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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] sicits der Sparcasse zu Neumarkt; 4) Vorirag des Abgeordneten Dr. Kurz über
die Rechnungsnachweisungen: a) bezüglich des Etats des Staatsministeriums des
Aeußern, b) bezüglich des Etats des Staatsministeriums der Justiz; 5) Vortrag
des Abgeordneten Kühlmann über die Rechnungsnachweisungen des Eisenbahn-
baues für 1869.


Verschiedene Stimmen erzählen von dem Mißtrauen
gegen die Politik des Hrn. Thiers, welches sich allmählich unserer leitenden Kreise
bemächtige. Dasselbe scheint in der That zu bestehen, und ist, da der Mund des
Hrn. Thiers stets von Friedensversicherungen überfließt, auf Thatsachen zurückzu-
führen--nämlich auf die Schritte welche behufs der Reorganisation der französischen
Armee geschehen sind und geschehen sollen. Man theilt darüber mit daß die fran-
zösische Armee, die zur Zeit 120 Infanterieregimenter zählt, gegenwärtig so auf-
gestellt sei daß in und bei Paris sowie bei Lyon immerhin 400,000 Mann in einer
Zeit von 8 bis 14 Tagen concentrirt werden können. Auf der Linie von Lille bis
Paris stehen 16 Infanterieregimenter, in und bei Paris, also im Seine-Departe-
ment, garnisoniren 32 Infanterieregimenter (nicht wie die "N. A. Z." angegeben
52), 11 Jägerbataillone und 16 Cavallerieregimenter; auf der Linie von Paris bis
Lyon stehen 16 Infanterieregimenter, und in und bei Lyon stehen 8 Infanterieregimen-
ter, zusammen also 72 Infanterieregimenter nebst der entsprechenden Reiterei und
Artillerie, also weit mehr als die Hälfte der gesammten französischen Waffenmacht.
Dieselbe Quelle der wir diese Notizen entnehmen, will wissen daß von
Seiten der Bundesregierung die süddeutschen Regierungen, unter näher
detaillirter Darlegung der französischen Heeresregeneration und der französischen
Friedensdislocation, am Schlusse des vorigen Jahres ersucht worden seien
die Vollendung der Neuformation ihrer Contingente mit größter Emsigkeit
zu beschleunigen. Auf dieses Ersuchen seien völlig befriedigende Zusagen
eingegangen. Die württembergischen Cadres sind bereits sämmtlich in der
vertragsmäßig festgesetzten Zahl hergestellt, wenigstens in Bezug auf die Linien-
truppen; die Landwehrstämme fehlen allerdings noch, und für dieses Jahr ist, nach der
Ordre de bataille, der Befehl gegeben eventuell die ersten Jahrgänge der Landwehr
zur Vervollständigung der Linie und Besatzbataillone zu verwenden. -- Während
französische Blätter den Lieutenant Lukas vom 6. pommerischen Infanterie-Regi-
ment Nr. 49, welcher vor etwa zehn Tagen in der Umgegend von Dijon einen
Spazierritt machte und seitdem vermißt wird, desertirt sein lassen, ist eine
officielle Mittheilung an seine Angehörigen ergangen, der zufolge die Ver-
muthung nahe liegt daß er französischer Bosheit zum Opfer gefallen ist. --
Was die eingetretene Trennung der Ressorts des Marine-und des Kriegsministeriums
betrifft, so wird Hr. v. Stosch das erstere als Chef der Admiralität verwalten, nicht als
Reichsminister, weil nach der bisherigen Organisation der Reichsregierung es keine
Reichsminister gibt. Auch der Präsident des Reichskanzleramtes ist kein Reichs-
minister, sondern führt nur den Titel Staatsminister. Diesen Titel wird auch
Hr. v. Stosch führen. -- Die Mittheilungen der "Provincial-Correspondenz,"
betreffend die Verwaltungsorganisation in Elsaß-Lothringen, veranlassen die
"Schlesische Zeitung" darauf hinzuweisen daß dabei, abweichend von den
frühern Absichten, derjenige Gesichtspunkt die Entscheidung gegeben hat, welcher
den Schwerpunkt der Verwaltung in das Land selbst verlegt, während man früher
geneigt war die Leitung des Reichslandes allein vom Bundeskanzleramt ausgehen
zu lassen. Bei der schließlich getroffenen Einrichtung eines Oberpräsidiums ist
man davon abgegangen daß der Oberpräsident unter dem Reichskanzler amte
zu stehen habe. Man hat sich vielmehr dahin geeinigt daß der Oberpräsident unmit-
telbar mit dem Reichskanzler verkehren solle. Man hat jedoch vermieden das Verhält-
niß zwischen dem Oberpräsidenten und der Reichsregierung schon jetzt genau zupräci-
siren, weil man sich von der Erfahrung darüber belehren lassen will in welcher Weise die
Lücken des bestehenden Verhältnisses auszufüllen seien. -- Der dänische Staats-
minister Graf Frijs v. Frijsenburg ist am Freitag Abends aus Kopenhagen hier
eingetroffen, und hat im Hotel Royal Wohnung genommen. -- Gleichzeitig ist der
französische Botschaftssecretär Graf Kergorlay hier angekommen.


Der gestern hier eingetroffene neue französische Bot-
schafter am hiesigen Hofe, Hr. v. Gontaut-Viron, hat einstweilen in einem Gast-
hofe Wohnung genommen, da das französische Gesandtschaftshotel noch von der
Familie des Marquis de Gabriac besetzt ist. Seine Antrittsaudienz bei dem so
eben aus Königs-Wusterhausen heimgekehrten Kaiser wird Hr. v. Gontaut-Biron
wohl erst am Montag haben, weil morgen katholischer Feiertag (heil. drei Könige)
ist. Marquis v. Gabriac, der bisherige französische Geschäftsträger hierselbst,
kehrt mit seiner Familie nach Paris zurück, dort einer andern Bestimmung harrend.
Er hinterläßt hier in den Regierungs- wie in den diplomatischen Kreisen nur an-
genehme Erinnerungen, und sein Abgang von Berlin wird aufrichtig bedauert,
so sehr hat derselbe in der kurzen Zeit seiner amtlichen Thätigkeit hierselbst durch
feinen Tact und durch ein äußerst liebenswürdiges Wesen sich die Herzen aller
derer zu gewinnen verstanden die zu ihm amtliche oder gesellschaftliche Beziehungen
unterhalten haben. Der neue Repräsentant Frankreichs wird übrigens hier ein
nicht minder freundliches Entgegenkommen sinden als es der scheidende Marquis
v. Gabriac gefunden hat. Namentlich darf dieß von unsern amtlichen Kreisen
vorausgesetzt werden, die wirtlich von dem lebhaftesten Wunsch erfüllt sind daß
es der gegenwärtigen Regierung in Frankreich gelingen möge immer fester Fuß zu
fassen. Ganz frei von Besorgnissen fühlt man sich hier freilich in dieser Beziehung
nicht, und die "Krzztg." gibt dieser Besorgniß heute sogar mit einem sehr schwarz
gefärbten Bericht über die Stimmung in Paris Nahrung. Ihr Gewährsmann,
ein Anglo-Amerikaner, sieht die Lage der Dinge in Frankreich so schlimm an, daß
er dem heutigen Zustande nur noch die Dauer von einem Monat prophezeit. Solche
pessimistische Anschauungen verrathen jedoch ohne Zweifel eine starke Befangenheit.
-- Mit dem Kaiser sind heute auch seine Gäste, der Großherzog von Sachsen-
Weimar und der Herzog von Coburg-Gotha, von Königs-Wusterhausen hieher
zurückgekehrt, der gleichfalls zur Jagd eingeladene Herzog von Braunschweig hatte
sich entschuldigen lassen. -- An Stelle des in das Activitätsverhältniß zurückgetre-
tenen Vice-Admirials Jachmann ist der neue Chef der Marineverwaltung, Staats-
minister General v. Stosch, zum Mitgliede des Bundesraths ernannt.


