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Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.

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9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] um 1760), C. R. Weidel (Reliefmedaillen des Staatskanzlers von
Hardenberg und wertvollen Geschirren; Kassel mit einer für die
Zeit, um 1780, typischen Kanne, lila Fond mit Hasenßene.

Historisch und ästhetisch interessant treten uns die Fayencen
entgegen. Bayreuth (1719--1835), ganz unter ostasiatischem Ein-
fluß, bietet u. a. eine Platte: Chinesin auf Hirsch, wahrscheinlich
von Ph. Danhofer, um 1740 und Kännchen mit blauem Laub-
und Bandwerk, um 1740--1750. Den gleichen orientalischen Ein-
fluß zeigten die Ansbacher Arbeiten (1710 bis zirka 1812) mit
sechs Stücken der sogenannten Grünen Familie, drei Teller,
eine Terrine und zwei Krüge, die mit zu den hervorragendsten
deutschen Fayencen zählen. Die Nürnberger Erzeugnisse (1712
b[is] zirka 1850) weisen vielfach auf niederländische Einflüsse hin,
andere zeigen eine Berührung zwischen chinesischem Dekor und
deutschen Gestalten, wie z. B. der große Teller, um 1750.

Erwähnen wir rasch im Flug die frühe Schweizer- oder
Bodenseefayence (Teller mit Allianzewappen), Aünersberg
(1738 bis zirka 1770), Göggingen, Friedberg, Ries (sog. Gelbe
Familie zirka 1770--1810), Moosbach und Hanau, ferner das
als Künersberger terra sigillata (1710) bekannte Steinzeug,
Schäftlarner Steinguttäßchen mit Porträt des Fürsten Wrede
und einer Dame, um 1820, und nicht zuletzt Grünes Waldglas,
als Reliquienbehälter verwendet, etwa 1430--1450, so ist unsere
Chronistenpflicht, dem beschränkten Raum entsprechend, erfüllt.
Endlich ist noch zu nennen ein Gemälde, ein gotisches Tafel-
bild aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die drei Heiligen
Sylvester, Margareta und Edigna mit dem Hahn darstellend,
das, aus der Frauenkirche stammend, im Tauschweg erworben
wurde.

Weitere Erwerbungen, wie die Figur einer Maria mit dem
Rosenstrauch, aus Regensburg, etwa Mitte des 14. Jahrhunderts
(Saal 6) und zwei Holzfiguren, Münchener Schule, um 1760
(Roman Boos?), die aus dem staubigen Dunkel des ehemaligen
Törringschen Palais (Hauptpostgebäude) hervorgeholt wurden,
haben im Museum selbst an würdiger Stelle ihren endgültigen
Platz gefunden.

Wir freuen uns der bemerkenswerten Bereicherung unserer
staatlichen Sammlungen im Nationalmuseum; mögen die weite-
sten Volkskreise diese Freude teilen und dabei mannigfache
künstlerische Anregung finden. Dr. Eduard Scharrer-Santen.

Theater und Musik
Münchener Theater.

Im Schauspielhaus hatte die Spielleitung offenbar
beabsichtigt, das von Shakespeare recht ausgelassene Spiel "Der
Widerspenstigen Zähmung" auf den Ton der Comedia dell'arte
einzustellen. Ein vergebliches Bemühen, denn es fehlte die
Voraussetzung -- die burleske Geschmeidigkeit in Wort und
Geste, wie sie die Gelosi, Fiurelli als Scaramuccia u. a. einst
in unnachahmlicher Weise meisterten. Petruchio (G. A. Koch) und
Grumio (R. Granach) überboten sich dagegen in Poltern und
Schreien und trugen unmögliche Fetzen und Lumpen am Leib,
wo eine burschikose Kostümierung gerade ausgereicht hätte.
Petruchio ist trotz allem ein italienischer Edelmann von Humor
und Gemüt, und Grumio, ebenfalls aus Italien, sein allzu vor-
lautes Echo. Es ist schade um beide Darsteller, schade um deren
schätzenswerte Eigenschasten. Dies muß trotz des starken Bei-
falles offen ausgesprochen werden. Auch die Derwendung
unseres heutigen Zeitkostüms für das recht frischgespielte Vor-
spiel, mit Raabes köstlichem Schlau, war ein stilistischer Fehl-
griff. Der Autor heißt doch Shakespeare und nicht Hinz oder
Kunz. Was Fräulein Tiedemann trotz gelungener Einzelzüge der
Widerspenstigen schuldig blieb, gab sie mit warmen Herzens-
tönen der Bezähmten. Nach Frau Körners ausgezeichneter
Inßenierung des "Kaufmann von Venedig" vermißte man sie
diesmal bedauernd als Regisseur und Darsteller.

