Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.[Spaltenumbruch]
Nurder wird Kaiser seyn der dieses Volksprogramm ausführt. Wer sich ihm Historische Parallelen zu dem Feldzug der Oesterreicher in Piemont. MW. Ein Feldzug welchen 60,000 gegen 80,000 Mann innerhalb Der Schauplatz auf welchem vor wenigen Tagen Italiens Schicksal Wir besitzen über jene Feldzüge sehr umfassende und genaue Beschrei- [Spaltenumbruch]
Nurder wird Kaiſer ſeyn der dieſes Volksprogramm ausführt. Wer ſich ihm Hiſtoriſche Parallelen zu dem Feldzug der Oeſterreicher in Piemont. MW. Ein Feldzug welchen 60,000 gegen 80,000 Mann innerhalb Der Schauplatz auf welchem vor wenigen Tagen Italiens Schickſal Wir beſitzen über jene Feldzüge ſehr umfaſſende und genaue Beſchrei- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0010" n="1534"/><cb/> Nurder wird Kaiſer ſeyn der dieſes Volksprogramm ausführt. Wer ſich ihm<lb/> widerſetzt der kann wohl Diplomatenkaiſer werden, er kann, empfangen von<lb/> weißgekleideten Jungfrauen, einziehen in Aachen und ſich auf den Stuhl<lb/> Karls des Großen ſetzen, aber er wird nicht Kaiſer des Volkes ſeyn. Das<lb/> Haus Hohenzollern hat den Beruf gehabt das morſche deutſche Reich zu<lb/> zerſtören; es hat ihn erfüllt. Jetzt ſollte es Preußen mit Deutſchland neu<lb/> geſtalten, aber es behält ſeine alte Politikbei, die Preußen neben Deutſchland<lb/> ſtellt. Zweimal erging der Ruf der Geſchichte an das Haus Hohenzollern.<lb/> Das erſtemal, in den Tagen des März, hat es geantwortet mit Kartätſchen;<lb/> das zweitemal, als das Volk die Rettung Wiens verlangte, hat es die Hülfe<lb/> verſagt. Man verjagte dafür die preußiſchen Volksvertreter und verbündete<lb/> ſich mit dem Olmützer Cabinet. Der König ſagt er wolle die deutſche Verfaſ-<lb/> ſung erſt prüfen laſſen, ob er als Kaiſer ſtark genug ſeyn werde die Ge-<lb/> ſchicke Deutſchlands zu lenken! Aber wer <hi rendition="#g">dieſe</hi> Verfaſſung zu freiſinnig<lb/> findet, wer ſie nicht weit überſchreiten will, der leiſte Verzicht darauf deut-<lb/> ſcher Kaiſer zu ſeyn. Die Freiheit niederhalten zu können nennt man<lb/> Kraft, als ob es nicht die höchſte Ohnmacht wäre ſich vor dem Volke zu<lb/> fürchten! Blicken Sie nach Deſſau, wo das Volk zufrieden iſt, blicken<lb/> Sie auf die Morgenröthe der Freiheit in Mecklenburg! (Gelächter auf der<lb/> äußerſten Rechten.) Ich finde es ganz natürlich daß diejenigen lachen die<lb/> ſelbſt zum Junkerparlament gehören. (Bravo und Lachen links.) Um die<lb/> Freiheit handelt es ſich gegenwärtig in Deutſchland; wer an die Spitze<lb/> Deutſchlands treten will, muß ſie ſchützen und fördern. Iſt aber ein Krieg<lb/> für die Freiheit nöthig, dann wird das freie Deutſchland jeden Feind be-<lb/> ſtehen. (Stürmiſcher Beifall auf der Linken.) Kirchmann: „Der Vor-<lb/> redner hat mit flammenden Worten zum Herzen geſprochen; ich will mich<lb/> in ruhiger Erwägung an die Denkkraft der Verſammlung wenden.