Gestern Abend bereits fand zwischen dem neuen
französischen Botschafter am hiesigen Hofe, Marquis v. Gontaut-Biron, und dem
Reichskanzler Fürsten Bismarck die erste Unterredung statt. Sie war von sehr
langer Dauer, und soll sich auf beiden Seiten in durchaus zwangloser Form bewegt
haben. Ob auch mit der wünschenswerthen Offenheit ist freilich eine andere Frage;
denn bei allem sichtbaren Wohlwollen mit welchemdie französische Regierung von hier
aus behandelt wird, fühlt man sich doch noch immer nicht ganz frei von einem gewissen
[Spaltenumbruch] Mißtrauen gegen die Loyalität derselben. Symptome davon liefern zur Genüge
die unwirschen Bemerkungen unserer inspirirten Presse über die Hast und den Eifer
womit in Frankreich gegenwärtig die Reorganisation der Armee in einer die finan-
ziellen Kräfte des Landes erschütternden Weise betrieben wird. Trotz alledem
wird sich zweifellos der Verkehr zwischen unserm auswärtigen Amt und dem neuen
französischen Botschafter freundlicher gestalten als er es nach dem Tage von König-
grätz zwischen dem Vorgänger des letzteren und dem Leiter der preußischen Politik
war. -- Die Abgeordneten haben sich zum großen Theil wieder hier eingefunden,
und entwickeln in den Commissionen, Fractionen und Delegationen eine rege Thä-
tigkeit. Von einer der letzteren, welche alle Parteien vertrat, ist der Beschluß ge-
faßt worden: den Entwurf der Kreisordnung einer commissarischen Vorprüfung zu
überweisen, da man allseitig die Ueberzeugung gewonnen hat daß die auf diesem
Gebiete erstrebte Reform nur durch zahlreiche Compromisse mit der Regierung zu
erreichen sei. Die Hoffnungen auf das Zustandekommen dieses Reformwerkes sind
übrigens im allgemeinen nur gering, weil man sich der Besorgniß nicht erwehren
kann daß ein zwischen dem Abgeordnetenhaus und der Regierung glücklich erzieltes
Compromiß schließlich doch an dem Widerstande des Herrenhauses scheitern werde.
Noch stärker, und gewiß nicht mit Unrecht, regen sich solche Besorgnisse hinsichtlich
der Vorlagen des Cultusministeriums, gegen welche aus den Kreisen des Herren-
hauses heraus auch bereits sehr mißliebige Aeußerungen laut geworden sind.


Die "Allg. Zeitung" brachte in ihrer vom 23 Dec. da-
tirten Nummer eine Correspondenz aus St. Petersburg nach welcher seitens der
kaiserl. russischen Behörden der "Deutsche Reichs-Anzeiger" in Rußland verboten,
der "Königlich Preußische Staats-Anzeiger" daselbst jedoch erlaubt sein sollte. Es
mußte allerdings befremden daß das dortige Preßbureau von der Identität dieser
beiden seit dem 4 Mai 1871 ein Organ umfassenden Titel nicht unterrichtet ge-
wesen, und es konnte ein derartiger Irrthum kaum anders erklärt werden als daß eine
Verwechselung des amtlichen Organs der Deutschen Neichsregierung mit Blättern
fast gleichlautenden Titels vorliege. Eine solche können wir nunmehr auch consta-
tiren, da, nach dem dem kaiserl. Deutschen Post-Zeitungsamt in Berlin vorliegenden
"amtlichen Verzeichnisse der Zeitungen und Zeitschriften welche im Jahr 1872 durch
die russischen Postanstalten debitirt werden dürfen," der "Deutsche Reichs-Anzeiger
und Königlich Preußische Staats-Anzeiger" mit seinem richtigen Titel verzeichnet
steht, derselbe auch seit 1 Januar d. J. abonnementsmäßig nach St. Petersburg,
Moskau, Riga u. s. w. von den russischen Postbehörden befördert worden ist.

Oesterreichisch-ungarische Monarchie.

Die Agitation und Opposition der Tschechen
ist auf einer so unnatürlichen Höhe angelangt, daß ein Umschlag über kurz oder lang
vorauszusehen ist, denn jede derartige Maßlosigkeit hat schließlich jedesmal und
überall das Gegentheil von dem bewirkt was die Veranstalter beabsichtigten.
In dieser Beziehung bemerkt das gestrige Prager "Abendblatt": "Trotz der Inten-
sität der tschechischen Bewegung findet der Beobachter daß sie einen künstlichen
Charakter trage. Der heftige Ton der Journale, die gewaltsame Niederhaltung
jeder selbständigen Volksregung, das System des Proscribirens wühlen fortwährend
die Volksleidenschaften auf und zeigen, daß die Bewegung nicht aus dem Volke
wuchs, vielmehr eine Art Treibhausgewächs ist, das fortwährend durch künstliches
Feuer erhalten werden muß. Die Nation, die seit Jahrhunderten mit einem be-
stimmten festgegliederten Staatsorganismus verwuchs wird, sobald der künstliche
Impuls von außen aufhört oder die Empfänglichkeit für äußere Reizmittel
geschwächt ist, bald ihr früheres Wesen wieder gewinnen. Wenn die ver-
fassungsmäßigen Zustände gefestigt sind, wird es sich zeigen wie Vöhmen
unter dem Banner der Verfassung Raum zur vollsten Entwicklung hat."
--
In Ungarn hat das resultatlose Abbrechen der croatischen Ausgleichsverhand-
lungen in Wien üblen Eindruck gemacht. Man ist eben der croatischen Wirren
müde, und möchte gern Frieden haben mit der Nachbarland-Nation. Die croa-
tische Opposition nährt zweifellos die einheimischen nationalen Agitationen, und
wirkt ermuthigend insbesondere auf die Serben. Die Deak-Conferenz wird diesen
Gegenstand wieder aufnehmen, und es versuchen mit den Croaten ein Ueberein-
kommen zu treffen. Schon in nächster Woche soll hierüber berathen werden.


Jnnerhalb der Mehrheit vollzieht sich allmählich eine
Scheidung, die dem Abgeordnetenhaus eine wesentlich veränderte Physiognomie
zu geben geeignet ist. Das Deutsch-Oesterreicherthum diejenige Richtung welche
wohl das deutsch-nationale Element, aber auch den von ihm getragenen österrei-
chischen Staatsgedanken betont haben will, rafft sich zu immer stärkerer Geltung
auf, um einerseits gegen die erbgesessene Jmpotenz derjenigen Partei welche bis-
her mit dem Buchstaben der Verfassung die Verfassung zu Tode geritten, und
andrerseits gegen die Politik der Verzweiflung Front zu machen welche das deutsche
Oesterreich in den Verband des Deutschen Reiches hinüberführen möchte. Noch ist
die hieraus entstehende Parteibildung nicht zu einem festen Abschluß gelangt, noch
steht eine Reihe von Abgeordneten mit dem einen Fuß in diesen, mit dem andern
in jenen Tendenzen, noch ist eine weitere Zahl sich nicht ganz klar geworden über
die Strebungen und Ziele hüben und drüben; aber der Gährungsproceß ist in
vollem Gang, und die Adreßdebatte wird ihn nur noch beschleunigen, und unter
allen Umständen jeden Einzelnen zwingen fortan mit offenem Visir zu kämpfen.
Am Donnerstag übrigens dürfte, so viel sich heute übersehen läßt, die Adreßdebatte
beginnen, und schon morgen der Adreßentwurf zur Oeffentlichkeit gelangen
den Herbst im elegantesten Deutsch geschrieben, weil er -- bemerkt ein boshaftes
Vlatt -- des Servilismus geziehen zu werden besorgte wenn er den Styl der
von Hrn. Unger ganz allein redigirten Thronrede sich zum Muster genommen
hätte. -- Warrens wird heute Nachmittags zur Erde bestattet. Die Publicistik
und die Börse werden ein starkes Contingent in die evangelische Kirche absenden,
wo die Leiche eingesegnet wird.


In Blättern sind mannichfache Bedenken gegen
eine Novelle zum Nothwahlgesetz oder einen Gesetzentwurf wider den Mißbrauch
des Abgeordnetenmandats angeregt worden, den die Regierung dem Reichsrathe
vorzulegen gedenke. Insbesondere ist geltend gemacht worden daß man damit
eine zweischneidende Waffe schaffe, die von einem Ministerium welches von ande-
ren Absichten geleitet wird als die Verfassung zu erhalten und zu befestigen, auch
gegen die Verfassungspartej angewendet werden könnte. Unbegründet sind diese
Bedenken keineswegs, und sicher ist man in Regierungskreisen nicht der Meinung

[Spaltenumbruch] ſicits der Sparcaſſe zu Neumarkt; 4) Vorirag des Abgeordneten Dr. Kurz über
die Rechnungsnachweiſungen: a) bezüglich des Etats des Staatsminiſteriums des
Aeußern, b) bezüglich des Etats des Staatsminiſteriums der Juſtiz; 5) Vortrag
des Abgeordneten Kühlmann über die Rechnungsnachweiſungen des Eiſenbahn-
baues für 1869.


