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Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.

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Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Die dringende Lage des Vaterlandes.

Selten ist in einem Parlamente
so anhaltend und mit solcher äußersten Anstrengung aller Kräfte um die
Mehrheit gerungen, Mann um Mann, Seele um Seele erkämpft, eine
Stellung erstürmt, verloren, wieder erstürmt und noch einmal verloren
worden, wie hier in der deutschen Oberhauptsfrage. Fühlte doch jeder
daß es um das Schicksal unseres armen, seit Jahrhunderten zerrissenen
und neuer Zerreißung ausgesetzten Vaterlandes sich handle. Wer, wie
Ihr Briefsteller, mitten im Gefechte stand und, keiner extremen politischen
Partei, keinem der Hauptstämme angehörend, in der Lage war den Kampf
leichter zu übersehen, als solche welche ausschließlich nur mit der eigenen
Partei in Berührung find, der wird und muß namentlich der Linken, und
ganz besonders den österreichischen Mitgliedern derselben das Zeugniß ge-
ben daß sie mit der reinsten, aufopferndsten Treue und Vaterlandsliebe
die Einheit ganz Deutschlands unverrückt in dieser großen Frage im Auge
hatten und unerschütterlich verfochten. Mit der innigsten Hochachtung
mußte die Ausdauer erfüllen mit welcher Berger, Kollaczek, Giskra und
andere österreichische Mitglieder der Linken und des linken Centrums für
die Einheit Oesterreichs mit dem übrigen Deutschland in den Parteiver-
sammlungen der Linken und der Oesterreicher wirkten, die Aufrichtigkeit,
Redlichkeit und Beiseitsetzung jeder pedantischen Principienreiterei, mit
welchen sie dem obersten Zwecke der Vermittlung der Parteien und der
Stämme zu Rettung der Einheit sich widmeten und dieselbe durch eine
Directorialspitze zu erreichen hofften. Leider war ihr Bemühen, wie das
der übrigen Süddeutschen und das der Linken, hiefür vergeblich. Die
Wahrheit und Unparteilichkeit erheischen übrigens zu sagen daß hieran
keineswegs allein die allerdings unsäglichen Bemühungen der preußi-
schen Partei die Schuld trugen, sondern eben so sehr der Mangel eines
irgend befriedigenden Entgegenkommens von Seiten der österreichischen
Regierung. Denn dieser Mangel war es unzweifelhaft welcher die
Schwankenden und Zweifelhaften ins preußische Lager hinübertrieb oder
hinübergeleiten half.

Was aber nun? Ist noch eine Rettung der deutschen Einheit möglich?
So fragen sich mit schwermüthiger Erwägung alle welchen vor dem Ge-
danken graut das Vaterland zerrissen und zerfleischt zu sehen. Es ist
leider nicht mehr die elfte sondern die dreizehnte Stunde. Aber auch
in dieser, und in ihr sogar mehr als je, sollte nur das Zweckmäßige ge-
schehen. Denn es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Als ich im öster-
reichischen Lloyd noch in diesen Tagen eine deutsche Politik in Aussicht
stellen sah, bei welcher die Gemeinsamkeit der Grundrechte, die gemein-
samen nationalen Einrichtungen, die gemeinschaftliche Gesetzgebung, das
Volkshaus -- mit einem Worte, alle großen Errungenschaften der Nation
und ihrer Vertretung bekämpft, ja sogar die Zolleinheit als ein nur künf-
tig Mögliches bezeichnet worden ist -- da, ich gestehe es Ihnen -- da
schwindelte es mir vor den Augen: ich faßte mich am Kopfe, ob ich wache
oder träume; ich fragte mich, ob ich Deutsch lese, ob ich im Jahr 1849
mich befinde? Bei Gott, wenn in Wien eine solche Unkenntniß dessen
was die deutsche Nation aller Parteien, einmüthig, wie ein Mann
will, woran sie Gut und Blut zu setzen bereit ist, um was sie wie eine Lö-
win um ihre Jungen kämpfen würde, eine solche Verkennung der Elemen-
tarbegriffe unseres deutschen Wollens herrschen könnten, dann ja dann
freilich hätten die Kleindeutschen gewonnen Spiel. Wenn man jetzt
in Wien nicht einsehen sollte daß die deutsche Einheit, daß die Verbindung
Oesterreichs mit Deutschland nur durch offene, unumwundene Aner-
kennung der von der Nationalversammlung beschlossenen Verfassung mög-
lich, und daß nur die Oberhauptsfrage einer anderen Lö-
sung fähig ist,
daß die Nation aber nun und nimmermehr die gemein-
samen, verfassungsmäßig für ganz Deutschland festgestellten Grundrechte
und die übrige Verfassung sich entreißen lassen wird, daß alles Andere
nur die Drachenzähne der Umwälzung und des Bürgerkrieges säen hieße,
dann, müßte man sich mit Verzweiflung gestehen, wäre die Einheit Deutsch-
lands verloren. Eine solche Politik hieße in der That nur: travailler
pour le roi de Prusse.
