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Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 12. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 10 Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar
[Spaltenumbruch]
Verwandschaft
Eine problematische Geschichte

Neulich treffe ich Vorderlechner, meinen Kom-
pagniespezl aus der eisernen Zeit. Wir sprechen
von unseren alten Kameraden und kommen auf
Mayrhofer, unseren Zahlmeister; Vorderlechner
erzählt, der sei jetzt in D. in der Irrenanstalt.
"So," sage ich, "als was denn, hat er einen
guten Posten dort?" -- "Wie man's nimmt: er
ist verrückt." Mir war das unbegreiflich, denn
unser "Zahlmops" war immer ganz normal ge-
wesen, war auch heil durch den Krieg gekommen.
Von Vorderlechner konnte ich Näheres nicht er-
fahren, und als ich vorige Woche in D. zu tun
hatte, habe ich Mayrhofer im Irrenhaus besucht.

Im Sprechzimmer tritt er mir entgegen, im
grauen Kittel, gebeugt die hohe Gestalt, düster
und starr das Gesicht, trüb der Blick. Wehmütig
lächelnd begrüßt er mich. Ich tue unbefangen:
"Grüß Gott, Herr Mayrhofer, wie geht's, was
treiben S' denn alleweil?"

"Ich treibe Genealogie."

"So so, hm, ja -- Genealogie." (???)

"Ja, ich treibe Familienforschung."

"Aber das können S' doch daheim auch, dazu
orauchen Sie doch nicht da herin sitzen?"

"Weil der Stammbaum so verwachsen ist
(Aha, denke ich, also hat er eine fixe Idee!)
Mayrhofer erzählt:

"Während des Krieges war meine Frau ge-
storben Unser Bub, der Franzl, war damals
fünfzehn. Voriges Jahr habe ich wieder gehei-
ratet, eine junge, deren Mutter, also meine
Schwiegermutter, eine Witfrau hoch in die Drei-
ßig, aber noch sehr gut erhalten ist. Bei der
Hochzeit verliebt sich doch mein Franzl in meine
Schwiegermutter und ein Vierteljahr später
heiratet mein Sohn die Mutter meiner Frau.
Damit hat es angefangen. Mein Sohn wurde
mein Schwiegervater und der Stiefvater meiner
Frau, deren Stiefsohn er zugleich war. Mit an-
deren Worten, Franz wurde sein eigener Groß-
vater. Weil meine Schwiegermutter meine
Schwiegertochter wurde, verjüngte sich meine
Frau zu meiner Enkelin, obwohl sie anderseits
als Stiefmutter ihrer Mutter zu meiner Schwie-
gergroßmutter aufrückte. Noch ehe ich mir über
meine eigene Stellung in diesem vertrackten Ver-
wandtschaftsverhältnis klar werden konnte, wur-
den beide Frauen Mütter und damit wuchs die
Unklarheit ins Grenzenlose. Denn mein Töchterl
Walburga war die Schwägerin ihrer Großmutter
und, als Stiefschwester meines Sohnes -- den sie
füglich als Opapa hätte anreden dürfen -- die
Muhme ihrer Eltern; sie war aber auch die Ur-
enkelin ihres Vaters, weil ihre Großmutter
meine Schwiegertochter war. -- Franzls Sproß
Korbinian war ebensowohl der Schwager seines
Großvaters und demzufolge der Oheim seines
Vaters, wie er als desien Sohn sein eigener
Großneffe war Aber damit nicht genug: Mein
Schwager und Enkel Korbinian war der Reffe
meiner Tochter und Urenkelin Walburga, denn
diese war die Halbschwester seines Vaters, aber
er war auch mein -- seines Großvaters -- Groß-
ohm, nämlich als der Halbbruder meiner Frau,
die, wie schon erwähnt, als Stiefmutter ihrer
Mutter zu meiner Schwiegergroßmutter gewor-
den war. Damit wurde aber ich selbst meines
Sohnes Urgroßneffe. Nichtsdestoungeachtet war
dieser Korbinian mein Ururenkel, weil seine
Großmutter -- meine Frau -- als Tochter
meiner Schwiegertochter meine Enkelin war. Ich
selbst wiederum als Enkel meiner Frau kam in
die Zwangslage, unser Töchterl als meine Tante
respektieren zu müssen. Auf diese Weise wurde
meine Frau meine Großmuhme und unser ge-
meinsamer Enkel Korbinian wurde mein Vetter.
Mein Sohn, als Großvater seiner selbst und
seiner Schwester, ward damit zwangsläufig zum
Urgroßonkel seines Sohnes, und meine Frau,
als Stiefmutter vom Franz, ward die Urahne
ihres Bruders. Obendrein ich als mein eigener
Enkelsohn ..."

Milde legte sich die Hand des begleitenden
Assistenzarztes auf meinen Arm: "Kommen Sie,
die Besuchszeit ist zu Ende." Halb ohnmächtig
ließ ich mich hinwegführen. An der Pforte
drückte mir der freundliche Dokto: die Rechte; ein
tiefes Mitgefühl klang aus seiner Stimme, als er
sagte: "Ja, ja, der Fall Mayrhofer ist völlig
hoffnungslos." --



Konzert-Vorschau

Morgen Sonntag. den 13. Januar, finden statt:
Abends 8 Uhr im Herkules-Saal der Sonaten-
Abend von Elisabeth Bischoff (Violine) und Udo
Dammert (Klavier)

Abends 8 Uhr der Tanz-Abend von Irmgard
von Müller und Fee von Reichlin.

(Münchner Faschingsbilder).

Musikalische Begleitung: Kammerorchester Erich

Kloß.

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl.
Bayer. Reisebüro und an der Abendkasse.