Hermine Körner als Kameliendame. Vor vielen Jahren --
1894 -- die Duse. Zwei Gegensätze, unüberbrückbar, aber beide
berechtigt. Die Duse ganz Hingabe, Liebe, das leise Vibrieren
des leidenden Menschen, selbst im Jauchzen des Glücks. Hermine
Körners Marguerite Gautier aus germanischem Temperament
geboren, Hingabe und Liebe mit Atomen des Verstandes ge-
mischt, überzeugend, aber nicht bis zur letzten Konsequenz er-
greifend. Und trotz allem eine Leistung außergewöhnlicher Art.
-- Was neben ihr stand, hatte weite Distanz. Der Armand des
Herrn Wohlbrück zeigte sympathische äußere und innere Quali-
täten, aber erst in der Entwicklung. Dies gab Marguerite Gan-
tiers Ausstrahlungen nicht genügend Resonanz und verschob das
Bild einseitig. -- Die Spielleitung schuf bewegte Bilder im Stil
der romantischen Zeit des Louis Philipp. Ihr wurde die Dar-
stellung der Damen und Herren der Welt und Halbwelt nur zum
Teil gerecht, was freilich bei derartig spezifisch französischen
Stücken für deutsche Schauspieler immer problematisch bleiben
wird. Frau Körner wurde oft und stürmisch gerufen.

Kain von Friedrich Koffka. Der Brudermord Kain-Abel mit
heutigen Menschen ins Komplizierte, sein Psychologische über-
[Spaltenumbruch] tragen. Mit Geschick, denn der dramatisch innerlich und äußer-
lich bewegte und gesteigerte Dialog zwischen den Brüdern fesselt
und hält uns im Bann, zumal Abel in seiner offenen arglosen
Art und Kain, der mit guten und bösen Instinkten Ringende,
nach Licht, Güte und Liebe sich Sehnende in starker Gegensätzlich-
keit gezeichnet sind. Der innere Konflikt wird reicher und der
Mord motivierter als in der Legende. Herr Granach, ganz
nervig und verhalten, mild hoffend und exuptiv hassend, wußte
für seinen Kain stark zu interessieren. Leider hat der begabte
Darsteller die Berliner Manier des allzu plötzlichen Tonwechsels
zwischen Tenor und Baß übernommen, so daß infolge klang-
licher Zäsuren nie etwas Einheitliches zustande kommt. Herr
Riewe gab den Abel sympathisch und mit echtem Gefühl.

Prinzregententheater. Anzengruber hat mit seinen
Steinklopferhans, Dusterer, Wurzelsepp u. a. lebensvolle Men-
schen von Fleisch und Blut gezeichnet. Im Vierten Gebot ist
dies nur bedingt der Fall. Hier ist alles mehr konstruiert, auf
den Effekt berechnet und, abgesehen von einigen wenigen
Charakteren, wie z. B. der alten Herwig, einer Gestalt von er-
greifender Wahrheit, auf äußere Cheatralik eingestellt. Darum
erscheint das einst so wirksame Volksstück heute stark veraltet.
-- Unter Basils geschickter Führung, die das Menschliche betonte,
wurde die Distanz, die uns von dieser Art Literatur trennt,
wesentlich verringert. -- Ueber allen stand Frau Conrad-Ramlo
als Herwig in schlichter Menschlichkeit. Auch Friedrich Ulmer
schuf in Martin Schalanter den vom Dichter geschauten verirrten
Menschen und steigerte die Abschiedsßene mit der Großmutter
Herwig zu erschütternder Tragik. Ebenso verstand Gustav Wal-
dau als Gemütsmensch Stolzenthaler Zynismus und Wiener
Früchtelnhumor wirksam zu einen und näherte sich damit der
realistisch glaubhaften Linie. Im Verein mit den anderen Bour-
geois und Proletariern, unter denen Höfers Vater Schalanter
hervortrat, kam ein Wiener Kulturbild zustande, über dessen
formale Erscheinung wir zwar hinaus sind, dessen Inhalt aber
mit unserer Zeit verfluchte Aehnlichkeit verrät.