Möchte man sich dabei nicht auf den Widerstand
einzelner deutscher Regierungen noch auf die Gewalt der Waffen verlassen.
Wer die Nation gegen sich hat, wird auf die Dauer unterliegen. Deutsch-
land ist zu aufgeklärt, es ist sich seiner Rechte und Interessen zu deutlich
bewußt geworden als daß eine neue Bundestagspolitik unter irgend-
einer Form möglich wäre. Es gibt sicherlich -- jeder, der Deutschland
kennt wird dieß bestätigen -- es gibt sicherlich nur ein Mittel Deutsch-
land dauernd zu einigen und zu beruhigen: die Achtung des National-
[Spaltenumbruch] willens, welcher die Freiheit und die Einheit in der von der Nation
durch ihre Vertreter bestimmten Weise fordert, und fie solange fordern und
erkämpfen wird, bis er sie erlangt hat. Denn Deutschland ist in sein Man-
nesalter getreten, und Männer lassen sich nicht mehr wie Kinder gängeln.
Gerade diejenigen denen es am aufrichtigsten und ehrlichsten um die deutsche
Einheit zu thun ist, die am bittersten den Tag einer Trennung von unsern öster-
reichischen Brüdern verfluchen würden, und am standhaftesten der Confisca-
tion der deutschen Bewegung für das preußische Sonderinteresse widerste-
hen -- gerade diese werden auch die deutschen Volks- und nationalen Ver-
fassungsrechte am hartnäckigsten vertheidigen, und die Regierungen wür-
den sich bitter täuschen, welche unter dem Vorwande der Erhaltung der
deutschen Einheit diese Volks- und Verfassungsrechte antasten und dabei
auf Sympathien in Deutschland, anstatt auf beständigen Widerstand
rechnen wollten. Dieß die aufrichtigen Worte eines tief um die nächsten
Schicksale seines Vaterlandes, aber nicht um den endlichen Ausgang des
Kampfes Bekümmerten. Moriz Mohl.



Die jüngsten Adreßdebatten der zweiten preußischen
Kammer.

Von den Rednern der gestrigen Sitzung muß
ich zuerst des Grafen Schwerin erwähnen, der in Folge der Circularnote
seinen Antrag auf motivirte Tagesordnung zurückgezogen hatte und für
einfache Tagesordnung sprach. Er unterschied drei politische Standpunkte:
den der Revolution, den der Contrerevolution, und denjenigen der die That-
sachen nach ihrer innern Berechtigung zu würdigen, sie mit dem Recht zu
vermitteln und so die Revolution zu schließen suche. Der letzte sey der
seine, und ihn habe auch das Ministerium in seiner gestrigen Erklärung
eingenommen; deßhalb stimme er für einfache Tagesordnung. Mit tie-
fem Bedauern müsse er sagen daß er der motivirten Tagesordnung Vincke's
auf keinen Fall sich anschließen könne, weil darin eine unrichtige Vor-
aussetzung enthalten sey. Diese Tagesordnung spreche von einer Ableh-
nung
des Königs; eine solche sey aber nicht erfolgt. Der Abgeordnete
Moritz bekämpfte den Antrag. Sein Hauptgrund war: die Kammer muß
eine Erklärung abgeben, man muß erfahren ob sie deutsch oder nicht deutsch
gesinnt ist. Er erinnerte daran daß der Vorredner im März zum Auf-
pflanzen der deutschen Fahnen gerathen. Schwerin: das könnte ich noch
heute. Moritz: ja, wenn es der General Wrangel erlaubte! (Geläch-
ter). Nach Verlesung der Anträge auf Tagesordnung ergreift der Be-
richterstatter Vincke das Wort. Er beleuchtet die beiden Adreßentwürfe
und erklärt warum er einen Antrag auf Tagesordnung gestellt. Die Po-
litik des Ministeriums halte er für verderblich, da nach derselben nicht ab-
zusehen sey wann die geforderte Vereinbarung beginnen, und wann sie auf-
hören solle. Nach Erlaß der Circularnote sey aber die Regierung gebun-
den die Erklärungen der übrigen deutschen Staaten abzuwarten, und man
dürfe daher nicht in einer Adresse darauf antragen vor Einlauf dieser Er-
klärungen zu handeln. Löhr von der Linken vertheidigt die Adresse von
Kirchmann und greift das Ministerium an. Ihm folgt Waldeck, der im
wesentlichen sagt: nach Anhörung der Circularnote ist von der rechten
Seite ein Antrag auf Erlaß einer Adresse gestellt worden, weil die An-
tragsteller vom Ministerium sich getäuscht sahen. Wir sind nicht getäuscht
worden; wir haben nichts anderes erwartet. Es war nicht möglich daß
das Ministerium den Panzer der Reaction, den es von seinen Vorgängern
empfangen und selber soviel als möglich befestigt hat, in einer Nacht ab-
warf; und was nicht möglich ist, soll man auch von niemand verlangen.
