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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] durch ein Nothwahlgesetz, laute es wie immer, alle unsere staatsrechtlichen Cala-
mitäten beseitigen zu können. Wenn die Regierung einen solchen Gesetzentwurf
einbringt, so schmeichelt sie sich gewiß nicht damit dauerndes und ausreichendes
geschaffen zu haben. Allem Anschein nach will sie nur für alle Fälle ein Noth-
dach bauen, um unter dessen Schutz ihre Vorarbeiten durchführen und zum Ab-
schluß bringen zu können, ohne von den Parteien während dieser vorbereitenden
Thätigkeit beständig gedrängt und gedrückt zu werden. -- Ein Gerücht weiß von
Mißhelligkeiten zwischen dem Finanzminister Frhrn. v. Holzgethan und anderen
Mitgliedern des cisleithanischen Cabinets zu erzählen, die einen solchen Charakter
angenommen haben sollen daß Se. Maj. der Kaiser sich veranlaßt gefunden habe
vermittelnd einzuschreiten. Von einer Seite die in der Lage ist über die einschlä-
gigen Verhältnisse genau unterrichtet zu sein, wird mir jedoch versichert daß das
Gerücht jeder thatsächlichen Grundlage entbehre. Die erwähnten Differenzen
existiren nicht, und zu einer Vermittlung seitens des Kaisers war kein Anlaß ge-
geben. Die Regierung wird, auch den Kammern gegenüber, solidarisch für Hrn.
v. Holzgethan einstehen, solange er im Amt ist. Uebrigens hegt Frhr. v. Holz-
gethan bekanntlich nicht die Absicht cisleithanischer Finanzminister zu bleiben.

Großbritannien.

* Das letzte Bulletin aus Sandringham sagt daß der Prinz von Wales wohl
geschlafen hat und fortfährt an Körperkraft zuzunehmen.

Aus Halifax wird telegraphirt daß Sir Francis Croßley, der liberale
Abgeordnete für den westlichen Bezirk von Yortshire, daselbst heute Morgens
gestorben ist.

Die "Daily News" bespricht die Ernennung des Generals v. Stosch zum
deutschen Reichsmarineminister. Sie betont diesen Umstand, sowie den daß das
Ministerium unter den Reichskanzler gestellt wird, als einen Beweis für die
Wichtigkeit welche der Flottenverwaltung, sowie der Entwicklung der commerciellen
und maritimen Hülfsquellen eines Staates beigelegt wird welcher bereits mit
seiner vereinten Handelsslotte unmittelbar nach Großbritannien rangirt. Die
Zeitung bekennt sich somit mit vollem Rechte zu dem alten Lehrsatze maritimer
Staatsweisheit, den, wenn ich nicht irre, entweder Dirk Graswinkel oder der
große Wesselinx in den Zeiten der Gründung der holländisch-westindischen Gesell-
schaft ausgesprochen hat, dem Lehrsatz nämlich daß die Seemacht eines Landes sich
nicht nach der Zahl seiner Kriegsschiffe bemessen lasse, sondern nach der Entwick-
lung seines überseeischen Verkehrs. Das Blatt bemerkt: daß der Umstand daß
ein Armee-Officier zu diesem Posten ernannt sei, kaum auffällig sein dürfte in
England, wo man gewohnt sei die entschiedensten Landratten an der Spitze der
maritimen Angelegenheiten zu sehen. Zudem sei, überall da wo der wirkliche
Kriegsdienst in Frage komme, ein General mindestens ebenso befähigt wie ein
Civilist die Rüstungen der Flotte zu überwachen, um so mehr als der Matrose der
alten Zeit, die Blaujacke, mehr und mehr in den Marinesoldaten übergehe. Da
die Flotte ein Zweig der Reichsverwaltung ist, so steht ihre Verwaltung natürlich
unter dem Reichskanzler. Das letzte Flottenbudget ist bescheiden und mäßig
gehalten, ganz anders als die Budgets des letzten Kaiserreichs, die einen Schrei
der Entrüstung in ganz England hervorriefen. Der Artikel schließt damit daß er
in Bezug auf das Deutsche Reich völlig das Recht und die Pflicht dieser Monarchie
anerkennt sich zum Schutze seiner Küsten und eines im Osten und im Westen immer
mehr zunehmenden Handels eine genügende Flotte zu beschaffen.

Die Worte Döllingers über Frankreich werden von den englischen Blättern
mit großer Einstimmigkeit gelobt. Das uralte Wort an Hiob: "Du hast dein
Elend über dich selbst hereingebracht," das jetzt von allen Seiten den Franzosen
zugerufen werde, sei niemals mit größerer Sanftmuth und größerer Furchtlosigkeit
angewandt worden als von Döllinger, der eine Wärme des patriotischen Gefühls
verrathe die nicht die gewöhnliche Eigenschaft eines ehelosen Klerikers sei, keinesfalls
aber die Billigung der Jesuiten erfahren könne. Den Ausbrüchen der Franzosen
gegenüber, etwa auch denen eines Voltaire, erschienen diese Worte fast wie Compli-
mente. Es sei indeß auch nicht zu läugnen daß diese bescheidene Art des Tadels
ihren Eindruck auf gebildete Franzosen nicht verfehle.


* Wir haben bereits gemeldet daß seitens der Regierung der frühere
Patronage-Secretär der liberalen Partei, Hr. Brand, als Candidat für das Amt
eines Sprechers im Unterhaus aufgestellt worden ist. Die heutigen Morgenblätter
bestätigen diese Nachricht, und man kann annehmen daß die Wahl gesichert ist, zumal
das Amt des Sprechers kurz nach Beginn der nächsten Session erledigt sein wird.
Weniger sicher oder vielmehr ganz ohne Begründung dagegen sind die Gerüchte
welche von bevorstehenden Veränderungen im Ministerium sprechen -- ein Thema
das man bekanntlich vor jeder Session eifrigst abzuhandeln pflegt. Diesen Ge-
rüchten zufolge habe John Bright sich entschlossen ein Ministermm ohne Porte-
feuille anzunehmen, während Hr. Childers das Handelsamt übernehmen werde.
Letzterer hat kürzlich den Posten eines Generalagenten der Colonie Victoria an-
genommen, und würde, den Erfahrungen der letzten zwei Jahre zufolge, wo er
Minister für Gladstone war, keine sehr wünschenswerthe Zugabe zum Cabinet
bilden; daß aber Hr. Bright durchaus nicht gierig nach einem Cabinetssitz ausschaut,
glaubt man mit Bestimmtheit versichern zu dürfen.


Die Londoner Arbeiterfriedensgesellschaft hat gestern Abends wieder ein
großes Meeting in Angelegenheiten des Weltfriedens abgehalten, und zwar unter
dem Vorsitz des früheren Präsidenten der Reformliga, Hrn. Beales. Die Parteien
in der Versammlung stießen wegen ganz geringfügiger Veranlassungen aufeinander,
und es ward der Versammlung, die sich den Weltfrieden zur Aufgabe gemacht hatte,
schwer den Frieden des Hauses zu wahren. Ueberhaupt zeigte sich hier die große
Unfähigkeit der Arbeiter, sobald sie sich, das sociale Gebiet verlassend, auf den
Boden der politischen Debatte stellten. Man beschloß endlich das bisherige Pro-
gramm dahin zu vereinfachen: daß man zunächst von einer allgemeinen Entwaffnung
absah und ein universales Schiedsgericht zur Lösung politischer Fragen anstreben
wollte.