“ Der<lb/> Redner vertheidigt nun ſeine Adreſſe, welche verlangt daß der König die<lb/> Kaiſerkrone auf Grund der Verfaſſung annehme, ſo matt daß er wenig<lb/> Aufmerkſamkeit findet. Der Miniſter v. d. Heydt nimmt Anlaß zu erklä-<lb/> ren daß das Miniſterium dem König nicht gerathen habe den Ruf der<lb/> Nationalverſammlung abzulehnen, vielmehr anzunehmen, ſo weit er<lb/> hiezu berechtigt ſey. Der König habe ſein Jawort nicht unbedingt erthei-<lb/> len, er habe nicht den Titel eines Kaiſers über Fürſten annehmen können<lb/> welche ſpäter ihre Zuſtimmung verſagten. Was die Verfaſſung betreffe,<lb/> ſo ſey ſchon früher eine Erklärung über ſie erfolgt, von der Frankfurter<lb/> Verſammlung aber nicht beachtet worden. Nachdem jetzt die definitive<lb/> Erklärung dieſer Verſammlung abgegeben ſey, werde auch die preußiſche<lb/> Regierung nicht länger auf ihre deſinitive Erklärung warten laſſen. Hier-<lb/> auf hält Grün dem Miniſterium alle Sünden vor die es nach ſeiner An-<lb/> ſicht begangen hat, und fragt dann: was würde Deutſchland dazu ſagen,<lb/> wenn wir ihm dieſes Miniſterium zum Angebinde brächten? Wenn wir<lb/> ihm, da es Brod verlangt, Steine böten? Er ſchließt mit den Worten:<lb/> Einheit iſt ohne Freiheit nicht möglich; wo Freiheit iſt, da findet ſich die<lb/> Einheit von ſelbſt. Man wird vielleicht jetzt eine deutſche Verfaſſung<lb/> octroyiren. Mag man es! Ein großer Theil des Volkes glaubt an die<lb/> Märzrevolution, und wird ſie durchführen, weil er es will. Reaction<lb/> wird den Entwicklungsgang nicht aufhalten, ſondern nur die Revolution<lb/> beſchleunigen! Berg erklärt ſich in einer ſarkaſtiſchen Rede gegen ein<lb/> Mißtrauensvotum; denn das Miniſterium ſey ſich gleich geblieben und<lb/> würde wegen eines Mißtrauensvotums doch nicht abtreten, wie man ja<lb/> wiſſe. Er liest die Erklärung der Frankfurter Deputation vor, um zu<lb/> beweiſen daß dieſe die Antwort des Königs als eine ablehnende aufgefaßt<lb/> habe. Der Miniſter v. Manteuffel erwiedert hierauf: „Wenn jemand es<lb/> bedauert hat daß Se. Maj. nicht in der Lage geweſen ein reines Ja auszu-<lb/> ſprechen, ſo bin ich es geweſen. Das Miniſterium hat aber nicht geglaubt<lb/> dem König rathen zu dürfen daß er eine Ueberzeugung verlaſſe der er bisher<lb/> gefolgt iſt; doch iſt alles geſchehen damit das zur vollen Rechtsgültigkeit der<lb/> Wahl noch fehlende hinzugefügt werde. Wenn geſagt wurde unſer Rath ſey<lb/> nicht deutſch geweſen, ſo weiß ich wohl daß es über <hi rendition="#g">deutſch</hi> verſchiedene Mei-<lb/> nungen geben kann. <hi rendition="#g">Wir</hi> haben geglaubt Sr. Maj. einen deutſchen Rath zu<lb/> geben, wenn wir ihm riethen dem Recht und der Ehre zu folgen.“ (Bravo<lb/> zur Rechten, Ziſchen zur Linken.) D’Eſter iſt ebenfalls gegen ein Miß-<lb/> trauensvotum. Was würde dieß helfen? Das gegenwärtige Miniſterium<lb/> habe doch den Vorzug daß es ein Miniſterium der offenen Gewalt ſey.<lb/> Nach ihm würde wahrſcheinlich eines kommen welches das Volk durch<lb/> conſtitutionelles Scheinweſen zu täuſchen ſuchte; er denke aber mit dem<lb/> Sprüchwort: Lieber den Wolf der beißt als den Fuchs der gleißt (Ge-<lb/> lächter und Beifall). Die Kammer beſchließt hierauf den Schluß der<lb/> Debatte. Bodelſchwingh erhält das Wort zu einer perſönlichen Bemer-<lb/> kung; er will Grün widerlegen, der geſagt hat, ein früherer Miniſter<lb/> habe die Märzrevolution eine ſogenannte Revolution genannt und<lb/> doch ſey er vor ihr geflohen. Auf ſeine Aeußerung über den Stra-<lb/> ßenkampf folgt die geſtern erwähnte Scene. Der