Dienstag, den 15. Januar, 71/2 Uhr im Herkules-
saal Lieder- und Arien-Abend von Alice Brandt-
Rau (Koloratur-Sopran) mit Gesängen von
Händel, Bellini. Hugo Wolf, Rich. Würz. Hugo
Kaun, Loth. Windsperger, Cl. v. Franckenstein
und Joseph Haas.

Am Flügel: Dr. Friedrich Munter.

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl.
Bayer. Reisebüro und an der Abendkasse.



Brakls Kunsthaus. Professor Carl Strath-
mann und Oswald Poetzelberger haben neue Ge-
mälde in Brakls Kunsthaus am Beethovenplatz
ausgestellt.



Die Gesellschaft der Altersfreunde veranstaltet
am Sonntag, den 20. Januar, abends 8 Uhr im
Odeonsaal ein Meisterkonzert unter Mitwirkung
von Kammersänger Paul Bender, Staatskapell-
meister Elmendorff. Kammersängerin Elis. Feuge,
Staatsopernsänger Julius Patzack, Kammersänger
Wilhelm Rode Kammersängerin Luise Willer und
dem Studeny-Quartett.

Der Reinertrag ist ausschließlich zur Förderung
der Altershilfe bestimmt. -- Karten bei Bauer,
Halbreiter, Retsebüro Schenker und Musikalien-
handlung Hieber.

[Spaltenumbruch]
Stellvertreter der deutschen Reparations-Sachverständigen
[Abbildung]

sind Bankier Dr. Melchior (links) und Geheimrat Kaskl, der Geschäftsführer des Reichs-
verbandes der deutschen Industrie.



Nobile rechtfertigt sich
Warum er sich zuerst retten ließ
[Spaltenumbruch]

General Nobile hat das ihm nach seiner
Rückkehr auferlegte Schweigen erstmalig ge-
brochen und über seine Rettung für ameri-
kanische Blätter eine Verteidigung geschrie-
ben,
deren Wiedergabe der italienischen
Presse vorläufig untersagt ist.

Man begreift dieses Zensurverbot um so
weniger, als seine Schilderung anläßlich des
jetzigen Aufenthalts seines Retters, des
schwedischen Hauptmanns Lundborg, in
Rom als Zeuge für die italienische Unter-
suchungskommission über die Expedition des
Luftschiffes "Italia" besonders zeitgemäß
wäre. Nobile schildert eingehend die ver-
zweifelte Lage der Schiffbrüchigen des ro-
ten Zeltes unverblümt, und so erfährt man
aus seiner Feder, daß sie
viel trostloser
war, als die damals aus Rücksicht auf die
Verwandten und die italienische Oeffentlich-
keit gesiebten Berichte von der "Citta di
Milano" durchblicken ließen. Die radio-
telegraphische Verbindung mit der Kingsbai
versagte oft tagelang, und die Schiffbrüchi-
gen erhielten immer mehr den Eindruck,
daß die Rettungsaktion von der "Citta di
Milano" aus nicht energisch und umsichtig
genug geleitet wurde und mit den anderen
Rettungsexpditionen nicht der richtige Zu-
sammenhang bestände. Wenn die Radio-
verbindung zu lange schwieg, wurden No-
biles Leute bis zur Verzweiflung entmutigt,
und es fehlte daher nicht an
Vrwünschungen und Anschuldigungen,
da sie glaubten, in der Kingsbai werde
ihren Bedürfnissen und dem Ernst ihrer
Lage nicht genügend Rechnung getragen,
während höchste Eile im Rettungswerk mit
Flugzeugen geboten war. Am 23. Juni er-
suchte daher Nobile die "Citta di Milano"
dringend, wenigstens den schwerverletzten
Maschinenmeister Cecioni mit Flugzeug ab-
holen zu lassen, da sein Bein nicht ohne
Arzt geheilt werden konnte. Nobile empfand
immer mehr das Gefühl, daß er mit seinen
gebrochenen Beinen und dem gebrochenen
Arm für die Begleiter eine Last wurde.
Für den Fall einer Auflösung ihrer Eis-
scholle hatten die Schiffbrüchigen die Ret-
tung in einem Faltboot in Aussicht genom-
men und sogar mit dem Gedanken einer
Ueberwinterung in der Polarnacht vertraut
gemacht. In ihrer höchsten Not und Ver-
zweiflung
kam der erste Retter, Lundborg.
Als ihm sein Flug angekündigt wurde,
hatte Nobile Cecioni für den Transvort nach
dem Landungsplatz bereitmachen lassen, da
der Maschinenmeister als erster gereitet
werden sollte. Alsdann sollten Professor
Behouneck und Troiani abgeholt werden.
dann Nobile und zuletzt Leunant Vigliari
und der Radiotelegraphist Biagi, da diese
beiden für die Aufrechterhaltung der Ver-
bindung sorgten. Lundborg kümmerte sich
aber nicht um die Anordnungen des Gene-
rals, sondern sagte sofort: "Ich bin gekom-
men, um alle abzuholen. Das Landungs-
feld ist ausgezeichnet. Ich werde im Ver-
laufe der Nacht alle transportieren.

"General, Sie müssen als erster mit-
kommen."