Das Theater am Gärtnerplatz ist in seinem Spiel-
plan bei "Letzte Liebe" angelangt, einem Singspiel kümmer-
lichster Art, in dessen Mittelpunkt Johann Nestroy -- von Sei-
bold mit echt Wiener humor und warmem Empfinden verkör-
pert -- steht. Von Handlung ist ebensowenig die Rede, wie von
Musik, denn die vereinzelten Gesänge meist plattester Art wirken
nur wie Coupleteinlagen. Es ist zu bedauern, daß die Spiel-
leitung Phantasie, Geschmack und Fleiß an solche Nichtigkeiten
verschwenden muß. Es gab eine Zeit, da das Gärtnertheater
neben der Hofbühne seinen Rang behauptete mit den besten
Namen, wie Strauß, Millöcker, Suppe u. a. Damals wurde
zwar weniger mit den Beinen gearbeitet, dafür aber mehr und
besser gesungen. Lang, lang ist's her!

Als Theaterdirektor Striese eröffnete Viktor Schwanneke
seine Tätigkeit als Sommergast an den Kammerspielen.
Im Gegensatz zu den meisten Darstellern zeichnet Schwanneke
diesen Meerschweinchenhäuptling fast ohne jedes Beiwerk mit
wenigen Strichen und gibt damit ein sympathisches Bild
dieser heute ziemlich ausgestorbenen Spezies. Schwannekes ge-
mütlicher Humor verbreitete eine behagliche, amüsante Stim-
mung, die zu schallender Heiterkeit wuchs und sich in langen,
stürmischen Beifall auflöste, der auch den wackeren Kammer-
spielern, vor allem den Damen Herterich, Jacobsen, den Herren
Martini, Momber, Müller galt.

Feuilleton
Gedanken und Sprüche.

Leute von Dielseitigkeit haben für gewöhnlich nicht
eine Seite.

*

Um der Freude willen sind wir geboren. Unser Erz-
feind, wer sie uns vergällt.

*

Diele stolpern über sich selbst.

*

Eine Flamme berußt nicht die andere.

*

Ein Schatten, wie ihn wirft ein zarter Baum, das ist
das Leben. Nicht einmal ein Traum!

*

Die meisten Lebensregeln sind von satten Menschen
geschrieben.

*

Wer glücklicher als du, steht über dir.

*

9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] um 1760), C. R. Weidel (Reliefmedaillen des Staatskanzlers von
Hardenberg und wertvollen Geſchirren; Kaſſel mit einer für die
Zeit, um 1780, typiſchen Kanne, lila Fond mit Haſenſzene.

Hiſtoriſch und äſthetiſch intereſſant treten uns die Fayencen
entgegen. Bayreuth (1719—1835), ganz unter oſtaſiatiſchem Ein-
fluß, bietet u. a. eine Platte: Chineſin auf Hirſch, wahrſcheinlich
von Ph. Danhofer, um 1740 und Kännchen mit blauem Laub-
und Bandwerk, um 1740—1750. Den gleichen orientaliſchen Ein-
fluß zeigten die Ansbacher Arbeiten (1710 bis zirka 1812) mit
ſechs Stücken der ſogenannten Grünen Familie, drei Teller,
eine Terrine und zwei Krüge, die mit zu den hervorragendſten
deutſchen Fayencen zählen. Die Nürnberger Erzeugniſſe (1712
b[iſ] zirka 1850) weiſen vielfach auf niederländiſche Einflüſſe hin,
andere zeigen eine Berührung zwiſchen chineſiſchem Dekor und
deutſchen Geſtalten, wie z. B. der große Teller, um 1750.

Erwähnen wir raſch im Flug die frühe Schweizer- oder
Bodenſeefayence (Teller mit Allianzewappen), Aünersberg
(1738 bis zirka 1770), Göggingen, Friedberg, Ries (ſog. Gelbe
Familie zirka 1770—1810), Moosbach und Hanau, ferner das
als Künersberger terra sigillata (1710) bekannte Steinzeug,
Schäftlarner Steinguttäßchen mit Porträt des Fürſten Wrede
und einer Dame, um 1820, und nicht zuletzt Grünes Waldglas,
als Reliquienbehälter verwendet, etwa 1430—1450, ſo iſt unſere
Chroniſtenpflicht, dem beſchränkten Raum entſprechend, erfüllt.
Endlich iſt noch zu nennen ein Gemälde, ein gotiſches Tafel-
bild aus der erſten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die drei Heiligen
Sylveſter, Margareta und Edigna mit dem Hahn darſtellend,
das, aus der Frauenkirche ſtammend, im Tauſchweg erworben
wurde.