Hr. Scott Russell hat an den Herausgeber der "Times" ein von ihm unter-
zeichnetes Actenstück eingesandt unter dem Titel: "Die neue sociale Bewegung."
Es ist in Form einer Adresse an alle die sich für das Thema interessiren, und be-
ginnt mit der Anrede: "Mylords, Gentlemen und Fellow-Workmen!" Hr. Russell
spricht die Hoffnung aus: es werde bald seine Pflicht sein als Präsident des Rathes
der Arbeitervertretung der Versammlung der Gesetzgeber in Vetreff der Aufbesse-
rung der socialen Lage des Arbeiterstandes die nöthigen von ihnen erwarteten Mit-
theilungen zu machen. Aus welchen Personen diese "Versammlung der Gesetz-
geber" besteht welche die Vorschläge Hrn. Russells "erwarten," ist sreilich nicht zu
ersehen. Sollte er vielleicht jene Herren vor Augen gehabt haben die vor einigen
[Spaltenumbruch] Wochen so eifrig bemüht waren den Verdacht einer aristokratisch-demokratischer Coali-
tion von der Hand zu weisen? Jedenfalls. Er redet die Herren weiter an: "Ich lege
Ihnen das Programm von Maßregeln vor, wie ich früher es schon gethan haben
würde, so bald als die Organisation für ein gemeinsames Vorgehen beider Raths-
versammlungen zu Stande gekommen. Da aber durch vorzeitige Aufdeckung un-
serer Plane unser Fortschreiten für den Augenblick gehemmt ward, so benutze ich
die Zeit um noch vor Eröffnung des Parlaments diese Vorschläge fertig zu machen
für die Gesetzgebung." Er stellt sich hiermit auf einen Boden der doch der Wirklich-
keit nach den Vorgängen der letzten Wochen nicht entspricht, und spricht eine
Sprache die nicht ganz verständlich ist. Indessen enthält außerdem das Programm
nichts geheimnißvolles, und leere Gemeinplätze kann man ihm auch nicht zum Vor-
wurf machen. Im ganzen ist das Schriftstück eine schwache und schlechtgeschriebene
Auseinandersetzung im Style des grassesten Socialismus. Daß aber auch in die-
sen Vorschlägen, wie in den Principien denen sie entspringen, ein Körnchen Wahr-
heit enthalten ist, fällt dem Berichterstatter der "Times" nicht ein zu läugnen.


In einer Zusendung an die "Times" meldet ein "Deutscher:" man habe im
Namen vieler vom Fürsten Bismarck gefordert er solle eine Entschädigung für die
Verlängerung des französischen Kriegs verlangen, welche durch die amerikanische
Waffenausfuhr verursacht worden sei. Eine derartige Petition ist aber nicht
bekannt geworden.

Frankreich.

* Das erste Heft der "Revne des deux Mondes" für 1872 (42. Jahrgang)
enthält in der Ohronique de la Quinzaine einen Jahresrückblick des bekannten
Publicisten Hrn. de Mazade. Der Artikel ist nicht eben bedeutend, doch verdient er,
wegen des Ansehens das die genannte Zeitschrift in allen Ländern genießt, einige
Beachtung. Die Rückschau beginnt mit einer Beleuchtung der verzweifelten Lage
Frankreichs am 1 Januar 1871, trotz der großen Verschiedenheit zwischen damals
und heute bleibe die Lage in vielen Beziehungen noch dunkel und schwierig; man
dürfe sich nicht darüber täuschen, jeden Augenblick noch könne Frankreich in die
grausame Wirklichkeit zurückfallen; noch gebe es viele Probleme zu lösen, viele
Klippen zu vermeiden, viele Leidenschaften zu unterwerfen, viele Wunden zu heilen.
Das Schicksal habe Frankreich eine wahre moralische, politische und materielle Liqui-
dation zu verfolgen hinterlassen, und gleichzeitig die vollständige endgültige Vefreiung
des französischen Bodens zu erreichen. Immerhin sei es eine Besserung daß König
Wilhelm nicht mehr Neujahrsempfang in Versailles abhalte, daß Frankreich eine
Nationalversammlung und eine Regierung besitze, daß es nicht mehr 300,000 Ge-
fangene in Deutschland habe. Das Land habe das Recht und die Möglichkeit
wiedergefunden einen Augenblick aufzuathmen; mit Recht habe Hr. Thiers kürzlich
in seiner Botschaft gesagt: wenn man gerecht sein wolle für das Bestehende, wenn
man den zurückgelegten Weg mit Billigkeit messen wolle, so müsse man sich zehn
Monate zurückversetzen, man müsse sich die zwei Data des letzten Decembers 1870
und des letzten Decembers 1871 vor Augen stellen. Trotzdem habe man noch das
schwierigste Werk vor sich, die Befreiung des Gebiets zu vervollständigen, die Fi-
nanzen ins Gleichgewicht mit den Verbindlichkeiten zu bringen, die öffentliche Or-
gamsation wiederherzustellen. Wenn Frankreich sich zu rasch der Illusion und dem
Vergessen seiner jüngsten Unglücksfälle hingegeben, so sei Hr. v. Bismarck bemüht
es von Zeit zu Zeit auf das Gefühl der Wirklichkeit zurückzuführen, es zu erinnern
daß er noch 6 Departements besetzt halte, daß Frankreich ihm noch viel Geld
schulde, und daß noch nicht alles zwischen Frankreich und Deutschland beendet sei.
Dieß ist nach Hrn. de Mazade die Absicht der Depesche welche Bismarck neulich
"in berechneter Brutalität" verfaßt habe. "Hrn. v. Bismarck litt es ohne Zweifel
nicht uns das neue Jahr antreten zu lassen ohne uns das Zeugniß seiner übrigens
wohl bekannten und uns durchaus nicht überraschenden Gefühle zuzustellen; er
sandte uns seine Visitenkarten..." "Hr. v. Bismarck ist stolz über seine Erfolge,
er bildet sich ein das Recht erobert zu haben alles zu sagen, er mißbraucht natür-
lich sein Recht." ... "Der deutsche Kanzler benimmt sich jetzt wie ein anderer
Siegreicher, der zu seiner Zeit allein Bismarck, Molike und den König Wilhelm
aufwog, und der Preußen mit einer wenig einsichtigen und wenig vortheilhaften
Rauhigkeit behandelte." Natürlich ist damit auf Napoleons und seine brutale
Beleidigung der Königin Luise angespielt. Nach einer längeren Klage über den
Uebermuth Deutschlands schließt Mazade die auf das Verhältniß zu Deutschland
bezügliche Stelle mit den Worten: "Alle diejenigen welche ihr Land wirklich lieben,
müssen sich ohne Aufhören erinnern daß es heut ein Interesse gibt dem alles unter-
geordnet sein muß, das Interesse der Befreiung des nationalen Boden, und daß,
um zu dieser Befreiung zu gelangen, das einzige Mittel ist uns durch unsere innere
Reconstruction, durch die patriotische Beschwichtigung unserer Zwietracht, durch die
Reorganisation unserer Finanzen uns zur Zahlung unseres schmerzlichen Lösegeldes
vorzubereiten. Die Depesche des Hrn. v. Bismarck ist gewiß beleidigend, wir ge-
stehen das zu; sie ist so von Europa beurtheilt und, falls sie nicht eine tiefe Berech-
nung verbirgt, kann sie nur gegen den Zweck den man sich vorsetzt ausschlagen.
Sie würde keineswegs unnütz sein, wenn man sie alle Tage einmal lesen wollte,
bevor man sich der Wuth der Parteien und den leeren Discussionen überließe."
Hr. Mazade erklärt es vor allem für nothwendig daß Frankreich Ruhe und Frieden
habe, daß es sich befestigen und seine Thatkraft wieder finden könne; er ermahnt
sodann zur Eintracht, gleichviel ob die Regierung eine definitive oder provisorische,
ob Republik oder Monarchte sei. Allerdings kann er nicht verschweigen "daß dem
Gange der Geschichte, durch den Fehler der Verhältnisse vielleicht ebenso wie durch
den Fehler der Menschen, eine gewisse einfache Ansicht der Dinge, eine gewisse Ent-
schiedenheit, eine gewisse Größe mangelt. Das Land würde nichts lieber haben
als sich geleitet und fortgerissen zu sehen, sich wieder ans Werk zu machen, das
Beispiel zu befolgen das es schon einmal 1815 gegeben, zu der Zeit als es Lasten
zu tragen hatte die im Verhältniß ebenso drückend waren als diejenigen welche es
heute zu tragen hat. Das Land hat guten Willen. Man nehme das sehr lehr-
reiche Finanzexpose, welches der Versammlung kürzlich vorgelegt wurde. Trotz aller
Prüfungen des grausamen Jahres 1871 sind die Grundsteuern kaum um 3 bis 4
Millionen im Rückstand. Die Erträgnisse der indirecten Auflagen erreichen die
Höhe der glücklichsten Jahre. Der allgemeine Handel ist für die 10 ersten Monate
höher als 5 Milliarden, d. h. um 100 Millionen höher als der von 1869. Was
ließe sich mit einem solchen Lande, das bereit ist sich wieder zu erheben, seine Thätig-
keit wieder zu erlangen, nicht alles machen!" Nachdem er wiederholt darauf hin-
gewiesen daß nur die Wiederherstellung der Handelsbilanz, die Entwicklung der
Arbeit, die Erhöhung des Exports Frankreich die Mittel zu den neuen nothwen-
digen 250 Millionen verschaffen könne, bespricht er die Lage Algeriens. Algerien
trete heut in eine neue Phase, bisher sei es die praktische Kriegsschule Frankreichs
gewesen, die jüngsten Ereignisse hätten diese Theorie zerstört, jetzt gelte es alle
Mittel aufzusuchen um aus einer Colonie Nutzen zu ziehen deren Handel schon
200 Millionen übersteigt. "Wenn man uns Provinzen durch die Allmacht der Er-