Nobile will das für unmöglich erklärt und
auf den Beschluß verwiesen haben, zuerst
[Spaltenumbruch] Cecioni mitnehmen zu lassen. Aber Lund-
borg habe ihm entschlossen erwidert, er habe
ausdrücklich Befehl, den General als ersten
mitzubringen, weil er Anleitungen zur Auf-
findung der Verschollenen geben müsse. No-
bile glaubte, dieser Befehl stamme vom
Kommando der "Citta di Milano", das
einige Tage vorher Angaben und Weisungen
zur Auffindung der Ballongruppe verlangt
hatte, die aber infolge radiotelegraphischer
Störungen nicht übermittelt werden konn-
ten. Trotz nochmaliger Weigerung und allen
Einwänden Nobiles bestand Lundborg auch
aus technischen Gründen auf der Mitnahme
des Generals, weil ihm Cecioni zu schwer
war und er ihn nicht ohne Zurücklassung
seines Mechanikers beim roten Zelt mit-
nehmen konnte. Der schwedische Flieger-
leutnant versicherte, er kehre dann sofort
allein zurück, um für Cecioni mehr Platz
zu haben. Nobile befragte noch seine Be-
gleiter, die dafür gewesen seien, daß er als
erster ging, um das Rettungswerk selbst in
die Hand zu nehmen. Sogar Cecioni sagte
ihm: "Gehen Sie, denn was immer eintritt,
es wird jemand für unsere Familien sor-
gen!" Nobile glaubte
einer gebieterischen Pflicht gehorcht
zu haben,

als er sich endlich entschloß, sich zum Flug-
zeug tragen und als erster mitnehmen zu
lassen, um trotz seinen Verletzungen wenig-
stens mit Ratschlägen an den Nachforschun-
gen nach der verschollenen Ballongruppe des
Luftschiffes mitwirken zu können. Nobile
erlebte seine Rettung und die liebevolle
Aufnahme bei der schwedischen Hilfsexpedi-
tion wie einen Traum. aus dem er jäh er-
wachte, als seine Freude noch in der glei-
chen Nacht in tiefen Schmerz verwandelt
wurde, indem er erfuhr, daß Lundborgs
Flugzeug beim zweiten Landungsversuch
verunglückt und sein Retter selbst auf dem
Packeis gefangen war. Groß war aber sein
Erstaunen, als er an Bord der "Citta di
Milano" vom Kommandanten gebeten
wurde, über
seine Rettung als erster Aufklärung
abzugeben, da sie kritisiert werden
könnte und besonders im Auslande Miß-
fallen errege. Nobile telegraphierte an das
Marineministerium nach Rom, er sei da, um
seinen Posten wieder zu übernehmen. Sein
Körper sei gelähmt, aber nicht sein Geist.
Zu seiner Enttäuschung blieb ihm aber das
erhoffte Kommando der Rettungserpedition
versagt. Nobile betont, als er sich von
Lundborg mitnehmen ließ, sei es nicht in
der Absicht geschehen, sich als erster retten
zu lassen, sondern um auf den Posten zu ge-
langen, auf dem er allein handeln und bis
zum äußersten für die Rettung der Ver-
schollenen kämpfen konnte. Als er auf dem
Vackeis Lundborgs Drängen nachgab, will
Nobile nur an die anderen und
nicht an sich selbst gedacht
haben. Die gegen sein Vorgehen erhobene
Kritik und alle damit verbundenen boshaf-
ten Unterschiebungen empfand er als eine
grausame Beleidigung, da er ganz selbstlos
gehandelt haben will. Er war so verbittert,
daß er am liebsten der Menschheit entflohen
und zu seinen Leidensgenossen auf das Pack-
eis zurückgekehrt wäre, die er nie verlassen,
sondern nur wirksamer zu ihrer Rettung
beitragen wollte.

[Spaltenumbruch]
[Tabelle]


[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 10 Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar
[Spaltenumbruch]
Verwandſchaft
Eine problematiſche Geſchichte

Neulich treffe ich Vorderlechner, meinen Kom-
pagnieſpezl aus der eiſernen Zeit. Wir ſprechen
von unſeren alten Kameraden und kommen auf
Mayrhofer, unſeren Zahlmeiſter; Vorderlechner
erzählt, der ſei jetzt in D. in der Irrenanſtalt.
„So,“ ſage ich, „als was denn, hat er einen
guten Poſten dort?“ — „Wie man’s nimmt: er
iſt verrückt.“ Mir war das unbegreiflich, denn
unſer „Zahlmops“ war immer ganz normal ge-
weſen, war auch heil durch den Krieg gekommen.
Von Vorderlechner konnte ich Näheres nicht er-
fahren, und als ich vorige Woche in D. zu tun
hatte, habe ich Mayrhofer im Irrenhaus beſucht.

Im Sprechzimmer tritt er mir entgegen, im
grauen Kittel, gebeugt die hohe Geſtalt, düſter
und ſtarr das Geſicht, trüb der Blick. Wehmütig
lächelnd begrüßt er mich. Ich tue unbefangen:
„Grüß Gott, Herr Mayrhofer, wie geht’s, was
treiben S’ denn alleweil?“

„Ich treibe Genealogie.“

„So ſo, hm, ja — Genealogie.“ (???)

„Ja, ich treibe Familienforſchung.“

„Aber das können S’ doch daheim auch, dazu
orauchen Sie doch nicht da herin ſitzen?“

„Weil der Stammbaum ſo verwachſen iſt
(Aha, denke ich, alſo hat er eine fixe Idee!)
Mayrhofer erzählt:

„Während des Krieges war meine Frau ge-
ſtorben Unſer Bub, der Franzl, war damals
fünfzehn. Voriges Jahr habe ich wieder gehei-
ratet, eine junge, deren Mutter, alſo meine
Schwiegermutter, eine Witfrau hoch in die Drei-
ßig, aber noch ſehr gut erhalten iſt. Bei der
Hochzeit verliebt ſich doch mein Franzl in meine
Schwiegermutter und ein Vierteljahr ſpäter
heiratet mein Sohn die Mutter meiner Frau.
Damit hat es angefangen. Mein Sohn wurde
mein Schwiegervater und der Stiefvater meiner
Frau, deren Stiefſohn er zugleich war. Mit an-
deren Worten, Franz wurde ſein eigener Groß-
vater. Weil meine Schwiegermutter meine
Schwiegertochter wurde, verjüngte ſich meine
Frau zu meiner Enkelin, obwohl ſie anderſeits
als Stiefmutter ihrer Mutter zu meiner Schwie-
gergroßmutter aufrückte. Noch ehe ich mir über
meine eigene Stellung in dieſem vertrackten Ver-
wandtſchaftsverhältnis klar werden konnte, wur-
den beide Frauen Mütter und damit wuchs die
Unklarheit ins Grenzenloſe. Denn mein Töchterl
Walburga war die Schwägerin ihrer Großmutter
und, als Stiefſchweſter meines Sohnes — den ſie
füglich als Opapa hätte anreden dürfen — die
Muhme ihrer Eltern; ſie war aber auch die Ur-
enkelin ihres Vaters, weil ihre Großmutter
meine Schwiegertochter war. — Franzls Sproß
Korbinian war ebenſowohl der Schwager ſeines
Großvaters und demzufolge der Oheim ſeines
Vaters, wie er als deſien Sohn ſein eigener
Großneffe war Aber damit nicht genug: Mein
Schwager und Enkel Korbinian war der Reffe
meiner Tochter und Urenkelin Walburga, denn
dieſe war die Halbſchweſter ſeines Vaters, aber
er war auch mein — ſeines Großvaters — Groß-
ohm, nämlich als der Halbbruder meiner Frau,
die, wie ſchon erwähnt, als Stiefmutter ihrer
Mutter zu meiner Schwiegergroßmutter gewor-
den war. Damit wurde aber ich ſelbſt meines
Sohnes Urgroßneffe. Nichtsdeſtoungeachtet war
dieſer Korbinian mein Ururenkel, weil ſeine
Großmutter — meine Frau — als Tochter
meiner Schwiegertochter meine Enkelin war. Ich
ſelbſt wiederum als Enkel meiner Frau kam in
die Zwangslage, unſer Töchterl als meine Tante
reſpektieren zu müſſen. Auf dieſe Weiſe wurde
meine Frau meine Großmuhme und unſer ge-
meinſamer Enkel Korbinian wurde mein Vetter.
Mein Sohn, als Großvater ſeiner ſelbſt und
ſeiner Schweſter, ward damit zwangsläufig zum
Urgroßonkel ſeines Sohnes, und meine Frau,
als Stiefmutter vom Franz, ward die Urahne
ihres Bruders. Obendrein ich als mein eigener
Enkelſohn ...“

Milde legte ſich die Hand des begleitenden
Aſſiſtenzarztes auf meinen Arm: „Kommen Sie,
die Beſuchszeit iſt zu Ende.“ Halb ohnmächtig
ließ ich mich hinwegführen. An der Pforte
drückte mir der freundliche Dokto: die Rechte; ein
tiefes Mitgefühl klang aus ſeiner Stimme, als er
ſagte: „Ja, ja, der Fall Mayrhofer iſt völlig
hoffnungslos.“ —



Konzert-Vorschau

Morgen Sonntag. den 13. Januar, finden ſtatt:
Abends 8 Uhr im Herkules-Saal der Sonaten-
Abend von Eliſabeth Biſchoff (Violine) und Udo
Dammert (Klavier)

Abends 8 Uhr der Tanz-Abend von Irmgard
von Müller und Fee von Reichlin.

(Münchner Faſchingsbilder).

Muſikaliſche Begleitung: Kammerorcheſter Erich

Kloß.

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl.
Bayer. Reiſebüro und an der Abendkaſſe.

Dienstag, den 15. Januar, 7½ Uhr im Herkules-
ſaal Lieder- und Arien-Abend von Alice Brandt-
Rau (Koloratur-Sopran) mit Geſängen von
Händel, Bellini. Hugo Wolf, Rich. Würz. Hugo
Kaun, Loth. Windſperger, Cl. v. Franckenſtein
und Joſeph Haas.

Am Flügel: Dr. Friedrich Munter.

Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl.
Bayer. Reiſebüro und an der Abendkaſſe.



Brakls Kunſthaus. Profeſſor Carl Strath-
mann und Oswald Poetzelberger haben neue Ge-
mälde in Brakls Kunſthaus am Beethovenplatz
ausgeſtellt.



Die Geſellſchaft der Altersfreunde veranſtaltet
am Sonntag, den 20. Januar, abends 8 Uhr im
Odeonſaal ein Meiſterkonzert unter Mitwirkung
von Kammerſänger Paul Bender, Staatskapell-
meiſter Elmendorff. Kammerſängerin Eliſ. Feuge,
Staatsopernſänger Julius Patzack, Kammerſänger
Wilhelm Rode Kammerſängerin Luiſe Willer und
dem Studeny-Quartett.

Der Reinertrag iſt ausſchließlich zur Förderung
der Altershilfe beſtimmt. — Karten bei Bauer,
Halbreiter, Retſebüro Schenker und Muſikalien-
handlung Hieber.

[Spaltenumbruch]
Stellvertreter der deutſchen Reparations-Sachverſtändigen
[Abbildung]

ſind Bankier Dr. Melchior (links) und Geheimrat Kaſkl, der Geſchäftsführer des Reichs-
verbandes der deutſchen Induſtrie.



Nobile rechtfertigt ſich
Warum er ſich zuerſt retten ließ
[Spaltenumbruch]

General Nobile hat das ihm nach ſeiner
Rückkehr auferlegte Schweigen erſtmalig ge-
brochen und über ſeine Rettung für ameri-
kaniſche Blätter eine Verteidigung geſchrie-
ben,
deren Wiedergabe der italieniſchen
Preſſe vorläufig unterſagt iſt.