Präſident be-<lb/> deckt ſich und erklärt die Sitzung auf eine Stunde unterbrochen. Als nach<lb/><cb/> wiedereröffneter Sitzung Bodelſchwingh ſeine Erklärung abgibt, verläßt<lb/> die äußerſte Linke den Saal mit Ausnahme von Berends, der dann bemerkt:<lb/> der Redner habe nicht gewagt ſein voriges Wort über den Märzkampf zu<lb/> wiederholen; durch jenes Wort ſey aber die Tribüne entehrt worden. Die<lb/> äußerſte Linke findet ſich wieder ein. Der Präſident Lenſing ertheilt Be-<lb/> rends eine Rüge. Berg meint die Rüge ſey nicht verdient, denn die Tri-<lb/> büne könne nicht beleidigt werden; übrigens ſtehe auch Bodelſchwingh das<lb/> Recht zu ſeine Meinung frei zu äußern — das Land werde ihn ſchon recti-<lb/> ficiren. Vincke als Berichterſtatter ergreift das Wort. Er ſagt: „Wenn ich<lb/> den Rath des Miniſteriums nicht deutſch gefunden, ſo habe ich damit ſagen<lb/> wollen, er ſey unzweckmäßig für die deutſche Sache. Nicht bloß von Oeſter-<lb/> reich, ſondern auch von andern Regierungen iſt zu befürchten daß ſie hin-<lb/> ſichtlich der deutſchen Verfaſſung Schwierigkeiten machen. Fordert man ſie<lb/> noch ſpeciell auf ihre Bedingungen zu machen, ſo gibt man Deutſchland<lb/> einer ungewiſſen Zukunft preis. Nur durch den moraliſchen Zwang der<lb/> öffentlichen Meinung kann man das Verfaſſungswerk zu Stande bringen.<lb/><hi rendition="#g">Ein</hi> Fürſt muß den Anfang machen und die Verfaſſung acceptiren, und<lb/> zwar der mächtigſte muß mit dem guten Beiſpiel vorangehen, dann wer-<lb/> den die übrigen Fürſten, vermöge des Zwanges der öffentlichen Meinung,<lb/> nachfolgen. Möge man doch bedenken daß es jetzt auf die Sympathien des<lb/> Volks ankommt und daß wir im Jahre 1849 leben! (Beifall auf der Lin-<lb/> ken.) Es iſt das ſchönſte auf dem Schilde des Volks zum Thron empor-<lb/> gehoben zu werden. Wilhelm <hi rendition="#aq">III</hi> wurde vom engliſchen Parlament auf<lb/> den Thron berufen und er hat nicht für nöthig gefunden die Einwilligung<lb/> der Stuarts einzuholen. (Großer Beifall auf der Linken, Ziſchen auf der<lb/> äußerſten Rechten.) Der Redner erklärt noch einmal warum er für jetzt<lb/> die Tagesordnung wolle, und ſchließt mit den Worten: „Die Gegner der<lb/> Erhebung des Königs auf den deutſchen Thron find es gerade welche über<lb/> die aufſchiebende Erklärung ſich freuen. Bei ſeinen Gegnern muß man die<lb/> Politik ſtudiren. Zum Schluß will ich nur daran erinnern was einer mei-<lb/> ner Freunde an anderm Ort angeführt hat: daß die kühnſte Politik für<lb/> Preußen auch immer die ſicherſte iſt.“ (Beiſall links und im Centrum.)<lb/> Das Reſultat der Abſtimmungen habe ich Ihnen gemeldet. Für Erlaſſung<lb/> einer Adreſſe ſtimmten nur Mitglieder der gemäßigten Linken und Rechten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Hiſtoriſche Parallelen zu dem Feldzug der Oeſterreicher<lb/> in Piemont.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#aq">MW.