern
eine nationale Politik besteht vor allem darin, daß man die staats-
erhaltenden Elemente in unserem Volksleben stärkt und kräftigt, daß
man den zerstörenden Mächten im Innern aber mit allem Nach-
druck entgegentritt. Von diesem Standpunkt betrachtet, hat Herr
Bassermann eine nationale Politik nicht immer gefördert, sondern
mit seinem Namen sind auch politische Maßregeln verknüpft, die
einer gesunden nationalen Politik geradezu gefährlich sind. Ihm
und seiner Partei an erster Stelle ist die hochbedenkliche demokrati-
sche Verfassung des Reichslandes Elsaß-Lothringen zu verdanken,
durch welche die Regierung die allerwichtigsten Machtmittel aus der
Hand gegeben hat, und die nicht zu einer Förderung, sondern zu
einem Hindernis für die innere Verschmelzung der Grenzlande mit
dem deutschen Reiche zu werden droht. Er und seine Partei ließen
sich in der Zaberner Sache zu dem unglücklichen Vorstoß gegen die
Regierung und zu jener ganz und gar unüberlegten Diskreditierung
unseres Militärs verleiten, durch die Herr Bassermann seiner Partei
ein unglaubliches Fiasko bereitete.

Das Bedenklichste aber ist, daß unter Herrn Bassermanns
Leitung eigentlich erst das spekulative Großkapital eine beherr-
schende Macht in der nationalliberalen Partei geworden ist. Früher
war der deutsche Liberalismus eine Partei, in der edle deutsche
Gelehrte eine tonangebende Rolle spielten. Heute ist nicht ohne
Grund behauptet worden, daß die nationalliberale Partei sich immer
mehr zu einer "Partei der Aufsichtsräte" entwickele. So haben denn
[Spaltenumbruch] auch Herr Bassermann sowohl wie andere der wichtigsten liberalen
Führer Dutzende von Aufsichtsratsstellen inne. Auf diese Art gerät
die nationalliberale Partei immer mehr unter den Einfluß gewisser
kapitalistischer Gruppen, die keineswegs immer im strengen Sinne
national sind, wohl aber in der durch und durch nationalen deut-
schen Landwirtschaft und dem alten konservativen Landadel ihren
natürlichen Gegner und Feind wittern.

Wenn somit das Werk des Herrn Bassermann leider darin
besteht, daß durch seine Politik die wichtigsten nationalen und wirt-
schaftlichen Gruppen, die eigentlich zusammengehören, auseinander
getrieben worden sind, so braucht man nicht lange zu suchen, um
die Mächte zu entdecken, die davon den Vorteil gehabt haben. Und
diese Macht ist vor allem die Sozialdemokratie. Ihr vor allem ist
der verbitternde Kampf zwischen Konservativen und National-
liberalen, den Herr Bassermann entzündet hat, zustatten gekommen.
Herr Bassermann kann sich das traurige Verdienst beimessen, die
Abwehrkraft der bürgerlichen Parteien gegen die Umsturzpartei ge-
schwächt zu haben, und die 41/4 Millionen sozialdemokratischer Stim-
men bei der letzten Reichstagswahl wären ohne seine, die nationalen
Parteien auseinandertreibende Politik nicht zu erklären.

So haben die rechtsstehenden Parteien keine Ursache, in die
Jubelhymnen zum sechzigsten Geburtstage des nationalliberalen
Parteiführers einzustimmen. Es ist nach unserer Meinung nicht
ein Zeichen des Fortschrittes, verglichen mit den Zeiten Bennigsens,
wenn die Partei sich unter diesen Führer gestellt hat.

Und so können wir auch nicht finden, daß die Reden des Herrn
Bassermann sich durch jene edle Gedankentiefe auszeichnen, die
man sonst bei den Wortführern der liberalen Mittelparteien ge-
wohnt war. Dem jetzigen Führer der nationalliberalen Partei
fehlt sowohl der weite staatsmännische Blick eines Bennigsen, wie
seine Reden das edle Feuer einer echten, reinen Begeisterung
vermissen lassen.