Weitere Erwerbungen, wie die Figur einer Maria mit dem
Roſenſtrauch, aus Regensburg, etwa Mitte des 14. Jahrhunderts
(Saal 6) und zwei Holzfiguren, Münchener Schule, um 1760
(Roman Boos?), die aus dem ſtaubigen Dunkel des ehemaligen
Törringſchen Palais (Hauptpoſtgebäude) hervorgeholt wurden,
haben im Muſeum ſelbſt an würdiger Stelle ihren endgültigen
Platz gefunden.

Wir freuen uns der bemerkenswerten Bereicherung unſerer
ſtaatlichen Sammlungen im Nationalmuſeum; mögen die weite-
ſten Volkskreiſe dieſe Freude teilen und dabei mannigfache
künſtleriſche Anregung finden. Dr. Eduard Scharrer-Santen.

Theater und Muſik
Münchener Theater.

Im Schauſpielhaus hatte die Spielleitung offenbar
beabſichtigt, das von Shakeſpeare recht ausgelaſſene Spiel „Der
Widerſpenſtigen Zähmung“ auf den Ton der Comedia dell’arte
einzuſtellen. Ein vergebliches Bemühen, denn es fehlte die
Vorausſetzung — die burleske Geſchmeidigkeit in Wort und
Geſte, wie ſie die Geloſi, Fiurelli als Scaramuccia u. a. einſt
in unnachahmlicher Weiſe meiſterten. Petruchio (G. A. Koch) und
Grumio (R. Granach) überboten ſich dagegen in Poltern und
Schreien und trugen unmögliche Fetzen und Lumpen am Leib,
wo eine burſchikoſe Koſtümierung gerade ausgereicht hätte.
Petruchio iſt trotz allem ein italieniſcher Edelmann von Humor
und Gemüt, und Grumio, ebenfalls aus Italien, ſein allzu vor-
lautes Echo. Es iſt ſchade um beide Darſteller, ſchade um deren
ſchätzenswerte Eigenſchaſten. Dies muß trotz des ſtarken Bei-
falles offen ausgeſprochen werden. Auch die Derwendung
unſeres heutigen Zeitkoſtüms für das recht friſchgeſpielte Vor-
ſpiel, mit Raabes köſtlichem Schlau, war ein ſtiliſtiſcher Fehl-
griff. Der Autor heißt doch Shakeſpeare und nicht Hinz oder
Kunz. Was Fräulein Tiedemann trotz gelungener Einzelzüge der
Widerſpenſtigen ſchuldig blieb, gab ſie mit warmen Herzens-
tönen der Bezähmten. Nach Frau Körners ausgezeichneter
Inſzenierung des „Kaufmann von Venedig“ vermißte man ſie
diesmal bedauernd als Regiſſeur und Darſteller.

Hermine Körner als Kameliendame. Vor vielen Jahren —
1894 — die Duſe. Zwei Gegenſätze, unüberbrückbar, aber beide
berechtigt. Die Duſe ganz Hingabe, Liebe, das leiſe Vibrieren
des leidenden Menſchen, ſelbſt im Jauchzen des Glücks. Hermine
Körners Marguerite Gautier aus germaniſchem Temperament
geboren, Hingabe und Liebe mit Atomen des Verſtandes ge-
miſcht, überzeugend, aber nicht bis zur letzten Konſequenz er-
greifend. Und trotz allem eine Leiſtung außergewöhnlicher Art.
— Was neben ihr ſtand, hatte weite Diſtanz. Der Armand des
Herrn Wohlbrück zeigte ſympathiſche äußere und innere Quali-
täten, aber erſt in der Entwicklung. Dies gab Marguerite Gan-
tiers Ausſtrahlungen nicht genügend Reſonanz und verſchob das
Bild einſeitig. — Die Spielleitung ſchuf bewegte Bilder im Stil
der romantiſchen Zeit des Louis Philipp. Ihr wurde die Dar-
ſtellung der Damen und Herren der Welt und Halbwelt nur zum
Teil gerecht, was freilich bei derartig ſpezifiſch franzöſiſchen
Stücken für deutſche Schauſpieler immer problematiſch bleiben
wird. Frau Körner wurde oft und ſtürmiſch gerufen.

