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Allgemeine Zeitung, Nr. 161, 9. Juni 1860.

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deutsche Bundesacte ein "Anrecht" haben diese Theilnahme an den Berathun-
gen über die deutschen und mittelbar auch über die europäischen Angelegen-
heiten zu fordern. Wer hat der brittischen Regierung seit zwei Jahrhunder-
ten den Siegeslauf vorgezeichnet, der ihr Staatsschiff bis dahin so glorreich
durch alle Klippen hindurch geführt hat? War es etwa eine Reihe ausge-
zeichneter Herrscher, oder war es nicht vielmehr der hohe Adel des Landes, der
als stimmführender Senat im Einverständniß mit dem Volkshause jene groß-
artigen Regierungsgrundsätze ausbildete und festhielt welche keine Herrscher-
willkür und kein ministerieller Büreaukratismus umzustoßen vermochte?
Statt der Antwort fügen wir noch eine dritte Frage hinzu: Was hat nun
der hohe Adel Deutschlands seit 1814 für sein Gesammtvaterland gethan,
und auf welche Sympathien für seine hohe Stellung darf er in Zukunft rech
nen, wenn er diese nicht zum Heil der Gesammtheit geltend macht?

Ebensowenig können wir endlich den dritten Stand für alles verantwort-
lich machen was geschehen, und nicht geschehen ist. Haben auch "die Professo-
ren" mit mehr Beifall für Deutschlands Einheit und Macht geschrieben und
gesprochen als mit Glück und Erfolg in dieser Beziehung gehandelt und ge-
wirkt; hat auch das deutsche Volk das große Einigungswerk im J. 1848 und
1849 durch Ueberstürzen mehr gestört als gefördert, indem dadurch bei allen
Einsichtigen und Erfahrenen gerechte Besorgnisse über den endlichen Verlauf
solcher Ueberschwänglichkeiten erregt wurden: so viel bleibt gewiß daß
in allen Volksclassen ein ernster Wille zum Bessern vorhanden ist der keine
Opfer scheut, und daß auch die damals gestellten Anforderungen den wahren
Interessen aller Betheiligten weit mehr entsprechen als Uebelwollende und
Unverständige dieß anerkennen möchten.

Warum verlaufen sich nun aber alle Versuche und alle Anstrengungen
der Fürsten wie des Volkes, um an die Stelle der allgemein für unhaltbar
anerkannten Gestaltungen des öffentlichen Lebens in Deutschland etwas bes-
seres zu setzen, so kläglich in den Sand? Dieß führt uns auf die Untersuchung
der eigenthümlichen Schwierigkeiten welche einer befriedigenden Lösung der
deutschen Frage entgegenstehen, und die wir uns nicht klar genug machen kön-
nen, um von der Gegenwart nicht mehr zu fordern als was sie unter den ge-
gebenen Verhältnissen auch wirklich zu gewähren vermag.
(Beschluß folgt.)



Thiers über den Marsch der verbündeten Heere nach
Paris im März 1814.

[&#xfffc;] Die Frage wer im März 1814 zuerst den Gedanken nach Paris zu
marschiren in Anregung gebracht, und wer ihn zuletzt entschieden habe, ist
auch nach den neuesten Darstellungen der deutschen Geschichtschreiber noch
nicht ins reine gebracht. Noch immer wird mit Heftigkeit gestritten ob der
Gedanke von Kaiser Alexander und seiner Umgebung oder vom Fürsten
Schwarzenberg ausgegangen sey. Auch in der Allgem. Zeitung ist die Frage,
wie sich die Leser erinnern, in letzter Zeit wiederholt erörtert worden. S.
den Artikel "Oesterreich und der französische Thron" in der Allgem. Zeitung
vom 1 Jan. 1860, und die hierdurch hervorgerufene Darstellung des öster-
reichischen Majors Thielen in der Beilage vom 8 Februar. Einen wichtigen
und höchst interessanten Beitrag zur Lösung des Streits gibt nun Thiers in
dem eben erschienenen 17. Bande seiner "Geschichte des Consulats und des
Kaiserreichs." So wenig wir auch Thiers als einen sichern Gewährsmann
in Fällen betrachten wo die französische gloire mit den Ansprüchen Deutsch-
lands zusammenstößt, so scheint uns doch hier die Darstellung des französi-
schen Geschichtschreibers allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu haben. Sie
löst die Frage auf die einfachste Weise. Thiers vertheilt das Verdienst des
Entschlusses auf alle Theilnehmer ungefähr gleichmäßig, und theilt eine
Hauptrolle dabei dem Corsen Grafen Pozzo di Borgo zu. Thiers erzählt
S. 461--469 des genannten Bandes:

... Die militärischen Rücksichten im engsten Sinn des Worts geboten
die Verbindungen nicht preiszugeben, man mußte vielmehr mit um so größerer
Sorgfalt über dieselben wachen, als man es mit einem gefährlicheren und
kühneren Feinde zu thun hatte. Da er sie in diesem Augenblick bedrohte,
mußte man ihm folgen im Verein mit Blücher, und mit ihm ein Ende
machen bevor man sich in Paris den Preis des Kriegs holte. Ohne Zweifel
bot es manche Vortheile auf Paris zu marschiren, besonders den der Abkür-
zung des Kampfes; wäre man jedoch vor der Hauptstadt durch einen Wider-
stand nicht bloß von Seite der Armee, sondern auch von Seite des Volks
aufgehalten worden, und hätte man, angelangt, noch einige Tage vor den
Mauern liegen müssen, so konnte man, während man im Kampf mit der
verbarricadirten Spitze der Vorstädte begriffen war, von Napoleon mit einer
Armee von 100,000 Mann im Rücken angegriffen und in die gefährlichste
Lage gebracht werden.

Diese Erwägungen waren vom größten Gewicht, und wären entschei-
dend gewesen wenn die Lage eine gewöhnliche und man der Gefahr ausgesetzt
gewesen wäre vor Paris einem Widerstand zu begegnen, wie ihn die Bedeu-
tung dieser Stadt, der Patriotismus und der Muth ihrer Bevölkerung be-
sürchten lassen mußten. Aber die Lage war so daß nichts zweifelhafter war
als ein solcher Widerstand. Obwohl man nur eine einzige Mittheilung aus
dem Innern erhalten, nämlich die von Hrn. v. Vitrolles überbrachte, und
bisher noch keine Kundgebung die Richtigkeit dieser Mittheilung bestätigt hatte,
im Gegentheil die Landlente in den besetzten Provinzen anfiengen zu den
Waffen zu greifen, so konnte man doch an mehr als einem Symptom erken-
nen daß, wenn auch Hr. v. Vitrolles übertrieb, wenn er Frankreich als von
glühender Sehnsucht nach den Bourbonen ergriffen schilderte, er doch mit der
Behauptung Recht hatte daß Frankreich nicht länger Krieg, Conscription,
die kaiserlichen Präfecten wolle, und seit man ihm Gelegenheit gab seine
wahren Gesinnungen zu äußern, es sich gegen eine Regierung aussprach
welche, nachdem sie den Krieg bis nach Moskau getragen, ihn heute bis vor
die Thore von Paris zurückgebracht hatte. Weit mehr als auf Hrn. v. Vi-
trolles wurde jedoch auf eine andere Stimme gehört, nämlich auf die des von
London zurückgekehrten Grafen Pozzo di Borgo, welcher auf die Verbündeten
einen Einfluß erlangt hatte wie er seinem Geist entsprach, und der jetzt ohne
Unterlaß ihnen wiederholte daß man auf Paris marschiren müsse. Das
Ziel des Kriegs, sagte er, ist Paris. Während ihr davon träumt Schlachten
zu liefern, lauft ihr Gefahr geschlagen zu werden, weil Napoleon sie immer
besser liefern wird als ihr, und seine Armee -- wenn auch mißvergnügt, so
doch aufrecht gehalten durch das Gefühl der Ehre -- sich an seiner Seite
schlagen wird bis zum letzten Mann. Ist auch seine militärische Gewalt
gänzlich zu Grunde gerichtet, so ist er doch noch groß, sehr groß, und sein
schützender Genius größer als der eurige. Die Zeiten haben sich geändert.
Der militärische Despotismus, am Vorabend der Revolution als eine Wohl-
that begrüßt, aber seither durch den Erfolg verurtheilt, ist moralisch ver-
nichtet. Wenn ihr eine Kundgebung ergehen laßt, wird sie schnell wirkend,
allgemein unwiderstehlich seyn, und wenn Napoleon einmal weg, so werden
die Bourbonen welche Frankreich vergessen, zu deren Sternen es kein Zu-
trauen hat, auf einmal möglich, bald nothwendig werden. Es ist politisch,
nicht militärisch geboten das Ende des Kriegs herbeizuführen; deßhalb, so-
bald sich zwischen den kriegführenden Heeren irgendein geeigneter Durchgang
für euch eröffnet, beeilt euch ihn zu benützen, Paris mit dem Finger zu be-
rühren, nur mit dem Finger, und der Koloß liegt zertrümmert. Ihr werdet
seinen Degen zerbrochen haben den ihr ihm nicht entwinden könnt.

Dieß ist das wesentliche der Reden welche Graf Pozzo unaufhörlich an
den Kaiser Alexander richtete, und zum Ueberfluß hatte er es mit einer leicht
zu überzeugenden Seele zu thun. Außer dem nicht gewöhnlichen Verstand
Alexanders kamen dem Grafen Pozzo noch alle Leidenschaften dieses Fürsten
zu Hülfe. Sich rächen, nicht wegen des Brandes von Moskau, an den er fast
nicht mehr dachte, sondern wegen der Erniedrigungen die ihm Napoleon zu-
gefügt, in Paris einzuziehen, in die Hauptstadt der Civilisation, dort einen
Despoten zu entfernen, dort den Franzosen edelmüthig die Hand entgegenzu-
strecken und sich Beifall rufen zu lassen, dieß war für ihn ein berauschender
Traum. Dieser Traum beherrschte ihn dermaßen, daß er, um ihn zu ver-
wirklichen, einer Kühnheit fähig war die sonst weder in seinem Herzen noch
in seinem Geiste lag.

