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Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
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Der literarische Erfolg.

Die Propagandisten in Handel und Industrie versichern
überzeugt: "Der Erfolg wird herbeigeführt durch eine geschickte
Reklame". Ihre Begründung streift aber nur das Wesen des
Erfolges auf künstlerischem Gebiet, ohne es im Kernpunkt zu
treffen. Im Gegenteil, hier ist dem Erfolg noch immer etwas
Unberechenbares, ja Wundersames eigen geblieben. Daneben
aber hat sich deutlich gezeigt, daß er sich zwar, durch gewisse Um-
stände begünstigt, auch künstlich herbeiführen läßt, daß diese
künstlichen Erfolge jedoch schnell wieder ihre Lebenskraft ver-
lieren und wie Seifenblasen zusammensinken.

In [ei]ner kürzlich erschienenen, inhaltreichen Studie, hat sich
Norbert Einstein*) bemüht, das Wesen des Erfolges mit
soziologischem Werkzeug aufzuschließen. Er will in seinem Buch
nicht die Frage beantworten: "Wie habe ich Erfolg?" Ihm
kommt es vielmehr auf die Fragestellung on: "Wie beeinflußt
der Erfolg die Gesellschaft?" Gerade diese Fragestellung ist aber
heute, wo es gilt, auf den Trümmern der Vergangenheit neu
aufzubauen, von besonderem Interesse.

"Der Erfolg", sagt Einstein, "stellt im kleinen das dar, was
die gesamte Ausdehnung der Gesellschaft im großen bedeutet: er
gruppiert die Menschen um ein Phänomen; er sammelt die
menschlichen Individuen in einem gemeinsamen Verbalten!
Nicht künstlich aufgebauschter, sondern wirklich echter Erfolg setzt
Leistung voraus. Die Wirkung dieser Leistung zeigt Einstein am
Künstler, am Politiker und am Wissenschafter. Hierbei finden
sich in seiner Studie so wertvolle Betrachtungen auch über den
literarischen Erfolg, daß es sich wohl verlohnt, sie an dieser Stelle
besonders ans Licht zu rücken, um so mehr, als wahrscheinlich
viele Literaturfreunde das Einsteinsche Buch für ein rein wissen-
schaftlich-soziologisches halten und deshalb nicht nach ihm greifen
werden.

Sehr mit Recht betont Einstein, daß zunächst das Kunstwerk
etwas ist, was mit Gunst oder Ungunst des Publikums, mit Er-
folg oder Erfolglosigkeit nichts zu tun hat, weil seine Haupt-
bedeutung in dem primären und ungeteilten Erleben der Kunst
liegt. Das Werk ist da und übt in dem Aufnehmenden seine un-
mittelbare Wirkung aus. Diese Unmittelbarkeit ist jene Reihe,
die dem kunstverständigen und kunstliebenden Betrachter die erste
und vornehmste Bedeutung haben soll. Indessen führt von ihr
sehr bald ein Weg zu weniger primitiven Betrachtungsweisen,
man denke an Standpunkte der Geschichte, der Weltanschauung
und Religion, um nur einige zu nennen. So sehr die Aesthetik
das Kunstwerk an sich zu betrachten hat, so sehr haften ihm alle
[Spaltenumbruch] möglichen aus anderen Quellen fließenden Bestandteile an, wenn
man diesen Standpunkt verläßt und es aus dem Gesichtswinkel
der Gesellschaft betrachtet. Dann ergibt sich eine mit der pri-
mären Unmittelbarkeit des Kunstwerks in scheinbar schärfstem
Widerspruch stehende Tatsache, die Einstein als Zahlenmäßigkeit
bezeichnet und die sich am deutlichsten in Kunstversteigerungen,
im Auf und Nieder des Kunstmarktes, auch in der verschiedenen
Höhe der Autorenhonorare darstellt.