Gerade die heutige Kriegsgefahr sollte, meinen wir, jedem
Einsichtigen zeigen, wie verfehlt eine Politik ist, welche die nationalen
Elemente nicht einigt, sondern verfeindet, und die treusten Stützen
der Throne und des Vaterlandes, die Konservativen und die deutsche
Landwirtschaft, als Gegner behandelt. Vielleicht hat aber die
große Krise des Weltfriedens heute das Gute, daß auch die national-
liberale Partei sich wieder auf ihre alten besseren Traditionen be-
sinnt, daß man einhält mit jenem inneren zerfleischenden
Kampfe zwischen Rechts und Links.

Heute, wo einflußreiche sozialdemokratische Blätter in einer
der schwersten Staatskrisen und bei direkter Kriegsgefahr geradezu
drohen mit Erschwerung der deutschen Mobilmachung, d. h. mit
unbedingt hochverräterischen Handlungen, wo ihre vaterlandslose
Haltung alles, was denkbar war, überbietet, heute müßten doch
endlich, so sollte man meinen, allen Nationalliberalen die Augen
aufgehen darüber, wie schwer sich ihre Parteileitung gegen das
Vaterland vergangen hat, wenn sie in Bayern und Baden sich mit
einer Partei auf Schutz und Trutz verbunden haben, in deren
Presse man jetzt unverhohlen die Drohung mit hochverräterischen
Handlungen findet.



Die Abrechnung mit Serbien.

Endlich! Ein mächtiger Atemzug hat die Brust des
Habsburgerreichs von dem dumpfen Drucke befreit, mit dem
der serbische Alp seit Jahren auf ihr gelastet. Ein frohes
Aufatmen geht durch das ganze weite Reich, und dieses
ungewohnte Gefühl der Erleichterung und Befreiung macht
sich in stürmischen Kundgebungen patriotischen Charakters
Luft. Was keinem Minister gelungen ist, das hat die Kugel
des serbischen Mordbuben zu Wege gebracht: die Einigkeit
der Völker des Reichs, die Erkenntnis, daß sie alle zusammen-
gehören und daß das alte, von ihnen so oft geschmähte Habs-
burgerreich doch ihre Heimat ist, die es jetzt zu schützen gilt.

Niemand -- außer den Sozialdemokraten -- die übrigens
in dem allgemeinen Begeisterungssturm recht kleinlaut ge-
worden sind, und neben ihnen natürlich auch noch die Pan-
slawisten, niemand sonst gab es in der ganzen Monarchie,
der das Ultimatum an Serbien nicht gutgeheißen und als
würdigen Ausdruck der Empörung angesehen hätte, die das
meuchelmörderische Treiben der großserbischen Propaganda
in der Monarchie hervorrufen mußte. Niemand ferner hat
es beklagt, daß Serbien keine befriedigende Antwort erteilt

Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] ſondern innerlich zuſammengehörten, daß ſie gemeinſam zu dem
einen großen Ziele hinarbeiten, daß kein anderes iſt als der Wohl-
ſtand und das Gedeihen des ganzen deutſchen Volkes. Als Gegner
aber ſah das Bismarckſche Kartell alle Mächte und Parteien an,
welche entweder, wie die Sozialdemokratie den allgemeinen Umſturz
und die allgemeine Expropriation aller Produktivmittel, d. h. des
Ackers, der Fabriken, Werkſtätten uſw. forderte, oder welche wie die
Deutſch-freiſinnige Partei nicht eine Vertretung des ſchaffenden Bür-
gertums, ſondern des ausbeutenden, internationalen oder Börſen-
kapitals ſeien.

Dieſer durch und durch geſunde Gedanke eines Kartells aller
ſchaffenden Stände gegen ihre gemeinſamen Feinde hatte ſich nun
zwei Jahrzehnte lang glänzend bewährt. Er hatte unſeren inneren
Zuſtänden eine Feſtigkeit gegeben, die ſo leicht nicht zu erſchüttern
war. Gewiß war das Bismarckſche Kartell im Jahre 1887 auch
gegen das Zentrum geſchloſſen, da dieſes damals unter der Führung
des verbitterten Welfen Windthorſt allen Militär- und Flotten-
vorſchlägen ablehnend gegenüber ſtand. Seit aber mit dem Ende
der neunziger Jahre das Zentrum ſeine oppoſitionelle Politik immer
mehr aufgab und an der ſozialen Geſetzgebung ebenſo mitarbeitete
wie an allen volkswirtſchaftlichen, finanziellen und militäriſchen Auf-
gaben, blieb als zu bekämpfender Gegner im weſentlichen nur der
Freiſinn und die Sozialdemokratie übrig.