Uebrigens hatte die Meinung des Grafen Pozzo di Borgo allmählich
in alle Köpfe Eingang gefunden. Entsprungen zuerst unter den Preußen,
bei denen sie durch den Haß erzeugt war, war sie schließlich bei den Russen
durchgedrungen, und selbst bei den Oesterreichern. Man begriff bei den letz-
tern vollkommen daß die politische Niederlage Napoleons der sicherste und
schnellste Weg zu seinem Untergang war. Kaiser Franz und Metternich, ob-
wohl sie in ihm nicht bloß den Schwiegersohn, sondern das unter allen weit-
aus fähigste Haupt Frankreich zu regieren bedauerten, hatten seit dem Bruch
des Congresses von Chatillon erkannt daß man endlich entschieden Partei er-
greifen müsse gegen seine Person selbst. Sie hatten lange sich dagegen ge-
sträubt die Dinge auf die äußerste Spitze zu treiben, aber da einmal der
Rhein befreit, und das Princip der Gränzen von 1790 zugelassen war, wo-
durch die alten Niederlande vacant wurden, die man ihnen mit Italien be-
zahlen mußte, da sie ferner Napoleon zu wohl kannten um zu glauben daß er
sich jemals zu einer solchen Verkleinerung des Gebiets verstehen würde, waren
sie durch die Ländersucht zu denselben Schlüssen gekommen wie die Preußen
durch den Haß, die Russen durch die Eitelkeit. Nach Paris zu marschiren
und dort die politische Lösung zu suchen in welcher zugleich die militärische Lö-
sung enthalten wäre, erschien ihnen nun ein Gebot der Nothwendigkeit. Fürst
Schwarzenberg, vorsichtig aber bestimmt wie er war, war zu derselben Ansicht
hierüber gelangt wie Metternich und wie Kaiser Franz; denn in diesem Au-
genblick bot Oesterreich die außerordentliche Erscheinung eines Kaisers, eines
Premierministers und eines Generalissimus dar, die vollkommen übereinstim-
mend in ihren Ansichten, ein Herz und eine Seele waren, fremd der Liebe wie
dem Haß, und einzig durch tiefe Berechnungen geleitet.

In dieser Lage neigte sich Fürst Schwarzenberg zum erstenmal dem Ge-
danken zu den Weg nach Paris, den er offen sah, einzuschlagen, so daß bei-
nahe Einstimmigkeit erlangt war für den Entschluß auf die Hauptstadt Frank-

deutſche Bundesacte ein „Anrecht“ haben dieſe Theilnahme an den Berathun-
gen über die deutſchen und mittelbar auch über die europäiſchen Angelegen-
heiten zu fordern. Wer hat der brittiſchen Regierung ſeit zwei Jahrhunder-
ten den Siegeslauf vorgezeichnet, der ihr Staatsſchiff bis dahin ſo glorreich
durch alle Klippen hindurch geführt hat? War es etwa eine Reihe ausge-
zeichneter Herrſcher, oder war es nicht vielmehr der hohe Adel des Landes, der
als ſtimmführender Senat im Einverſtändniß mit dem Volkshauſe jene groß-
artigen Regierungsgrundſätze ausbildete und feſthielt welche keine Herrſcher-
willkür und kein miniſterieller Büreaukratismus umzuſtoßen vermochte?
Statt der Antwort fügen wir noch eine dritte Frage hinzu: Was hat nun
der hohe Adel Deutſchlands ſeit 1814 für ſein Geſammtvaterland gethan,
und auf welche Sympathien für ſeine hohe Stellung darf er in Zukunft rech
nen, wenn er dieſe nicht zum Heil der Geſammtheit geltend macht?

Ebenſowenig können wir endlich den dritten Stand für alles verantwort-
lich machen was geſchehen, und nicht geſchehen iſt. Haben auch „die Profeſſo-
ren“ mit mehr Beifall für Deutſchlands Einheit und Macht geſchrieben und
geſprochen als mit Glück und Erfolg in dieſer Beziehung gehandelt und ge-
wirkt; hat auch das deutſche Volk das große Einigungswerk im J. 1848 und
1849 durch Ueberſtürzen mehr geſtört als gefördert, indem dadurch bei allen
Einſichtigen und Erfahrenen gerechte Beſorgniſſe über den endlichen Verlauf
ſolcher Ueberſchwänglichkeiten erregt wurden: ſo viel bleibt gewiß daß
in allen Volksclaſſen ein ernſter Wille zum Beſſern vorhanden iſt der keine
Opfer ſcheut, und daß auch die damals geſtellten Anforderungen den wahren
Intereſſen aller Betheiligten weit mehr entſprechen als Uebelwollende und
Unverſtändige dieß anerkennen möchten.