Kain von Friedrich Koffka. Der Brudermord Kain-Abel mit
heutigen Menſchen ins Komplizierte, ſein Pſychologiſche über-
[Spaltenumbruch] tragen. Mit Geſchick, denn der dramatiſch innerlich und äußer-
lich bewegte und geſteigerte Dialog zwiſchen den Brüdern feſſelt
und hält uns im Bann, zumal Abel in ſeiner offenen argloſen
Art und Kain, der mit guten und böſen Inſtinkten Ringende,
nach Licht, Güte und Liebe ſich Sehnende in ſtarker Gegenſätzlich-
keit gezeichnet ſind. Der innere Konflikt wird reicher und der
Mord motivierter als in der Legende. Herr Granach, ganz
nervig und verhalten, mild hoffend und exuptiv haſſend, wußte
für ſeinen Kain ſtark zu intereſſieren. Leider hat der begabte
Darſteller die Berliner Manier des allzu plötzlichen Tonwechſels
zwiſchen Tenor und Baß übernommen, ſo daß infolge klang-
licher Zäſuren nie etwas Einheitliches zuſtande kommt. Herr
Riewe gab den Abel ſympathiſch und mit echtem Gefühl.

Prinzregententheater. Anzengruber hat mit ſeinen
Steinklopferhans, Duſterer, Wurzelſepp u. a. lebensvolle Men-
ſchen von Fleiſch und Blut gezeichnet. Im Vierten Gebot iſt
dies nur bedingt der Fall. Hier iſt alles mehr konſtruiert, auf
den Effekt berechnet und, abgeſehen von einigen wenigen
Charakteren, wie z. B. der alten Herwig, einer Geſtalt von er-
greifender Wahrheit, auf äußere Cheatralik eingeſtellt. Darum
erſcheint das einſt ſo wirkſame Volksſtück heute ſtark veraltet.
— Unter Baſils geſchickter Führung, die das Menſchliche betonte,
wurde die Diſtanz, die uns von dieſer Art Literatur trennt,
weſentlich verringert. — Ueber allen ſtand Frau Conrad-Ramlo
als Herwig in ſchlichter Menſchlichkeit. Auch Friedrich Ulmer
ſchuf in Martin Schalanter den vom Dichter geſchauten verirrten
Menſchen und ſteigerte die Abſchiedsſzene mit der Großmutter
Herwig zu erſchütternder Tragik. Ebenſo verſtand Guſtav Wal-
dau als Gemütsmenſch Stolzenthaler Zynismus und Wiener
Früchtelnhumor wirkſam zu einen und näherte ſich damit der
realiſtiſch glaubhaften Linie. Im Verein mit den anderen Bour-
geois und Proletariern, unter denen Höfers Vater Schalanter
hervortrat, kam ein Wiener Kulturbild zuſtande, über deſſen
formale Erſcheinung wir zwar hinaus ſind, deſſen Inhalt aber
mit unſerer Zeit verfluchte Aehnlichkeit verrät.

Das Theater am Gärtnerplatz iſt in ſeinem Spiel-
plan bei „Letzte Liebe“ angelangt, einem Singſpiel kümmer-
lichſter Art, in deſſen Mittelpunkt Johann Neſtroy — von Sei-
bold mit echt Wiener humor und warmem Empfinden verkör-
pert — ſteht. Von Handlung iſt ebenſowenig die Rede, wie von
Muſik, denn die vereinzelten Geſänge meiſt platteſter Art wirken
nur wie Coupleteinlagen. Es iſt zu bedauern, daß die Spiel-
leitung Phantaſie, Geſchmack und Fleiß an ſolche Nichtigkeiten
verſchwenden muß. Es gab eine Zeit, da das Gärtnertheater
neben der Hofbühne ſeinen Rang behauptete mit den beſten
Namen, wie Strauß, Millöcker, Suppe u. a. Damals wurde
zwar weniger mit den Beinen gearbeitet, dafür aber mehr und
beſſer geſungen. Lang, lang iſt’s her!