Verſchiedene Stimmen erzählen von dem Mißtrauen
gegen die Politik des Hrn. Thiers, welches ſich allmählich unſerer leitenden Kreiſe
bemächtige. Dasſelbe ſcheint in der That zu beſtehen, und iſt, da der Mund des
Hrn. Thiers ſtets von Friedensverſicherungen überfließt, auf Thatſachen zurückzu-
führen—nämlich auf die Schritte welche behufs der Reorganiſation der franzöſiſchen
Armee geſchehen ſind und geſchehen ſollen. Man theilt darüber mit daß die fran-
zöſiſche Armee, die zur Zeit 120 Infanterieregimenter zählt, gegenwärtig ſo auf-
geſtellt ſei daß in und bei Paris ſowie bei Lyon immerhin 400,000 Mann in einer
Zeit von 8 bis 14 Tagen concentrirt werden können. Auf der Linie von Lille bis
Paris ſtehen 16 Infanterieregimenter, in und bei Paris, alſo im Seine-Departe-
ment, garniſoniren 32 Infanterieregimenter (nicht wie die „N. A. Z.“ angegeben
52), 11 Jägerbataillone und 16 Cavallerieregimenter; auf der Linie von Paris bis
Lyon ſtehen 16 Infanterieregimenter, und in und bei Lyon ſtehen 8 Infanterieregimen-
ter, zuſammen alſo 72 Infanterieregimenter nebſt der entſprechenden Reiterei und
Artillerie, alſo weit mehr als die Hälfte der geſammten franzöſiſchen Waffenmacht.
Dieſelbe Quelle der wir dieſe Notizen entnehmen, will wiſſen daß von
Seiten der Bundesregierung die ſüddeutſchen Regierungen, unter näher
detaillirter Darlegung der franzöſiſchen Heeresregeneration und der franzöſiſchen
Friedensdislocation, am Schluſſe des vorigen Jahres erſucht worden ſeien
die Vollendung der Neuformation ihrer Contingente mit größter Emſigkeit
zu beſchleunigen. Auf dieſes Erſuchen ſeien völlig befriedigende Zuſagen
eingegangen. Die württembergiſchen Cadres ſind bereits ſämmtlich in der
vertragsmäßig feſtgeſetzten Zahl hergeſtellt, wenigſtens in Bezug auf die Linien-
truppen; die Landwehrſtämme fehlen allerdings noch, und für dieſes Jahr iſt, nach der
Ordre de bataille, der Befehl gegeben eventuell die erſten Jahrgänge der Landwehr
zur Vervollſtändigung der Linie und Beſatzbataillone zu verwenden. — Während
franzöſiſche Blätter den Lieutenant Lukas vom 6. pommeriſchen Infanterie-Regi-
ment Nr. 49, welcher vor etwa zehn Tagen in der Umgegend von Dijon einen
Spazierritt machte und ſeitdem vermißt wird, deſertirt ſein laſſen, iſt eine
officielle Mittheilung an ſeine Angehörigen ergangen, der zufolge die Ver-
muthung nahe liegt daß er franzöſiſcher Bosheit zum Opfer gefallen iſt. —
Was die eingetretene Trennung der Reſſorts des Marine-und des Kriegsminiſteriums
betrifft, ſo wird Hr. v. Stoſch das erſtere als Chef der Admiralität verwalten, nicht als
Reichsminiſter, weil nach der bisherigen Organiſation der Reichsregierung es keine
Reichsminiſter gibt. Auch der Präſident des Reichskanzleramtes iſt kein Reichs-
miniſter, ſondern führt nur den Titel Staatsminiſter. Dieſen Titel wird auch
Hr. v. Stoſch führen. — Die Mittheilungen der „Provincial-Correſpondenz,“
betreffend die Verwaltungsorganiſation in Elſaß-Lothringen, veranlaſſen die
„Schleſiſche Zeitung“ darauf hinzuweiſen daß dabei, abweichend von den
frühern Abſichten, derjenige Geſichtspunkt die Entſcheidung gegeben hat, welcher
den Schwerpunkt der Verwaltung in das Land ſelbſt verlegt, während man früher
geneigt war die Leitung des Reichslandes allein vom Bundeskanzleramt ausgehen
zu laſſen. Bei der ſchließlich getroffenen Einrichtung eines Oberpräſidiums iſt
man davon abgegangen daß der Oberpräſident unter dem Reichskanzler amte
zu ſtehen habe. Man hat ſich vielmehr dahin geeinigt daß der Oberpräſident unmit-
telbar mit dem Reichskanzler verkehren ſolle. Man hat jedoch vermieden das Verhält-
niß zwiſchen dem Oberpräſidenten und der Reichsregierung ſchon jetzt genau zupräci-
ſiren, weil man ſich von der Erfahrung darüber belehren laſſen will in welcher Weiſe die
Lücken des beſtehenden Verhältniſſes auszufüllen ſeien. — Der däniſche Staats-
miniſter Graf Frijs v. Frijſenburg iſt am Freitag Abends aus Kopenhagen hier
eingetroffen, und hat im Hôtel Royal Wohnung genommen. — Gleichzeitig iſt der
franzöſiſche Botſchaftsſecretär Graf Kergorlay hier angekommen.


Der geſtern hier eingetroffene neue franzöſiſche Bot-
ſchafter am hieſigen Hofe, Hr. v. Gontaut-Viron, hat einſtweilen in einem Gaſt-
hofe Wohnung genommen, da das franzöſiſche Geſandtſchaftshôtel noch von der
Familie des Marquis de Gabriac beſetzt iſt. Seine Antrittsaudienz bei dem ſo
eben aus Königs-Wuſterhauſen heimgekehrten Kaiſer wird Hr. v. Gontaut-Biron
wohl erſt am Montag haben, weil morgen katholiſcher Feiertag (heil. drei Könige)
iſt. Marquis v. Gabriac, der bisherige franzöſiſche Geſchäftsträger hierſelbſt,
kehrt mit ſeiner Familie nach Paris zurück, dort einer andern Beſtimmung harrend.
Er hinterläßt hier in den Regierungs- wie in den diplomatiſchen Kreiſen nur an-
genehme Erinnerungen, und ſein Abgang von Berlin wird aufrichtig bedauert,
ſo ſehr hat derſelbe in der kurzen Zeit ſeiner amtlichen Thätigkeit hierſelbſt durch
feinen Tact und durch ein äußerſt liebenswürdiges Weſen ſich die Herzen aller
derer zu gewinnen verſtanden die zu ihm amtliche oder geſellſchaftliche Beziehungen
unterhalten haben. Der neue Repräſentant Frankreichs wird übrigens hier ein
nicht minder freundliches Entgegenkommen ſinden als es der ſcheidende Marquis
v. Gabriac gefunden hat. Namentlich darf dieß von unſern amtlichen Kreiſen
vorausgeſetzt werden, die wirtlich von dem lebhafteſten Wunſch erfüllt ſind daß
es der gegenwärtigen Regierung in Frankreich gelingen möge immer feſter Fuß zu
faſſen. Ganz frei von Beſorgniſſen fühlt man ſich hier freilich in dieſer Beziehung
nicht, und die „Krzztg.“ gibt dieſer Beſorgniß heute ſogar mit einem ſehr ſchwarz
gefärbten Bericht über die Stimmung in Paris Nahrung. Ihr Gewährsmann,
ein Anglo-Amerikaner, ſieht die Lage der Dinge in Frankreich ſo ſchlimm an, daß
er dem heutigen Zuſtande nur noch die Dauer von einem Monat prophezeit. Solche
peſſimiſtiſche Anſchauungen verrathen jedoch ohne Zweifel eine ſtarke Befangenheit.
— Mit dem Kaiſer ſind heute auch ſeine Gäſte, der Großherzog von Sachſen-
Weimar und der Herzog von Coburg-Gotha, von Königs-Wuſterhauſen hieher
zurückgekehrt, der gleichfalls zur Jagd eingeladene Herzog von Braunſchweig hatte
ſich entſchuldigen laſſen. — An Stelle des in das Activitätsverhältniß zurückgetre-
tenen Vice-Admirials Jachmann iſt der neue Chef der Marineverwaltung, Staats-
miniſter General v. Stoſch, zum Mitgliede des Bundesraths ernannt.