Warum verlaufen ſich nun aber alle Verſuche und alle Anſtrengungen
der Fürſten wie des Volkes, um an die Stelle der allgemein für unhaltbar
anerkannten Geſtaltungen des öffentlichen Lebens in Deutſchland etwas beſ-
ſeres zu ſetzen, ſo kläglich in den Sand? Dieß führt uns auf die Unterſuchung
der eigenthümlichen Schwierigkeiten welche einer befriedigenden Löſung der
deutſchen Frage entgegenſtehen, und die wir uns nicht klar genug machen kön-
nen, um von der Gegenwart nicht mehr zu fordern als was ſie unter den ge-
gebenen Verhältniſſen auch wirklich zu gewähren vermag.
(Beſchluß folgt.)



Thiers über den Marſch der verbündeten Heere nach
Paris im März 1814.

[&#xfffc;] Die Frage wer im März 1814 zuerſt den Gedanken nach Paris zu
marſchiren in Anregung gebracht, und wer ihn zuletzt entſchieden habe, iſt
auch nach den neueſten Darſtellungen der deutſchen Geſchichtſchreiber noch
nicht ins reine gebracht. Noch immer wird mit Heftigkeit geſtritten ob der
Gedanke von Kaiſer Alexander und ſeiner Umgebung oder vom Fürſten
Schwarzenberg ausgegangen ſey. Auch in der Allgem. Zeitung iſt die Frage,
wie ſich die Leſer erinnern, in letzter Zeit wiederholt erörtert worden. S.
den Artikel „Oeſterreich und der franzöſiſche Thron“ in der Allgem. Zeitung
vom 1 Jan. 1860, und die hierdurch hervorgerufene Darſtellung des öſter-
reichiſchen Majors Thielen in der Beilage vom 8 Februar. Einen wichtigen
und höchſt intereſſanten Beitrag zur Löſung des Streits gibt nun Thiers in
dem eben erſchienenen 17. Bande ſeiner „Geſchichte des Conſulats und des
Kaiſerreichs.“ So wenig wir auch Thiers als einen ſichern Gewährsmann
in Fällen betrachten wo die franzöſiſche gloire mit den Anſprüchen Deutſch-
lands zuſammenſtößt, ſo ſcheint uns doch hier die Darſtellung des franzöſi-
ſchen Geſchichtſchreibers allen Anſpruch auf Glaubwürdigkeit zu haben. Sie
löst die Frage auf die einfachſte Weiſe. Thiers vertheilt das Verdienſt des
Entſchluſſes auf alle Theilnehmer ungefähr gleichmäßig, und theilt eine
Hauptrolle dabei dem Corſen Grafen Pozzo di Borgo zu. Thiers erzählt
S. 461—469 des genannten Bandes:

... Die militäriſchen Rückſichten im engſten Sinn des Worts geboten
die Verbindungen nicht preiszugeben, man mußte vielmehr mit um ſo größerer
Sorgfalt über dieſelben wachen, als man es mit einem gefährlicheren und
kühneren Feinde zu thun hatte. Da er ſie in dieſem Augenblick bedrohte,
mußte man ihm folgen im Verein mit Blücher, und mit ihm ein Ende
machen bevor man ſich in Paris den Preis des Kriegs holte. Ohne Zweifel
bot es manche Vortheile auf Paris zu marſchiren, beſonders den der Abkür-
zung des Kampfes; wäre man jedoch vor der Hauptſtadt durch einen Wider-
ſtand nicht bloß von Seite der Armee, ſondern auch von Seite des Volks
aufgehalten worden, und hätte man, angelangt, noch einige Tage vor den
Mauern liegen müſſen, ſo konnte man, während man im Kampf mit der
verbarricadirten Spitze der Vorſtädte begriffen war, von Napoleon mit einer
Armee von 100,000 Mann im Rücken angegriffen und in die gefährlichſte
Lage gebracht werden.