</hi> Ein Feldzug welchen 60,000 gegen 80,000 Mann innerhalb<lb/> eines Zeitraums von vier Tagen ſiegreich beendigt haben, iſt unſers Wiſ-<lb/> ſens ein Reſultat ohne Beiſpiel in der Kriegsgeſchichte. Wohl hatten alle<lb/> welche den Werth der beiderſeitigen Streitkräfte kennen, ein ſiegreiches<lb/> Ende der öſterreichiſchen Waffen mit Beſtimmtheit vorausgeſehen. Daß<lb/> der Krieg aber ganz ohne Wechſelfälle ſeyn werde, haben gewiß nur wenige<lb/> Kenner der ſtrategiſchen Verhältniſſe, daß der Sieg ſo leicht und mit ſo<lb/> wunderbarer Raſchheit errungen würde, hat vielleicht nicht <hi rendition="#g">einer</hi> ge-<lb/> glaubt. <hi rendition="#g">Dieſes</hi> Reſultat mußte ſelbſt jene Schweizer und Engländer<lb/> welche den Piemonteſen einen ſchlimmen Ausgang ihres Unternehmens ſo<lb/> beſtimmt prophezeit haben, in Erſtaunen ſetzen. Weder von dem <hi rendition="#g">ſtrate-<lb/> giſchen</hi> noch vom <hi rendition="#g">politiſchen</hi> Standpunkte der Verhältniſſe in Piemont<lb/> läßt ſich dasſelbe erklären, ohne die Annahme einer vorausgegangenen<lb/> tiefen Demoraliſation und entſchiedenen Kriegsunluſt im ſardiſchen Heere<lb/> — eine Annahme welche ſowohl durch die Berichte der Allg. Zeitung als<lb/> der franzöſiſchen und ſchweizeriſchen Blätter beſtätigt wird. Zur Wür-<lb/> digung deſſen was Radetzky’s tapfere Armee ſo eben in Italien geleiſtet,<lb/> geſtatten Sie mir einige kurze Rückblicke auf jene berühmten öſterreichiſch-<lb/> franzöſiſchen Feldzüge gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts.</p><lb/> <p>Der Schauplatz auf welchem vor wenigen Tagen Italiens Schickſal<lb/> ſich neuerdings entſchieden, iſt nahebei derſelbe auf welchem der junge<lb/> General Bonaparte im Jahr 1795 ſeine ſtegreiche Laufbahn begann. Ein<lb/> hochbejahrter, kriegserfahrener Feldherr führte damals wie heute das<lb/> öſterreichiſche Heer an, ohne ſeinen Soldaten den gleichen Enthuſtasmus<lb/> einzuflößen, ohne den Sieg an ſeine Fahne feſſeln zu können wie Radetzky.<lb/> Auf demſelben Schauplatz ſchlug 1799 der alte Suwarow an der Spitze<lb/> der verbündeten öſterreichiſch-ruſſiſchen Heere jene blutigen Schlachten<lb/> gegen Moreau, Macdonald, Joubert, und ſäuberte nach heroiſchen An-<lb/> ſtrengungen Piemont von den Franzoſen. Auch im Jahr 1800 wurden<lb/> die erſten Scenen des italieniſchen Kriegstheaters ziemlich nah dem heu-<lb/> tigen eröffnet Nur wenige Meilen unterhalb Pavia überſchritt der Con-<lb/> ſul Bonaparte den Po, und gewann durch den einzigen Tag von Marengo,<lb/> wo das Glück ſowie die Verblendung des Wiener Hofkriegsraths mehr für<lb/> den jungen Feldherrn gethan als ſein Genie, all die Länder wieder welche<lb/> im Jahr zuvor den Oeſterreichern ſo viel Zeit und ſo viele Ströme Blutes<lb/> gekoſtet hatten.</p><lb/> <p>Wir beſitzen über jene Feldzüge ſehr umfaſſende und genaue Beſchrei-<lb/> bungen und Karten in dem großen militäriſchen Werk des Generals Jo-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1534/0010]
Nurder wird Kaiſer ſeyn der dieſes Volksprogramm ausführt. Wer ſich ihm
widerſetzt der kann wohl Diplomatenkaiſer werden, er kann, empfangen von
weißgekleideten Jungfrauen, einziehen in Aachen und ſich auf den Stuhl
Karls des Großen ſetzen, aber er wird nicht Kaiſer des Volkes ſeyn. Das
Haus Hohenzollern hat den Beruf gehabt das morſche deutſche Reich zu
zerſtören; es hat ihn erfüllt. Jetzt ſollte es Preußen mit Deutſchland neu
geſtalten, aber es behält ſeine alte Politikbei, die Preußen neben Deutſchland
ſtellt. Zweimal erging der Ruf der Geſchichte an das Haus Hohenzollern.