Man begreift dieſes Zenſurverbot um ſo
weniger, als ſeine Schilderung anläßlich des
jetzigen Aufenthalts ſeines Retters, des
ſchwediſchen Hauptmanns Lundborg, in
Rom als Zeuge für die italieniſche Unter-
ſuchungskommiſſion über die Expedition des
Luftſchiffes „Italia“ beſonders zeitgemäß
wäre. Nobile ſchildert eingehend die ver-
zweifelte Lage der Schiffbrüchigen des ro-
ten Zeltes unverblümt, und ſo erfährt man
aus ſeiner Feder, daß ſie
viel troſtloſer
war, als die damals aus Rückſicht auf die
Verwandten und die italieniſche Oeffentlich-
keit geſiebten Berichte von der „Citta di
Milano“ durchblicken ließen. Die radio-
telegraphiſche Verbindung mit der Kingsbai
verſagte oft tagelang, und die Schiffbrüchi-
gen erhielten immer mehr den Eindruck,
daß die Rettungsaktion von der „Citta di
Milano“ aus nicht energiſch und umſichtig
genug geleitet wurde und mit den anderen
Rettungsexpditionen nicht der richtige Zu-
ſammenhang beſtände. Wenn die Radio-
verbindung zu lange ſchwieg, wurden No-
biles Leute bis zur Verzweiflung entmutigt,
und es fehlte daher nicht an
Vrwünſchungen und Anſchuldigungen,
da ſie glaubten, in der Kingsbai werde
ihren Bedürfniſſen und dem Ernſt ihrer
Lage nicht genügend Rechnung getragen,
während höchſte Eile im Rettungswerk mit
Flugzeugen geboten war. Am 23. Juni er-
ſuchte daher Nobile die „Citta di Milano“
dringend, wenigſtens den ſchwerverletzten
Maſchinenmeiſter Cecioni mit Flugzeug ab-
holen zu laſſen, da ſein Bein nicht ohne
Arzt geheilt werden konnte. Nobile empfand
immer mehr das Gefühl, daß er mit ſeinen
gebrochenen Beinen und dem gebrochenen
Arm für die Begleiter eine Laſt wurde.
Für den Fall einer Auflöſung ihrer Eis-
ſcholle hatten die Schiffbrüchigen die Ret-
tung in einem Faltboot in Ausſicht genom-
men und ſogar mit dem Gedanken einer
Ueberwinterung in der Polarnacht vertraut
gemacht. In ihrer höchſten Not und Ver-
zweiflung
kam der erſte Retter, Lundborg.
Als ihm ſein Flug angekündigt wurde,
hatte Nobile Cecioni für den Transvort nach
dem Landungsplatz bereitmachen laſſen, da
der Maſchinenmeiſter als erſter gereitet
werden ſollte. Alsdann ſollten Profeſſor
Behouneck und Troiani abgeholt werden.
dann Nobile und zuletzt Leunant Vigliari
und der Radiotelegraphiſt Biagi, da dieſe
beiden für die Aufrechterhaltung der Ver-
bindung ſorgten. Lundborg kümmerte ſich
aber nicht um die Anordnungen des Gene-
rals, ſondern ſagte ſofort: „Ich bin gekom-
men, um alle abzuholen. Das Landungs-
feld iſt ausgezeichnet. Ich werde im Ver-
laufe der Nacht alle transportieren.

„General, Sie müſſen als erſter mit-
kommen.“

Nobile will das für unmöglich erklärt und
auf den Beſchluß verwieſen haben, zuerſt
[Spaltenumbruch] Cecioni mitnehmen zu laſſen. Aber Lund-
borg habe ihm entſchloſſen erwidert, er habe
ausdrücklich Befehl, den General als erſten
mitzubringen, weil er Anleitungen zur Auf-
findung der Verſchollenen geben müſſe. No-
bile glaubte, dieſer Befehl ſtamme vom
Kommando der „Citta di Milano“, das
einige Tage vorher Angaben und Weiſungen
zur Auffindung der Ballongruppe verlangt
hatte, die aber infolge radiotelegraphiſcher
Störungen nicht übermittelt werden konn-
ten. Trotz nochmaliger Weigerung und allen
Einwänden Nobiles beſtand Lundborg auch
aus techniſchen Gründen auf der Mitnahme
des Generals, weil ihm Cecioni zu ſchwer
war und er ihn nicht ohne Zurücklaſſung
ſeines Mechanikers beim roten Zelt mit-
nehmen konnte. Der ſchwediſche Flieger-
leutnant verſicherte, er kehre dann ſofort
allein zurück, um für Cecioni mehr Platz
zu haben. Nobile befragte noch ſeine Be-
gleiter, die dafür geweſen ſeien, daß er als
erſter ging, um das Rettungswerk ſelbſt in
die Hand zu nehmen. Sogar Cecioni ſagte
ihm: „Gehen Sie, denn was immer eintritt,
es wird jemand für unſere Familien ſor-
gen!“ Nobile glaubte
einer gebieteriſchen Pflicht gehorcht
zu haben,