Wenn der Erfolg überhaupt ein besonders starker soztolo-
gischer Ausdruck für das Vorwärtsdrängen der Menschheit ist, so
erscheint er beim Künstler vielleicht in noch größerem Maße. Man
hot im Leben bei keiner Menschenklasse zu allen Zeiten den Er-
folg so sehr betont als beim Künstler. Ursprünglich verlief der
Erfolg des Künstlers in der Hauptsache in unterirdischen Quellen
und führte zur Evolutionierung der Welt. Die nach außen
weisende Form des künstlerischen Erfolges dagegen ist noch ver-
hältnismäßig jung. Darum aber, nachdem sie sich nun einmal
in die gesellschaftlichen Vordrucke eingefügt hat, ist sie um so
stärker zur Rusprägung gekommen. Zugleich jedoch treten des-
halb bei ihr auch die beiden Grenzfälle des Erfolges, die Ver-
gessenheit und die Ueberschätzung, besonders scharf in Wirkung.

Vergessene Dichter sind solche, die in den Sinn ihrer Zeit
nicht eingegangen sind, weil ihnen die mittlere Linie fehlt. Denn
der vergesellschaftete Mensch verteilt seine Sympathie nicht nach
dem Gesetz inneren Müssens, sondern er ist immer, obwohl nicht
stets klar bewußt, auf die Stellung bedacht, die er sich errungen
hat. Deshalb bedeuten alle "genialen" Menschen, d. h. alle in
einer bestimmten Richtung nicht mit meßbaren Kategorien
ausdrückbaren, für ihn eine Gefährdung seines schwer errun-
genen Eigenwillens. Der vergesellschaftete Mensch ist mit seinen
eigenen Möglichkeiten bereits so schwer belastet, daß nur eine
kleine Welle seines Seins noch für die Erschütterung durch die
Kunst zugänglich ist.

Genau wie das Vergessenwerden hat auch die Ueberschätzung
des Dichters ihre Ursache im Gesellschaftszustand. Auch hierbei
genügt es nicht, die Ueberschätzung beispielsweise eines Romans
auf eine geschickte äußere Organisation zurückzuführen. Die
Ueberschätzung beruht vielmehr darauf, daß in einem solchen
Werk die mittlere Linie stark ausgeprägt ist. Die sog. Gesell-
schaft, als die Zusammenführung einzelner Persönlichkeiten, und
ihr verbindendes Glied, das Gespräch, bedingen die Entstehung
gedanklicher Unvollkommenheiten. Man gibt in die gemeinsame
Beziehung nicht die besten Eigenschaften seiner individuellen
Seele, denn nicht die äußerste Möglichkeit einer Seele ist der Ge-
sellschaft erwünscht, sondern eine mittlere Linie. Das geht so
weit, daß man einer starken Einzelpersönlichkeit es als großes
Verdienst anrechnet, wenn sie als Glied eines zusammengeführten
Kreises ihre emporleuchtenden Qualitäten nicht zur Geltung kom-
men läßt. Und gar das Gespräch erlebt seine Hauptbedeutung
darin, daß man spricht, ohne zu reden, daß man sich mit Worten
aneinanderklammert, deren Sinn möglichst ohne Verpflichtung
und Besonderheit ist. Aus dieser bestimmenden Tatsache entsteht
dann die Ueberschätzung gewisser Kunstwerke.

So weit Einstein. Sein Buch enthält noch vieles Interessante
über den Erfolg des Politikers und Wissenschafters. Hier kam
es mir nur darauf an, Bericht über die Bemühungen zu erstatten,

[irrelevantes Material]
*) Norbert Einstein. Der Erfolg. Eine soziologische
Untersuchung. 183 S., geh. 4 M., geb. 6 M. Verlag der Lite-
rarischen Anstalt Rütten und Loening, Frankfurt a. M.
Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920
[irrelevantes Material]
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Der literariſche Erfolg.

Die Propagandiſten in Handel und Induſtrie verſichern
überzeugt: „Der Erfolg wird herbeigeführt durch eine geſchickte
Reklame“. Ihre Begründung ſtreift aber nur das Weſen des
Erfolges auf künſtleriſchem Gebiet, ohne es im Kernpunkt zu
treffen. Im Gegenteil, hier iſt dem Erfolg noch immer etwas
Unberechenbares, ja Wunderſames eigen geblieben. Daneben
aber hat ſich deutlich gezeigt, daß er ſich zwar, durch gewiſſe Um-
ſtände begünſtigt, auch künſtlich herbeiführen läßt, daß dieſe
künſtlichen Erfolge jedoch ſchnell wieder ihre Lebenskraft ver-
lieren und wie Seifenblaſen zuſammenſinken.

