Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
Interesse. Diese Politisierung, die der Zivilisationsliteratmit allen Mitteln und Mächten erstrebt und die den Men- schen nicht einmal geistig-seelisch sich selbst gehören lassen will, macht den Geschäftsgeist zum Lebensinhalt des Men- schen, den internationalen Geschäftsgeist, und löst den Deut- schen vollends los von all seinen Bindungen der Rasse und des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der Demokratie an sich auf, sondern als Feind der Politisierung, als Verteidiger der deutschen Seele und Innerlichkeit, als ein wesenhaft Deutscher, der noch höhere als nur politische Ziele und Beschäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die Gebiete des nationalen Universalismus, die Gebiete des deutschen Geistes und der deutschen Seele. Die ganze ethische Persönlichkeit Thomas Manns setzte sich hier für deutsche Art und Gesittung ein mit unerschütterlichem Mut und offenster Mannhaftigkeit, sich bekennend zur menschlichen Lebenssphäre, die das Gebiet der Kunst und Religion um- faßt. Kunst und Fortschritt, Kunst und Freiheit blieben ihm ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunst ihm nur rein aus der Quelle der Menschlichkeit, der Ehrfurcht und Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an sich selbst; Stille und Tiefe sind die Mutter der Kunst, nie der Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas Mann schloß sich mit seinen "Betrachtungen" an das Goethe- sche Deutschland an, weil seine Natur diesen Anschluß ver- langte. Vorbereitet war dieser Anschluß schon in "Königliche Hoheit". Vollends bewiesen ihn die letzten Früchte seines hünstlerischen Schaffens, die Idyllen "Ver Herr und der Hund" und "Gesang vom Kindchen". Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages, Mit kleiner, fein humoristischer Selbstverspottung wird Stärker klopft die Zeit schon wieder an die Kinder- An diesen Idyllen war Thomas Manns gesamte Natur Bayerisches Nationalmuseum. Ausstellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917--1919. Unter vielfach erschwerenden Umständen und mit recht be- Die Großplastik fällt zunächst durch eine Maria mit dem Stark gegensätzlich zu diesen ernst-monumentalen Erschei- Zahlreiche Stücke weist die Kleinplastik auf, von der Gotik Entsprechend dem Charakter unseres Bayerischen National- Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliteratmit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men- ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men- ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut- ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung, als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um- faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe- ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver- langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der Hund“ und „Geſang vom Kindchen“. Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages, Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder- An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur Bayeriſches Nationalmuſeum. Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919. Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be- Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei- Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National- <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0006" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 9. Mai 1920</fw><lb/><cb/> Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat<lb/> mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men-<lb/> ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen<lb/> will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men-<lb/> ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut-<lb/> ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und<lb/> des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der<lb/> Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung,<lb/> als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als<lb/> ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche<lb/> Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die<lb/> Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des<lb/> deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche<lb/> Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche<lb/> Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und<lb/> offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen<lb/> Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um-<lb/> faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm<lb/> ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur<lb/> rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und<lb/> Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich<lb/> ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der<lb/> Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas<lb/> Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe-<lb/> ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver-<lb/> langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche<lb/> Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines<lb/> hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „<hi rendition="#g">Ver Herr und der<lb/> Hund</hi>“ und „<hi rendition="#g">Geſang vom Kindchen</hi>“.</p><lb/> <p>Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,<lb/> aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters<lb/> Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört<lb/> dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit<lb/> und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen<lb/> zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und<lb/> in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im<lb/> erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine<lb/> Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört<lb/> Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie-<lb/> ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen<lb/> fingen ſich hier ein.</p><lb/> <p>Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird<lb/> die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den<lb/> Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe<lb/> und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,<lb/> mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen<lb/> Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-<lb/> meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf-<lb/> richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi-<lb/> tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre<lb/> gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll<lb/> erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit<lb/> der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt<lb/> mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der<lb/> Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe<lb/> gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich<lb/> lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich-<lb/> ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander<lb/> ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt<lb/> für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt<lb/> in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet.</p><lb/> <p>Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder-<lb/> zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „<hi rendition="#g">Geſang vom<lb/> Kindchen</hi>“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis<lb/> elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-<lb/> nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes<lb/> mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden-<lb/> ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich<lb/> tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben<lb/> erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und<lb/> hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-<lb/> ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand<lb/> den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die<lb/> heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt.</p><lb/> <cb/> <p>An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur<lb/> ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch<lb/> umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei-<lb/> ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit<lb/> und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm<lb/> Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung<lb/> ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine<lb/> Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand<lb/> arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver-<lb/> objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob-<lb/> achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher<lb/> Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte<lb/> in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit-<lb/> beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn-<lb/> theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent-<lb/> gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden<lb/> menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.<lb/> Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets<lb/> äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns,<lb/> als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht.<lb/> Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er-<lb/> wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner<lb/> Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich<lb/> nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen<lb/> wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.<lb/> Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die<lb/> große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich<lb/> wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind<lb/> in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein-<lb/> ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf-<lb/> gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum<lb/> hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im<lb/> Goetheſchen Sinne.</p><lb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Bayeriſches Nationalmuſeum.</hi> </head><lb/> <argument> <p>Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919.</p> </argument><lb/> <p>Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be-<lb/> ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem<lb/> Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der<lb/> Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu-<lb/> ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen<lb/> uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der<lb/> Sammlung zu gewinnen.</p><lb/> <p>Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem<lb/> Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des<lb/> Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und<lb/> Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,<lb/> 1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. Eind<lb/> Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg<lb/> in Niederbayern, um 1520, gotiſch in Frührenaiſſanceumrahmung.<lb/> Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweiſt ſtiliſtiſche und<lb/> maleriſche Dorzüge beſonderer Art. Einer der Glanzpunkte der<lb/> neuen Sammlung iſt die monumental und doch verinnerlicht wir-<lb/> kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutſch aus der Bodenſee-<lb/> gegend ſtammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfaſſung<lb/> ganz einzig in ihrer Art wirkt.</p><lb/> <p>Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei-<lb/> nungen empfinden wir eine im „ſchmelzenden Gefühlsüber-<lb/> ſchwang des Rokoko“ geſtaltete ſchmerzhafte Mutter Gottes,<lb/> bayeriſch, um 1750.</p><lb/> <p>Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik<lb/> bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-<lb/> ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt<lb/> die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines<lb/> Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze,<lb/> Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des<lb/> 16. Jahrhunderts.</p><lb/> <p>Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National-<lb/> muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver-<lb/> treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763),<lb/> den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit<lb/> Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif-<lb/> komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein<lb/> hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit<lb/> ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung<lb/> Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein<lb/> zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis<lb/> Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit<lb/> qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-<lb/> medaillon Kurfürſt Max <hi rendition="#aq">III.</hi> Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück<lb/> (1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie,<lb/> mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw.<lb/> vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0006]
Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
Intereſſe. Dieſe Politiſierung, die der Ziviliſationsliterat
mit allen Mitteln und Mächten erſtrebt und die den Men-
ſchen nicht einmal geiſtig-ſeeliſch ſich ſelbſt gehören laſſen
will, macht den Geſchäftsgeiſt zum Lebensinhalt des Men-
ſchen, den internationalen Geſchäftsgeiſt, und löſt den Deut-
ſchen vollends los von all ſeinen Bindungen der Raſſe und
des Bodens. Thomas Mann tritt nicht als Bekämpfer der
Demokratie an ſich auf, ſondern als Feind der Politiſierung,
als Verteidiger der deutſchen Seele und Innerlichkeit, als
ein weſenhaft Deutſcher, der noch höhere als nur politiſche
Ziele und Beſchäftigungen, Sphären und Inhalte kennt: die
Gebiete des nationalen Univerſalismus, die Gebiete des
deutſchen Geiſtes und der deutſchen Seele. Die ganze ethiſche
Perſönlichkeit Thomas Manns ſetzte ſich hier für deutſche
Art und Geſittung ein mit unerſchütterlichem Mut und
offenſter Mannhaftigkeit, ſich bekennend zur menſchlichen
Lebensſphäre, die das Gebiet der Kunſt und Religion um-
faßt. Kunſt und Fortſchritt, Kunſt und Freiheit blieben ihm
ewig heretogene Begriffe, denn immer auillt Kunſt ihm nur
rein aus der Quelle der Menſchlichkeit, der Ehrfurcht und
Heiligkeit, Demut und Seelenhaftigkeit, der Arbeit an ſich
ſelbſt; Stille und Tiefe ſind die Mutter der Kunſt, nie der
Lärm des Tages und die Tendenz der Politik. Thomas
Mann ſchloß ſich mit ſeinen „Betrachtungen“ an das Goethe-
ſche Deutſchland an, weil ſeine Natur dieſen Anſchluß ver-
langte. Vorbereitet war dieſer Anſchluß ſchon in „Königliche
Hoheit“. Vollends bewieſen ihn die letzten Früchte ſeines
hünſtleriſchen Schaffens, die Idyllen „Ver Herr und der
Hund“ und „Geſang vom Kindchen“.