[Spaltenumbruch] durch ein Nothwahlgeſetz, laute es wie immer, alle unſere ſtaatsrechtlichen Cala-
mitäten beſeitigen zu können. Wenn die Regierung einen ſolchen Geſetzentwurf
einbringt, ſo ſchmeichelt ſie ſich gewiß nicht damit dauerndes und ausreichendes
geſchaffen zu haben. Allem Anſchein nach will ſie nur für alle Fälle ein Noth-
dach bauen, um unter deſſen Schutz ihre Vorarbeiten durchführen und zum Ab-
ſchluß bringen zu können, ohne von den Parteien während dieſer vorbereitenden
Thätigkeit beſtändig gedrängt und gedrückt zu werden. — Ein Gerücht weiß von
Mißhelligkeiten zwiſchen dem Finanzminiſter Frhrn. v. Holzgethan und anderen
Mitgliedern des cisleithaniſchen Cabinets zu erzählen, die einen ſolchen Charakter
angenommen haben ſollen daß Se. Maj. der Kaiſer ſich veranlaßt gefunden habe
vermittelnd einzuſchreiten. Von einer Seite die in der Lage iſt über die einſchlä-
gigen Verhältniſſe genau unterrichtet zu ſein, wird mir jedoch verſichert daß das
Gerücht jeder thatſächlichen Grundlage entbehre. Die erwähnten Differenzen
exiſtiren nicht, und zu einer Vermittlung ſeitens des Kaiſers war kein Anlaß ge-
geben. Die Regierung wird, auch den Kammern gegenüber, ſolidariſch für Hrn.
v. Holzgethan einſtehen, ſolange er im Amt iſt. Uebrigens hegt Frhr. v. Holz-
gethan bekanntlich nicht die Abſicht cisleithaniſcher Finanzminiſter zu bleiben.

Großbritannien.

* Das letzte Bulletin aus Sandringham ſagt daß der Prinz von Wales wohl
geſchlafen hat und fortfährt an Körperkraft zuzunehmen.

Aus Halifax wird telegraphirt daß Sir Francis Croßley, der liberale
Abgeordnete für den weſtlichen Bezirk von Yortſhire, daſelbſt heute Morgens
geſtorben iſt.

Die „Daily News“ beſpricht die Ernennung des Generals v. Stoſch zum
deutſchen Reichsmarineminiſter. Sie betont dieſen Umſtand, ſowie den daß das
Miniſterium unter den Reichskanzler geſtellt wird, als einen Beweis für die
Wichtigkeit welche der Flottenverwaltung, ſowie der Entwicklung der commerciellen
und maritimen Hülfsquellen eines Staates beigelegt wird welcher bereits mit
ſeiner vereinten Handelsſlotte unmittelbar nach Großbritannien rangirt. Die
Zeitung bekennt ſich ſomit mit vollem Rechte zu dem alten Lehrſatze maritimer
Staatsweisheit, den, wenn ich nicht irre, entweder Dirk Graswinkel oder der
große Weſſelinx in den Zeiten der Gründung der holländiſch-weſtindiſchen Geſell-
ſchaft ausgeſprochen hat, dem Lehrſatz nämlich daß die Seemacht eines Landes ſich
nicht nach der Zahl ſeiner Kriegsſchiffe bemeſſen laſſe, ſondern nach der Entwick-
lung ſeines überſeeiſchen Verkehrs. Das Blatt bemerkt: daß der Umſtand daß
ein Armee-Officier zu dieſem Poſten ernannt ſei, kaum auffällig ſein dürfte in
England, wo man gewohnt ſei die entſchiedenſten Landratten an der Spitze der
maritimen Angelegenheiten zu ſehen. Zudem ſei, überall da wo der wirkliche
Kriegsdienſt in Frage komme, ein General mindeſtens ebenſo befähigt wie ein
Civiliſt die Rüſtungen der Flotte zu überwachen, um ſo mehr als der Matroſe der
alten Zeit, die Blaujacke, mehr und mehr in den Marineſoldaten übergehe. Da
die Flotte ein Zweig der Reichsverwaltung iſt, ſo ſteht ihre Verwaltung natürlich
unter dem Reichskanzler. Das letzte Flottenbudget iſt beſcheiden und mäßig
gehalten, ganz anders als die Budgets des letzten Kaiſerreichs, die einen Schrei
der Entrüſtung in ganz England hervorriefen. Der Artikel ſchließt damit daß er
in Bezug auf das Deutſche Reich völlig das Recht und die Pflicht dieſer Monarchie
anerkennt ſich zum Schutze ſeiner Küſten und eines im Oſten und im Weſten immer
mehr zunehmenden Handels eine genügende Flotte zu beſchaffen.