Als Theaterdirektor Strieſe eröffnete Viktor Schwanneke
ſeine Tätigkeit als Sommergaſt an den Kammerſpielen.
Im Gegenſatz zu den meiſten Darſtellern zeichnet Schwanneke
dieſen Meerſchweinchenhäuptling faſt ohne jedes Beiwerk mit
wenigen Strichen und gibt damit ein ſympathiſches Bild
dieſer heute ziemlich ausgeſtorbenen Spezies. Schwannekes ge-
mütlicher Humor verbreitete eine behagliche, amüſante Stim-
mung, die zu ſchallender Heiterkeit wuchs und ſich in langen,
ſtürmiſchen Beifall auflöſte, der auch den wackeren Kammer-
ſpielern, vor allem den Damen Herterich, Jacobſen, den Herren
Martini, Momber, Müller galt.

Feuilleton
Gedanken und Sprüche.

Leute von Dielſeitigkeit haben für gewöhnlich nicht
eine Seite.

*

Um der Freude willen ſind wir geboren. Unſer Erz-
feind, wer ſie uns vergällt.

*

Diele ſtolpern über ſich ſelbſt.

*

Eine Flamme berußt nicht die andere.

*

Ein Schatten, wie ihn wirft ein zarter Baum, das iſt
das Leben. Nicht einmal ein Traum!

*

Die meiſten Lebensregeln ſind von ſatten Menſchen
geſchrieben.

*

Wer glücklicher als du, ſteht über dir.

*

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[177/0007] 9. Mai 1920 Allgemeine Zeitung um 1760), C. R. Weidel (Reliefmedaillen des Staatskanzlers von Hardenberg und wertvollen Geſchirren; Kaſſel mit einer für die Zeit, um 1780, typiſchen Kanne, lila Fond mit Haſenſzene. Hiſtoriſch und äſthetiſch intereſſant treten uns die Fayencen entgegen. Bayreuth (1719—1835), ganz unter oſtaſiatiſchem Ein- fluß, bietet u. a. eine Platte: Chineſin auf Hirſch, wahrſcheinlich von Ph. Danhofer, um 1740 und Kännchen mit blauem Laub- und Bandwerk, um 1740—1750. Den gleichen orientaliſchen Ein- fluß zeigten die Ansbacher Arbeiten (1710 bis zirka 1812) mit ſechs Stücken der ſogenannten Grünen Familie, drei Teller, eine Terrine und zwei Krüge, die mit zu den hervorragendſten deutſchen Fayencen zählen. Die Nürnberger Erzeugniſſe (1712 biſ zirka 1850) weiſen vielfach auf niederländiſche Einflüſſe hin, andere zeigen eine Berührung zwiſchen chineſiſchem Dekor und deutſchen Geſtalten, wie z. B. der große Teller, um 1750. Erwähnen wir raſch im Flug die frühe Schweizer- oder Bodenſeefayence (Teller mit Allianzewappen), Aünersberg (1738 bis zirka 1770), Göggingen, Friedberg, Ries (ſog. Gelbe Familie zirka 1770—1810), Moosbach und Hanau, ferner das als Künersberger terra sigillata (1710) bekannte Steinzeug, Schäftlarner Steinguttäßchen mit Porträt des Fürſten Wrede und einer Dame, um 1820, und nicht zuletzt Grünes Waldglas, als Reliquienbehälter verwendet, etwa 1430—1450, ſo iſt unſere Chroniſtenpflicht, dem beſchränkten Raum entſprechend, erfüllt. Endlich iſt noch zu nennen ein Gemälde, ein gotiſches Tafel- bild aus der erſten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die drei Heiligen Sylveſter, Margareta und Edigna mit dem Hahn darſtellend, das, aus der Frauenkirche ſtammend, im Tauſchweg erworben wurde. Weitere Erwerbungen, wie die Figur einer Maria mit dem Roſenſtrauch, aus Regensburg, etwa Mitte des 14. Jahrhunderts (Saal 6) und zwei Holzfiguren, Münchener Schule, um 1760 (Roman Boos?), die aus dem ſtaubigen Dunkel des ehemaligen Törringſchen Palais (Hauptpoſtgebäude) hervorgeholt wurden, haben im Muſeum ſelbſt an würdiger Stelle ihren endgültigen Platz gefunden. Wir freuen uns der bemerkenswerten Bereicherung unſerer ſtaatlichen Sammlungen im Nationalmuſeum; mögen die weite- ſten Volkskreiſe dieſe Freude teilen und dabei mannigfache künſtleriſche Anregung finden. Dr. Eduard Scharrer-Santen. Theater und Muſik Münchener Theater. Im Schauſpielhaus hatte die Spielleitung offenbar beabſichtigt, das von Shakeſpeare recht ausgelaſſene Spiel „Der Widerſpenſtigen Zähmung“ auf den Ton der Comedia dell’arte einzuſtellen. Ein vergebliches Bemühen, denn es fehlte die Vorausſetzung — die burleske Geſchmeidigkeit in Wort und Geſte, wie ſie die Geloſi, Fiurelli als Scaramuccia u. a. einſt in unnachahmlicher Weiſe meiſterten. Petruchio (G. A. Koch) und Grumio (R. Granach) überboten ſich dagegen in Poltern und Schreien und trugen unmögliche Fetzen und Lumpen am Leib, wo eine burſchikoſe Koſtümierung gerade ausgereicht hätte. Petruchio iſt trotz allem ein italieniſcher Edelmann von Humor und Gemüt, und Grumio, ebenfalls aus Italien, ſein allzu vor- lautes Echo. Es iſt ſchade um beide Darſteller, ſchade um deren ſchätzenswerte Eigenſchaſten. Dies muß trotz des ſtarken Bei- falles offen ausgeſprochen werden. Auch die Derwendung unſeres heutigen Zeitkoſtüms für das recht friſchgeſpielte Vor- ſpiel, mit Raabes köſtlichem Schlau, war ein ſtiliſtiſcher Fehl- griff. Der Autor heißt doch Shakeſpeare und nicht Hinz oder Kunz. Was Fräulein Tiedemann trotz gelungener Einzelzüge der Widerſpenſtigen ſchuldig blieb, gab ſie mit warmen Herzens- tönen der Bezähmten. Nach Frau Körners ausgezeichneter Inſzenierung des „Kaufmann von Venedig“ vermißte man ſie diesmal bedauernd als Regiſſeur und Darſteller. Hermine Körner als Kameliendame. Vor vielen Jahren — 1894 — die Duſe. Zwei Gegenſätze, unüberbrückbar, aber beide berechtigt. Die Duſe ganz Hingabe, Liebe, das leiſe Vibrieren des leidenden Menſchen, ſelbſt im Jauchzen des Glücks. Hermine Körners Marguerite Gautier aus germaniſchem Temperament geboren, Hingabe und Liebe mit Atomen des Verſtandes ge- miſcht, überzeugend, aber nicht bis zur letzten Konſequenz er- greifend. Und trotz allem eine Leiſtung außergewöhnlicher Art. — Was neben ihr ſtand, hatte weite Diſtanz. Der Armand des Herrn Wohlbrück zeigte ſympathiſche äußere und innere Quali- täten, aber erſt in der Entwicklung. Dies gab Marguerite Gan- tiers Ausſtrahlungen nicht genügend Reſonanz und verſchob