als er ſich endlich entſchloß, ſich zum Flug-
zeug tragen und als erſter mitnehmen zu
laſſen, um trotz ſeinen Verletzungen wenig-
ſtens mit Ratſchlägen an den Nachforſchun-
gen nach der verſchollenen Ballongruppe des
Luftſchiffes mitwirken zu können. Nobile
erlebte ſeine Rettung und die liebevolle
Aufnahme bei der ſchwediſchen Hilfsexpedi-
tion wie einen Traum. aus dem er jäh er-
wachte, als ſeine Freude noch in der glei-
chen Nacht in tiefen Schmerz verwandelt
wurde, indem er erfuhr, daß Lundborgs
Flugzeug beim zweiten Landungsverſuch
verunglückt und ſein Retter ſelbſt auf dem
Packeis gefangen war. Groß war aber ſein
Erſtaunen, als er an Bord der „Citta di
Milano“ vom Kommandanten gebeten
wurde, über
ſeine Rettung als erſter Aufklärung
abzugeben, da ſie kritiſiert werden
könnte und beſonders im Auslande Miß-
fallen errege. Nobile telegraphierte an das
Marineminiſterium nach Rom, er ſei da, um
ſeinen Poſten wieder zu übernehmen. Sein
Körper ſei gelähmt, aber nicht ſein Geiſt.
Zu ſeiner Enttäuſchung blieb ihm aber das
erhoffte Kommando der Rettungserpedition
verſagt. Nobile betont, als er ſich von
Lundborg mitnehmen ließ, ſei es nicht in
der Abſicht geſchehen, ſich als erſter retten
zu laſſen, ſondern um auf den Poſten zu ge-
langen, auf dem er allein handeln und bis
zum äußerſten für die Rettung der Ver-
ſchollenen kämpfen konnte. Als er auf dem
Vackeis Lundborgs Drängen nachgab, will
Nobile nur an die anderen und
nicht an ſich ſelbſt gedacht
haben. Die gegen ſein Vorgehen erhobene
Kritik und alle damit verbundenen boshaf-
ten Unterſchiebungen empfand er als eine
grauſame Beleidigung, da er ganz ſelbſtlos
gehandelt haben will. Er war ſo verbittert,
daß er am liebſten der Menſchheit entflohen
und zu ſeinen Leidensgenoſſen auf das Pack-
eis zurückgekehrt wäre, die er nie verlaſſen,
ſondern nur wirkſamer zu ihrer Rettung
beitragen wollte.