Die Worte Döllingers über Frankreich werden von den engliſchen Blättern
mit großer Einſtimmigkeit gelobt. Das uralte Wort an Hiob: „Du haſt dein
Elend über dich ſelbſt hereingebracht,“ das jetzt von allen Seiten den Franzoſen
zugerufen werde, ſei niemals mit größerer Sanftmuth und größerer Furchtloſigkeit
angewandt worden als von Döllinger, der eine Wärme des patriotiſchen Gefühls
verrathe die nicht die gewöhnliche Eigenſchaft eines eheloſen Klerikers ſei, keinesfalls
aber die Billigung der Jeſuiten erfahren könne. Den Ausbrüchen der Franzoſen
gegenüber, etwa auch denen eines Voltaire, erſchienen dieſe Worte faſt wie Compli-
mente. Es ſei indeß auch nicht zu läugnen daß dieſe beſcheidene Art des Tadels
ihren Eindruck auf gebildete Franzoſen nicht verfehle.


* Wir haben bereits gemeldet daß ſeitens der Regierung der frühere
Patronage-Secretär der liberalen Partei, Hr. Brand, als Candidat für das Amt
eines Sprechers im Unterhaus aufgeſtellt worden iſt. Die heutigen Morgenblätter
beſtätigen dieſe Nachricht, und man kann annehmen daß die Wahl geſichert iſt, zumal
das Amt des Sprechers kurz nach Beginn der nächſten Seſſion erledigt ſein wird.
Weniger ſicher oder vielmehr ganz ohne Begründung dagegen ſind die Gerüchte
welche von bevorſtehenden Veränderungen im Miniſterium ſprechen — ein Thema
das man bekanntlich vor jeder Seſſion eifrigſt abzuhandeln pflegt. Dieſen Ge-
rüchten zufolge habe John Bright ſich entſchloſſen ein Miniſtermm ohne Porte-
feuille anzunehmen, während Hr. Childers das Handelsamt übernehmen werde.
Letzterer hat kürzlich den Poſten eines Generalagenten der Colonie Victoria an-
genommen, und würde, den Erfahrungen der letzten zwei Jahre zufolge, wo er
Miniſter für Gladſtone war, keine ſehr wünſchenswerthe Zugabe zum Cabinet
bilden; daß aber Hr. Bright durchaus nicht gierig nach einem Cabinetsſitz ausſchaut,
glaubt man mit Beſtimmtheit verſichern zu dürfen.


Die Londoner Arbeiterfriedensgeſellſchaft hat geſtern Abends wieder ein
großes Meeting in Angelegenheiten des Weltfriedens abgehalten, und zwar unter
dem Vorſitz des früheren Präſidenten der Reformliga, Hrn. Beales. Die Parteien
in der Verſammlung ſtießen wegen ganz geringfügiger Veranlaſſungen aufeinander,
und es ward der Verſammlung, die ſich den Weltfrieden zur Aufgabe gemacht hatte,
ſchwer den Frieden des Hauſes zu wahren. Ueberhaupt zeigte ſich hier die große
Unfähigkeit der Arbeiter, ſobald ſie ſich, das ſociale Gebiet verlaſſend, auf den
Boden der politiſchen Debatte ſtellten. Man beſchloß endlich das bisherige Pro-
gramm dahin zu vereinfachen: daß man zunächſt von einer allgemeinen Entwaffnung
abſah und ein univerſales Schiedsgericht zur Löſung politiſcher Fragen anſtreben
wollte.


Hr. Scott Ruſſell hat an den Herausgeber der „Times“ ein von ihm unter-
zeichnetes Actenſtück eingeſandt unter dem Titel: „Die neue ſociale Bewegung.“
Es iſt in Form einer Adreſſe an alle die ſich für das Thema intereſſiren, und be-
ginnt mit der Anrede: „Mylords, Gentlemen und Fellow-Workmen!“ Hr. Ruſſell
ſpricht die Hoffnung aus: es werde bald ſeine Pflicht ſein als Präſident des Rathes
der Arbeitervertretung der Verſammlung der Geſetzgeber in Vetreff der Aufbeſſe-
rung der ſocialen Lage des Arbeiterſtandes die nöthigen von ihnen erwarteten Mit-
theilungen zu machen. Aus welchen Perſonen dieſe „Verſammlung der Geſetz-
geber“ beſteht welche die Vorſchläge Hrn. Ruſſells „erwarten,“ iſt ſreilich nicht zu
erſehen. Sollte er vielleicht jene Herren vor Augen gehabt haben die vor einigen
[Spaltenumbruch] Wochen ſo eifrig bemüht waren den Verdacht einer ariſtokratiſch-demokratiſcher Coali-
tion von der Hand zu weiſen? Jedenfalls. Er redet die Herren weiter an: „Ich lege
Ihnen das Programm von Maßregeln vor, wie ich früher es ſchon gethan haben
würde, ſo bald als die Organiſation für ein gemeinſames Vorgehen beider Raths-
verſammlungen zu Stande gekommen. Da aber durch vorzeitige Aufdeckung un-
ſerer Plane unſer Fortſchreiten für den Augenblick gehemmt ward, ſo benutze ich
die Zeit um noch vor Eröffnung des Parlaments dieſe Vorſchläge fertig zu machen
für die Geſetzgebung.“ Er ſtellt ſich hiermit auf einen Boden der doch der Wirklich-
keit nach den Vorgängen der letzten Wochen nicht entſpricht, und ſpricht eine
Sprache die nicht ganz verſtändlich iſt. Indeſſen enthält außerdem das Programm
nichts geheimnißvolles, und leere Gemeinplätze kann man ihm auch nicht zum Vor-
wurf machen. Im ganzen iſt das Schriftſtück eine ſchwache und ſchlechtgeſchriebene
Auseinanderſetzung im Style des graſſeſten Socialismus. Daß aber auch in die-
ſen Vorſchlägen, wie in den Principien denen ſie entſpringen, ein Körnchen Wahr-
heit enthalten iſt, fällt dem Berichterſtatter der „Times“ nicht ein zu läugnen.


In einer Zuſendung an die „Times“ meldet ein „Deutſcher:“ man habe im
Namen vieler vom Fürſten Bismarck gefordert er ſolle eine Entſchädigung für die
Verlängerung des franzöſiſchen Kriegs verlangen, welche durch die amerikaniſche
Waffenausfuhr verurſacht worden ſei. Eine derartige Petition iſt aber nicht
bekannt geworden.

Frankreich.