In [ei]ner kürzlich erſchienenen, inhaltreichen Studie, hat ſich
Norbert Einſtein*) bemüht, das Weſen des Erfolges mit
ſoziologiſchem Werkzeug aufzuſchließen. Er will in ſeinem Buch
nicht die Frage beantworten: „Wie habe ich Erfolg?“ Ihm
kommt es vielmehr auf die Frageſtellung on: „Wie beeinflußt
der Erfolg die Geſellſchaft?“ Gerade dieſe Frageſtellung iſt aber
heute, wo es gilt, auf den Trümmern der Vergangenheit neu
aufzubauen, von beſonderem Intereſſe.

„Der Erfolg“, ſagt Einſtein, „ſtellt im kleinen das dar, was
die geſamte Ausdehnung der Geſellſchaft im großen bedeutet: er
gruppiert die Menſchen um ein Phänomen; er ſammelt die
menſchlichen Individuen in einem gemeinſamen Verbalten!
Nicht künſtlich aufgebauſchter, ſondern wirklich echter Erfolg ſetzt
Leiſtung voraus. Die Wirkung dieſer Leiſtung zeigt Einſtein am
Künſtler, am Politiker und am Wiſſenſchafter. Hierbei finden
ſich in ſeiner Studie ſo wertvolle Betrachtungen auch über den
literariſchen Erfolg, daß es ſich wohl verlohnt, ſie an dieſer Stelle
beſonders ans Licht zu rücken, um ſo mehr, als wahrſcheinlich
viele Literaturfreunde das Einſteinſche Buch für ein rein wiſſen-
ſchaftlich-ſoziologiſches halten und deshalb nicht nach ihm greifen
werden.

Sehr mit Recht betont Einſtein, daß zunächſt das Kunſtwerk
etwas iſt, was mit Gunſt oder Ungunſt des Publikums, mit Er-
folg oder Erfolgloſigkeit nichts zu tun hat, weil ſeine Haupt-
bedeutung in dem primären und ungeteilten Erleben der Kunſt
liegt. Das Werk iſt da und übt in dem Aufnehmenden ſeine un-
mittelbare Wirkung aus. Dieſe Unmittelbarkeit iſt jene Reihe,
die dem kunſtverſtändigen und kunſtliebenden Betrachter die erſte
und vornehmſte Bedeutung haben ſoll. Indeſſen führt von ihr
ſehr bald ein Weg zu weniger primitiven Betrachtungsweiſen,
man denke an Standpunkte der Geſchichte, der Weltanſchauung
und Religion, um nur einige zu nennen. So ſehr die Aeſthetik
das Kunſtwerk an ſich zu betrachten hat, ſo ſehr haften ihm alle
[Spaltenumbruch] möglichen aus anderen Quellen fließenden Beſtandteile an, wenn
man dieſen Standpunkt verläßt und es aus dem Geſichtswinkel
der Geſellſchaft betrachtet. Dann ergibt ſich eine mit der pri-
mären Unmittelbarkeit des Kunſtwerks in ſcheinbar ſchärfſtem
Widerſpruch ſtehende Tatſache, die Einſtein als Zahlenmäßigkeit
bezeichnet und die ſich am deutlichſten in Kunſtverſteigerungen,
im Auf und Nieder des Kunſtmarktes, auch in der verſchiedenen
Höhe der Autorenhonorare darſtellt.