das Bild einſeitig. — Die Spielleitung ſchuf bewegte Bilder im Stil der romantiſchen Zeit des Louis Philipp. Ihr wurde die Dar- ſtellung der Damen und Herren der Welt und Halbwelt nur zum Teil gerecht, was freilich bei derartig ſpezifiſch franzöſiſchen Stücken für deutſche Schauſpieler immer problematiſch bleiben wird. Frau Körner wurde oft und ſtürmiſch gerufen. Kain von Friedrich Koffka. Der Brudermord Kain-Abel mit heutigen Menſchen ins Komplizierte, ſein Pſychologiſche über- tragen. Mit Geſchick, denn der dramatiſch innerlich und äußer- lich bewegte und geſteigerte Dialog zwiſchen den Brüdern feſſelt und hält uns im Bann, zumal Abel in ſeiner offenen argloſen Art und Kain, der mit guten und böſen Inſtinkten Ringende, nach Licht, Güte und Liebe ſich Sehnende in ſtarker Gegenſätzlich- keit gezeichnet ſind. Der innere Konflikt wird reicher und der Mord motivierter als in der Legende. Herr Granach, ganz nervig und verhalten, mild hoffend und exuptiv haſſend, wußte für ſeinen Kain ſtark zu intereſſieren. Leider hat der begabte Darſteller die Berliner Manier des allzu plötzlichen Tonwechſels zwiſchen Tenor und Baß übernommen, ſo daß infolge klang- licher Zäſuren nie etwas Einheitliches zuſtande kommt. Herr Riewe gab den Abel ſympathiſch und mit echtem Gefühl. Prinzregententheater. Anzengruber hat mit ſeinen Steinklopferhans, Duſterer, Wurzelſepp u. a. lebensvolle Men- ſchen von Fleiſch und Blut gezeichnet. Im Vierten Gebot iſt dies nur bedingt der Fall. Hier iſt alles mehr konſtruiert, auf den Effekt berechnet und, abgeſehen von einigen wenigen Charakteren, wie z. B. der alten Herwig, einer Geſtalt von er- greifender Wahrheit, auf äußere Cheatralik eingeſtellt. Darum erſcheint das einſt ſo wirkſame Volksſtück heute ſtark veraltet. — Unter Baſils geſchickter Führung, die das Menſchliche betonte, wurde die Diſtanz, die uns von dieſer Art Literatur trennt, weſentlich verringert. — Ueber allen ſtand Frau Conrad-Ramlo als Herwig in ſchlichter Menſchlichkeit. Auch Friedrich Ulmer ſchuf in Martin Schalanter den vom Dichter geſchauten verirrten Menſchen und ſteigerte die Abſchiedsſzene mit der Großmutter Herwig zu erſchütternder Tragik. Ebenſo verſtand Guſtav Wal- dau als Gemütsmenſch Stolzenthaler Zynismus und Wiener Früchtelnhumor wirkſam zu einen und näherte ſich damit der realiſtiſch glaubhaften Linie. Im Verein mit den anderen Bour- geois und Proletariern, unter denen Höfers Vater Schalanter hervortrat, kam ein Wiener Kulturbild zuſtande, über deſſen formale Erſcheinung wir zwar hinaus ſind, deſſen Inhalt aber mit unſerer Zeit verfluchte Aehnlichkeit verrät. Das Theater am Gärtnerplatz iſt in ſeinem Spiel- plan bei „Letzte Liebe“ angelangt, einem Singſpiel kümmer- lichſter Art, in deſſen Mittelpunkt Johann Neſtroy — von Sei- bold mit echt Wiener humor und warmem Empfinden verkör- pert — ſteht. Von Handlung iſt ebenſowenig die Rede, wie von Muſik, denn die vereinzelten Geſänge meiſt platteſter Art wirken nur wie Coupleteinlagen. Es iſt zu bedauern, daß die Spiel- leitung Phantaſie, Geſchmack und Fleiß an ſolche Nichtigkeiten verſchwenden muß. Es gab eine Zeit, da das Gärtnertheater neben der Hofbühne ſeinen Rang behauptete mit den beſten Namen, wie Strauß, Millöcker, Suppe u. a. Damals wurde zwar weniger mit den Beinen gearbeitet, dafür aber mehr und beſſer geſungen. Lang, lang iſt’s her! Als Theaterdirektor Strieſe eröffnete Viktor Schwanneke ſeine Tätigkeit als Sommergaſt an den Kammerſpielen. Im Gegenſatz zu den meiſten Darſtellern zeichnet Schwanneke dieſen Meerſchweinchenhäuptling faſt ohne jedes Beiwerk mit wenigen Strichen und gibt damit ein ſympathiſches Bild dieſer heute ziemlich ausgeſtorbenen Spezies. Schwannekes ge- mütlicher Humor verbreitete eine behagliche, amüſante Stim- mung, die zu ſchallender Heiterkeit wuchs und ſich in langen, ſtürmiſchen Beifall auflöſte, der auch den wackeren Kammer- ſpielern, vor allem den Damen Herterich, Jacobſen, den Herren Martini, Momber, Müller galt. Dr. Eduard Scharrer-Santen. Feuilleton Gedanken und Sprüche. Von Hugo Oswald. Leute von Dielſeitigkeit haben für gewöhnlich nicht eine Seite. * Um der Freude willen ſind wir geboren. Unſer Erz- feind, wer ſie uns vergällt. * Diele ſtolpern über ſich ſelbſt. * Eine Flamme berußt nicht die andere. * Ein Schatten, wie ihn wirft ein zarter Baum, das iſt das Leben. Nicht einmal ein Traum! * Die meiſten Lebensregeln ſind von ſatten Menſchen geſchrieben. * Wer glücklicher als du, ſteht über dir. *

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920/7>, abgerufen am 17.06.2024.