Dieſe Erwägungen waren vom größten Gewicht, und wären entſchei-
dend geweſen wenn die Lage eine gewöhnliche und man der Gefahr ausgeſetzt
geweſen wäre vor Paris einem Widerſtand zu begegnen, wie ihn die Bedeu-
tung dieſer Stadt, der Patriotismus und der Muth ihrer Bevölkerung be-
ſürchten laſſen mußten. Aber die Lage war ſo daß nichts zweifelhafter war
als ein ſolcher Widerſtand. Obwohl man nur eine einzige Mittheilung aus
dem Innern erhalten, nämlich die von Hrn. v. Vitrolles überbrachte, und
bisher noch keine Kundgebung die Richtigkeit dieſer Mittheilung beſtätigt hatte,
im Gegentheil die Landlente in den beſetzten Provinzen anfiengen zu den
Waffen zu greifen, ſo konnte man doch an mehr als einem Symptom erken-
nen daß, wenn auch Hr. v. Vitrolles übertrieb, wenn er Frankreich als von
glühender Sehnſucht nach den Bourbonen ergriffen ſchilderte, er doch mit der
Behauptung Recht hatte daß Frankreich nicht länger Krieg, Conſcription,
die kaiſerlichen Präfecten wolle, und ſeit man ihm Gelegenheit gab ſeine
wahren Geſinnungen zu äußern, es ſich gegen eine Regierung ausſprach
welche, nachdem ſie den Krieg bis nach Moskau getragen, ihn heute bis vor
die Thore von Paris zurückgebracht hatte. Weit mehr als auf Hrn. v. Vi-
trolles wurde jedoch auf eine andere Stimme gehört, nämlich auf die des von
London zurückgekehrten Grafen Pozzo di Borgo, welcher auf die Verbündeten
einen Einfluß erlangt hatte wie er ſeinem Geiſt entſprach, und der jetzt ohne
Unterlaß ihnen wiederholte daß man auf Paris marſchiren müſſe. Das
Ziel des Kriegs, ſagte er, iſt Paris. Während ihr davon träumt Schlachten
zu liefern, lauft ihr Gefahr geſchlagen zu werden, weil Napoleon ſie immer
beſſer liefern wird als ihr, und ſeine Armee — wenn auch mißvergnügt, ſo
doch aufrecht gehalten durch das Gefühl der Ehre — ſich an ſeiner Seite
ſchlagen wird bis zum letzten Mann. Iſt auch ſeine militäriſche Gewalt
gänzlich zu Grunde gerichtet, ſo iſt er doch noch groß, ſehr groß, und ſein
ſchützender Genius größer als der eurige. Die Zeiten haben ſich geändert.
Der militäriſche Deſpotismus, am Vorabend der Revolution als eine Wohl-
that begrüßt, aber ſeither durch den Erfolg verurtheilt, iſt moraliſch ver-
nichtet. Wenn ihr eine Kundgebung ergehen laßt, wird ſie ſchnell wirkend,
allgemein unwiderſtehlich ſeyn, und wenn Napoleon einmal weg, ſo werden
die Bourbonen welche Frankreich vergeſſen, zu deren Sternen es kein Zu-
trauen hat, auf einmal möglich, bald nothwendig werden. Es iſt politiſch,
nicht militäriſch geboten das Ende des Kriegs herbeizuführen; deßhalb, ſo-
bald ſich zwiſchen den kriegführenden Heeren irgendein geeigneter Durchgang
für euch eröffnet, beeilt euch ihn zu benützen, Paris mit dem Finger zu be-
rühren, nur mit dem Finger, und der Koloß liegt zertrümmert. Ihr werdet
ſeinen Degen zerbrochen haben den ihr ihm nicht entwinden könnt.

Dieß iſt das weſentliche der Reden welche Graf Pozzo unaufhörlich an
den Kaiſer Alexander richtete, und zum Ueberfluß hatte er es mit einer leicht
zu überzeugenden Seele zu thun. Außer dem nicht gewöhnlichen Verſtand
Alexanders kamen dem Grafen Pozzo noch alle Leidenſchaften dieſes Fürſten
zu Hülfe. Sich rächen, nicht wegen des Brandes von Moskau, an den er faſt
nicht mehr dachte, ſondern wegen der Erniedrigungen die ihm Napoleon zu-
gefügt, in Paris einzuziehen, in die Hauptſtadt der Civiliſation, dort einen
Deſpoten zu entfernen, dort den Franzoſen edelmüthig die Hand entgegenzu-
ſtrecken und ſich Beifall rufen zu laſſen, dieß war für ihn ein berauſchender
Traum. Dieſer Traum beherrſchte ihn dermaßen, daß er, um ihn zu ver-
wirklichen, einer Kühnheit fähig war die ſonſt weder in ſeinem Herzen noch
in ſeinem Geiſte lag.