Wenn der Erfolg überhaupt ein beſonders ſtarker ſoztolo-
giſcher Ausdruck für das Vorwärtsdrängen der Menſchheit iſt, ſo
erſcheint er beim Künſtler vielleicht in noch größerem Maße. Man
hot im Leben bei keiner Menſchenklaſſe zu allen Zeiten den Er-
folg ſo ſehr betont als beim Künſtler. Urſprünglich verlief der
Erfolg des Künſtlers in der Hauptſache in unterirdiſchen Quellen
und führte zur Evolutionierung der Welt. Die nach außen
weiſende Form des künſtleriſchen Erfolges dagegen iſt noch ver-
hältnismäßig jung. Darum aber, nachdem ſie ſich nun einmal
in die geſellſchaftlichen Vordrucke eingefügt hat, iſt ſie um ſo
ſtärker zur Rusprägung gekommen. Zugleich jedoch treten des-
halb bei ihr auch die beiden Grenzfälle des Erfolges, die Ver-
geſſenheit und die Ueberſchätzung, beſonders ſcharf in Wirkung.

Vergeſſene Dichter ſind ſolche, die in den Sinn ihrer Zeit
nicht eingegangen ſind, weil ihnen die mittlere Linie fehlt. Denn
der vergeſellſchaftete Menſch verteilt ſeine Sympathie nicht nach
dem Geſetz inneren Müſſens, ſondern er iſt immer, obwohl nicht
ſtets klar bewußt, auf die Stellung bedacht, die er ſich errungen
hat. Deshalb bedeuten alle „genialen“ Menſchen, d. h. alle in
einer beſtimmten Richtung nicht mit meßbaren Kategorien
ausdrückbaren, für ihn eine Gefährdung ſeines ſchwer errun-
genen Eigenwillens. Der vergeſellſchaftete Menſch iſt mit ſeinen
eigenen Möglichkeiten bereits ſo ſchwer belaſtet, daß nur eine
kleine Welle ſeines Seins noch für die Erſchütterung durch die
Kunſt zugänglich iſt.

Genau wie das Vergeſſenwerden hat auch die Ueberſchätzung
des Dichters ihre Urſache im Geſellſchaftszuſtand. Auch hierbei
genügt es nicht, die Ueberſchätzung beiſpielsweiſe eines Romans
auf eine geſchickte äußere Organiſation zurückzuführen. Die
Ueberſchätzung beruht vielmehr darauf, daß in einem ſolchen
Werk die mittlere Linie ſtark ausgeprägt iſt. Die ſog. Geſell-
ſchaft, als die Zuſammenführung einzelner Perſönlichkeiten, und
ihr verbindendes Glied, das Geſpräch, bedingen die Entſtehung
gedanklicher Unvollkommenheiten. Man gibt in die gemeinſame
Beziehung nicht die beſten Eigenſchaften ſeiner individuellen
Seele, denn nicht die äußerſte Möglichkeit einer Seele iſt der Ge-
ſellſchaft erwünſcht, ſondern eine mittlere Linie. Das geht ſo
weit, daß man einer ſtarken Einzelperſönlichkeit es als großes
Verdienſt anrechnet, wenn ſie als Glied eines zuſammengeführten
Kreiſes ihre emporleuchtenden Qualitäten nicht zur Geltung kom-
men läßt. Und gar das Geſpräch erlebt ſeine Hauptbedeutung
darin, daß man ſpricht, ohne zu reden, daß man ſich mit Worten
aneinanderklammert, deren Sinn möglichſt ohne Verpflichtung
und Beſonderheit iſt. Aus dieſer beſtimmenden Tatſache entſteht
dann die Ueberſchätzung gewiſſer Kunſtwerke.

So weit Einſtein. Sein Buch enthält noch vieles Intereſſante
über den Erfolg des Politikers und Wiſſenſchafters. Hier kam
es mir nur darauf an, Bericht über die Bemühungen zu erſtatten,