* Das erſte Heft der „Revne des deux Mondes“ für 1872 (42. Jahrgang)
enthält in der Ohronique de la Quinzaine einen Jahresrückblick des bekannten
Publiciſten Hrn. de Mazade. Der Artikel iſt nicht eben bedeutend, doch verdient er,
wegen des Anſehens das die genannte Zeitſchrift in allen Ländern genießt, einige
Beachtung. Die Rückſchau beginnt mit einer Beleuchtung der verzweifelten Lage
Frankreichs am 1 Januar 1871, trotz der großen Verſchiedenheit zwiſchen damals
und heute bleibe die Lage in vielen Beziehungen noch dunkel und ſchwierig; man
dürfe ſich nicht darüber täuſchen, jeden Augenblick noch könne Frankreich in die
grauſame Wirklichkeit zurückfallen; noch gebe es viele Probleme zu löſen, viele
Klippen zu vermeiden, viele Leidenſchaften zu unterwerfen, viele Wunden zu heilen.
Das Schickſal habe Frankreich eine wahre moraliſche, politiſche und materielle Liqui-
dation zu verfolgen hinterlaſſen, und gleichzeitig die vollſtändige endgültige Vefreiung
des franzöſiſchen Bodens zu erreichen. Immerhin ſei es eine Beſſerung daß König
Wilhelm nicht mehr Neujahrsempfang in Verſailles abhalte, daß Frankreich eine
Nationalverſammlung und eine Regierung beſitze, daß es nicht mehr 300,000 Ge-
fangene in Deutſchland habe. Das Land habe das Recht und die Möglichkeit
wiedergefunden einen Augenblick aufzuathmen; mit Recht habe Hr. Thiers kürzlich
in ſeiner Botſchaft geſagt: wenn man gerecht ſein wolle für das Beſtehende, wenn
man den zurückgelegten Weg mit Billigkeit meſſen wolle, ſo müſſe man ſich zehn
Monate zurückverſetzen, man müſſe ſich die zwei Data des letzten Decembers 1870
und des letzten Decembers 1871 vor Augen ſtellen. Trotzdem habe man noch das
ſchwierigſte Werk vor ſich, die Befreiung des Gebiets zu vervollſtändigen, die Fi-
nanzen ins Gleichgewicht mit den Verbindlichkeiten zu bringen, die öffentliche Or-
gamſation wiederherzuſtellen. Wenn Frankreich ſich zu raſch der Illuſion und dem
Vergeſſen ſeiner jüngſten Unglücksfälle hingegeben, ſo ſei Hr. v. Bismarck bemüht
es von Zeit zu Zeit auf das Gefühl der Wirklichkeit zurückzuführen, es zu erinnern
daß er noch 6 Departements beſetzt halte, daß Frankreich ihm noch viel Geld
ſchulde, und daß noch nicht alles zwiſchen Frankreich und Deutſchland beendet ſei.
Dieß iſt nach Hrn. de Mazade die Abſicht der Depeſche welche Bismarck neulich
„in berechneter Brutalität“ verfaßt habe. „Hrn. v. Bismarck litt es ohne Zweifel
nicht uns das neue Jahr antreten zu laſſen ohne uns das Zeugniß ſeiner übrigens
wohl bekannten und uns durchaus nicht überraſchenden Gefühle zuzuſtellen; er
ſandte uns ſeine Viſitenkarten...“ „Hr. v. Bismarck iſt ſtolz über ſeine Erfolge,
er bildet ſich ein das Recht erobert zu haben alles zu ſagen, er mißbraucht natür-
lich ſein Recht.“ ... „Der deutſche Kanzler benimmt ſich jetzt wie ein anderer
Siegreicher, der zu ſeiner Zeit allein Bismarck, Molike und den König Wilhelm
aufwog, und der Preußen mit einer wenig einſichtigen und wenig vortheilhaften
Rauhigkeit behandelte.“ Natürlich iſt damit auf Napoleons und ſeine brutale
Beleidigung der Königin Luiſe angeſpielt. Nach einer längeren Klage über den
Uebermuth Deutſchlands ſchließt Mazade die auf das Verhältniß zu Deutſchland
bezügliche Stelle mit den Worten: „Alle diejenigen welche ihr Land wirklich lieben,
müſſen ſich ohne Aufhören erinnern daß es heut ein Intereſſe gibt dem alles unter-
geordnet ſein muß, das Intereſſe der Befreiung des nationalen Boden, und daß,
um zu dieſer Befreiung zu gelangen, das einzige Mittel iſt uns durch unſere innere
Reconſtruction, durch die patriotiſche Beſchwichtigung unſerer Zwietracht, durch die
Reorganiſation unſerer Finanzen uns zur Zahlung unſeres ſchmerzlichen Löſegeldes
vorzubereiten. Die Depeſche des Hrn. v. Bismarck iſt gewiß beleidigend, wir ge-
ſtehen das zu; ſie iſt ſo von Europa beurtheilt und, falls ſie nicht eine tiefe Berech-
nung verbirgt, kann ſie nur gegen den Zweck den man ſich vorſetzt ausſchlagen.
Sie würde keineswegs unnütz ſein, wenn man ſie alle Tage einmal leſen wollte,
bevor man ſich der Wuth der Parteien und den leeren Discuſſionen überließe.“
Hr. Mazade erklärt es vor allem für nothwendig daß Frankreich Ruhe und Frieden
habe, daß es ſich befeſtigen und ſeine Thatkraft wieder finden könne; er ermahnt
ſodann zur Eintracht, gleichviel ob die Regierung eine definitive oder proviſoriſche,
ob Republik oder Monarchte ſei. Allerdings kann er nicht verſchweigen „daß dem
Gange der Geſchichte, durch den Fehler der Verhältniſſe vielleicht ebenſo wie durch
den Fehler der Menſchen, eine gewiſſe einfache Anſicht der Dinge, eine gewiſſe Ent-
ſchiedenheit, eine gewiſſe Größe mangelt. Das Land würde nichts lieber haben
als ſich geleitet und fortgeriſſen zu ſehen, ſich wieder ans Werk zu machen, das
Beiſpiel zu befolgen das es ſchon einmal 1815 gegeben, zu der Zeit als es Laſten
zu tragen hatte die im Verhältniß ebenſo drückend waren als diejenigen welche es
heute zu tragen hat. Das Land hat guten Willen. Man nehme das ſehr lehr-
reiche Finanzexpoſé, welches der Verſammlung kürzlich vorgelegt wurde. Trotz aller
Prüfungen des grauſamen Jahres 1871 ſind die Grundſteuern kaum um 3 bis 4
Millionen im Rückſtand. Die Erträgniſſe der indirecten Auflagen erreichen die
Höhe der glücklichſten Jahre. Der allgemeine Handel iſt für die 10 erſten Monate
höher als 5 Milliarden, d. h. um 100 Millionen höher als der von 1869. Was
ließe ſich mit einem ſolchen Lande, das bereit iſt ſich wieder zu erheben, ſeine Thätig-
keit wieder zu erlangen, nicht alles machen!“ Nachdem er wiederholt darauf hin-
gewieſen daß nur die Wiederherſtellung der Handelsbilanz, die Entwicklung der
Arbeit, die Erhöhung des Exports Frankreich die Mittel zu den neuen nothwen-
digen 250 Millionen verſchaffen könne, beſpricht er die Lage Algeriens. Algerien
trete heut in eine neue Phaſe, bisher ſei es die praktiſche Kriegsſchule Frankreichs
geweſen, die jüngſten Ereigniſſe hätten dieſe Theorie zerſtört, jetzt gelte es alle
Mittel aufzuſuchen um aus einer Colonie Nutzen zu ziehen deren Handel ſchon
200 Millionen überſteigt. „Wenn man uns Provinzen durch die Allmacht der Er-