Uebrigens hatte die Meinung des Grafen Pozzo di Borgo allmählich
in alle Köpfe Eingang gefunden. Entſprungen zuerſt unter den Preußen,
bei denen ſie durch den Haß erzeugt war, war ſie ſchließlich bei den Ruſſen
durchgedrungen, und ſelbſt bei den Oeſterreichern. Man begriff bei den letz-
tern vollkommen daß die politiſche Niederlage Napoleons der ſicherſte und
ſchnellſte Weg zu ſeinem Untergang war. Kaiſer Franz und Metternich, ob-
wohl ſie in ihm nicht bloß den Schwiegerſohn, ſondern das unter allen weit-
aus fähigſte Haupt Frankreich zu regieren bedauerten, hatten ſeit dem Bruch
des Congreſſes von Châtillon erkannt daß man endlich entſchieden Partei er-
greifen müſſe gegen ſeine Perſon ſelbſt. Sie hatten lange ſich dagegen ge-
ſträubt die Dinge auf die äußerſte Spitze zu treiben, aber da einmal der
Rhein befreit, und das Princip der Gränzen von 1790 zugelaſſen war, wo-
durch die alten Niederlande vacant wurden, die man ihnen mit Italien be-
zahlen mußte, da ſie ferner Napoleon zu wohl kannten um zu glauben daß er
ſich jemals zu einer ſolchen Verkleinerung des Gebiets verſtehen würde, waren
ſie durch die Länderſucht zu denſelben Schlüſſen gekommen wie die Preußen
durch den Haß, die Ruſſen durch die Eitelkeit. Nach Paris zu marſchiren
und dort die politiſche Löſung zu ſuchen in welcher zugleich die militäriſche Lö-
ſung enthalten wäre, erſchien ihnen nun ein Gebot der Nothwendigkeit. Fürſt
Schwarzenberg, vorſichtig aber beſtimmt wie er war, war zu derſelben Anſicht
hierüber gelangt wie Metternich und wie Kaiſer Franz; denn in dieſem Au-
genblick bot Oeſterreich die außerordentliche Erſcheinung eines Kaiſers, eines
Premierminiſters und eines Generaliſſimus dar, die vollkommen übereinſtim-
mend in ihren Anſichten, ein Herz und eine Seele waren, fremd der Liebe wie
dem Haß, und einzig durch tiefe Berechnungen geleitet.

In dieſer Lage neigte ſich Fürſt Schwarzenberg zum erſtenmal dem Ge-
danken zu den Weg nach Paris, den er offen ſah, einzuſchlagen, ſo daß bei-
nahe Einſtimmigkeit erlangt war für den Entſchluß auf die Hauptſtadt Frank-