Das erſtemal, in den Tagen des März, hat es geantwortet mit Kartätſchen;
das zweitemal, als das Volk die Rettung Wiens verlangte, hat es die Hülfe
verſagt. Man verjagte dafür die preußiſchen Volksvertreter und verbündete
ſich mit dem Olmützer Cabinet. Der König ſagt er wolle die deutſche Verfaſ-
ſung erſt prüfen laſſen, ob er als Kaiſer ſtark genug ſeyn werde die Ge-
ſchicke Deutſchlands zu lenken! Aber wer dieſe Verfaſſung zu freiſinnig
findet, wer ſie nicht weit überſchreiten will, der leiſte Verzicht darauf deut-
ſcher Kaiſer zu ſeyn. Die Freiheit niederhalten zu können nennt man
Kraft, als ob es nicht die höchſte Ohnmacht wäre ſich vor dem Volke zu
fürchten! Blicken Sie nach Deſſau, wo das Volk zufrieden iſt, blicken
Sie auf die Morgenröthe der Freiheit in Mecklenburg! (Gelächter auf der
äußerſten Rechten.) Ich finde es ganz natürlich daß diejenigen lachen die
ſelbſt zum Junkerparlament gehören. (Bravo und Lachen links.) Um die
Freiheit handelt es ſich gegenwärtig in Deutſchland; wer an die Spitze
Deutſchlands treten will, muß ſie ſchützen und fördern. Iſt aber ein Krieg
für die Freiheit nöthig, dann wird das freie Deutſchland jeden Feind be-
ſtehen. (Stürmiſcher Beifall auf der Linken.) Kirchmann: „Der Vor-
redner hat mit flammenden Worten zum Herzen geſprochen; ich will mich
in ruhiger Erwägung an die Denkkraft der Verſammlung wenden.“ Der
Redner vertheidigt nun ſeine Adreſſe, welche verlangt daß der König die
Kaiſerkrone auf Grund der Verfaſſung annehme, ſo matt daß er wenig
Aufmerkſamkeit findet. Der Miniſter v. d. Heydt nimmt Anlaß zu erklä-
ren daß das Miniſterium dem König nicht gerathen habe den Ruf der
Nationalverſammlung abzulehnen, vielmehr anzunehmen, ſo weit er
hiezu berechtigt ſey. Der König habe ſein Jawort nicht unbedingt erthei-
len, er habe nicht den Titel eines Kaiſers über Fürſten annehmen können
welche ſpäter ihre Zuſtimmung verſagten. Was die Verfaſſung betreffe,
ſo ſey ſchon früher eine Erklärung über ſie erfolgt, von der Frankfurter
Verſammlung aber nicht beachtet worden. Nachdem jetzt die definitive
Erklärung dieſer Verſammlung abgegeben ſey, werde auch die preußiſche
Regierung nicht länger auf ihre deſinitive Erklärung warten laſſen. Hier-
auf hält Grün dem Miniſterium alle Sünden vor die es nach ſeiner An-
ſicht begangen hat, und fragt dann: was würde Deutſchland dazu ſagen,
wenn wir ihm dieſes Miniſterium zum Angebinde brächten? Wenn wir
ihm, da es Brod verlangt, Steine böten? Er ſchließt mit den Worten:
Einheit iſt ohne Freiheit nicht möglich; wo Freiheit iſt, da findet ſich die
Einheit von ſelbſt. Man wird vielleicht jetzt eine deutſche Verfaſſung
octroyiren. Mag man es! Ein großer Theil des Volkes glaubt an die
Märzrevolution, und wird ſie durchführen, weil er es will. Reaction
wird den Entwicklungsgang nicht aufhalten, ſondern nur die Revolution
beſchleunigen! Berg erklärt ſich in einer ſarkaſtiſchen Rede gegen ein
Mißtrauensvotum; denn das Miniſterium ſey ſich gleich geblieben und
würde wegen eines Mißtrauensvotums doch nicht abtreten, wie man ja
wiſſe. Er liest die Erklärung der Frankfurter Deputation vor, um zu
beweiſen daß dieſe die Antwort des Königs als eine ablehnende aufgefaßt
habe. Der Miniſter v. Manteuffel erwiedert hierauf: „Wenn jemand es
bedauert hat daß Se. Maj. nicht in der Lage geweſen ein reines Ja auszu-
ſprechen, ſo bin ich es geweſen. Das Miniſterium hat aber nicht geglaubt
dem König rathen zu dürfen daß er eine Ueberzeugung verlaſſe der er bisher
gefolgt iſt; doch iſt alles geſchehen damit das zur vollen Rechtsgültigkeit der
Wahl noch fehlende hinzugefügt werde. Wenn geſagt wurde unſer Rath ſey
nicht deutſch geweſen, ſo weiß ich wohl daß es über deutſch verſchiedene Mei-
nungen geben kann. Wir haben geglaubt Sr. Maj. einen deutſchen Rath zu
geben, wenn wir ihm riethen dem Recht und der Ehre zu folgen.“ (Bravo
zur Rechten, Ziſchen zur Linken.) D’Eſter iſt ebenfalls gegen ein Miß-
trauensvotum. Was würde dieß helfen? Das gegenwärtige Miniſterium
habe doch den Vorzug daß es ein Miniſterium der offenen Gewalt ſey.