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Gerücht jeder that&#x017F;ächlichen Grundlage entbehre. Die erwähnten Differenzen<lb/>
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geben. Die Regierung wird, auch den Kammern gegenüber, &#x017F;olidari&#x017F;ch für Hrn.<lb/>
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Mini&#x017F;terium unter den Reichskanzler ge&#x017F;tellt wird, als einen Beweis für die<lb/>
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&#x017F;einer vereinten Handels&#x017F;lotte unmittelbar nach Großbritannien rangirt. Die<lb/>
Zeitung bekennt &#x017F;ich &#x017F;omit mit vollem Rechte zu dem alten Lehr&#x017F;atze maritimer<lb/>
Staatsweisheit, den, wenn ich nicht irre, entweder Dirk Graswinkel oder der<lb/>
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Civili&#x017F;t die Rü&#x017F;tungen der Flotte zu überwachen, um &#x017F;o mehr als der Matro&#x017F;e der<lb/>
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unter dem Reichskanzler. Das letzte Flottenbudget i&#x017F;t be&#x017F;cheiden und mäßig<lb/>
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der Entrü&#x017F;tung in ganz England hervorriefen. Der Artikel &#x017F;chließt damit daß er<lb/>
in Bezug auf das Deut&#x017F;che Reich völlig das Recht und die Pflicht die&#x017F;er Monarchie<lb/>
anerkennt &#x017F;ich zum Schutze &#x017F;einer Kü&#x017F;ten und eines im O&#x017F;ten und im We&#x017F;ten immer<lb/>
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be&#x017F;tätigen die&#x017F;e Nachricht, und man kann annehmen daß die Wahl ge&#x017F;ichert i&#x017F;t, zumal<lb/>
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Weniger &#x017F;icher oder vielmehr ganz ohne Begründung dagegen &#x017F;ind die Gerüchte<lb/>
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rüchten zufolge habe John Bright &#x017F;ich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ein Mini&#x017F;termm ohne Porte-<lb/>
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großes Meeting in Angelegenheiten des Weltfriedens abgehalten, und zwar unter<lb/>
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&#x017F;chwer den Frieden des Hau&#x017F;es zu wahren. Ueberhaupt zeigte &#x017F;ich hier die große<lb/>
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&#x017F;pricht die Hoffnung aus: es werde bald &#x017F;eine Pflicht &#x017F;ein als Prä&#x017F;ident des Rathes<lb/>
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Publici&#x017F;ten Hrn. de Mazade. Der Artikel i&#x017F;t nicht eben bedeutend, doch verdient er,<lb/>
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[117/0005] durch ein Nothwahlgeſetz, laute es wie immer, alle unſere ſtaatsrechtlichen Cala- mitäten beſeitigen zu können. Wenn die Regierung einen ſolchen Geſetzentwurf einbringt, ſo ſchmeichelt ſie ſich gewiß nicht damit dauerndes und ausreichendes geſchaffen zu haben. Allem Anſchein nach will ſie nur für alle Fälle ein Noth- dach bauen, um unter deſſen Schutz ihre Vorarbeiten durchführen und zum Ab- ſchluß bringen zu können, ohne von den Parteien während dieſer vorbereitenden Thätigkeit beſtändig gedrängt und gedrückt zu werden. — Ein Gerücht weiß von Mißhelligkeiten zwiſchen dem Finanzminiſter Frhrn. v. Holzgethan und anderen Mitgliedern des cisleithaniſchen Cabinets zu erzählen, die einen ſolchen Charakter angenommen haben ſollen daß Se. Maj. der Kaiſer ſich veranlaßt gefunden habe vermittelnd einzuſchreiten. Von einer Seite die in der Lage iſt über die einſchlä- gigen Verhältniſſe genau unterrichtet zu ſein, wird mir jedoch verſichert daß das Gerücht jeder thatſächlichen Grundlage entbehre. Die erwähnten Differenzen exiſtiren nicht, und zu einer Vermittlung ſeitens des Kaiſers war kein Anlaß ge- geben. Die Regierung wird, auch den Kammern gegenüber, ſolidariſch für Hrn. v. Holzgethan einſtehen, ſolange er im Amt iſt. Uebrigens hegt Frhr. v. Holz- gethan bekanntlich nicht die Abſicht cisleithaniſcher Finanzminiſter zu bleiben. Großbritannien. London, 5 Jan. * Das letzte Bulletin aus Sandringham ſagt daß der Prinz von Wales wohl geſchlafen hat und fortfährt an Körperkraft zuzunehmen. Aus Halifax wird telegraphirt daß Sir Francis Croßley, der liberale Abgeordnete für den weſtlichen Bezirk von Yortſhire, daſelbſt heute Morgens geſtorben iſt. Die „Daily News“ beſpricht die Ernennung des Generals v. Stoſch zum deutſchen Reichsmarineminiſter. Sie betont dieſen Umſtand, ſowie den daß das Miniſterium unter den Reichskanzler geſtellt wird, als einen Beweis für die Wichtigkeit welche der Flottenverwaltung, ſowie der Entwicklung der commerciellen und maritimen Hülfsquellen eines Staates beigelegt wird welcher bereits mit ſeiner vereinten Handelsſlotte unmittelbar nach Großbritannien rangirt. Die Zeitung bekennt ſich ſomit mit vollem Rechte zu dem alten Lehrſatze maritimer Staatsweisheit, den, wenn ich nicht irre, entweder Dirk Graswinkel oder der große Weſſelinx in den Zeiten der Gründung der holländiſch-weſtindiſchen Geſell- ſchaft ausgeſprochen hat, dem Lehrſatz nämlich daß die Seemacht eines Landes ſich nicht nach der Zahl ſeiner Kriegsſchiffe bemeſſen laſſe, ſondern nach der Entwick- lung ſeines überſeeiſchen Verkehrs. Das Blatt bemerkt: daß der Umſtand daß ein Armee-Officier zu dieſem Poſten ernannt ſei, kaum auffällig ſein dürfte in England, wo man gewohnt ſei die entſchiedenſten Landratten an der Spitze der maritimen Angelegenheiten zu ſehen. Zudem ſei, überall da wo der wirkliche Kriegsdienſt in Frage komme, ein General mindeſtens ebenſo befähigt wie ein Civiliſt die Rüſtungen der Flotte zu überwachen, um ſo mehr als der Matroſe der alten Zeit, die Blaujacke, mehr und mehr in den Marineſoldaten übergehe. Da die Flotte ein Zweig der Reichsverwaltung iſt, ſo ſteht ihre Verwaltung natürlich unter dem Reichskanzler. Das letzte