[Spaltenumbruch]
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[Seite 6[6]/0006] „AZ am Abend“ Nr. 10 Samstag. den 12., Sonntag, den 13. Januar Verwandſchaft Eine problematiſche Geſchichte von Moritz Mumpitz Neulich treffe ich Vorderlechner, meinen Kom- pagnieſpezl aus der eiſernen Zeit. Wir ſprechen von unſeren alten Kameraden und kommen auf Mayrhofer, unſeren Zahlmeiſter; Vorderlechner erzählt, der ſei jetzt in D. in der Irrenanſtalt. „So,“ ſage ich, „als was denn, hat er einen guten Poſten dort?“ — „Wie man’s nimmt: er iſt verrückt.“ Mir war das unbegreiflich, denn unſer „Zahlmops“ war immer ganz normal ge- weſen, war auch heil durch den Krieg gekommen. Von Vorderlechner konnte ich Näheres nicht er- fahren, und als ich vorige Woche in D. zu tun hatte, habe ich Mayrhofer im Irrenhaus beſucht. Im Sprechzimmer tritt er mir entgegen, im grauen Kittel, gebeugt die hohe Geſtalt, düſter und ſtarr das Geſicht, trüb der Blick. Wehmütig lächelnd begrüßt er mich. Ich tue unbefangen: „Grüß Gott, Herr Mayrhofer, wie geht’s, was treiben S’ denn alleweil?“ „Ich treibe Genealogie.“ „So ſo, hm, ja — Genealogie.“ (???) „Ja, ich treibe Familienforſchung.“ „Aber das können S’ doch daheim auch, dazu orauchen Sie doch nicht da herin ſitzen?“ „Weil der Stammbaum ſo verwachſen iſt (Aha, denke ich, alſo hat er eine fixe Idee!) Mayrhofer erzählt: „Während des Krieges war meine Frau ge- ſtorben Unſer Bub, der Franzl, war damals fünfzehn. Voriges Jahr habe ich wieder gehei- ratet, eine junge, deren Mutter, alſo meine Schwiegermutter, eine Witfrau hoch in die Drei- ßig, aber noch ſehr gut erhalten iſt. Bei der Hochzeit verliebt ſich doch mein Franzl in meine Schwiegermutter und ein Vierteljahr ſpäter heiratet mein Sohn die Mutter meiner Frau. Damit hat es angefangen. Mein Sohn wurde mein Schwiegervater und der Stiefvater meiner Frau, deren Stiefſohn er zugleich war. Mit an- deren Worten, Franz wurde ſein eigener Groß- vater. Weil meine Schwiegermutter meine Schwiegertochter wurde, verjüngte ſich meine Frau zu meiner Enkelin, obwohl ſie anderſeits als Stiefmutter ihrer Mutter zu meiner Schwie- gergroßmutter aufrückte. Noch ehe ich mir über meine eigene Stellung in dieſem vertrackten Ver- wandtſchaftsverhältnis klar werden konnte, wur- den beide Frauen Mütter und damit wuchs die Unklarheit ins Grenzenloſe. Denn mein Töchterl Walburga war die Schwägerin ihrer Großmutter und, als Stiefſchweſter meines Sohnes — den ſie füglich als Opapa hätte anreden dürfen — die Muhme ihrer Eltern; ſie war aber auch die Ur- enkelin ihres Vaters, weil ihre Großmutter meine Schwiegertochter war. — Franzls Sproß Korbinian war ebenſowohl der Schwager ſeines Großvaters und demzufolge der Oheim ſeines Vaters, wie er als deſien Sohn ſein eigener Großneffe war Aber damit nicht genug: Mein Schwager und Enkel Korbinian war der Reffe meiner Tochter und Urenkelin Walburga, denn dieſe war die Halbſchweſter ſeines Vaters, aber er war auch mein — ſeines Großvaters — Groß- ohm, nämlich als der Halbbruder meiner Frau, die, wie ſchon erwähnt, als Stiefmutter ihrer Mutter zu meiner Schwiegergroßmutter gewor- den war. Damit wurde aber ich ſelbſt meines Sohnes Urgroßneffe. Nichtsdeſtoungeachtet war dieſer Korbinian mein Ururenkel, weil ſeine Großmutter — meine Frau — als Tochter meiner Schwiegertochter meine Enkelin war. Ich ſelbſt wiederum als Enkel meiner Frau kam in die Zwangslage, unſer Töchterl als meine Tante reſpektieren zu müſſen. Auf dieſe Weiſe wurde meine Frau meine Großmuhme und unſer ge- meinſamer Enkel Korbinian wurde mein Vetter. Mein Sohn, als Großvater ſeiner ſelbſt und ſeiner Schweſter, ward damit zwangsläufig zum Urgroßonkel ſeines Sohnes, und meine Frau, als Stiefmutter vom Franz, ward die Urahne ihres Bruders. Obendrein ich als mein eigener Enkelſohn ...“ Milde legte ſich die Hand des begleitenden Aſſiſtenzarztes auf meinen Arm: „Kommen Sie, die Beſuchszeit iſt zu Ende.“ Halb ohnmächtig ließ ich mich hinwegführen. An der Pforte drückte mir der freundliche Dokto: die Rechte; ein tiefes Mitgefühl klang aus ſeiner Stimme, als er ſagte: „Ja, ja, der Fall Mayrhofer iſt völlig hoffnungslos.“ — Konzert-Vorschau Morgen Sonntag. den 13. Januar, finden ſtatt: Abends 8 Uhr im Herkules-Saal der Sonaten- Abend von Eliſabeth Biſchoff (Violine) und Udo Dammert (Klavier) Abends 8 Uhr der Tanz-Abend von Irmgard von Müller und Fee von Reichlin. (Münchner Faſchingsbilder). Muſikaliſche Begleitung: Kammerorcheſter Erich Kloß. Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl. Bayer. Reiſebüro und an der Abendkaſſe. Dienstag, den 15. Januar, 7½ Uhr im Herkules- ſaal Lieder- und Arien-Abend von Alice Brandt- Rau (Koloratur-Sopran) mit Geſängen von Händel, Bellini. Hugo Wolf, Rich. Würz. Hugo Kaun, Loth. Windſperger, Cl. v. Franckenſtein und Joſeph Haas. Am Flügel: Dr. Friedrich Munter. Karten bei Bauer, Halbreiter, Schmid, im Amtl. Bayer. Reiſebüro und an der Abendkaſſe. Brakls Kunſthaus. Profeſſor Carl Strath- mann und Oswald Poetzelberger haben neue Ge- mälde in Brakls Kunſthaus am Beethovenplatz ausgeſtellt. Die Geſellſchaft der Altersfreunde veranſtaltet am Sonntag, den 20. Januar, abends 8 Uhr im Odeonſaal ein Meiſterkonzert unter Mitwirkung von Kammerſänger Paul Bender, Staatskapell- meiſter Elmendorff. Kammerſängerin Eliſ. Feuge, Staatsopernſänger Julius Patzack, Kammerſänger Wilhelm Rode Kammerſängerin Luiſe Willer und dem Studeny-Quartett. Der Reinertrag iſt ausſchließlich zur Förderung der Altershilfe beſtimmt. — Karten bei Bauer, Halbreiter, Retſebüro Schenker und Muſikalien- handlung Hieber. Stellvertreter der deutſchen Reparations-Sachverſtändigen [Abbildung ſind Bankier Dr. Melchior (links) und Geheimrat Kaſkl, der Geſchäftsführer des Reichs- verbandes der deutſchen Induſtrie.] Nobile rechtfertigt ſich Warum er ſich zuerſt retten ließ General Nobile hat das ihm nach ſeiner Rückkehr auferlegte Schweigen erſtmalig ge- brochen und über ſeine Rettung für ameri- kaniſche Blätter eine Verteidigung geſchrie- ben, deren Wiedergabe der italieniſchen Preſſe vorläufig unterſagt iſt. Man begreift dieſes Zenſurverbot um ſo weniger, als ſeine Schilderung anläßlich des jetzigen Aufenthalts ſeines Retters, des ſchwediſchen Hauptmanns Lundborg, in Rom als Zeuge für die italieniſche Unter- ſuchungskommiſſion über die Expedition des Luftſchiffes „Italia“ beſonders zeitgemäß wäre. Nobile ſchildert eingehend die ver- zweifelte Lage der Schiffbrüchigen des ro- ten Zeltes unverblümt, und ſo erfährt man aus ſeiner Feder, daß ſie viel troſtloſer war, als die damals aus Rückſicht auf die Verwandten und die italieniſche Oeffentlich- keit geſiebten Berichte von der „Citta di Milano“ durchblicken ließen. Die radio- telegraphiſche Verbindung mit der Kingsbai verſagte oft tagelang, und die Schiffbrüchi- gen erhielten immer mehr den Eindruck, daß die Rettungsaktion von der „Citta di Milano“ aus nicht energiſch und umſichtig genug geleitet wurde und mit den anderen Rettungsexpditionen nicht der richtige Zu- ſammenhang beſtände. Wenn die Radio- verbindung zu lange ſchwieg, wurden No- biles Leute bis zur Verzweiflung entmutigt, und es fehlte daher nicht an Vrwünſchungen und Anſchuldigungen, da ſie glaubten, in der Kingsbai werde ihren Bedürfniſſen und dem Ernſt ihrer Lage nicht genügend Rechnung getragen, während höchſte Eile im Rettungswerk mit Flugzeugen geboten war. Am 23. Juni er- ſuchte daher Nobile die „Citta di Milano“ dringend, wenigſtens den ſchwerverletzten Maſchinenmeiſter Cecioni mit Flugzeug ab- holen zu laſſen, da ſein Bein nicht ohne Arzt geheilt werden konnte. Nobile empfand immer mehr das Gefühl, daß er mit ſeinen gebrochenen Beinen und dem gebrochenen Arm für die Begleiter eine Laſt wurde. Für den Fall einer Auflöſung ihrer Eis- ſcholle hatten die Schiffbrüchigen die Ret- tung in einem Faltboot in Ausſicht genom- men und ſogar mit dem Gedanken einer Ueberwinterung in der Polarnacht vertraut gemacht. In ihrer höchſten Not und Ver- zweiflung kam der erſte Retter, Lundborg. Als ihm ſein Flug angekündigt wurde, hatte Nobile Cecioni für den Transvort nach dem Landungsplatz bereitmachen laſſen, da der Maſchinenmeiſter als erſter gereitet werden ſollte. Alsdann ſollten Profeſſor Behouneck und Troiani abgeholt werden. dann Nobile und zuletzt Leunant Vigliari und der Radiotelegraphiſt Biagi, da dieſe beiden für die Aufrechterhaltung der Ver- bindung ſorgten. Lundborg kümmerte ſich aber nicht um die Anordnungen des Gene- rals, ſondern ſagte ſofort: „Ich bin gekom- men, um alle abzuholen. Das Landungs- feld iſt ausgezeichnet. Ich werde im Ver- laufe der Nacht alle transportieren. „General, Sie müſſen als erſter mit- kommen.“ Nobile will das für unmöglich erklärt und auf den Beſchluß verwieſen haben, zuerſt Cecioni mitnehmen zu laſſen. Aber Lund- borg habe ihm entſchloſſen erwidert, er habe ausdrücklich Befehl, den General als erſten mitzubringen, weil er Anleitungen zur Auf- findung der Verſchollenen geben müſſe. No- bile glaubte, dieſer Befehl ſtamme vom Kommando der „Citta di Milano“, das einige Tage vorher Angaben und Weiſungen zur Auffindung der Ballongruppe verlangt hatte, die aber infolge radiotelegraphiſcher Störungen nicht übermittelt werden konn- ten. Trotz nochmaliger Weigerung und allen Einwänden Nobiles beſtand Lundborg auch aus techniſchen Gründen auf der Mitnahme des Generals, weil ihm Cecioni zu ſchwer war und er ihn nicht ohne Zurücklaſſung ſeines Mechanikers beim roten Zelt mit- nehmen konnte. Der ſchwediſche Flieger- leutnant verſicherte, er kehre dann ſofort allein zurück, um für Cecioni mehr Platz zu haben. Nobile befragte noch ſeine Be- gleiter, die dafür geweſen ſeien, daß er als erſter ging, um das Rettungswerk ſelbſt in die Hand zu nehmen. Sogar Cecioni ſagte ihm: „Gehen Sie, denn was immer eintritt, es wird jemand für unſere Familien ſor- gen!“ Nobile glaubte einer gebieteriſchen Pflicht gehorcht zu haben, als er ſich endlich entſchloß, ſich zum Flug- zeug tragen und als erſter mitnehmen zu laſſen, um trotz ſeinen Verletzungen wenig- ſtens mit Ratſchlägen an den Nachforſchun- gen nach der verſchollenen Ballongruppe des Luftſchiffes mitwirken zu können. Nobile erlebte ſeine Rettung und die liebevolle Aufnahme bei der ſchwediſchen Hilfsexpedi- tion wie einen Traum. aus dem er jäh er- wachte, als ſeine Freude noch in der glei- chen Nacht in tiefen Schmerz verwandelt wurde, indem er erfuhr, daß Lundborgs Flugzeug beim zweiten Landungsverſuch verunglückt und ſein Retter ſelbſt auf dem Packeis gefangen war. Groß war aber ſein Erſtaunen, als er an Bord der „Citta di Milano“ vom Kommandanten gebeten wurde, über ſeine Rettung als erſter Aufklärung abzugeben, da ſie kritiſiert werden könnte und beſonders im Auslande Miß- fallen errege. Nobile telegraphierte an das Marineminiſterium nach Rom, er ſei da, um ſeinen Poſten wieder zu übernehmen. Sein Körper ſei gelähmt, aber nicht ſein Geiſt. Zu ſeiner Enttäuſchung blieb ihm aber das erhoffte Kommando der Rettungserpedition verſagt. Nobile betont, als er ſich von Lundborg mitnehmen ließ, ſei es nicht in der Abſicht geſchehen, ſich als erſter retten zu laſſen, ſondern um auf den Poſten zu ge- langen, auf dem er allein handeln und bis zum äußerſten für die Rettung der Ver- ſchollenen kämpfen konnte. Als er auf dem Vackeis Lundborgs Drängen nachgab, will Nobile nur an die anderen und nicht an ſich ſelbſt gedacht haben. Die gegen ſein Vorgehen erhobene Kritik und alle damit verbundenen boshaf- ten Unterſchiebungen empfand er als eine grauſame Beleidigung, da er ganz ſelbſtlos gehandelt haben will. Er war ſo verbittert, daß er am liebſten der Menſchheit entflohen und zu ſeinen Leidensgenoſſen auf das Pack- eis zurückgekehrt wäre, die er nie verlaſſen, ſondern nur wirkſamer zu ihrer Rettung beitragen wollte. _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 12. Januar 1929, S. Seite 6[6]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine10_1929/6>, abgerufen am 14.11.2024.