Das Werk des Herrn Baſſermann nun iſt es geweſen, dieſes
natürliche und ſo heilſame Bündnis der ſchaffenden Stände geſprengt
zu haben. Er lehrte ſeine Partei, nicht mehr im kapitaliſtiſchen
Freiſinn und der ſozialiſtiſchen Umſturzpartei, ſondern in den rechts-
ſtehenden Parteien und der konſervativen Landwirtſchaft ihre Haupt-
feinde zu ſuchen. Sein Werk in erſter Linie iſt es geweſen, wenn
heute die nationalliberale Partei den Konſervativen haßerfüllt gegen-
überſteht und ein furchtbarer Riß durch unſer innerpolitiſches Leben
geht. Statt der Bismarckſchen und Bennigſenſchen Politik, welche
den Frieden und die Harmonie der produzierenden Stände pflegen
und aufrecht erhalten wollte, predigte er den Krieg gegen die kon-
ſervative Landwirtſchaft. Und in dieſem Kampfe, den er herauf-
beſchworen half, trug er kein Bedenken, ſich auf die demokratiſchen
Mächte des antimonarchiſchen Freiſinns zu ſtützen. Er fand nichts
Tadelnswertes dabei, wenn die nationalliberale Partei in Bayern
und Baden ſich mit der vaterlandsfeindlichen Sozialdemokratie ver-
bündete. Für ihn ſelbſt hatte es nichts Bedenkliches, wenn er ſein
Mandat zum Reichstage nur der Hilfe der Sozialdemokratie ver-
dankte. Und ſo fand er auch nichts Demütigendes dabei, wenn ſeine
Partei zu einem großen Teile für die Wahl ſozialdemokratiſcher
Reichstragspräſidenten eintrat.

Gewiß hat Herr Baſſermann ſo wenig wie ſeine Partei bei
Fragen der nationalen Wehrhaftigkeit verſagt, und darum glauben
heute ſeine Anhänger nicht laut genug ſeine nationale Geſinnung
preiſen zu müſſen. Aber die nationale Geſinnung beſteht nicht nur
darin, daß man die ſelbſtverſtändliche Pflicht erfüllt, ſein Vaterland
wehrhaft zu erhalten. Das iſt noch kein Verdienſt, ſondern die aller-
einfachſte ſelbſtverſtändlichſte Pflicht jedes Volksvertreters. Sondern
eine nationale Politik beſteht vor allem darin, daß man die ſtaats-
erhaltenden Elemente in unſerem Volksleben ſtärkt und kräftigt, daß
man den zerſtörenden Mächten im Innern aber mit allem Nach-
druck entgegentritt. Von dieſem Standpunkt betrachtet, hat Herr
Baſſermann eine nationale Politik nicht immer gefördert, ſondern
mit ſeinem Namen ſind auch politiſche Maßregeln verknüpft, die
einer geſunden nationalen Politik geradezu gefährlich ſind. Ihm
und ſeiner Partei an erſter Stelle iſt die hochbedenkliche demokrati-
ſche Verfaſſung des Reichslandes Elſaß-Lothringen zu verdanken,
durch welche die Regierung die allerwichtigſten Machtmittel aus der
Hand gegeben hat, und die nicht zu einer Förderung, ſondern zu
einem Hindernis für die innere Verſchmelzung der Grenzlande mit
dem deutſchen Reiche zu werden droht. Er und ſeine Partei ließen
ſich in der Zaberner Sache zu dem unglücklichen Vorſtoß gegen die
Regierung und zu jener ganz und gar unüberlegten Diskreditierung
unſeres Militärs verleiten, durch die Herr Baſſermann ſeiner Partei
ein unglaubliches Fiasko bereitete.