Geſtern Abend bereits fand zwiſchen dem neuen
franzöſiſchen Botſchafter am hieſigen Hofe, Marquis v. Gontaut-Biron, und dem
Reichskanzler Fürſten Bismarck die erſte Unterredung ſtatt. Sie war von ſehr
langer Dauer, und ſoll ſich auf beiden Seiten in durchaus zwangloſer Form bewegt
haben. Ob auch mit der wünſchenswerthen Offenheit iſt freilich eine andere Frage;
denn bei allem ſichtbaren Wohlwollen mit welchemdie franzöſiſche Regierung von hier
aus behandelt wird, fühlt man ſich doch noch immer nicht ganz frei von einem gewiſſen
[Spaltenumbruch] Mißtrauen gegen die Loyalität derſelben. Symptome davon liefern zur Genüge
die unwirſchen Bemerkungen unſerer inſpirirten Preſſe über die Haſt und den Eifer
womit in Frankreich gegenwärtig die Reorganiſation der Armee in einer die finan-
ziellen Kräfte des Landes erſchütternden Weiſe betrieben wird. Trotz alledem
wird ſich zweifellos der Verkehr zwiſchen unſerm auswärtigen Amt und dem neuen
franzöſiſchen Botſchafter freundlicher geſtalten als er es nach dem Tage von König-
grätz zwiſchen dem Vorgänger des letzteren und dem Leiter der preußiſchen Politik
war. — Die Abgeordneten haben ſich zum großen Theil wieder hier eingefunden,
und entwickeln in den Commiſſionen, Fractionen und Delegationen eine rege Thä-
tigkeit. Von einer der letzteren, welche alle Parteien vertrat, iſt der Beſchluß ge-
faßt worden: den Entwurf der Kreisordnung einer commiſſariſchen Vorprüfung zu
überweiſen, da man allſeitig die Ueberzeugung gewonnen hat daß die auf dieſem
Gebiete erſtrebte Reform nur durch zahlreiche Compromiſſe mit der Regierung zu
erreichen ſei. Die Hoffnungen auf das Zuſtandekommen dieſes Reformwerkes ſind
übrigens im allgemeinen nur gering, weil man ſich der Beſorgniß nicht erwehren
kann daß ein zwiſchen dem Abgeordnetenhaus und der Regierung glücklich erzieltes
Compromiß ſchließlich doch an dem Widerſtande des Herrenhauſes ſcheitern werde.
Noch ſtärker, und gewiß nicht mit Unrecht, regen ſich ſolche Beſorgniſſe hinſichtlich
der Vorlagen des Cultusminiſteriums, gegen welche aus den Kreiſen des Herren-
hauſes heraus auch bereits ſehr mißliebige Aeußerungen laut geworden ſind.


Die „Allg. Zeitung“ brachte in ihrer vom 23 Dec. da-
tirten Nummer eine Correſpondenz aus St. Petersburg nach welcher ſeitens der
kaiſerl. ruſſiſchen Behörden der „Deutſche Reichs-Anzeiger“ in Rußland verboten,
der „Königlich Preußiſche Staats-Anzeiger“ daſelbſt jedoch erlaubt ſein ſollte. Es
mußte allerdings befremden daß das dortige Preßbureau von der Identität dieſer
beiden ſeit dem 4 Mai 1871 ein Organ umfaſſenden Titel nicht unterrichtet ge-
weſen, und es konnte ein derartiger Irrthum kaum anders erklärt werden als daß eine
Verwechſelung des amtlichen Organs der Deutſchen Neichsregierung mit Blättern
faſt gleichlautenden Titels vorliege. Eine ſolche können wir nunmehr auch conſta-
tiren, da, nach dem dem kaiſerl. Deutſchen Poſt-Zeitungsamt in Berlin vorliegenden
„amtlichen Verzeichniſſe der Zeitungen und Zeitſchriften welche im Jahr 1872 durch
die ruſſiſchen Poſtanſtalten debitirt werden dürfen,“ der „Deutſche Reichs-Anzeiger
und Königlich Preußiſche Staats-Anzeiger“ mit ſeinem richtigen Titel verzeichnet
ſteht, derſelbe auch ſeit 1 Januar d. J. abonnementsmäßig nach St. Petersburg,
Moskau, Riga u. ſ. w. von den ruſſiſchen Poſtbehörden befördert worden iſt.

Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie.

Die Agitation und Oppoſition der Tſchechen
iſt auf einer ſo unnatürlichen Höhe angelangt, daß ein Umſchlag über kurz oder lang
vorauszuſehen iſt, denn jede derartige Maßloſigkeit hat ſchließlich jedesmal und
überall das Gegentheil von dem bewirkt was die Veranſtalter beabſichtigten.
In dieſer Beziehung bemerkt das geſtrige Prager „Abendblatt“: „Trotz der Inten-
ſität der tſchechiſchen Bewegung findet der Beobachter daß ſie einen künſtlichen
Charakter trage. Der heftige Ton der Journale, die gewaltſame Niederhaltung
jeder ſelbſtändigen Volksregung, das Syſtem des Proſcribirens wühlen fortwährend
die Volksleidenſchaften auf und zeigen, daß die Bewegung nicht aus dem Volke
wuchs, vielmehr eine Art Treibhausgewächs iſt, das fortwährend durch künſtliches
Feuer erhalten werden muß. Die Nation, die ſeit Jahrhunderten mit einem be-
ſtimmten feſtgegliederten Staatsorganismus verwuchs wird, ſobald der künſtliche
Impuls von außen aufhört oder die Empfänglichkeit für äußere Reizmittel
geſchwächt iſt, bald ihr früheres Weſen wieder gewinnen. Wenn die ver-
faſſungsmäßigen Zuſtände gefeſtigt ſind, wird es ſich zeigen wie Vöhmen
unter dem Banner der Verfaſſung Raum zur vollſten Entwicklung hat.“

In Ungarn hat das reſultatloſe Abbrechen der croatiſchen Ausgleichsverhand-
lungen in Wien üblen Eindruck gemacht. Man iſt eben der croatiſchen Wirren
müde, und möchte gern Frieden haben mit der Nachbarland-Nation. Die croa-
tiſche Oppoſition nährt zweifellos die einheimiſchen nationalen Agitationen, und
wirkt ermuthigend insbeſondere auf die Serben. Die Deak-Conferenz wird dieſen
Gegenſtand wieder aufnehmen, und es verſuchen mit den Croaten ein Ueberein-
kommen zu treffen. Schon in nächſter Woche ſoll hierüber berathen werden.


Jnnerhalb der Mehrheit vollzieht ſich allmählich eine
Scheidung, die dem Abgeordnetenhaus eine weſentlich veränderte Phyſiognomie
zu geben geeignet iſt. Das Deutſch-Oeſterreicherthum diejenige Richtung welche
wohl das deutſch-nationale Element, aber auch den von ihm getragenen öſterrei-
chiſchen Staatsgedanken betont haben will, rafft ſich zu immer ſtärkerer Geltung
auf, um einerſeits gegen die erbgeſeſſene Jmpotenz derjenigen Partei welche bis-
her mit dem Buchſtaben der Verfaſſung die Verfaſſung zu Tode geritten, und
andrerſeits gegen die Politik der Verzweiflung Front zu machen welche das deutſche
Oeſterreich in den Verband des Deutſchen Reiches hinüberführen möchte. Noch iſt
die hieraus entſtehende Parteibildung nicht zu einem feſten Abſchluß gelangt, noch
ſteht eine Reihe von Abgeordneten mit dem einen Fuß in dieſen, mit dem andern
in jenen Tendenzen, noch iſt eine weitere Zahl ſich nicht ganz klar geworden über
die Strebungen und Ziele hüben und drüben; aber der Gährungsproceß iſt in
vollem Gang, und die Adreßdebatte wird ihn nur noch beſchleunigen, und unter
allen Umſtänden jeden Einzelnen zwingen fortan mit offenem Viſir zu kämpfen.
Am Donnerſtag übrigens dürfte, ſo viel ſich heute überſehen läßt, die Adreßdebatte
beginnen, und ſchon morgen der Adreßentwurf zur Oeffentlichkeit gelangen
den Herbſt im eleganteſten Deutſch geſchrieben, weil er — bemerkt ein boshaftes
Vlatt — des Servilismus geziehen zu werden beſorgte wenn er den Styl der
von Hrn. Unger ganz allein redigirten Thronrede ſich zum Muſter genommen
hätte. — Warrens wird heute Nachmittags zur Erde beſtattet. Die Publiciſtik
und die Börſe werden ein ſtarkes Contingent in die evangeliſche Kirche abſenden,
wo die Leiche eingeſegnet wird.