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[2690/0010] deutſche Bundesacte ein „Anrecht“ haben dieſe Theilnahme an den Berathun- gen über die deutſchen und mittelbar auch über die europäiſchen Angelegen- heiten zu fordern. Wer hat der brittiſchen Regierung ſeit zwei Jahrhunder- ten den Siegeslauf vorgezeichnet, der ihr Staatsſchiff bis dahin ſo glorreich durch alle Klippen hindurch geführt hat? War es etwa eine Reihe ausge- zeichneter Herrſcher, oder war es nicht vielmehr der hohe Adel des Landes, der als ſtimmführender Senat im Einverſtändniß mit dem Volkshauſe jene groß- artigen Regierungsgrundſätze ausbildete und feſthielt welche keine Herrſcher- willkür und kein miniſterieller Büreaukratismus umzuſtoßen vermochte? Statt der Antwort fügen wir noch eine dritte Frage hinzu: Was hat nun der hohe Adel Deutſchlands ſeit 1814 für ſein Geſammtvaterland gethan, und auf welche Sympathien für ſeine hohe Stellung darf er in Zukunft rech nen, wenn er dieſe nicht zum Heil der Geſammtheit geltend macht? Ebenſowenig können wir endlich den dritten Stand für alles verantwort- lich machen was geſchehen, und nicht geſchehen iſt. Haben auch „die Profeſſo- ren“ mit mehr Beifall für Deutſchlands Einheit und Macht geſchrieben und geſprochen als mit Glück und Erfolg in dieſer Beziehung gehandelt und ge- wirkt; hat auch das deutſche Volk das große Einigungswerk im J. 1848 und 1849 durch Ueberſtürzen mehr geſtört als gefördert, indem dadurch bei allen Einſichtigen und Erfahrenen gerechte Beſorgniſſe über den endlichen Verlauf ſolcher Ueberſchwänglichkeiten erregt wurden: ſo viel bleibt gewiß daß in allen Volksclaſſen ein ernſter Wille zum Beſſern vorhanden iſt der keine Opfer ſcheut, und daß auch die damals geſtellten Anforderungen den wahren Intereſſen aller Betheiligten weit mehr entſprechen als Uebelwollende und Unverſtändige dieß anerkennen möchten. Warum verlaufen ſich nun aber alle Verſuche und alle Anſtrengungen der Fürſten wie des Volkes, um an die Stelle der allgemein für unhaltbar anerkannten Geſtaltungen des öffentlichen Lebens in Deutſchland etwas beſ- ſeres zu ſetzen, ſo kläglich in den Sand? Dieß führt uns auf die Unterſuchung der eigenthümlichen Schwierigkeiten welche einer befriedigenden Löſung der deutſchen Frage entgegenſtehen, und die wir uns nicht klar genug machen kön- nen, um von der Gegenwart nicht mehr zu fordern als was ſie unter den ge- gebenen Verhältniſſen auch wirklich zu gewähren vermag. (Beſchluß folgt.) Thiers über den Marſch der verbündeten Heere nach Paris im März 1814. &#xfffc; Die Frage wer im März 1814 zuerſt den Gedanken nach Paris zu marſchiren in Anregung gebracht, und wer ihn zuletzt entſchieden habe, iſt auch nach den neueſten Darſtellungen der deutſchen Geſchichtſchreiber noch nicht ins reine gebracht. Noch immer wird mit Heftigkeit geſtritten ob der Gedanke von Kaiſer Alexander und ſeiner Umgebung oder vom Fürſten Schwarzenberg ausgegangen ſey. Auch in der Allgem. Zeitung iſt die Frage, wie ſich die Leſer erinnern, in letzter Zeit wiederholt erörtert worden. S. den Artikel „Oeſterreich und der franzöſiſche Thron“ in der Allgem. Zeitung vom 1 Jan. 1860, und die hierdurch hervorgerufene Darſtellung des öſter- reichiſchen Majors Thielen in der Beilage vom 8 Februar. Einen wichtigen und höchſt intereſſanten Beitrag zur Löſung des Streits gibt nun Thiers in dem eben erſchienenen 17. Bande ſeiner „Geſchichte des Conſulats und des Kaiſerreichs.“ So wenig wir auch Thiers als einen ſichern Gewährsmann in Fällen betrachten wo die franzöſiſche gloire mit den Anſprüchen Deutſch- lands zuſammenſtößt, ſo ſcheint uns doch hier die Darſtellung des franzöſi- ſchen Geſchichtſchreibers allen Anſpruch auf Glaubwürdigkeit zu haben. Sie löst die Frage auf die einfachſte Weiſe. Thiers vertheilt das Verdienſt des Entſchluſſes auf alle Theilnehmer ungefähr gleichmäßig, und theilt eine Hauptrolle dabei dem Corſen Grafen Pozzo di Borgo zu. Thiers erzählt S. 461—469 des genannten Bandes: ... Die militäriſchen Rückſichten im engſten Sinn des Worts geboten die Verbindungen nicht preiszugeben, man mußte vielmehr mit um ſo größerer Sorgfalt über dieſelben wachen, als man es mit einem gefährlicheren und kühneren Feinde zu thun hatte. Da er ſie in dieſem Augenblick bedrohte, mußte man ihm folgen im Verein mit Blücher, und mit ihm ein Ende machen bevor man ſich in Paris den Preis des Kriegs holte. Ohne Zweifel bot es manche Vortheile auf Paris zu marſchiren, beſonders den der Abkür- zung des Kampfes; wäre man jedoch vor der Hauptſtadt durch einen Wider- ſtand nicht bloß von Seite der Armee, ſondern auch von Seite des Volks aufgehalten worden, und hätte man, angelangt, noch einige Tage vor den Mauern liegen müſſen, ſo konnte man, während man im Kampf mit der verbarricadirten Spitze der Vorſtädte begriffen war, von Napoleon mit einer Armee von 100,000 Mann im Rücken angegriffen und in die gefährlichſte Lage gebracht werden. Dieſe Erwägungen waren vom größten Gewicht, und wären entſchei- dend geweſen wenn die Lage eine gewöhnliche und man der Gefahr ausgeſetzt geweſen wäre vor Paris einem Widerſtand zu begegnen, wie ihn die Bedeu- tung dieſer Stadt, der Patriotismus und der Muth ihrer Bevölkerung be- ſürchten laſſen mußten. Aber die Lage war ſo daß nichts zweifelhafter war als ein ſolcher Widerſtand. Obwohl man nur eine einzige Mittheilung aus dem Innern erhalten, nämlich die von Hrn. v. Vitrolles überbrachte, und bisher