Zuflucht aus dem niederdrückenden Lärm des Tages,
aus der blutgetränkten Not der Zeit begehrte des Dichters
Seele. Sie hatte ſich einen Bezirk geſchaffen, wo ſie ungeſtört
dem Augenblick und dem Elementaren, der Innerlichkeit
und dem eigenen Ich gehören konnte. In ihre Beziehungen
zu der Natur, wie ſie ſich gab im Weſen ſeines Hundes und
in ihre Liebe zum rein Menſchlichen, wie ſie ſich gab im
erſten Lallen des noch ungetauften Kindchens, konnte keine
Macht eingreifen: hier war der Dichter ganz und ungeſtört
Erlebender und ganz Einſamer, Idylliker des vorüberflie-
ßenden Augenblicks „Hermann und Dorothea“-Stimmungen
fingen ſich hier ein.
Mit kleiner, fein humoriſtiſcher Selbſtverſpottung wird
die Liebe zu ſeinem Hunde und zum Leben mit ihm auf den
Spaziergängen, in der Landſchaft des Iſartales, im Hauſe
und um das Haus herum gezeichnet voll hingebender Treue,
mit inniger Andacht zum kleinſten, mit einer Stifterſchen
Erhebung des Alltäglichen ins Bedeutende, mit einer bieder-
meierſchen umſtändlichen Wichtigtuerei und reſervierter Auf-
richtigkeit des tieferen Empfindens. Hier hat ſich ein ſenſi-
tiver Menſch mit Gbſicht in eine problemfreie Atmoſphäre
gerettet, weil ihm das wirkliche Leben ein großes Leid voll
erſchütternder Tragik beſchert. Die harmoniſche Heiterkeit
der Idylle, dieſer Friede auf den Spaziergängen iſt gewollt
mit aller geiſtigen Energie: es iſt ein Zeugnis von der
Größe Thomas Mannſcher Geſtaltungskraft, daß ſich dieſe
gewollte Idyllenwelt in eine ſelbſtverſtändliche und wirklich
lebendige umſetzt. Die Konzentrationsfähigkeit dieſes Dich-
ters grenzt Ich und Welt ſcharf und glaubhaft voneinander
ab und ſtellt eine in ſich abgeſchloſſene Welt hin, die erlöſt
für Stunden von der Qual der Zeit, weil ſie aufgehen läßt
in peinlichſt genaue Beobachtung, die Selbſtgenuß bedeutet.
Stärker klopft die Zeit ſchon wieder an die Kinder-
zimmertür, die der Dichter in dem kleinen „Geſang vom
Kindchen“ öffnet, Läſſige Hexameter beſtimmen den leis
elegiſchen Ton eines doch tief glücklichen Erlebens am klei-
nen Spätling, den die Vaterliebe des erwachſenen Mannes
mit anderen Augen als einſt der jünglingshaften Leiden-
ſchaft wie ein Geſchenk der Gnade anſieht. Ganz perſönlich
tritt der Dichter in Erſcheinung: an der Badewanne des eben
erwachten Weſens, am Krankenbette, bei der Taufe. Und
hin und wieder ſchallt ein Klang aus wirrer Zeit von drau-
ßen ins helle, reinliche Säuglingszimmer. Der Dichter fand
den Ausdrucksſtil für dieſe beſeelte Welt, die einzige, die
heute unangetaſtetes Eigentum des einzelnen bleibt.
An dieſen Idyllen war Thomas Manns geſamte Natur
ebenſo ſtark beteiligt wie an den gedanklich und künſtleriſch
umfaſſenderen Werken: alle Kräfte ſeines Weſens mitarbei-
ten laſſen beim ſchöpferiſchen Akt in völliger Bewußtheit
und in willenmäßig beſtimmtem Streben zur Form iſt ihm
Pflicht der Aufrichtigkeit, bedeutet ihm ethiſche Erfüllung
ſeines Seins. Die Naivität des Stoffes kann doch nie eine
Naivität des Formungsweges zulaſſen. Gefühl und Verſtand
arbeiten Hand in Hand, und nur das vom Verſtand ver-
objektivierte Empfinden wird Kunſtwerk, Erkennen, Beob-
achten, Erleben bleiben die Grundlagen Thomas Mannſcher
Schöpfungen. Der Wille, das Erkannte, Beobachtete, Erlebte
in letzter Wahrhaftigkeit zu geſtalten, nacherkennbar, mit-
beobachtbar, nacherlebbar, beſtimmt die Form. Einer Syn-
theſe von Kunſt und Wiſſenſchaft ſtrebt dieſer Dichter ent-
gegen: im Gehalt wie in der Form ſollen die in beiden
menſchlichen Geiſtesgebieten tätigen Kräfte voll mitwirken.
Schönheit und Wahrheit bleiben ſein Ziel. Er bleibt ſtets
äſthetiſcher und ethiſcher Menſch zugleich. Und oft iſt uns,
als habe Thomas Mann die Syntheſe beider ſchon erreicht.