In Blättern ſind mannichfache Bedenken gegen
eine Novelle zum Nothwahlgeſetz oder einen Geſetzentwurf wider den Mißbrauch
des Abgeordnetenmandats angeregt worden, den die Regierung dem Reichsrathe
vorzulegen gedenke. Insbeſondere iſt geltend gemacht worden daß man damit
eine zweiſchneidende Waffe ſchaffe, die von einem Miniſterium welches von ande-
ren Abſichten geleitet wird als die Verfaſſung zu erhalten und zu befeſtigen, auch
gegen die Verfaſſungspartej angewendet werden könnte. Unbegründet ſind dieſe
Bedenken keineswegs, und ſicher iſt man in Regierungskreiſen nicht der Meinung

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ge&#x017F;tellt &#x017F;ei daß in und bei Paris &#x017F;owie bei Lyon immerhin 400,000 Mann in einer<lb/>
Zeit von 8 bis 14 Tagen concentrirt werden können. Auf der Linie von Lille bis<lb/>
Paris &#x017F;tehen 16 Infanterieregimenter, in und bei Paris, al&#x017F;o im Seine-Departe-<lb/>
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52), 11 Jägerbataillone und 16 Cavallerieregimenter; auf der Linie von Paris bis<lb/>
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Artillerie, al&#x017F;o weit mehr als die Hälfte der ge&#x017F;ammten franzö&#x017F;i&#x017F;chen Waffenmacht.<lb/>
Die&#x017F;elbe Quelle der wir die&#x017F;e Notizen entnehmen, will wi&#x017F;&#x017F;en daß von<lb/>
Seiten der Bundesregierung die &#x017F;üddeut&#x017F;chen Regierungen, unter näher<lb/>
detaillirter Darlegung der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Heeresregeneration und der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Friedensdislocation, am Schlu&#x017F;&#x017F;e des vorigen Jahres er&#x017F;ucht worden &#x017F;eien<lb/>
die Vollendung der Neuformation ihrer Contingente mit größter Em&#x017F;igkeit<lb/>
zu be&#x017F;chleunigen. Auf die&#x017F;es Er&#x017F;uchen &#x017F;eien völlig befriedigende Zu&#x017F;agen<lb/>
eingegangen. Die württembergi&#x017F;chen Cadres &#x017F;ind bereits &#x017F;ämmtlich in der<lb/>
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truppen; die Landwehr&#x017F;tämme fehlen allerdings noch, und für die&#x017F;es Jahr i&#x017F;t, nach der<lb/><hi rendition="#aq">Ordre de bataille,</hi> der Befehl gegeben eventuell die er&#x017F;ten Jahrgänge der Landwehr<lb/>
zur Vervoll&#x017F;tändigung der Linie und Be&#x017F;atzbataillone zu verwenden. &#x2014; Während<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Blätter den Lieutenant Lukas vom 6. pommeri&#x017F;chen Infanterie-Regi-<lb/>
ment Nr. 49, welcher vor etwa zehn Tagen in der Umgegend von Dijon einen<lb/>
Spazierritt machte und &#x017F;eitdem vermißt wird, de&#x017F;ertirt &#x017F;ein la&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t eine<lb/>
officielle Mittheilung an &#x017F;eine Angehörigen ergangen, der zufolge die Ver-<lb/>
muthung nahe liegt daß er franzö&#x017F;i&#x017F;cher Bosheit zum Opfer gefallen i&#x017F;t. &#x2014;<lb/>
Was die eingetretene Trennung der Re&#x017F;&#x017F;orts des Marine-und des Kriegsmini&#x017F;teriums<lb/>
betrifft, &#x017F;o wird Hr. v. Sto&#x017F;ch das er&#x017F;tere als Chef der Admiralität verwalten, nicht als<lb/>
Reichsmini&#x017F;ter, weil nach der bisherigen Organi&#x017F;ation der Reichsregierung es keine<lb/>
Reichsmini&#x017F;ter gibt. Auch der Prä&#x017F;ident des Reichskanzleramtes i&#x017F;t kein Reichs-<lb/>
mini&#x017F;ter, &#x017F;ondern führt nur den Titel Staatsmini&#x017F;ter. Die&#x017F;en Titel wird auch<lb/>
Hr. v. Sto&#x017F;ch führen. &#x2014; Die Mittheilungen der &#x201E;Provincial-Corre&#x017F;pondenz,&#x201C;<lb/>
betreffend die Verwaltungsorgani&#x017F;ation in El&#x017F;aß-Lothringen, veranla&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
&#x201E;Schle&#x017F;i&#x017F;che Zeitung&#x201C; darauf hinzuwei&#x017F;en daß dabei, abweichend von den<lb/>
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den Schwerpunkt der Verwaltung in das Land &#x017F;elb&#x017F;t verlegt, während man früher<lb/>
geneigt war die Leitung des Reichslandes allein vom Bundeskanzleramt ausgehen<lb/>
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man davon abgegangen daß der Oberprä&#x017F;ident unter dem Reichskanzler <hi rendition="#g">amte</hi><lb/>
zu &#x017F;tehen habe. Man hat &#x017F;ich vielmehr dahin geeinigt daß der Oberprä&#x017F;ident unmit-<lb/>
telbar mit dem Reichskanzler verkehren &#x017F;olle. Man hat jedoch vermieden das Verhält-<lb/>
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&#x017F;iren, weil man &#x017F;ich von der Erfahrung darüber belehren la&#x017F;&#x017F;en will in welcher Wei&#x017F;e die<lb/>
Lücken des be&#x017F;tehenden Verhältni&#x017F;&#x017F;es auszufüllen &#x017F;eien. &#x2014; Der däni&#x017F;che Staats-<lb/>
mini&#x017F;ter Graf Frijs v. Frij&#x017F;enburg i&#x017F;t am Freitag Abends aus Kopenhagen hier<lb/>
eingetroffen, und hat im Hôtel Royal Wohnung genommen. &#x2014; Gleichzeitig i&#x017F;t der<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Bot&#x017F;chafts&#x017F;ecretär Graf Kergorlay hier angekommen.</p>
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&#x017F;chafter am hie&#x017F;igen Hofe, Hr. v. Gontaut-Viron, hat ein&#x017F;tweilen in einem Ga&#x017F;t-<lb/>
hofe Wohnung genommen, da das franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;andt&#x017F;chaftshôtel noch von der<lb/>
Familie des Marquis de Gabriac be&#x017F;etzt i&#x017F;t. Seine Antrittsaudienz bei dem &#x017F;o<lb/>
eben aus Königs-Wu&#x017F;terhau&#x017F;en heimgekehrten Kai&#x017F;er wird Hr. v. Gontaut-Biron<lb/>
wohl er&#x017F;t am Montag haben, weil morgen katholi&#x017F;cher Feiertag (heil. drei Könige)<lb/>
i&#x017F;t. Marquis v. Gabriac, der bisherige franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;chäftsträger hier&#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
kehrt mit &#x017F;einer Familie nach Paris zurück, dort einer andern Be&#x017F;timmung harrend.<lb/>
Er hinterläßt hier in den Regierungs- wie in den diplomati&#x017F;chen Krei&#x017F;en nur an-<lb/>
genehme Erinnerungen, und &#x017F;ein Abgang von Berlin wird aufrichtig bedauert,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr hat der&#x017F;elbe in der kurzen Zeit &#x017F;einer amtlichen Thätigkeit hier&#x017F;elb&#x017F;t durch<lb/>
feinen Tact und durch ein äußer&#x017F;t liebenswürdiges We&#x017F;en &#x017F;ich die Herzen aller<lb/>
derer zu gewinnen ver&#x017F;tanden die zu ihm amtliche oder ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Beziehungen<lb/>
unterhalten haben. Der neue Reprä&#x017F;entant Frankreichs wird übrigens hier ein<lb/>
nicht minder freundliches Entgegenkommen &#x017F;inden als es der &#x017F;cheidende Marquis<lb/>
v. Gabriac gefunden hat. Namentlich darf dieß von un&#x017F;ern amtlichen Krei&#x017F;en<lb/>
vorausge&#x017F;etzt werden, die wirtlich von dem lebhafte&#x017F;ten Wun&#x017F;ch erfüllt &#x017F;ind daß<lb/>
es der gegenwärtigen Regierung in Frankreich gelingen möge immer fe&#x017F;ter Fuß zu<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en. Ganz frei von Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;en fühlt man &#x017F;ich hier freilich in die&#x017F;er Beziehung<lb/>