Flottenbudget iſt beſcheiden und mäßig gehalten, ganz anders als die Budgets des letzten Kaiſerreichs, die einen Schrei der Entrüſtung in ganz England hervorriefen. Der Artikel ſchließt damit daß er in Bezug auf das Deutſche Reich völlig das Recht und die Pflicht dieſer Monarchie anerkennt ſich zum Schutze ſeiner Küſten und eines im Oſten und im Weſten immer mehr zunehmenden Handels eine genügende Flotte zu beſchaffen. Die Worte Döllingers über Frankreich werden von den engliſchen Blättern mit großer Einſtimmigkeit gelobt. Das uralte Wort an Hiob: „Du haſt dein Elend über dich ſelbſt hereingebracht,“ das jetzt von allen Seiten den Franzoſen zugerufen werde, ſei niemals mit größerer Sanftmuth und größerer Furchtloſigkeit angewandt worden als von Döllinger, der eine Wärme des patriotiſchen Gefühls verrathe die nicht die gewöhnliche Eigenſchaft eines eheloſen Klerikers ſei, keinesfalls aber die Billigung der Jeſuiten erfahren könne. Den Ausbrüchen der Franzoſen gegenüber, etwa auch denen eines Voltaire, erſchienen dieſe Worte faſt wie Compli- mente. Es ſei indeß auch nicht zu läugnen daß dieſe beſcheidene Art des Tadels ihren Eindruck auf gebildete Franzoſen nicht verfehle. * Wir haben bereits gemeldet daß ſeitens der Regierung der frühere Patronage-Secretär der liberalen Partei, Hr. Brand, als Candidat für das Amt eines Sprechers im Unterhaus aufgeſtellt worden iſt. Die heutigen Morgenblätter beſtätigen dieſe Nachricht, und man kann annehmen daß die Wahl geſichert iſt, zumal das Amt des Sprechers kurz nach Beginn der nächſten Seſſion erledigt ſein wird. Weniger ſicher oder vielmehr ganz ohne Begründung dagegen ſind die Gerüchte welche von bevorſtehenden Veränderungen im Miniſterium ſprechen — ein Thema das man bekanntlich vor jeder Seſſion eifrigſt abzuhandeln pflegt. Dieſen Ge- rüchten zufolge habe John Bright ſich entſchloſſen ein Miniſtermm ohne Porte- feuille anzunehmen, während Hr. Childers das Handelsamt übernehmen werde. Letzterer hat kürzlich den Poſten eines Generalagenten der Colonie Victoria an- genommen, und würde, den Erfahrungen der letzten zwei Jahre zufolge, wo er Miniſter für Gladſtone war, keine ſehr wünſchenswerthe Zugabe zum Cabinet bilden; daß aber Hr. Bright durchaus nicht gierig nach einem Cabinetsſitz ausſchaut, glaubt man mit Beſtimmtheit verſichern zu dürfen. Die Londoner Arbeiterfriedensgeſellſchaft hat geſtern Abends wieder ein großes Meeting in Angelegenheiten des Weltfriedens abgehalten, und zwar unter dem Vorſitz des früheren Präſidenten der Reformliga, Hrn. Beales. Die Parteien in der Verſammlung ſtießen wegen ganz geringfügiger Veranlaſſungen aufeinander, und es ward der Verſammlung, die ſich den Weltfrieden zur Aufgabe gemacht hatte, ſchwer den Frieden des Hauſes zu wahren. Ueberhaupt zeigte ſich hier die große Unfähigkeit der Arbeiter, ſobald ſie ſich, das ſociale Gebiet verlaſſend, auf den Boden der politiſchen Debatte ſtellten. Man beſchloß endlich das bisherige Pro- gramm dahin zu vereinfachen: daß man zunächſt von einer allgemeinen Entwaffnung abſah und ein univerſales Schiedsgericht zur Löſung politiſcher Fragen anſtreben wollte. Hr. Scott Ruſſell hat an den Herausgeber der „Times“ ein von ihm unter- zeichnetes Actenſtück eingeſandt unter dem Titel: „Die neue ſociale Bewegung.“ Es iſt in Form einer Adreſſe an alle die ſich für das Thema intereſſiren, und be- ginnt mit der Anrede: „Mylords, Gentlemen und Fellow-Workmen!“ Hr. Ruſſell ſpricht die Hoffnung aus: es werde bald ſeine Pflicht ſein als Präſident des Rathes der Arbeitervertretung der Verſammlung der Geſetzgeber in Vetreff der Aufbeſſe- rung der ſocialen Lage des Arbeiterſtandes die nöthigen von ihnen erwarteten Mit- theilungen zu machen. Aus welchen Perſonen dieſe „Verſammlung der Geſetz- geber“ beſteht welche die Vorſchläge Hrn. Ruſſells „erwarten,“ iſt ſreilich nicht zu erſehen. Sollte er vielleicht jene Herren vor Augen gehabt haben die vor einigen Wochen ſo eifrig bemüht waren den Verdacht einer ariſtokratiſch-demokratiſcher Coali- tion von der Hand zu weiſen? Jedenfalls. Er redet die Herren weiter an: „Ich lege Ihnen das Programm von Maßregeln vor, wie ich früher es ſchon gethan haben würde, ſo bald als die Organiſation für ein gemeinſames Vorgehen beider Raths- verſammlungen zu Stande gekommen. Da aber durch vorzeitige Aufdeckung un- ſerer Plane unſer Fortſchreiten für den Augenblick gehemmt ward, ſo benutze ich die Zeit um noch vor Eröffnung des Parlaments dieſe Vorſchläge fertig zu machen für die Geſetzgebung.“ Er ſtellt ſich hiermit auf einen Boden der doch der Wirklich- keit nach den Vorgängen der letzten Wochen nicht entſpricht, und ſpricht eine Sprache die nicht ganz verſtändlich iſt. Indeſſen enthält außerdem das Programm nichts geheimnißvolles, und leere Gemeinplätze kann man ihm auch nicht zum Vor- wurf machen. Im ganzen iſt das Schriftſtück eine ſchwache und ſchlechtgeſchriebene Auseinanderſetzung im Style des graſſeſten Socialismus. Daß aber auch in die- ſen Vorſchlägen, wie in den Principien denen ſie entſpringen, ein Körnchen Wahr- heit enthalten iſt, fällt dem Berichterſtatter der „Times“ nicht ein zu läugnen. In einer Zuſendung an die „Times“ meldet ein „Deutſcher:“ man habe im Namen vieler vom Fürſten Bismarck gefordert er ſolle eine Entſchädigung für die Verlängerung des franzöſiſchen Kriegs verlangen, welche durch die amerikaniſche Waffenausfuhr verurſacht worden ſei. Eine derartige Petition iſt aber nicht bekannt geworden. Frankreich. Paris, 6 Jan. * Das erſte Heft der „Revne des deux Mondes“ für 1872 (42. Jahrgang) enthält in der Ohronique de la Quinzaine einen Jahresrückblick des bekannten Publiciſten Hrn. de Mazade. Der Artikel iſt nicht eben bedeutend, doch verdient er, wegen des Anſehens das die genannte Zeitſchrift in allen Ländern genießt, einige Beachtung. Die Rückſchau beginnt mit einer