Noch nicht im Bedeutendſten, was von dieſem Dichter er-
wartet werden muß. Nach all den reifen Schöpfungen ſeiner
Meiſterſchaft, als Epiker, der in früher Selbſterkenntnis ſich
nie an ihm weſensfremde Kunſtformen verſchwendete, ſtehen
wir doch noch mit dem Blick auf zukünftige Werke vor ihm.
Wir erhoffen von ihm noch das Kunſtwerk der Zeit. Die
große Tat, die befreiend und menſchheitsfördernd zugleich
wirkt. Ueberall liegen die Anſätze dazu verſtreut: ſie ſind
in ſtetem Wachſen. Nirgends fehlen Ernſt und Zucht, Ein-
ſicht und Maß, Wille und Vermögen, der ihm geſtellten Auf-
gabe gerecht zu werden: über Flaubertſches Künſtlertum
hinauszuwachſen zur Lebens- und Kunſtbewältigung im
Goetheſchen Sinne.
Bayeriſches Nationalmuſeum.
Ausſtellung der Neuerwerbungen in den Jahren 1917—1919.
Unter vielfach erſchwerenden Umſtänden und mit recht be-
ſchränkten Mitteln iſt es Direktor Ph. M. Halm gelungen, dem
Nationalmuſeum zum Teil hochwertige Objekte, beſonders der
Groß- und Kleinplaſtik, zuzuführen. Neben dem ſtaatlichen Zu-
ſchuß von nur 90,000 M verſtand es Direktor Halm, manchen
uneigennützigen Spender oder Stifter zur Bereicherung der
Sammlung zu gewinnen.
Die Großplaſtik fällt zunächſt durch eine Maria mit dem
Kind — wahrſcheinlich von Gregor Erhart, dem Meiſter des
Blaubeurer Hochaltars, um 1510 auf, in der ſich Spätgotik und
Renaiſſance glücklich berühren. Auch der Tiroler Stephanus,
1450—1460, hat in ſeiner kraftvoll-raſſigen Art Qualität. Eind
Nachbildung des Gnadenbildes der Wallfahrtskirche Bogenberg
in Niederbayern, um 1520, gotiſch in Frührenaiſſanceumrahmung.
Maria, die das Kind im Leibe trägt, erweiſt ſtiliſtiſche und
maleriſche Dorzüge beſonderer Art. Einer der Glanzpunkte der
neuen Sammlung iſt die monumental und doch verinnerlicht wir-
kende hl. Magdalena, vermutlich oberdeutſch aus der Bodenſee-
gegend ſtammend, um 1460, deren erhaltene alte Goldfaſſung
ganz einzig in ihrer Art wirkt.
Stark gegenſätzlich zu dieſen ernſt-monumentalen Erſchei-
nungen empfinden wir eine im „ſchmelzenden Gefühlsüber-
ſchwang des Rokoko“ geſtaltete ſchmerzhafte Mutter Gottes,
bayeriſch, um 1750.
Zahlreiche Stücke weiſt die Kleinplaſtik auf, von der Gotik
bis zur Empire. Neben der in feinen Linien bewegten Ton-
ſtatuette einer weiblichen Heiligen, bayeriſch, um 1430, fällt
die Peter Flötner zugeſchriebene Statuette (Renaiſſance) eines
Mädchens in Buchsbaumholz auf, ebenſo eine deutſche Bronze,
Knabe mit Hündchen, wahrſcheinlich Peter Diſcher, Anfang des
16. Jahrhunderts.
Entſprechend dem Charakter unſeres Bayeriſchen National-
muſeums iſt das Porzellan ſüddeutſcher Herkunft ſehr reich ver-
treten. Beſonders freuen wir uns, Franz Buſtelli (1754—1763),
den genialen Nymphenburger Plaſtiker und Regenerator mit
Arlequino, Colombine und Pulcinella der italieniſchen Stegreif-
komödie, ferner mit Läufer und Zofe u. a. wiederzufinden. Ein
hervorragendes Stüch Nymphenburg iſt eine Waſſerblaſe mit
ſitzender Damenfigur von Buſtelli, das, aus der Sammlung
Dr. Georg Hirth ſtammend, auf 21,000 M zu ſtehen kam. Ein
zweites Exemplar dürfte nicht vorhanden ſein. Auch Buſtellis
Nachfolger, Dominikus Auliczek (1765—1785) zeigt ſich mit
qualitätvollen Stücken, wie Apollo, Tierhatzen, einem Relief-
medaillon Kurfürſt Max III. Joſeph. Frankenthal-Fr. Lück
(1758—1764) iſt mit charakteriſtiſchen Plaſtiken: Die Komödie,
mit bemerkenswerter Bemalung, Der verwundete Soldat, uſw.
vertreten; Ansbach-Bruckberg mit Plaſtiken von Laut (Bacchus,
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(2020-10-02T09:49:36Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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