Das Bedenklichſte aber iſt, daß unter Herrn Baſſermanns
Leitung eigentlich erſt das ſpekulative Großkapital eine beherr-
ſchende Macht in der nationalliberalen Partei geworden iſt. Früher
war der deutſche Liberalismus eine Partei, in der edle deutſche
Gelehrte eine tonangebende Rolle ſpielten. Heute iſt nicht ohne
Grund behauptet worden, daß die nationalliberale Partei ſich immer
mehr zu einer „Partei der Aufſichtsräte“ entwickele. So haben denn
[Spaltenumbruch] auch Herr Baſſermann ſowohl wie andere der wichtigſten liberalen
Führer Dutzende von Aufſichtsratsſtellen inne. Auf dieſe Art gerät
die nationalliberale Partei immer mehr unter den Einfluß gewiſſer
kapitaliſtiſcher Gruppen, die keineswegs immer im ſtrengen Sinne
national ſind, wohl aber in der durch und durch nationalen deut-
ſchen Landwirtſchaft und dem alten konſervativen Landadel ihren
natürlichen Gegner und Feind wittern.

Wenn ſomit das Werk des Herrn Baſſermann leider darin
beſteht, daß durch ſeine Politik die wichtigſten nationalen und wirt-
ſchaftlichen Gruppen, die eigentlich zuſammengehören, auseinander
getrieben worden ſind, ſo braucht man nicht lange zu ſuchen, um
die Mächte zu entdecken, die davon den Vorteil gehabt haben. Und
dieſe Macht iſt vor allem die Sozialdemokratie. Ihr vor allem iſt
der verbitternde Kampf zwiſchen Konſervativen und National-
liberalen, den Herr Baſſermann entzündet hat, zuſtatten gekommen.
Herr Baſſermann kann ſich das traurige Verdienſt beimeſſen, die
Abwehrkraft der bürgerlichen Parteien gegen die Umſturzpartei ge-
ſchwächt zu haben, und die 4¼ Millionen ſozialdemokratiſcher Stim-
men bei der letzten Reichstagswahl wären ohne ſeine, die nationalen
Parteien auseinandertreibende Politik nicht zu erklären.

So haben die rechtsſtehenden Parteien keine Urſache, in die
Jubelhymnen zum ſechzigſten Geburtstage des nationalliberalen
Parteiführers einzuſtimmen. Es iſt nach unſerer Meinung nicht
ein Zeichen des Fortſchrittes, verglichen mit den Zeiten Bennigſens,
wenn die Partei ſich unter dieſen Führer geſtellt hat.

Und ſo können wir auch nicht finden, daß die Reden des Herrn
Baſſermann ſich durch jene edle Gedankentiefe auszeichnen, die
man ſonſt bei den Wortführern der liberalen Mittelparteien ge-
wohnt war. Dem jetzigen Führer der nationalliberalen Partei
fehlt ſowohl der weite ſtaatsmänniſche Blick eines Bennigſen, wie
ſeine Reden das edle Feuer einer echten, reinen Begeiſterung
vermiſſen laſſen.

Gerade die heutige Kriegsgefahr ſollte, meinen wir, jedem
Einſichtigen zeigen, wie verfehlt eine Politik iſt, welche die nationalen
Elemente nicht einigt, ſondern verfeindet, und die treuſten Stützen
der Throne und des Vaterlandes, die Konſervativen und die deutſche
Landwirtſchaft, als Gegner behandelt. Vielleicht hat aber die
große Kriſe des Weltfriedens heute das Gute, daß auch die national-
liberale Partei ſich wieder auf ihre alten beſſeren Traditionen be-
ſinnt, daß man einhält mit jenem inneren zerfleiſchenden
Kampfe zwiſchen Rechts und Links.

Heute, wo einflußreiche ſozialdemokratiſche Blätter in einer
der ſchwerſten Staatskriſen und bei direkter Kriegsgefahr geradezu
drohen mit Erſchwerung der deutſchen Mobilmachung, d. h. mit
unbedingt hochverräteriſchen Handlungen, wo ihre vaterlandsloſe
Haltung alles, was denkbar war, überbietet, heute müßten doch
endlich, ſo ſollte man meinen, allen Nationalliberalen die Augen
aufgehen darüber, wie ſchwer ſich ihre Parteileitung gegen das
Vaterland vergangen hat, wenn ſie in Bayern und Baden ſich mit
einer Partei auf Schutz und Trutz verbunden haben, in deren
Preſſe man jetzt unverhohlen die Drohung mit hochverräteriſchen
Handlungen findet.



Die Abrechnung mit Serbien.