nicht, und die &#x201E;Krzztg.&#x201C; gibt die&#x017F;er Be&#x017F;orgniß heute &#x017F;ogar mit einem &#x017F;ehr &#x017F;chwarz<lb/>
gefärbten Bericht über die Stimmung in Paris Nahrung. Ihr Gewährsmann,<lb/>
ein Anglo-Amerikaner, &#x017F;ieht die Lage der Dinge in Frankreich &#x017F;o &#x017F;chlimm an, daß<lb/>
er dem heutigen Zu&#x017F;tande nur noch die Dauer von einem Monat prophezeit. Solche<lb/>
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&#x2014; Mit dem Kai&#x017F;er &#x017F;ind heute auch &#x017F;eine Gä&#x017F;te, der Großherzog von Sach&#x017F;en-<lb/>
Weimar und der Herzog von Coburg-Gotha, von Königs-Wu&#x017F;terhau&#x017F;en hieher<lb/>
zurückgekehrt, der gleichfalls zur Jagd eingeladene Herzog von Braun&#x017F;chweig hatte<lb/>
&#x017F;ich ent&#x017F;chuldigen la&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; An Stelle des in das Activitätsverhältniß zurückgetre-<lb/>
tenen Vice-Admirials Jachmann i&#x017F;t der neue Chef der Marineverwaltung, Staats-<lb/>
mini&#x017F;ter General v. Sto&#x017F;ch, zum Mitgliede des Bundesraths ernannt.</p>
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Reichskanzler Für&#x017F;ten Bismarck die er&#x017F;te Unterredung &#x017F;tatt. Sie war von &#x017F;ehr<lb/>
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denn bei allem &#x017F;ichtbaren Wohlwollen mit welchemdie franzö&#x017F;i&#x017F;che Regierung von hier<lb/>
aus behandelt wird, fühlt man &#x017F;ich doch noch immer nicht ganz frei von einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/><cb/>
Mißtrauen gegen die Loyalität der&#x017F;elben. Symptome davon liefern zur Genüge<lb/>
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ziellen Kräfte des Landes er&#x017F;chütternden Wei&#x017F;e betrieben wird. Trotz alledem<lb/>
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franzö&#x017F;i&#x017F;chen Bot&#x017F;chafter freundlicher ge&#x017F;talten als er es nach dem Tage von König-<lb/>
grätz zwi&#x017F;chen dem Vorgänger des letzteren und dem Leiter der preußi&#x017F;chen Politik<lb/>
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faßt worden: den Entwurf der Kreisordnung einer commi&#x017F;&#x017F;ari&#x017F;chen Vorprüfung zu<lb/>
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Gebiete er&#x017F;trebte Reform nur durch zahlreiche Compromi&#x017F;&#x017F;e mit der Regierung zu<lb/>
erreichen &#x017F;ei. Die Hoffnungen auf das Zu&#x017F;tandekommen die&#x017F;es Reformwerkes &#x017F;ind<lb/>
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Compromiß &#x017F;chließlich doch an dem Wider&#x017F;tande des Herrenhau&#x017F;es &#x017F;cheitern werde.<lb/>
Noch &#x017F;tärker, und gewiß nicht mit Unrecht, regen &#x017F;ich &#x017F;olche Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e hin&#x017F;ichtlich<lb/>
der Vorlagen des Cultusmini&#x017F;teriums, gegen welche aus den Krei&#x017F;en des Herren-<lb/>
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Verwech&#x017F;elung des amtlichen Organs der Deut&#x017F;chen Neichsregierung mit Blättern<lb/>
fa&#x017F;t gleichlautenden Titels vorliege. Eine &#x017F;olche können wir nunmehr auch con&#x017F;ta-<lb/>
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&#x201E;amtlichen Verzeichni&#x017F;&#x017F;e der Zeitungen und Zeit&#x017F;chriften welche im Jahr 1872 durch<lb/>
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überall das Gegentheil von dem bewirkt was die Veran&#x017F;talter beab&#x017F;ichtigten.<lb/>
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&#x017F;ität der t&#x017F;chechi&#x017F;chen Bewegung findet der Beobachter daß &#x017F;ie einen kün&#x017F;tlichen<lb/>
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jeder &#x017F;elb&#x017F;tändigen Volksregung, das Sy&#x017F;tem des Pro&#x017F;cribirens wühlen fortwährend<lb/>
die Volksleiden&#x017F;chaften auf und zeigen, daß die Bewegung nicht aus dem Volke<lb/>
wuchs, vielmehr eine Art Treibhausgewächs i&#x017F;t, das fortwährend durch kün&#x017F;tliches<lb/>
Feuer erhalten werden muß. Die Nation, die &#x017F;eit Jahrhunderten mit einem be-<lb/>
&#x017F;timmten fe&#x017F;tgegliederten Staatsorganismus verwuchs wird, &#x017F;obald der kün&#x017F;tliche<lb/>
Impuls von außen aufhört oder die Empfänglichkeit für äußere Reizmittel<lb/>
ge&#x017F;chwächt i&#x017F;t, bald ihr früheres We&#x017F;en wieder gewinnen. Wenn die ver-<lb/>
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unter dem Banner der Verfa&#x017F;&#x017F;ung Raum zur voll&#x017F;ten Entwicklung hat.&#x201C;</quote></cit> &#x2014;<lb/>
In Ungarn hat das re&#x017F;ultatlo&#x017F;e Abbrechen der croati&#x017F;chen Ausgleichsverhand-<lb/>
lungen in Wien üblen Eindruck gemacht. Man i&#x017F;t eben der croati&#x017F;chen Wirren<lb/>
müde, und möchte gern Frieden haben mit der Nachbarland-Nation. Die croa-<lb/>
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wirkt ermuthigend insbe&#x017F;ondere auf die Serben. Die Deak-Conferenz wird die&#x017F;en<lb/>
Gegen&#x017F;tand wieder aufnehmen, und es ver&#x017F;uchen mit den Croaten ein Ueberein-<lb/>
kommen zu treffen. Schon in näch&#x017F;ter Woche &#x017F;oll hierüber berathen werden.</p>
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chi&#x017F;chen Staatsgedanken betont haben will, rafft &#x017F;ich zu immer &#x017F;tärkerer Geltung<lb/>
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her mit dem Buch&#x017F;taben der Verfa&#x017F;&#x017F;ung die Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu Tode geritten, und<lb/>
andrer&#x017F;eits gegen die Politik der Verzweiflung Front zu machen welche das deut&#x017F;che<lb/>
Oe&#x017F;terreich in den Verband des Deut&#x017F;chen Reiches hinüberführen möchte. Noch i&#x017F;t<lb/>
die hieraus ent&#x017F;tehende Parteibildung nicht zu einem fe&#x017F;ten Ab&#x017F;chluß gelangt, noch<lb/>
&#x017F;teht eine Reihe von Abgeordneten mit dem einen Fuß in die&#x017F;en, mit dem andern<lb/>
in jenen Tendenzen, noch i&#x017F;t eine weitere Zahl &#x017F;ich nicht ganz klar geworden über<lb/>
die Strebungen und Ziele hüben und drüben; aber der Gährungsproceß i&#x017F;t in<lb/>
vollem Gang, und die Adreßdebatte wird ihn nur noch be&#x017F;chleunigen, und unter<lb/>
allen Um&#x017F;tänden jeden Einzelnen zwingen fortan mit offenem Vi&#x017F;ir zu kämpfen.<lb/>
Am Donner&#x017F;tag übrigens dürfte, &#x017F;o viel &#x017F;ich heute über&#x017F;ehen läßt, die Adreßdebatte<lb/>
beginnen, und &#x017F;chon morgen der Adreßentwurf zur Oeffentlichkeit gelangen<lb/>
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Vlatt &#x2014; des Servilismus geziehen zu werden be&#x017F;orgte wenn er den <hi rendition="#g">Styl</hi> der<lb/>
von Hrn. Unger ganz allein redigirten Thronrede &#x017F;ich zum Mu&#x017F;ter genommen<lb/>
hätte. &#x2014; Warrens wird heute Nachmittags zur Erde be&#x017F;tattet. Die Publici&#x017F;tik<lb/>
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wo die Leiche einge&#x017F;egnet wird.</p>
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            <p>In Blättern &#x017F;ind mannichfache Bedenken gegen<lb/>