Nach ihm würde wahrſcheinlich eines kommen welches das Volk durch
conſtitutionelles Scheinweſen zu täuſchen ſuchte; er denke aber mit dem
Sprüchwort: Lieber den Wolf der beißt als den Fuchs der gleißt (Ge-
lächter und Beifall). Die Kammer beſchließt hierauf den Schluß der
Debatte. Bodelſchwingh erhält das Wort zu einer perſönlichen Bemer-
kung; er will Grün widerlegen, der geſagt hat, ein früherer Miniſter
habe die Märzrevolution eine ſogenannte Revolution genannt und
doch ſey er vor ihr geflohen. Auf ſeine Aeußerung über den Stra-
ßenkampf folgt die geſtern erwähnte Scene. Der Präſident be-
deckt ſich und erklärt die Sitzung auf eine Stunde unterbrochen. Als nach
wiedereröffneter Sitzung Bodelſchwingh ſeine Erklärung abgibt, verläßt
die äußerſte Linke den Saal mit Ausnahme von Berends, der dann bemerkt:
der Redner habe nicht gewagt ſein voriges Wort über den Märzkampf zu
wiederholen; durch jenes Wort ſey aber die Tribüne entehrt worden. Die
äußerſte Linke findet ſich wieder ein. Der Präſident Lenſing ertheilt Be-
rends eine Rüge. Berg meint die Rüge ſey nicht verdient, denn die Tri-
büne könne nicht beleidigt werden; übrigens ſtehe auch Bodelſchwingh das
Recht zu ſeine Meinung frei zu äußern — das Land werde ihn ſchon recti-
ficiren. Vincke als Berichterſtatter ergreift das Wort. Er ſagt: „Wenn ich
den Rath des Miniſteriums nicht deutſch gefunden, ſo habe ich damit ſagen
wollen, er ſey unzweckmäßig für die deutſche Sache. Nicht bloß von Oeſter-
reich, ſondern auch von andern Regierungen iſt zu befürchten daß ſie hin-
ſichtlich der deutſchen Verfaſſung Schwierigkeiten machen. Fordert man ſie
noch ſpeciell auf ihre Bedingungen zu machen, ſo gibt man Deutſchland
einer ungewiſſen Zukunft preis. Nur durch den moraliſchen Zwang der
öffentlichen Meinung kann man das Verfaſſungswerk zu Stande bringen.
Ein Fürſt muß den Anfang machen und die Verfaſſung acceptiren, und
zwar der mächtigſte muß mit dem guten Beiſpiel vorangehen, dann wer-
den die übrigen Fürſten, vermöge des Zwanges der öffentlichen Meinung,
nachfolgen. Möge man doch bedenken daß es jetzt auf die Sympathien des
Volks ankommt und daß wir im Jahre 1849 leben! (Beifall auf der Lin-
ken.) Es iſt das ſchönſte auf dem Schilde des Volks zum Thron empor-
gehoben zu werden. Wilhelm III wurde vom engliſchen Parlament auf
den Thron berufen und er hat nicht für nöthig gefunden die Einwilligung
der Stuarts einzuholen. (Großer Beifall auf der Linken, Ziſchen auf der
äußerſten Rechten.) Der Redner erklärt noch einmal warum er für jetzt
die Tagesordnung wolle, und ſchließt mit den Worten: „Die Gegner der
Erhebung des Königs auf den deutſchen Thron find es gerade welche über
die aufſchiebende Erklärung ſich freuen. Bei ſeinen Gegnern muß man die
Politik ſtudiren. Zum Schluß will ich nur daran erinnern was einer mei-
ner Freunde an anderm Ort angeführt hat: daß die kühnſte Politik für
Preußen auch immer die ſicherſte iſt.“ (Beiſall links und im Centrum.)