Endlich! Ein mächtiger Atemzug hat die Bruſt des
Habsburgerreichs von dem dumpfen Drucke befreit, mit dem
der ſerbiſche Alp ſeit Jahren auf ihr gelaſtet. Ein frohes
Aufatmen geht durch das ganze weite Reich, und dieſes
ungewohnte Gefühl der Erleichterung und Befreiung macht
ſich in ſtürmiſchen Kundgebungen patriotiſchen Charakters
Luft. Was keinem Miniſter gelungen iſt, das hat die Kugel
des ſerbiſchen Mordbuben zu Wege gebracht: die Einigkeit
der Völker des Reichs, die Erkenntnis, daß ſie alle zuſammen-
gehören und daß das alte, von ihnen ſo oft geſchmähte Habs-
burgerreich doch ihre Heimat iſt, die es jetzt zu ſchützen gilt.

Niemand — außer den Sozialdemokraten — die übrigens
in dem allgemeinen Begeiſterungsſturm recht kleinlaut ge-
worden ſind, und neben ihnen natürlich auch noch die Pan-
ſlawiſten, niemand ſonſt gab es in der ganzen Monarchie,
der das Ultimatum an Serbien nicht gutgeheißen und als
würdigen Ausdruck der Empörung angeſehen hätte, die das
meuchelmörderiſche Treiben der großſerbiſchen Propaganda
in der Monarchie hervorrufen mußte. Niemand ferner hat
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[490/0004] Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914. ſondern innerlich zuſammengehörten, daß ſie gemeinſam zu dem einen großen Ziele hinarbeiten, daß kein anderes iſt als der Wohl- ſtand und das Gedeihen des ganzen deutſchen Volkes. Als Gegner aber ſah das Bismarckſche Kartell alle Mächte und Parteien an, welche entweder, wie die Sozialdemokratie den allgemeinen Umſturz und die allgemeine Expropriation aller Produktivmittel, d. h. des Ackers, der Fabriken, Werkſtätten uſw. forderte, oder welche wie die Deutſch-freiſinnige Partei nicht eine Vertretung des ſchaffenden Bür- gertums, ſondern des ausbeutenden, internationalen oder Börſen- kapitals ſeien. Dieſer durch und durch geſunde Gedanke eines Kartells aller ſchaffenden Stände gegen ihre gemeinſamen Feinde hatte ſich nun zwei Jahrzehnte lang glänzend bewährt. Er hatte unſeren inneren Zuſtänden eine Feſtigkeit gegeben, die ſo leicht nicht zu erſchüttern war. Gewiß war das Bismarckſche Kartell im Jahre 1887 auch gegen das Zentrum geſchloſſen, da dieſes damals unter der Führung des verbitterten Welfen Windthorſt allen Militär- und Flotten- vorſchlägen ablehnend gegenüber ſtand. Seit aber mit dem Ende der neunziger Jahre das Zentrum ſeine oppoſitionelle Politik immer mehr aufgab und an der ſozialen Geſetzgebung ebenſo mitarbeitete wie an allen volkswirtſchaftlichen, finanziellen und militäriſchen Auf- gaben, blieb als zu bekämpfender Gegner im weſentlichen nur der Freiſinn und die Sozialdemokratie übrig. Das Werk des Herrn Baſſermann nun iſt es geweſen, dieſes natürliche und ſo heilſame Bündnis der ſchaffenden Stände geſprengt zu haben. Er lehrte ſeine Partei, nicht mehr im kapitaliſtiſchen Freiſinn und der ſozialiſtiſchen Umſturzpartei, ſondern in den rechts- ſtehenden Parteien und der konſervativen Landwirtſchaft ihre Haupt- feinde zu ſuchen. Sein Werk in erſter Linie iſt es geweſen, wenn heute die nationalliberale Partei den Konſervativen haßerfüllt gegen- überſteht und ein furchtbarer Riß durch unſer innerpolitiſches Leben geht. Statt der Bismarckſchen und Bennigſenſchen Politik, welche den Frieden und die Harmonie der produzierenden Stände pflegen und aufrecht erhalten wollte, predigte er den Krieg gegen die kon- ſervative Landwirtſchaft. Und in dieſem Kampfe, den er herauf- beſchworen half, trug er kein Bedenken, ſich auf die demokratiſchen Mächte des antimonarchiſchen Freiſinns zu ſtützen. Er fand nichts Tadelnswertes dabei, wenn die nationalliberale Partei in Bayern und Baden ſich mit der vaterlandsfeindlichen Sozialdemokratie ver- bündete. Für ihn ſelbſt hatte es nichts Bedenkliches, wenn er ſein Mandat zum Reichstage nur der Hilfe der Sozialdemokratie ver- dankte. Und ſo fand er auch nichts Demütigendes dabei, wenn ſeine Partei zu einem großen Teile für die Wahl ſozialdemokratiſcher Reichstragspräſidenten eintrat. Gewiß hat Herr Baſſermann ſo wenig wie ſeine Partei bei Fragen der nationalen Wehrhaftigkeit verſagt, und darum glauben heute ſeine Anhänger nicht laut genug ſeine nationale Geſinnung preiſen zu müſſen. Aber die nationale Geſinnung beſteht nicht nur darin, daß man die ſelbſtverſtändliche Pflicht erfüllt, ſein Vaterland wehrhaft zu erhalten. Das iſt noch kein Verdienſt, ſondern die aller- einfachſte ſelbſtverſtändlichſte Pflicht jedes Volksvertreters. Sondern eine nationale Politik beſteht vor allem darin, daß man die ſtaats- erhaltenden Elemente in unſerem Volksleben ſtärkt und kräftigt, daß man den zerſtörenden Mächten im Innern aber mit allem Nach- druck entgegentritt. Von dieſem Standpunkt betrachtet, hat Herr Baſſermann eine nationale Politik nicht immer gefördert, ſondern mit ſeinem Namen ſind auch politiſche Maßregeln verknüpft, die einer geſunden nationalen Politik geradezu gefährlich ſind. Ihm und ſeiner Partei an erſter Stelle iſt die hochbedenkliche demokrati- ſche Verfaſſung des Reichslandes Elſaß-Lothringen zu verdanken, durch welche die Regierung die allerwichtigſten Machtmittel aus der Hand gegeben hat, und die nicht zu einer Förderung, ſondern zu einem Hindernis für die innere Verſchmelzung der Grenzlande mit dem deutſchen Reiche zu werden droht. Er und ſeine Partei ließen ſich in der Zaberner Sache zu dem unglücklichen Vorſtoß gegen die Regierung und zu jener ganz und gar unüberlegten Diskreditierung unſeres Militärs verleiten, durch die Herr Baſſermann ſeiner Partei ein unglaubliches Fiasko bereitete. Das Bedenklichſte aber iſt, daß unter Herrn Baſſermanns Leitung eigentlich erſt das ſpekulative Großkapital eine beherr- ſchende Macht in der nationalliberalen Partei geworden iſt. Früher war der deutſche Liberalismus eine Partei, in der edle deutſche Gelehrte eine tonangebende Rolle ſpielten. Heute iſt nicht ohne Grund behauptet worden, daß die nationalliberale Partei ſich immer mehr zu einer „Partei der Aufſichtsräte“ entwickele. So haben denn auch Herr Baſſermann ſowohl wie andere der wichtigſten liberalen Führer Dutzende von Aufſichtsratsſtellen inne. Auf dieſe Art gerät die nationalliberale Partei immer mehr unter den Einfluß gewiſſer kapitaliſtiſcher Gruppen, die keineswegs immer im ſtrengen Sinne national ſind, wohl aber in der durch und durch nationalen deut- ſchen Landwirtſchaft und dem alten konſervativen Landadel ihren natürlichen Gegner und Feind wittern. Wenn ſomit das Werk des Herrn Baſſermann leider darin beſteht, daß durch ſeine Politik die wichtigſten nationalen und wirt- ſchaftlichen Gruppen, die eigentlich zuſammengehören, auseinander getrieben worden ſind, ſo braucht man nicht lange zu ſuchen, um die Mächte zu entdecken, die davon den Vorteil gehabt haben. Und dieſe Macht iſt vor allem die Sozialdemokratie. Ihr vor allem iſt der verbitternde Kampf zwiſchen Konſervativen und National- liberalen, den Herr Baſſermann entzündet hat, zuſtatten gekommen. Herr Baſſermann kann ſich das traurige Verdienſt beimeſſen, die Abwehrkraft der bürgerlichen Parteien gegen die Umſturzpartei ge- ſchwächt zu haben, und die 4¼ Millionen ſozialdemokratiſcher Stim- men bei der letzten Reichstagswahl wären ohne ſeine, die nationalen Parteien auseinandertreibende Politik nicht zu erklären. So haben die rechtsſtehenden Parteien keine Urſache, in die Jubelhymnen zum ſechzigſten Geburtstage des nationalliberalen Parteiführers einzuſtimmen. Es iſt nach unſerer Meinung nicht ein Zeichen des Fortſchrittes, verglichen mit den Zeiten Bennigſens, wenn die Partei ſich unter dieſen Führer geſtellt hat. Und ſo können wir auch nicht finden, daß die Reden des Herrn Baſſermann ſich durch jene edle Gedankentiefe auszeichnen, die man ſonſt bei den Wortführern der liberalen Mittelparteien ge- wohnt war. Dem jetzigen Führer der nationalliberalen Partei fehlt ſowohl der weite ſtaatsmänniſche Blick eines Bennigſen, wie ſeine Reden das edle Feuer einer echten, reinen Begeiſterung vermiſſen laſſen. Gerade die heutige Kriegsgefahr ſollte, meinen wir, jedem Einſichtigen zeigen, wie verfehlt eine Politik iſt, welche die nationalen Elemente nicht einigt, ſondern verfeindet, und die treuſten Stützen der Throne und des Vaterlandes, die Konſervativen und die deutſche Landwirtſchaft, als Gegner behandelt. Vielleicht hat aber die große Kriſe des Weltfriedens heute das Gute, daß auch die national- liberale Partei ſich wieder auf ihre alten beſſeren Traditionen be- ſinnt, daß man einhält mit jenem inneren zerfleiſchenden Kampfe zwiſchen Rechts und Links. Heute, wo einflußreiche ſozialdemokratiſche Blätter in einer der ſchwerſten Staatskriſen und bei direkter Kriegsgefahr geradezu drohen mit Erſchwerung der deutſchen Mobilmachung, d. h. mit unbedingt hochverräteriſchen Handlungen, wo ihre vaterlandsloſe Haltung alles, was denkbar war, überbietet, heute müßten doch endlich, ſo ſollte man meinen, allen Nationalliberalen die Augen aufgehen darüber, wie ſchwer ſich ihre Parteileitung gegen das Vaterland vergangen hat, wenn ſie in Bayern und Baden ſich mit einer Partei auf Schutz und Trutz verbunden haben, in deren Preſſe man jetzt unverhohlen die Drohung mit hochverräteriſchen Handlungen findet. Wolfgang Eiſenhart. Die Abrechnung mit Serbien. Wien, 28. Juli. Endlich! Ein mächtiger Atemzug hat die Bruſt des Habsburgerreichs von dem dumpfen Drucke befreit, mit dem der ſerbiſche Alp ſeit Jahren auf ihr gelaſtet. Ein frohes Aufatmen geht durch das ganze weite Reich, und dieſes ungewohnte Gefühl der Erleichterung und Befreiung macht ſich in ſtürmiſchen Kundgebungen patriotiſchen Charakters Luft. Was keinem Miniſter gelungen iſt, das hat die Kugel des ſerbiſchen Mordbuben zu Wege gebracht: die Einigkeit der Völker des Reichs, die Erkenntnis, daß ſie alle zuſammen- gehören und daß das alte, von ihnen ſo oft geſchmähte Habs- burgerreich doch ihre Heimat iſt, die es jetzt zu ſchützen gilt. Niemand — außer den Sozialdemokraten — die übrigens in dem allgemeinen Begeiſterungsſturm recht kleinlaut ge- worden ſind, und neben ihnen natürlich auch noch die Pan- ſlawiſten, niemand ſonſt gab es in der ganzen Monarchie, der das Ultimatum an Serbien nicht gutgeheißen und als würdigen Ausdruck der Empörung angeſehen hätte, die das meuchelmörderiſche Treiben der großſerbiſchen Propaganda in der Monarchie hervorrufen mußte. Niemand ferner hat es beklagt, daß Serbien keine befriedigende Antwort erteilt

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine31_1914/4>, abgerufen am 17.06.2024.