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[116/0004] ſicits der Sparcaſſe zu Neumarkt; 4) Vorirag des Abgeordneten Dr. Kurz über die Rechnungsnachweiſungen: a) bezüglich des Etats des Staatsminiſteriums des Aeußern, b) bezüglich des Etats des Staatsminiſteriums der Juſtiz; 5) Vortrag des Abgeordneten Kühlmann über die Rechnungsnachweiſungen des Eiſenbahn- baues für 1869. * Berlin, 6 Jan. Verſchiedene Stimmen erzählen von dem Mißtrauen gegen die Politik des Hrn. Thiers, welches ſich allmählich unſerer leitenden Kreiſe bemächtige. Dasſelbe ſcheint in der That zu beſtehen, und iſt, da der Mund des Hrn. Thiers ſtets von Friedensverſicherungen überfließt, auf Thatſachen zurückzu- führen—nämlich auf die Schritte welche behufs der Reorganiſation der franzöſiſchen Armee geſchehen ſind und geſchehen ſollen. Man theilt darüber mit daß die fran- zöſiſche Armee, die zur Zeit 120 Infanterieregimenter zählt, gegenwärtig ſo auf- geſtellt ſei daß in und bei Paris ſowie bei Lyon immerhin 400,000 Mann in einer Zeit von 8 bis 14 Tagen concentrirt werden können. Auf der Linie von Lille bis Paris ſtehen 16 Infanterieregimenter, in und bei Paris, alſo im Seine-Departe- ment, garniſoniren 32 Infanterieregimenter (nicht wie die „N. A. Z.“ angegeben 52), 11 Jägerbataillone und 16 Cavallerieregimenter; auf der Linie von Paris bis Lyon ſtehen 16 Infanterieregimenter, und in und bei Lyon ſtehen 8 Infanterieregimen- ter, zuſammen alſo 72 Infanterieregimenter nebſt der entſprechenden Reiterei und Artillerie, alſo weit mehr als die Hälfte der geſammten franzöſiſchen Waffenmacht. Dieſelbe Quelle der wir dieſe Notizen entnehmen, will wiſſen daß von Seiten der Bundesregierung die ſüddeutſchen Regierungen, unter näher detaillirter Darlegung der franzöſiſchen Heeresregeneration und der franzöſiſchen Friedensdislocation, am Schluſſe des vorigen Jahres erſucht worden ſeien die Vollendung der Neuformation ihrer Contingente mit größter Emſigkeit zu beſchleunigen. Auf dieſes Erſuchen ſeien völlig befriedigende Zuſagen eingegangen. Die württembergiſchen Cadres ſind bereits ſämmtlich in der vertragsmäßig feſtgeſetzten Zahl hergeſtellt, wenigſtens in Bezug auf die Linien- truppen; die Landwehrſtämme fehlen allerdings noch, und für dieſes Jahr iſt, nach der Ordre de bataille, der Befehl gegeben eventuell die erſten Jahrgänge der Landwehr zur Vervollſtändigung der Linie und Beſatzbataillone zu verwenden. — Während franzöſiſche Blätter den Lieutenant Lukas vom 6. pommeriſchen Infanterie-Regi- ment Nr. 49, welcher vor etwa zehn Tagen in der Umgegend von Dijon einen Spazierritt machte und ſeitdem vermißt wird, deſertirt ſein laſſen, iſt eine officielle Mittheilung an ſeine Angehörigen ergangen, der zufolge die Ver- muthung nahe liegt daß er franzöſiſcher Bosheit zum Opfer gefallen iſt. — Was die eingetretene Trennung der Reſſorts des Marine-und des Kriegsminiſteriums betrifft, ſo wird Hr. v. Stoſch das erſtere als Chef der Admiralität verwalten, nicht als Reichsminiſter, weil nach der bisherigen Organiſation der Reichsregierung es keine Reichsminiſter gibt. Auch der Präſident des Reichskanzleramtes iſt kein Reichs- miniſter, ſondern führt nur den Titel Staatsminiſter. Dieſen Titel wird auch Hr. v. Stoſch führen. — Die Mittheilungen der „Provincial-Correſpondenz,“ betreffend die Verwaltungsorganiſation in Elſaß-Lothringen, veranlaſſen die „Schleſiſche Zeitung“ darauf hinzuweiſen daß dabei, abweichend von den frühern Abſichten, derjenige Geſichtspunkt die Entſcheidung gegeben hat, welcher den Schwerpunkt der Verwaltung in das Land ſelbſt verlegt, während man früher geneigt war die Leitung des Reichslandes allein vom Bundeskanzleramt ausgehen zu laſſen. Bei der ſchließlich getroffenen Einrichtung eines Oberpräſidiums iſt man davon abgegangen daß der Oberpräſident unter dem Reichskanzler amte zu ſtehen habe. Man hat ſich vielmehr dahin geeinigt daß der Oberpräſident unmit- telbar mit dem Reichskanzler verkehren ſolle. Man hat jedoch vermieden das Verhält- niß zwiſchen dem Oberpräſidenten und der Reichsregierung ſchon jetzt genau zupräci- ſiren, weil man ſich von der Erfahrung darüber belehren laſſen will in welcher Weiſe die Lücken des beſtehenden Verhältniſſes auszufüllen ſeien. — Der däniſche Staats- miniſter Graf Frijs v. Frijſenburg iſt am Freitag Abends aus Kopenhagen hier eingetroffen, und hat im Hôtel Royal Wohnung genommen. — Gleichzeitig iſt der franzöſiſche Botſchaftsſecretär Graf Kergorlay hier angekommen. (—) Berlin, 5 Jan. Der geſtern hier eingetroffene neue franzöſiſche Bot- ſchafter am hieſigen Hofe, Hr. v. Gontaut-Viron, hat einſtweilen in einem Gaſt- hofe Wohnung genommen, da das franzöſiſche Geſandtſchaftshôtel noch von der Familie des Marquis de Gabriac beſetzt iſt. Seine Antrittsaudienz bei dem ſo eben aus Königs-Wuſterhauſen heimgekehrten Kaiſer wird Hr. v. Gontaut-Biron wohl erſt am Montag haben, weil morgen katholiſcher Feiertag (heil. drei Könige) iſt. Marquis v. Gabriac, der bisherige franzöſiſche Geſchäftsträger hierſelbſt, kehrt mit ſeiner Familie nach Paris zurück, dort einer andern Beſtimmung harrend. Er hinterläßt hier in den Regierungs- wie in den diplomatiſchen Kreiſen nur an- genehme Erinnerungen, und ſein Abgang von Berlin wird aufrichtig bedauert, ſo ſehr hat derſelbe in der kurzen Zeit ſeiner amtlichen Thätigkeit hierſelbſt durch feinen Tact und durch ein äußerſt liebenswürdiges Weſen ſich die Herzen aller derer zu gewinnen verſtanden die zu ihm amtliche oder geſellſchaftliche Beziehungen unterhalten haben. Der neue Repräſentant Frankreichs wird übrigens hier ein nicht minder freundliches Entgegenkommen ſinden als es der ſcheidende Marquis v. Gabriac gefunden hat. Namentlich darf dieß von unſern amtlichen Kreiſen vorausgeſetzt werden, die wirtlich von dem lebhafteſten Wunſch erfüllt ſind daß es der gegenwärtigen Regierung in Frankreich gelingen möge immer feſter Fuß zu faſſen. Ganz frei von Beſorgniſſen fühlt man ſich hier freilich in dieſer Beziehung nicht, und die „Krzztg.“ gibt dieſer Beſorgniß heute ſogar mit einem ſehr ſchwarz gefärbten Bericht über die Stimmung in Paris Nahrung. Ihr Gewährsmann, ein Anglo-Amerikaner, ſieht die Lage der Dinge in Frankreich ſo ſchlimm an, daß er dem heutigen Zuſtande nur noch die Dauer von einem Monat prophezeit. Solche peſſimiſtiſche Anſchauungen verrathen jedoch ohne Zweifel eine ſtarke Befangenheit. — Mit dem Kaiſer ſind heute auch ſeine Gäſte, der Großherzog von Sachſen- Weimar und der Herzog von Coburg-Gotha, von Königs-Wuſterhauſen hieher zurückgekehrt, der gleichfalls zur Jagd eingeladene Herzog von Braunſchweig hatte ſich entſchuldigen laſſen. — An Stelle des in das Activitätsverhältniß zurückgetre- tenen Vice-Admirials Jachmann iſt der neue Chef der Marineverwaltung, Staats- miniſter General v. Stoſch, zum Mitgliede des Bundesraths ernannt. (—) Berlin, 6 Jan. Geſtern Abend bereits fand zwiſchen dem neuen franzöſiſchen Botſchafter am hieſigen Hofe, Marquis v. Gontaut-Biron, und dem Reichskanzler Fürſten Bismarck die erſte Unterredung ſtatt. Sie war von ſehr langer Dauer, und ſoll ſich auf beiden Seiten in durchaus zwangloſer Form bewegt haben. Ob auch mit der wünſchenswerthen Offenheit iſt freilich eine andere Frage; denn bei allem ſichtbaren Wohlwollen mit welchemdie franzöſiſche Regierung von hier aus behandelt wird, fühlt man ſich doch noch immer nicht ganz frei von einem gewiſſen Mißtrauen gegen die Loyalität derſelben. Symptome davon liefern zur Genüge die unwirſchen Bemerkungen unſerer inſpirirten Preſſe über die Haſt und den Eifer womit in Frankreich gegenwärtig die Reorganiſation der Armee in einer die finan- ziellen Kräfte des Landes erſchütternden Weiſe betrieben wird. Trotz alledem wird ſich zweifellos der Verkehr zwiſchen unſerm auswärtigen Amt und dem neuen franzöſiſchen Botſchafter freundlicher geſtalten als er es nach dem Tage von König- grätz zwiſchen dem Vorgänger des letzteren und dem Leiter der preußiſchen Politik war. — Die Abgeordneten haben ſich zum großen Theil wieder hier eingefunden, und entwickeln in den Commiſſionen, Fractionen und Delegationen eine rege Thä- tigkeit. Von einer der letzteren, welche alle Parteien vertrat, iſt der Beſchluß ge- faßt worden: den Entwurf der Kreisordnung einer commiſſariſchen Vorprüfung zu überweiſen, da man allſeitig die Ueberzeugung gewonnen hat daß die auf dieſem Gebiete erſtrebte Reform nur durch zahlreiche Compromiſſe mit der Regierung zu erreichen ſei. Die Hoffnungen auf das Zuſtandekommen dieſes Reformwerkes ſind übrigens im allgemeinen nur gering, weil man ſich der Beſorgniß nicht erwehren kann daß ein zwiſchen dem Abgeordnetenhaus und der Regierung glücklich erzieltes Compromiß ſchließlich doch an dem Widerſtande des Herrenhauſes ſcheitern werde. Noch ſtärker, und gewiß nicht mit Unrecht, regen ſich ſolche Beſorgniſſe hinſichtlich der Vorlagen des Cultusminiſteriums, gegen welche aus den Kreiſen des Herren- hauſes heraus auch bereits ſehr mißliebige Aeußerungen laut geworden ſind. /// Berlin, 6 Jan. Die „Allg. Zeitung“ brachte in ihrer vom 23 Dec. da- tirten Nummer eine Correſpondenz aus St. Petersburg nach welcher ſeitens der kaiſerl. ruſſiſchen Behörden der „Deutſche Reichs-Anzeiger“ in Rußland verboten, der „Königlich Preußiſche Staats-Anzeiger“ daſelbſt jedoch erlaubt ſein ſollte. Es mußte allerdings befremden daß das dortige Preßbureau von der Identität dieſer beiden ſeit dem 4 Mai 1871 ein Organ umfaſſenden Titel nicht unterrichtet ge- weſen, und es konnte ein derartiger Irrthum kaum anders erklärt werden als daß eine Verwechſelung des amtlichen Organs der Deutſchen Neichsregierung mit Blättern faſt gleichlautenden Titels vorliege. Eine ſolche können wir nunmehr auch conſta- tiren, da, nach dem dem kaiſerl. Deutſchen Poſt-Zeitungsamt in Berlin vorliegenden „amtlichen Verzeichniſſe der Zeitungen und Zeitſchriften welche im Jahr 1872 durch die ruſſiſchen Poſtanſtalten debitirt werden dürfen,“ der „Deutſche Reichs-Anzeiger und Königlich Preußiſche Staats-Anzeiger“ mit ſeinem richtigen Titel verzeichnet ſteht, derſelbe auch ſeit 1 Januar d. J. abonnementsmäßig nach St. Petersburg, Moskau, Riga u. ſ. w. von den ruſſiſchen Poſtbehörden befördert worden iſt. Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. * Aus Deſterreich, 7 Jan. Die Agitation und Oppoſition der Tſchechen iſt auf einer ſo unnatürlichen Höhe angelangt, daß ein Umſchlag über kurz oder lang vorauszuſehen iſt, denn jede derartige Maßloſigkeit hat ſchließlich jedesmal und überall das Gegentheil von dem bewirkt was die Veranſtalter beabſichtigten. In dieſer Beziehung bemerkt das geſtrige Prager „Abendblatt“: „Trotz der Inten- ſität der tſchechiſchen Bewegung findet der Beobachter daß ſie einen künſtlichen Charakter trage. Der heftige Ton der Journale, die gewaltſame Niederhaltung jeder ſelbſtändigen Volksregung, das Syſtem des Proſcribirens wühlen fortwährend die Volksleidenſchaften auf und zeigen, daß die Bewegung nicht aus dem Volke wuchs, vielmehr eine Art Treibhausgewächs iſt, das fortwährend durch künſtliches Feuer erhalten werden muß. Die Nation, die ſeit Jahrhunderten mit einem be- ſtimmten feſtgegliederten Staatsorganismus verwuchs wird, ſobald der künſtliche Impuls von außen aufhört oder die Empfänglichkeit für äußere Reizmittel geſchwächt iſt, bald ihr früheres Weſen wieder gewinnen. Wenn die ver- faſſungsmäßigen Zuſtände gefeſtigt ſind, wird es ſich zeigen wie Vöhmen unter dem Banner der Verfaſſung Raum zur vollſten Entwicklung hat.“ — In Ungarn hat das reſultatloſe Abbrechen der croatiſchen Ausgleichsverhand- lungen in Wien üblen Eindruck gemacht. Man iſt eben der croatiſchen Wirren müde, und möchte gern Frieden haben mit der Nachbarland-Nation. Die croa- tiſche Oppoſition nährt zweifellos die einheimiſchen nationalen Agitationen, und wirkt ermuthigend insbeſondere auf die Serben. Die Deak-Conferenz wird dieſen Gegenſtand wieder aufnehmen, und es verſuchen mit den Croaten ein Ueberein- kommen zu treffen. Schon in nächſter Woche ſoll hierüber berathen werden. &#xfffc; Wien, 7 Jan. Jnnerhalb der Mehrheit vollzieht ſich allmählich eine Scheidung, die dem Abgeordnetenhaus eine weſentlich veränderte Phyſiognomie zu geben geeignet iſt. Das Deutſch-Oeſterreicherthum diejenige Richtung welche wohl das deutſch-nationale Element, aber auch den von ihm getragenen öſterrei- chiſchen Staatsgedanken betont haben will, rafft ſich zu immer ſtärkerer Geltung auf, um einerſeits gegen die erbgeſeſſene Jmpotenz derjenigen Partei welche bis- her mit dem Buchſtaben der Verfaſſung die Verfaſſung zu Tode geritten, und andrerſeits gegen die Politik der Verzweiflung Front zu machen welche das deutſche Oeſterreich in den Verband des Deutſchen Reiches hinüberführen möchte. Noch iſt die hieraus entſtehende Parteibildung nicht zu einem feſten Abſchluß gelangt, noch ſteht eine Reihe von Abgeordneten mit dem einen Fuß in dieſen, mit dem andern in jenen Tendenzen, noch iſt eine weitere Zahl ſich nicht ganz klar geworden über die Strebungen und Ziele hüben und drüben; aber der Gährungsproceß iſt in vollem Gang, und die Adreßdebatte wird ihn nur noch beſchleunigen, und unter allen Umſtänden jeden Einzelnen zwingen fortan mit offenem Viſir zu kämpfen. Am Donnerſtag übrigens dürfte, ſo viel ſich heute überſehen läßt, die Adreßdebatte beginnen, und ſchon morgen der Adreßentwurf zur Oeffentlichkeit gelangen den Herbſt im eleganteſten Deutſch geſchrieben, weil er — bemerkt ein boshaftes Vlatt — des Servilismus geziehen zu werden beſorgte wenn er den Styl der von Hrn. Unger ganz allein redigirten Thronrede ſich zum Muſter genommen hätte. — Warrens wird heute Nachmittags zur Erde beſtattet. Die Publiciſtik und die Börſe werden ein ſtarkes Contingent in die evangeliſche Kirche abſenden, wo die Leiche eingeſegnet wird. &#xfffc; Wien, 7 Jan. In Blättern ſind mannichfache Bedenken gegen eine Novelle zum Nothwahlgeſetz oder einen Geſetzentwurf wider den Mißbrauch des Abgeordnetenmandats angeregt worden, den die Regierung dem Reichsrathe vorzulegen gedenke. Insbeſondere iſt geltend gemacht worden daß man damit eine zweiſchneidende Waffe ſchaffe, die von einem Miniſterium welches von ande- ren Abſichten geleitet wird als die Verfaſſung zu erhalten und zu befeſtigen, auch gegen die Verfaſſungspartej angewendet werden könnte. Unbegründet ſind dieſe Bedenken keineswegs, und ſicher iſt man in Regierungskreiſen nicht der Meinung

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1872/4>, abgerufen am 16.07.2024.