(Lachen). Die Regierung will die deutsche Verfassung mit den Fürsten
vereinbaren; diese wird mithin so werden wie sie die Fürsten wollen, nicht
wie sie das Volk will. Man wird die freisinnigen Bestimmungen heraus-
nehmen, man wird einen §. 105 hineinbringen, dann wird man sie anneh-
men. Die Fürsten sollen frei seyn, darum will man mit ihnen vereinba-
ren. Aber frei ist nur der Fürst der als erster Diener des Volks den
durch die Vertreter erklärten Willen des Volks frei erfüllt, nicht der ab-
solute Monarch der in Abhängigkeit steht von seinem Beichtvater, von sei-
nen Hofräthen, von der Camarilla. (Beifall links). Das Volk will er-
löst seyn von dem Druck der Büreaukratie, es will seine Angelegenheiten
selbst besorgen, es verabscheut die Attentate auf die freie Presse und das
Versammlungsrecht. Das Volk will nicht ein Heer, welchem man den
Geist blinden Gehorsams einfuchtelt (der Kriegsminister lächelt) damit
man mit ihm das Volk unterdrücken könne; es will nicht daß man die
edeln Italiener und Polen bekämpfe -- es will ein Volksheer, das freudig die
Fahne der Demokratie erhebt, um gegen äußere und innere Feinde zu ziehen;

Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Die dringende Lage des Vaterlandes.

Selten iſt in einem Parlamente
ſo anhaltend und mit ſolcher äußerſten Anſtrengung aller Kräfte um die
Mehrheit gerungen, Mann um Mann, Seele um Seele erkämpft, eine
Stellung erſtürmt, verloren, wieder erſtürmt und noch einmal verloren
worden, wie hier in der deutſchen Oberhauptsfrage. Fühlte doch jeder
daß es um das Schickſal unſeres armen, ſeit Jahrhunderten zerriſſenen
und neuer Zerreißung ausgeſetzten Vaterlandes ſich handle. Wer, wie
Ihr Briefſteller, mitten im Gefechte ſtand und, keiner extremen politiſchen
Partei, keinem der Hauptſtämme angehörend, in der Lage war den Kampf
leichter zu überſehen, als ſolche welche ausſchließlich nur mit der eigenen
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ganz beſonders den öſterreichiſchen Mitgliedern derſelben das Zeugniß ge-
ben daß ſie mit der reinſten, aufopferndſten Treue und Vaterlandsliebe
die Einheit ganz Deutſchlands unverrückt in dieſer großen Frage im Auge
hatten und unerſchütterlich verfochten. Mit der innigſten Hochachtung
mußte die Ausdauer erfüllen mit welcher Berger, Kollaczek, Giskra und
andere öſterreichiſche Mitglieder der Linken und des linken Centrums für
die Einheit Oeſterreichs mit dem übrigen Deutſchland in den Parteiver-
ſammlungen der Linken und der Oeſterreicher wirkten, die Aufrichtigkeit,
Redlichkeit und Beiſeitſetzung jeder pedantiſchen Principienreiterei, mit
welchen ſie dem oberſten Zwecke der Vermittlung der Parteien und der
Stämme zu Rettung der Einheit ſich widmeten und dieſelbe durch eine
Directorialſpitze zu erreichen hofften. Leider war ihr Bemühen, wie das
der übrigen Süddeutſchen und das der Linken, hiefür vergeblich. Die
Wahrheit und Unparteilichkeit erheiſchen übrigens zu ſagen daß hieran
keineswegs allein die allerdings unſäglichen Bemühungen der preußi-
ſchen Partei die Schuld trugen, ſondern eben ſo ſehr der Mangel eines
irgend befriedigenden Entgegenkommens von Seiten der öſterreichiſchen
Regierung. Denn dieſer Mangel war es unzweifelhaft welcher die
Schwankenden und Zweifelhaften ins preußiſche Lager hinübertrieb oder
hinübergeleiten half.