Beleuchtung der verzweifelten Lage Frankreichs am 1 Januar 1871, trotz der großen Verſchiedenheit zwiſchen damals und heute bleibe die Lage in vielen Beziehungen noch dunkel und ſchwierig; man dürfe ſich nicht darüber täuſchen, jeden Augenblick noch könne Frankreich in die grauſame Wirklichkeit zurückfallen; noch gebe es viele Probleme zu löſen, viele Klippen zu vermeiden, viele Leidenſchaften zu unterwerfen, viele Wunden zu heilen. Das Schickſal habe Frankreich eine wahre moraliſche, politiſche und materielle Liqui- dation zu verfolgen hinterlaſſen, und gleichzeitig die vollſtändige endgültige Vefreiung des franzöſiſchen Bodens zu erreichen. Immerhin ſei es eine Beſſerung daß König Wilhelm nicht mehr Neujahrsempfang in Verſailles abhalte, daß Frankreich eine Nationalverſammlung und eine Regierung beſitze, daß es nicht mehr 300,000 Ge- fangene in Deutſchland habe. Das Land habe das Recht und die Möglichkeit wiedergefunden einen Augenblick aufzuathmen; mit Recht habe Hr. Thiers kürzlich in ſeiner Botſchaft geſagt: wenn man gerecht ſein wolle für das Beſtehende, wenn man den zurückgelegten Weg mit Billigkeit meſſen wolle, ſo müſſe man ſich zehn Monate zurückverſetzen, man müſſe ſich die zwei Data des letzten Decembers 1870 und des letzten Decembers 1871 vor Augen ſtellen. Trotzdem habe man noch das ſchwierigſte Werk vor ſich, die Befreiung des Gebiets zu vervollſtändigen, die Fi- nanzen ins Gleichgewicht mit den Verbindlichkeiten zu bringen, die öffentliche Or- gamſation wiederherzuſtellen. Wenn Frankreich ſich zu raſch der Illuſion und dem Vergeſſen ſeiner jüngſten Unglücksfälle hingegeben, ſo ſei Hr. v. Bismarck bemüht es von Zeit zu Zeit auf das Gefühl der Wirklichkeit zurückzuführen, es zu erinnern daß er noch 6 Departements beſetzt halte, daß Frankreich ihm noch viel Geld ſchulde, und daß noch nicht alles zwiſchen Frankreich und Deutſchland beendet ſei. Dieß iſt nach Hrn. de Mazade die Abſicht der Depeſche welche Bismarck neulich „in berechneter Brutalität“ verfaßt habe. „Hrn. v. Bismarck litt es ohne Zweifel nicht uns das neue Jahr antreten zu laſſen ohne uns das Zeugniß ſeiner übrigens wohl bekannten und uns durchaus nicht überraſchenden Gefühle zuzuſtellen; er ſandte uns ſeine Viſitenkarten...“ „Hr. v. Bismarck iſt ſtolz über ſeine Erfolge, er bildet ſich ein das Recht erobert zu haben alles zu ſagen, er mißbraucht natür- lich ſein Recht.“ ... „Der deutſche Kanzler benimmt ſich jetzt wie ein anderer Siegreicher, der zu ſeiner Zeit allein Bismarck, Molike und den König Wilhelm aufwog, und der Preußen mit einer wenig einſichtigen und wenig vortheilhaften Rauhigkeit behandelte.“ Natürlich iſt damit auf Napoleons und ſeine brutale Beleidigung der Königin Luiſe angeſpielt. Nach einer längeren Klage über den Uebermuth Deutſchlands ſchließt Mazade die auf das Verhältniß zu Deutſchland bezügliche Stelle mit den Worten: „Alle diejenigen welche ihr Land wirklich lieben, müſſen ſich ohne Aufhören erinnern daß es heut ein Intereſſe gibt dem alles unter- geordnet ſein muß, das Intereſſe der Befreiung des nationalen Boden, und daß, um zu dieſer Befreiung zu gelangen, das einzige Mittel iſt uns durch unſere innere Reconſtruction, durch die patriotiſche Beſchwichtigung unſerer Zwietracht, durch die Reorganiſation unſerer Finanzen uns zur Zahlung unſeres ſchmerzlichen Löſegeldes vorzubereiten. Die Depeſche des Hrn. v. Bismarck iſt gewiß beleidigend, wir ge- ſtehen das zu; ſie iſt ſo von Europa beurtheilt und, falls ſie nicht eine tiefe Berech- nung verbirgt, kann ſie nur gegen den Zweck den man ſich vorſetzt ausſchlagen. Sie würde keineswegs unnütz ſein, wenn man ſie alle Tage einmal leſen wollte, bevor man ſich der Wuth der Parteien und den leeren Discuſſionen überließe.“ Hr. Mazade erklärt es vor allem für nothwendig daß Frankreich Ruhe und Frieden habe, daß es ſich befeſtigen und ſeine Thatkraft wieder finden könne; er ermahnt ſodann zur Eintracht, gleichviel ob die Regierung eine definitive oder proviſoriſche, ob Republik oder Monarchte ſei. Allerdings kann er nicht verſchweigen „daß dem Gange der Geſchichte, durch den Fehler der Verhältniſſe vielleicht ebenſo wie durch den Fehler der Menſchen, eine gewiſſe einfache Anſicht der Dinge, eine gewiſſe Ent- ſchiedenheit, eine gewiſſe Größe mangelt. Das Land würde nichts lieber haben als ſich geleitet und fortgeriſſen zu ſehen, ſich wieder ans Werk zu machen, das Beiſpiel zu befolgen das es ſchon einmal 1815 gegeben, zu der Zeit als es Laſten zu tragen hatte die im Verhältniß ebenſo drückend waren als diejenigen welche es heute zu tragen hat. Das Land hat guten Willen. Man nehme das ſehr lehr- reiche Finanzexpoſé, welches der Verſammlung kürzlich vorgelegt wurde. Trotz aller Prüfungen des grauſamen Jahres 1871 ſind die Grundſteuern kaum um 3 bis 4 Millionen im Rückſtand. Die Erträgniſſe der indirecten Auflagen erreichen die Höhe der glücklichſten Jahre. Der allgemeine Handel iſt für die 10 erſten Monate höher als 5 Milliarden, d. h. um 100 Millionen höher als der von 1869. Was ließe ſich mit einem ſolchen Lande, das bereit iſt ſich wieder zu erheben, ſeine Thätig- keit wieder zu erlangen, nicht alles machen!“ Nachdem er wiederholt darauf hin- gewieſen daß nur die Wiederherſtellung der Handelsbilanz, die Entwicklung der Arbeit, die Erhöhung des Exports Frankreich die Mittel zu den neuen nothwen- digen 250 Millionen verſchaffen könne, beſpricht er die Lage Algeriens. Algerien trete heut in eine neue Phaſe, bisher ſei es die praktiſche Kriegsſchule Frankreichs geweſen, die jüngſten Ereigniſſe hätten dieſe Theorie zerſtört, jetzt gelte es alle Mittel aufzuſuchen um aus einer Colonie Nutzen zu ziehen deren Handel ſchon 200 Millionen überſteigt. „Wenn man uns Provinzen durch die Allmacht der Er-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1872/5>, abgerufen am 01.06.2024.