[irrelevantes Material]
*) Norbert Einſtein. Der Erfolg. Eine ſoziologiſche
Unterſuchung. 183 S., geh. 4 M., geb. 6 M. Verlag der Lite-
rariſchen Anſtalt Rütten und Loening, Frankfurt a. M.
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[180/0010] Allgemeine Zeitung 9. Mai 1920 _ Bücher-Anzeigen Der literariſche Erfolg. Von Hans Friedrich. Die Propagandiſten in Handel und Induſtrie verſichern überzeugt: „Der Erfolg wird herbeigeführt durch eine geſchickte Reklame“. Ihre Begründung ſtreift aber nur das Weſen des Erfolges auf künſtleriſchem Gebiet, ohne es im Kernpunkt zu treffen. Im Gegenteil, hier iſt dem Erfolg noch immer etwas Unberechenbares, ja Wunderſames eigen geblieben. Daneben aber hat ſich deutlich gezeigt, daß er ſich zwar, durch gewiſſe Um- ſtände begünſtigt, auch künſtlich herbeiführen läßt, daß dieſe künſtlichen Erfolge jedoch ſchnell wieder ihre Lebenskraft ver- lieren und wie Seifenblaſen zuſammenſinken. In einer kürzlich erſchienenen, inhaltreichen Studie, hat ſich Norbert Einſtein *) bemüht, das Weſen des Erfolges mit ſoziologiſchem Werkzeug aufzuſchließen. Er will in ſeinem Buch nicht die Frage beantworten: „Wie habe ich Erfolg?“ Ihm kommt es vielmehr auf die Frageſtellung on: „Wie beeinflußt der Erfolg die Geſellſchaft?“ Gerade dieſe Frageſtellung iſt aber heute, wo es gilt, auf den Trümmern der Vergangenheit neu aufzubauen, von beſonderem Intereſſe. „Der Erfolg“, ſagt Einſtein, „ſtellt im kleinen das dar, was die geſamte Ausdehnung der Geſellſchaft im großen bedeutet: er gruppiert die Menſchen um ein Phänomen; er ſammelt die menſchlichen Individuen in einem gemeinſamen Verbalten! Nicht künſtlich aufgebauſchter, ſondern wirklich echter Erfolg ſetzt Leiſtung voraus. Die Wirkung dieſer Leiſtung zeigt Einſtein am Künſtler, am Politiker und am Wiſſenſchafter. Hierbei finden ſich in ſeiner Studie ſo wertvolle Betrachtungen auch über den literariſchen Erfolg, daß es ſich wohl verlohnt, ſie an dieſer Stelle beſonders ans Licht zu rücken, um ſo mehr, als wahrſcheinlich viele Literaturfreunde das Einſteinſche Buch für ein rein wiſſen- ſchaftlich-ſoziologiſches halten und deshalb nicht nach ihm greifen werden. Sehr mit Recht betont Einſtein, daß zunächſt das Kunſtwerk etwas iſt, was mit Gunſt oder Ungunſt des Publikums, mit Er- folg oder Erfolgloſigkeit nichts zu tun hat, weil ſeine Haupt- bedeutung in dem primären und ungeteilten Erleben der Kunſt liegt. Das Werk iſt da und übt in dem Aufnehmenden ſeine un- mittelbare Wirkung aus. Dieſe Unmittelbarkeit iſt jene Reihe, die dem kunſtverſtändigen und kunſtliebenden Betrachter die erſte und vornehmſte Bedeutung haben ſoll. Indeſſen führt von ihr ſehr bald ein Weg zu weniger primitiven Betrachtungsweiſen, man denke an Standpunkte der Geſchichte, der Weltanſchauung und Religion, um nur einige zu nennen. So ſehr die Aeſthetik das Kunſtwerk an ſich zu betrachten hat, ſo ſehr haften ihm alle möglichen aus anderen Quellen fließenden Beſtandteile an, wenn man dieſen Standpunkt verläßt und es aus dem Geſichtswinkel der Geſellſchaft betrachtet. Dann ergibt ſich eine mit der pri- mären Unmittelbarkeit des Kunſtwerks in ſcheinbar ſchärfſtem Widerſpruch ſtehende Tatſache, die Einſtein als Zahlenmäßigkeit bezeichnet und die ſich am deutlichſten in Kunſtverſteigerungen, im Auf und Nieder des Kunſtmarktes, auch