Was aber nun? Iſt noch eine Rettung der deutſchen Einheit möglich?
So fragen ſich mit ſchwermüthiger Erwägung alle welchen vor dem Ge-
danken graut das Vaterland zerriſſen und zerfleiſcht zu ſehen. Es iſt
leider nicht mehr die elfte ſondern die dreizehnte Stunde. Aber auch
in dieſer, und in ihr ſogar mehr als je, ſollte nur das Zweckmäßige ge-
ſchehen. Denn es iſt keine Zeit mehr zu verlieren. Als ich im öſter-
reichiſchen Lloyd noch in dieſen Tagen eine deutſche Politik in Ausſicht
ſtellen ſah, bei welcher die Gemeinſamkeit der Grundrechte, die gemein-
ſamen nationalen Einrichtungen, die gemeinſchaftliche Geſetzgebung, das
Volkshaus — mit einem Worte, alle großen Errungenſchaften der Nation
und ihrer Vertretung bekämpft, ja ſogar die Zolleinheit als ein nur künf-
tig Mögliches bezeichnet worden iſt — da, ich geſtehe es Ihnen — da
ſchwindelte es mir vor den Augen: ich faßte mich am Kopfe, ob ich wache
oder träume; ich fragte mich, ob ich Deutſch leſe, ob ich im Jahr 1849
mich befinde? Bei Gott, wenn in Wien eine ſolche Unkenntniß deſſen
was die deutſche Nation aller Parteien, einmüthig, wie ein Mann
will, woran ſie Gut und Blut zu ſetzen bereit iſt, um was ſie wie eine Lö-
win um ihre Jungen kämpfen würde, eine ſolche Verkennung der Elemen-
tarbegriffe unſeres deutſchen Wollens herrſchen könnten, dann ja dann
freilich hätten die Kleindeutſchen gewonnen Spiel. Wenn man jetzt
in Wien nicht einſehen ſollte daß die deutſche Einheit, daß die Verbindung
Oeſterreichs mit Deutſchland nur durch offene, unumwundene Aner-
kennung der von der Nationalverſammlung beſchloſſenen Verfaſſung mög-
lich, und daß nur die Oberhauptsfrage einer anderen Lö-
ſung fähig iſt,
daß die Nation aber nun und nimmermehr die gemein-
ſamen, verfaſſungsmäßig für ganz Deutſchland feſtgeſtellten Grundrechte
und die übrige Verfaſſung ſich entreißen laſſen wird, daß alles Andere
nur die Drachenzähne der Umwälzung und des Bürgerkrieges ſäen hieße,
dann, müßte man ſich mit Verzweiflung geſtehen, wäre die Einheit Deutſch-
lands verloren. Eine ſolche Politik hieße in der That nur: travailler
pour le roi de Prusse.
Möchte man ſich dabei nicht auf den Widerſtand
einzelner deutſcher Regierungen noch auf die Gewalt der Waffen verlaſſen.
Wer die Nation gegen ſich hat, wird auf die Dauer unterliegen. Deutſch-
land iſt zu aufgeklärt, es iſt ſich ſeiner Rechte und Intereſſen zu deutlich
bewußt geworden als daß eine neue Bundestagspolitik unter irgend-
einer Form möglich wäre. Es gibt ſicherlich — jeder, der Deutſchland
kennt wird dieß beſtätigen — es gibt ſicherlich nur ein Mittel Deutſch-
land dauernd zu einigen und zu beruhigen: die Achtung des National-
[Spaltenumbruch] willens, welcher die Freiheit und die Einheit in der von der Nation
durch ihre Vertreter beſtimmten Weiſe fordert, und fie ſolange fordern und
erkämpfen wird, bis er ſie erlangt hat. Denn Deutſchland iſt in ſein Man-
nesalter getreten, und Männer laſſen ſich nicht mehr wie Kinder gängeln.
Gerade diejenigen denen es am aufrichtigſten und ehrlichſten um die deutſche
Einheit zu thun iſt, die am bitterſten den Tag einer Trennung von unſern öſter-
reichiſchen Brüdern verfluchen würden, und am ſtandhafteſten der Confisca-
tion der deutſchen Bewegung für das preußiſche Sonderintereſſe widerſte-
hen — gerade dieſe werden auch die deutſchen Volks- und nationalen Ver-
faſſungsrechte am hartnäckigſten vertheidigen, und die Regierungen wür-
den ſich bitter täuſchen, welche unter dem Vorwande der Erhaltung der
deutſchen Einheit dieſe Volks- und Verfaſſungsrechte antaſten und dabei
auf Sympathien in Deutſchland, anſtatt auf beſtändigen Widerſtand
rechnen wollten. Dieß die aufrichtigen Worte eines tief um die nächſten
Schickſale ſeines Vaterlandes, aber nicht um den endlichen Ausgang des
Kampfes Bekümmerten. Moriz Mohl.



Die jüngſten Adreßdebatten der zweiten preußiſchen
Kammer.

Von den Rednern der geſtrigen Sitzung muß
ich zuerſt des Grafen Schwerin erwähnen, der in Folge der Circularnote
ſeinen Antrag auf motivirte Tagesordnung zurückgezogen hatte und für
einfache Tagesordnung ſprach. Er unterſchied drei politiſche Standpunkte:
den der Revolution, den der Contrerevolution, und denjenigen der die That-
ſachen nach ihrer innern Berechtigung zu würdigen, ſie mit dem Recht zu
vermitteln und ſo die Revolution zu ſchließen ſuche. Der letzte ſey der
ſeine, und ihn habe auch das Miniſterium in ſeiner geſtrigen Erklärung
eingenommen; deßhalb ſtimme er für einfache Tagesordnung. Mit tie-
fem Bedauern müſſe er ſagen daß er der motivirten Tagesordnung Vincke’s
auf keinen Fall ſich anſchließen könne, weil darin eine unrichtige Vor-
ausſetzung enthalten ſey. Dieſe Tagesordnung ſpreche von einer Ableh-
nung
des Königs; eine ſolche ſey aber nicht erfolgt. Der Abgeordnete
Moritz bekämpfte den Antrag. Sein Hauptgrund war: die Kammer muß
eine Erklärung abgeben, man muß erfahren ob ſie deutſch oder nicht deutſch
geſinnt iſt. Er erinnerte daran daß der Vorredner im März zum Auf-
pflanzen der deutſchen Fahnen gerathen. Schwerin: das könnte ich noch
heute. Moritz: ja, wenn es der General Wrangel erlaubte! (Geläch-
ter). Nach Verleſung der Anträge auf Tagesordnung ergreift der Be-
richterſtatter Vincke das Wort. Er beleuchtet die beiden Adreßentwürfe
und erklärt warum er einen Antrag auf Tagesordnung geſtellt. Die Po-
litik des Miniſteriums halte er für verderblich, da nach derſelben nicht ab-
zuſehen ſey wann die geforderte Vereinbarung beginnen, und wann ſie auf-
hören ſolle. Nach Erlaß der Circularnote ſey aber die Regierung gebun-
den die Erklärungen der übrigen deutſchen Staaten abzuwarten, und man
dürfe daher nicht in einer Adreſſe darauf antragen vor Einlauf dieſer Er-
klärungen zu handeln. Löhr von der Linken vertheidigt die Adreſſe von
Kirchmann und greift das Miniſterium an. Ihm folgt Waldeck, der im
weſentlichen ſagt: nach Anhörung der Circularnote iſt von der rechten
Seite ein Antrag auf Erlaß einer Adreſſe geſtellt worden, weil die An-
tragſteller vom Miniſterium ſich getäuſcht ſahen. Wir ſind nicht getäuſcht
worden; wir haben nichts anderes erwartet. Es war nicht möglich daß
das Miniſterium den Panzer der Reaction, den es von ſeinen Vorgängern
empfangen und ſelber ſoviel als möglich befeſtigt hat, in einer Nacht ab-
warf; und was nicht möglich iſt, ſoll man auch von niemand verlangen.
(Lachen). Die Regierung will die deutſche Verfaſſung mit den Fürſten
vereinbaren; dieſe wird mithin ſo werden wie ſie die Fürſten wollen, nicht
wie ſie das Volk will. Man wird die freiſinnigen Beſtimmungen heraus-
nehmen, man wird einen §. 105 hineinbringen, dann wird man ſie anneh-
men. Die Fürſten ſollen frei ſeyn, darum will man mit ihnen vereinba-
ren. Aber frei iſt nur der Fürſt der als erſter Diener des Volks den
durch die Vertreter erklärten Willen des Volks frei erfüllt, nicht der ab-
ſolute Monarch der in Abhängigkeit ſteht von ſeinem Beichtvater, von ſei-
nen Hofräthen, von der Camarilla. (Beifall links). Das Volk will er-
löst ſeyn von dem Druck der Büreaukratie, es will ſeine Angelegenheiten
ſelbſt beſorgen, es verabſcheut die Attentate auf die freie Preſſe und das
Verſammlungsrecht. Das Volk will nicht ein Heer, welchem man den
Geiſt blinden Gehorſams einfuchtelt (der Kriegsminiſter lächelt) damit
man mit ihm das Volk unterdrücken könne; es will nicht daß man die
edeln Italiener und Polen bekämpfe — es will ein Volksheer, das freudig die
Fahne der Demokratie erhebt, um gegen äußere und innere Feinde zu ziehen;

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[0009] Beilage zu Nr. 100 der Allgemeinen Zeitung vom 10 April 1849. Die dringende Lage des Vaterlandes. . Frankfurt a. M., 6 April. Selten iſt in einem Parlamente ſo anhaltend und mit ſolcher äußerſten Anſtrengung aller Kräfte um die Mehrheit gerungen, Mann um Mann, Seele um Seele erkämpft, eine Stellung erſtürmt, verloren, wieder erſtürmt und noch einmal verloren worden, wie hier in der deutſchen Oberhauptsfrage. Fühlte doch jeder daß es um das Schickſal unſeres armen, ſeit Jahrhunderten zerriſſenen und neuer Zerreißung ausgeſetzten Vaterlandes ſich handle. Wer, wie Ihr Briefſteller, mitten im Gefechte ſtand und, keiner extremen politiſchen Partei, keinem der Hauptſtämme angehörend, in der Lage war den Kampf leichter zu überſehen, als ſolche welche ausſchließlich nur mit der eigenen Partei in Berührung find, der wird und muß namentlich der Linken, und ganz beſonders den öſterreichiſchen Mitgliedern derſelben das Zeugniß ge- ben daß ſie mit der reinſten, aufopferndſten Treue und Vaterlandsliebe die Einheit ganz Deutſchlands unverrückt in dieſer großen Frage im Auge hatten und unerſchütterlich verfochten. Mit der innigſten Hochachtung mußte die Ausdauer erfüllen mit welcher Berger, Kollaczek, Giskra und andere öſterreichiſche Mitglieder der Linken und des linken Centrums für die Einheit Oeſterreichs mit dem übrigen Deutſchland in den Parteiver- ſammlungen der Linken und der Oeſterreicher wirkten, die Aufrichtigkeit, Redlichkeit und Beiſeitſetzung jeder pedantiſchen Principienreiterei, mit welchen ſie dem oberſten Zwecke der Vermittlung der Parteien und der Stämme zu Rettung der Einheit ſich widmeten und dieſelbe durch eine Directorialſpitze zu erreichen hofften. Leider war ihr Bemühen, wie das der übrigen Süddeutſchen und das der Linken, hiefür vergeblich. Die Wahrheit und Unparteilichkeit erheiſchen übrigens zu ſagen daß hieran keineswegs allein die allerdings unſäglichen Bemühungen der preußi- ſchen Partei die Schuld trugen, ſondern eben ſo ſehr der Mangel eines irgend befriedigenden Entgegenkommens von Seiten der öſterreichiſchen Regierung. Denn dieſer Mangel war es unzweifelhaft welcher die Schwankenden und Zweifelhaften ins preußiſche Lager hinübertrieb oder hinübergeleiten half. Was aber nun? Iſt noch eine Rettung der deutſchen Einheit möglich? So fragen ſich mit ſchwermüthiger Erwägung alle welchen vor dem Ge- danken graut das Vaterland zerriſſen und zerfleiſcht zu ſehen. Es iſt leider nicht mehr die elfte ſondern die dreizehnte Stunde. Aber auch in dieſer, und in ihr ſogar mehr als je, ſollte nur das Zweckmäßige ge- ſchehen. Denn es iſt keine Zeit mehr zu verlieren. Als ich im öſter- reichiſchen Lloyd noch in dieſen Tagen eine deutſche Politik in Ausſicht ſtellen ſah, bei welcher die Gemeinſamkeit der Grundrechte, die gemein- ſamen nationalen Einrichtungen, die gemeinſchaftliche Geſetzgebung, das Volkshaus — mit einem Worte, alle großen Errungenſchaften der Nation und ihrer Vertretung bekämpft, ja ſogar die Zolleinheit als ein nur künf- tig Mögliches bezeichnet worden iſt — da, ich geſtehe es Ihnen — da ſchwindelte es mir vor den Augen: ich faßte mich am Kopfe, ob ich wache oder träume; ich fragte mich, ob ich Deutſch leſe, ob ich im Jahr 1849 mich befinde? Bei Gott, wenn in Wien eine ſolche Unkenntniß deſſen was die deutſche Nation aller Parteien, einmüthig, wie ein Mann will, woran ſie Gut und Blut zu ſetzen bereit iſt, um was ſie wie eine Lö- win um ihre Jungen kämpfen würde, eine ſolche Verkennung der Elemen- tarbegriffe unſeres deutſchen Wollens herrſchen könnten, dann ja dann freilich hätten die Kleindeutſchen gewonnen Spiel. Wenn man jetzt in Wien nicht einſehen ſollte daß die deutſche Einheit, daß die Verbindung Oeſterreichs mit Deutſchland nur durch offene, unumwundene Aner- kennung der von der Nationalverſammlung beſchloſſenen Verfaſſung mög- lich, und daß nur die Oberhauptsfrage einer anderen Lö- ſung fähig iſt, daß die Nation aber nun und nimmermehr die gemein- ſamen, verfaſſungsmäßig für ganz Deutſchland feſtgeſtellten Grundrechte und die übrige Verfaſſung ſich entreißen laſſen wird, daß alles Andere nur die Drachenzähne der Umwälzung und des Bürgerkrieges ſäen hieße, dann, müßte man ſich mit Verzweiflung geſtehen, wäre die Einheit Deutſch- lands verloren. Eine ſolche Politik hieße in der That nur: travailler pour le roi de Prusse. Möchte man ſich dabei nicht auf den Widerſtand einzelner deutſcher Regierungen noch auf die Gewalt der Waffen verlaſſen. Wer die Nation gegen ſich hat, wird auf die Dauer unterliegen. Deutſch- land iſt zu aufgeklärt, es iſt ſich ſeiner Rechte und Intereſſen zu deutlich bewußt geworden als daß eine neue Bundestagspolitik unter irgend- einer Form möglich wäre. Es gibt ſicherlich — jeder, der Deutſchland kennt wird dieß beſtätigen — es gibt ſicherlich nur ein Mittel Deutſch- land dauernd zu einigen und zu beruhigen: die Achtung des National- willens, welcher die Freiheit und die Einheit in der von der Nation durch ihre Vertreter beſtimmten Weiſe fordert, und fie ſolange fordern und erkämpfen wird, bis er ſie erlangt hat. Denn Deutſchland iſt in ſein Man- nesalter getreten, und Männer laſſen ſich nicht mehr wie Kinder gängeln. Gerade diejenigen denen es am aufrichtigſten und ehrlichſten um die deutſche Einheit zu thun iſt, die am bitterſten den Tag einer Trennung von unſern öſter- reichiſchen Brüdern verfluchen würden, und am ſtandhafteſten der Confisca- tion der deutſchen Bewegung für das preußiſche Sonderintereſſe widerſte- hen — gerade dieſe werden auch die deutſchen Volks- und nationalen Ver- faſſungsrechte am hartnäckigſten vertheidigen, und die Regierungen wür- den ſich bitter täuſchen, welche unter dem Vorwande der Erhaltung der deutſchen Einheit dieſe Volks- und Verfaſſungsrechte antaſten und dabei auf Sympathien in Deutſchland, anſtatt auf beſtändigen Widerſtand rechnen wollten. Dieß die aufrichtigen Worte eines tief um die nächſten Schickſale ſeines Vaterlandes, aber nicht um den endlichen Ausgang des Kampfes Bekümmerten. Moriz Mohl. Die jüngſten Adreßdebatten der zweiten preußiſchen Kammer. ☿ Berlin, 6 April. Von den Rednern der geſtrigen Sitzung muß ich zuerſt des Grafen Schwerin erwähnen, der in Folge der Circularnote ſeinen Antrag auf motivirte Tagesordnung zurückgezogen hatte und für einfache Tagesordnung ſprach. Er unterſchied drei politiſche Standpunkte: den der Revolution, den der Contrerevolution, und denjenigen der die That- ſachen nach ihrer innern Berechtigung zu würdigen, ſie mit dem Recht zu vermitteln und ſo die Revolution zu ſchließen ſuche. Der letzte ſey der ſeine, und ihn habe auch das Miniſterium in ſeiner geſtrigen Erklärung eingenommen; deßhalb ſtimme er für einfache Tagesordnung. Mit tie- fem Bedauern müſſe er ſagen daß er der motivirten Tagesordnung Vincke’s auf keinen Fall ſich anſchließen könne, weil darin eine unrichtige Vor- ausſetzung enthalten ſey. Dieſe Tagesordnung ſpreche von einer Ableh- nung des Königs; eine ſolche ſey aber nicht erfolgt. Der Abgeordnete Moritz bekämpfte den Antrag. Sein Hauptgrund war: die Kammer muß eine Erklärung abgeben, man muß erfahren ob ſie deutſch oder nicht deutſch geſinnt iſt. Er erinnerte daran daß der Vorredner im März zum Auf- pflanzen der deutſchen Fahnen gerathen. Schwerin: das könnte ich noch heute. Moritz: ja, wenn es der General Wrangel erlaubte! (Geläch- ter). Nach Verleſung der Anträge auf Tagesordnung ergreift der Be- richterſtatter Vincke das Wort. Er beleuchtet die beiden Adreßentwürfe und erklärt warum er einen Antrag auf Tagesordnung geſtellt. Die Po- litik des Miniſteriums halte er für verderblich, da nach derſelben nicht ab- zuſehen ſey wann die geforderte Vereinbarung beginnen, und wann ſie auf- hören ſolle. Nach Erlaß der Circularnote ſey aber die Regierung gebun- den die Erklärungen der übrigen deutſchen Staaten abzuwarten, und man dürfe daher nicht in einer Adreſſe darauf antragen vor Einlauf dieſer Er- klärungen zu handeln. Löhr von der Linken vertheidigt die Adreſſe von Kirchmann und greift das Miniſterium an. Ihm folgt Waldeck, der im weſentlichen ſagt: nach Anhörung der Circularnote iſt von der rechten Seite ein Antrag auf Erlaß einer Adreſſe geſtellt worden, weil die An- tragſteller vom Miniſterium ſich getäuſcht ſahen. Wir ſind nicht getäuſcht worden; wir haben nichts anderes erwartet. Es war nicht möglich daß das Miniſterium den Panzer der Reaction, den es von ſeinen Vorgängern empfangen und ſelber ſoviel als möglich befeſtigt hat, in einer Nacht ab- warf; und was nicht möglich iſt, ſoll man auch von niemand verlangen. (Lachen). Die Regierung will die deutſche Verfaſſung mit den Fürſten vereinbaren; dieſe wird mithin ſo werden wie ſie die Fürſten wollen, nicht wie ſie das Volk will. Man wird die freiſinnigen Beſtimmungen heraus- nehmen, man wird einen §. 105 hineinbringen, dann wird man ſie anneh- men. Die Fürſten ſollen frei ſeyn, darum will man mit ihnen vereinba- ren. Aber frei iſt nur der Fürſt der als erſter Diener des Volks den durch die Vertreter erklärten Willen des Volks frei erfüllt, nicht der ab- ſolute Monarch der in Abhängigkeit ſteht von ſeinem Beichtvater, von ſei- nen Hofräthen, von der Camarilla. (Beifall links). Das Volk will er- löst ſeyn von dem Druck der Büreaukratie, es will ſeine Angelegenheiten ſelbſt beſorgen, es verabſcheut die Attentate auf die freie Preſſe und das Verſammlungsrecht. Das Volk will nicht ein Heer, welchem man den Geiſt blinden Gehorſams einfuchtelt (der Kriegsminiſter lächelt) damit man mit ihm das Volk unterdrücken könne; es will nicht daß man die edeln Italiener und Polen bekämpfe — es will ein Volksheer, das freudig die Fahne der Demokratie erhebt, um gegen äußere und innere Feinde zu ziehen;

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-09-09T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine100_1849/9>, abgerufen am 21.11.2024.