noch keine Kundgebung die Richtigkeit dieſer Mittheilung beſtätigt hatte, im Gegentheil die Landlente in den beſetzten Provinzen anfiengen zu den Waffen zu greifen, ſo konnte man doch an mehr als einem Symptom erken- nen daß, wenn auch Hr. v. Vitrolles übertrieb, wenn er Frankreich als von glühender Sehnſucht nach den Bourbonen ergriffen ſchilderte, er doch mit der Behauptung Recht hatte daß Frankreich nicht länger Krieg, Conſcription, die kaiſerlichen Präfecten wolle, und ſeit man ihm Gelegenheit gab ſeine wahren Geſinnungen zu äußern, es ſich gegen eine Regierung ausſprach welche, nachdem ſie den Krieg bis nach Moskau getragen, ihn heute bis vor die Thore von Paris zurückgebracht hatte. Weit mehr als auf Hrn. v. Vi- trolles wurde jedoch auf eine andere Stimme gehört, nämlich auf die des von London zurückgekehrten Grafen Pozzo di Borgo, welcher auf die Verbündeten einen Einfluß erlangt hatte wie er ſeinem Geiſt entſprach, und der jetzt ohne Unterlaß ihnen wiederholte daß man auf Paris marſchiren müſſe. Das Ziel des Kriegs, ſagte er, iſt Paris. Während ihr davon träumt Schlachten zu liefern, lauft ihr Gefahr geſchlagen zu werden, weil Napoleon ſie immer beſſer liefern wird als ihr, und ſeine Armee — wenn auch mißvergnügt, ſo doch aufrecht gehalten durch das Gefühl der Ehre — ſich an ſeiner Seite ſchlagen wird bis zum letzten Mann. Iſt auch ſeine militäriſche Gewalt gänzlich zu Grunde gerichtet, ſo iſt er doch noch groß, ſehr groß, und ſein ſchützender Genius größer als der eurige. Die Zeiten haben ſich geändert. Der militäriſche Deſpotismus, am Vorabend der Revolution als eine Wohl- that begrüßt, aber ſeither durch den Erfolg verurtheilt, iſt moraliſch ver- nichtet. Wenn ihr eine Kundgebung ergehen laßt, wird ſie ſchnell wirkend, allgemein unwiderſtehlich ſeyn, und wenn Napoleon einmal weg, ſo werden die Bourbonen welche Frankreich vergeſſen, zu deren Sternen es kein Zu- trauen hat, auf einmal möglich, bald nothwendig werden. Es iſt politiſch, nicht militäriſch geboten das Ende des Kriegs herbeizuführen; deßhalb, ſo- bald ſich zwiſchen den kriegführenden Heeren irgendein geeigneter Durchgang für euch eröffnet, beeilt euch ihn zu benützen, Paris mit dem Finger zu be- rühren, nur mit dem Finger, und der Koloß liegt zertrümmert. Ihr werdet ſeinen Degen zerbrochen haben den ihr ihm nicht entwinden könnt. Dieß iſt das weſentliche der Reden welche Graf Pozzo unaufhörlich an den Kaiſer Alexander richtete, und zum Ueberfluß hatte er es mit einer leicht zu überzeugenden Seele zu thun. Außer dem nicht gewöhnlichen Verſtand Alexanders kamen dem Grafen Pozzo noch alle Leidenſchaften dieſes Fürſten zu Hülfe. Sich rächen, nicht wegen des Brandes von Moskau, an den er faſt nicht mehr dachte, ſondern wegen der Erniedrigungen die ihm Napoleon zu- gefügt, in Paris einzuziehen, in die Hauptſtadt der Civiliſation, dort einen Deſpoten zu entfernen, dort den Franzoſen edelmüthig die Hand entgegenzu- ſtrecken und ſich Beifall rufen zu laſſen, dieß war für ihn ein berauſchender Traum. Dieſer Traum beherrſchte ihn dermaßen, daß er, um ihn zu ver- wirklichen, einer Kühnheit fähig war die ſonſt weder in ſeinem Herzen noch in ſeinem Geiſte lag. Uebrigens hatte die Meinung des Grafen Pozzo di Borgo allmählich in alle Köpfe Eingang gefunden. Entſprungen zuerſt unter den Preußen, bei denen ſie durch den Haß erzeugt war, war ſie ſchließlich bei den Ruſſen durchgedrungen, und ſelbſt bei den Oeſterreichern. Man begriff bei den letz- tern vollkommen daß die politiſche Niederlage Napoleons der ſicherſte und ſchnellſte Weg zu ſeinem Untergang war. Kaiſer Franz und Metternich, ob- wohl ſie in ihm nicht bloß den Schwiegerſohn, ſondern das unter allen weit- aus fähigſte Haupt Frankreich zu regieren bedauerten, hatten ſeit dem Bruch des Congreſſes von Châtillon erkannt daß man endlich entſchieden Partei er- greifen müſſe gegen ſeine Perſon ſelbſt. Sie hatten lange ſich dagegen ge- ſträubt die Dinge auf die äußerſte Spitze zu treiben, aber da einmal der Rhein befreit, und das Princip der Gränzen von 1790 zugelaſſen war, wo- durch die alten Niederlande vacant wurden, die man ihnen mit Italien be- zahlen mußte, da ſie ferner Napoleon zu wohl kannten um zu glauben daß er ſich jemals zu einer ſolchen Verkleinerung des Gebiets verſtehen würde, waren ſie durch die Länderſucht zu denſelben Schlüſſen gekommen wie die Preußen durch den Haß, die Ruſſen durch die Eitelkeit. Nach Paris zu marſchiren und dort die politiſche Löſung zu ſuchen in welcher zugleich die militäriſche Lö- ſung enthalten wäre, erſchien ihnen nun ein Gebot der Nothwendigkeit. Fürſt Schwarzenberg, vorſichtig aber beſtimmt wie er war, war zu derſelben Anſicht hierüber gelangt wie Metternich und wie Kaiſer Franz; denn in dieſem Au- genblick bot Oeſterreich die außerordentliche Erſcheinung eines Kaiſers, eines Premierminiſters und eines Generaliſſimus dar, die vollkommen übereinſtim- mend in ihren Anſichten, ein Herz und eine Seele waren, fremd der Liebe wie dem Haß, und einzig durch tiefe Berechnungen geleitet. In dieſer Lage neigte ſich Fürſt Schwarzenberg zum erſtenmal dem Ge- danken zu den Weg nach Paris, den er offen ſah, einzuſchlagen, ſo daß bei- nahe Einſtimmigkeit erlangt war für den Entſchluß auf die Hauptſtadt Frank-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 161, 9. Juni 1860, S. 2690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine161_1860/10>, abgerufen am 23.11.2024.