in der verſchiedenen Höhe der Autorenhonorare darſtellt. Wenn der Erfolg überhaupt ein beſonders ſtarker ſoztolo- giſcher Ausdruck für das Vorwärtsdrängen der Menſchheit iſt, ſo erſcheint er beim Künſtler vielleicht in noch größerem Maße. Man hot im Leben bei keiner Menſchenklaſſe zu allen Zeiten den Er- folg ſo ſehr betont als beim Künſtler. Urſprünglich verlief der Erfolg des Künſtlers in der Hauptſache in unterirdiſchen Quellen und führte zur Evolutionierung der Welt. Die nach außen weiſende Form des künſtleriſchen Erfolges dagegen iſt noch ver- hältnismäßig jung. Darum aber, nachdem ſie ſich nun einmal in die geſellſchaftlichen Vordrucke eingefügt hat, iſt ſie um ſo ſtärker zur Rusprägung gekommen. Zugleich jedoch treten des- halb bei ihr auch die beiden Grenzfälle des Erfolges, die Ver- geſſenheit und die Ueberſchätzung, beſonders ſcharf in Wirkung. Vergeſſene Dichter ſind ſolche, die in den Sinn ihrer Zeit nicht eingegangen ſind, weil ihnen die mittlere Linie fehlt. Denn der vergeſellſchaftete Menſch verteilt ſeine Sympathie nicht nach dem Geſetz inneren Müſſens, ſondern er iſt immer, obwohl nicht ſtets klar bewußt, auf die Stellung bedacht, die er ſich errungen hat. Deshalb bedeuten alle „genialen“ Menſchen, d. h. alle in einer beſtimmten Richtung nicht mit meßbaren Kategorien ausdrückbaren, für ihn eine Gefährdung ſeines ſchwer errun- genen Eigenwillens. Der vergeſellſchaftete Menſch iſt mit ſeinen eigenen Möglichkeiten bereits ſo ſchwer belaſtet, daß nur eine kleine Welle ſeines Seins noch für die Erſchütterung durch die Kunſt zugänglich iſt. Genau wie das Vergeſſenwerden hat auch die Ueberſchätzung des Dichters ihre Urſache im Geſellſchaftszuſtand. Auch hierbei genügt es nicht, die Ueberſchätzung beiſpielsweiſe eines Romans auf eine geſchickte äußere Organiſation zurückzuführen. Die Ueberſchätzung beruht vielmehr darauf, daß in einem ſolchen Werk die mittlere Linie ſtark ausgeprägt iſt. Die ſog. Geſell- ſchaft, als die Zuſammenführung einzelner Perſönlichkeiten, und ihr verbindendes Glied, das Geſpräch, bedingen die Entſtehung gedanklicher Unvollkommenheiten. Man gibt in die gemeinſame Beziehung nicht die beſten Eigenſchaften ſeiner individuellen Seele, denn nicht die äußerſte Möglichkeit einer Seele iſt der Ge- ſellſchaft erwünſcht, ſondern eine mittlere Linie. Das geht ſo weit, daß man einer ſtarken Einzelperſönlichkeit es als großes Verdienſt anrechnet, wenn ſie als Glied eines zuſammengeführten Kreiſes ihre emporleuchtenden Qualitäten nicht zur Geltung kom- men läßt. Und gar das Geſpräch erlebt ſeine Hauptbedeutung darin, daß man ſpricht, ohne zu reden, daß man ſich mit Worten aneinanderklammert, deren Sinn möglichſt ohne Verpflichtung und Beſonderheit iſt. Aus dieſer beſtimmenden Tatſache entſteht dann die Ueberſchätzung gewiſſer Kunſtwerke. So weit Einſtein. Sein Buch enthält noch vieles Intereſſante über den Erfolg des Politikers und Wiſſenſchafters. Hier kam es mir nur darauf an, Bericht über die Bemühungen zu erſtatten, _ *) Norbert Einſtein. Der Erfolg. Eine ſoziologiſche Unterſuchung. 183 S., geh. 4 M., geb. 6 M. Verlag der Lite- rariſchen Anſtalt Rütten und Loening, Frankfurt a. M.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 9. Mai 1920, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine18_1920/10>, abgerufen am 28.11.2024.