Das Reſultat der Abſtimmungen habe ich Ihnen gemeldet. Für Erlaſſung
einer Adreſſe ſtimmten nur Mitglieder der gemäßigten Linken und Rechten.
Hiſtoriſche Parallelen zu dem Feldzug der Oeſterreicher
in Piemont.
MW. Ein Feldzug welchen 60,000 gegen 80,000 Mann innerhalb
eines Zeitraums von vier Tagen ſiegreich beendigt haben, iſt unſers Wiſ-
ſens ein Reſultat ohne Beiſpiel in der Kriegsgeſchichte. Wohl hatten alle
welche den Werth der beiderſeitigen Streitkräfte kennen, ein ſiegreiches
Ende der öſterreichiſchen Waffen mit Beſtimmtheit vorausgeſehen. Daß
der Krieg aber ganz ohne Wechſelfälle ſeyn werde, haben gewiß nur wenige
Kenner der ſtrategiſchen Verhältniſſe, daß der Sieg ſo leicht und mit ſo
wunderbarer Raſchheit errungen würde, hat vielleicht nicht einer ge-
glaubt. Dieſes Reſultat mußte ſelbſt jene Schweizer und Engländer
welche den Piemonteſen einen ſchlimmen Ausgang ihres Unternehmens ſo
beſtimmt prophezeit haben, in Erſtaunen ſetzen. Weder von dem ſtrate-
giſchen noch vom politiſchen Standpunkte der Verhältniſſe in Piemont
läßt ſich dasſelbe erklären, ohne die Annahme einer vorausgegangenen
tiefen Demoraliſation und entſchiedenen Kriegsunluſt im ſardiſchen Heere
— eine Annahme welche ſowohl durch die Berichte der Allg. Zeitung als
der franzöſiſchen und ſchweizeriſchen Blätter beſtätigt wird. Zur Wür-
digung deſſen was Radetzky’s tapfere Armee ſo eben in Italien geleiſtet,
geſtatten Sie mir einige kurze Rückblicke auf jene berühmten öſterreichiſch-
franzöſiſchen Feldzüge gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts.
Der Schauplatz auf welchem vor wenigen Tagen Italiens Schickſal
ſich neuerdings entſchieden, iſt nahebei derſelbe auf welchem der junge
General Bonaparte im Jahr 1795 ſeine ſtegreiche Laufbahn begann. Ein
hochbejahrter, kriegserfahrener Feldherr führte damals wie heute das
öſterreichiſche Heer an, ohne ſeinen Soldaten den gleichen Enthuſtasmus
einzuflößen, ohne den Sieg an ſeine Fahne feſſeln zu können wie Radetzky.
Auf demſelben Schauplatz ſchlug 1799 der alte Suwarow an der Spitze
der verbündeten öſterreichiſch-ruſſiſchen Heere jene blutigen Schlachten
gegen Moreau, Macdonald, Joubert, und ſäuberte nach heroiſchen An-
ſtrengungen Piemont von den Franzoſen. Auch im Jahr 1800 wurden
die erſten Scenen des italieniſchen Kriegstheaters ziemlich nah dem heu-
tigen eröffnet Nur wenige Meilen unterhalb Pavia überſchritt der Con-
ſul Bonaparte den Po, und gewann durch den einzigen Tag von Marengo,
wo das Glück ſowie die Verblendung des Wiener Hofkriegsraths mehr für
den jungen Feldherrn gethan als ſein Genie, all die Länder wieder welche
im Jahr zuvor den Oeſterreichern ſo viel Zeit und ſo viele Ströme Blutes
gekoſtet hatten.
Wir beſitzen über jene Feldzüge ſehr umfaſſende und genaue Beſchrei-
bungen und Karten in dem großen militäriſchen Werk des Generals Jo-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |