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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Vierter Abschnitt.
bewahrt, und nur von den wenigen Wärtern des
mysteriösen, für alle Uebrigen bloß in der Einbildung
existirenden, Schatzes gekannt seyn; sondern sie soll
lebendig erhalten, d. h. als das Eigenthum
aller Nationen und Zeiten, in jeder Nation so weit
nur immer möglich verbreitet werden, und vor allem
andern allem öffentlichen Leben einer Nation Regsamkeit
und Richtung geben. Dazu aber ist unerlaßlich, daß
alle die, die vorzugsweise das öffentliche Gemein-
leben einer Nation zu leiten den Beruf haben, in je-
nem Heiligthum des höchsten geistigen Lebens einge-
weiht seyen. Durch sie geht am unfehlbarsten das
höhere geistige Leben auch in die Nation über, und
wird eigentlich national. -- Freilich dringen nicht Alle,
die das Schicksal in jene Classe führt, zur höchsten
Universalität des geistigen Lebens durch, um es ganz
in sich aufzunehmen. Aber diese Verschiedenheit läßt
sich für die Haupttendenz, die jener Classe vorzuschrei-
ben ist, nicht zum Regulativ erheben: was in sich als
wahr und gut erkannt ist, muß angestrebt werden,
wenn auch nicht jede individuelle Kraft zum Höchsten
hinan zu reichen vermag. Es ist schon wichtig, daß
in Allen der Glaube lebendig erhalten werde, daß die
Richtung nach jenem höchsten Ziele der Bildung Vielen
unerlaßlich sey; und dieser Glaube wird nur durch die
Richtung selbst lebendig erhalten: denn, fällt nur erst
das eigne Anstreben eines geistigen Zieles bei der
Mehrzahl derer, die dazu berufen sind, hinweg, so
folgt Zweifel, Gleichgültigkeit, und selbst Verspottung
des Strebens Anderer bald nach.


Vierter Abſchnitt.
bewahrt, und nur von den wenigen Waͤrtern des
myſterioͤſen, fuͤr alle Uebrigen bloß in der Einbildung
exiſtirenden, Schatzes gekannt ſeyn; ſondern ſie ſoll
lebendig erhalten, d. h. als das Eigenthum
aller Nationen und Zeiten, in jeder Nation ſo weit
nur immer moͤglich verbreitet werden, und vor allem
andern allem oͤffentlichen Leben einer Nation Regſamkeit
und Richtung geben. Dazu aber iſt unerlaßlich, daß
alle die, die vorzugsweiſe das oͤffentliche Gemein-
leben einer Nation zu leiten den Beruf haben, in je-
nem Heiligthum des hoͤchſten geiſtigen Lebens einge-
weiht ſeyen. Durch ſie geht am unfehlbarſten das
hoͤhere geiſtige Leben auch in die Nation uͤber, und
wird eigentlich national. — Freilich dringen nicht Alle,
die das Schickſal in jene Claſſe fuͤhrt, zur hoͤchſten
Univerſalitaͤt des geiſtigen Lebens durch, um es ganz
in ſich aufzunehmen. Aber dieſe Verſchiedenheit laͤßt
ſich fuͤr die Haupttendenz, die jener Claſſe vorzuſchrei-
ben iſt, nicht zum Regulativ erheben: was in ſich als
wahr und gut erkannt iſt, muß angeſtrebt werden,
wenn auch nicht jede individuelle Kraft zum Hoͤchſten
hinan zu reichen vermag. Es iſt ſchon wichtig, daß
in Allen der Glaube lebendig erhalten werde, daß die
Richtung nach jenem hoͤchſten Ziele der Bildung Vielen
unerlaßlich ſey; und dieſer Glaube wird nur durch die
Richtung ſelbſt lebendig erhalten: denn, faͤllt nur erſt
das eigne Anſtreben eines geiſtigen Zieles bei der
Mehrzahl derer, die dazu berufen ſind, hinweg, ſo
folgt Zweifel, Gleichguͤltigkeit, und ſelbſt Verſpottung
des Strebens Anderer bald nach.


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[358/0370] Vierter Abſchnitt. bewahrt, und nur von den wenigen Waͤrtern des myſterioͤſen, fuͤr alle Uebrigen bloß in der Einbildung exiſtirenden, Schatzes gekannt ſeyn; ſondern ſie ſoll lebendig erhalten, d. h. als das Eigenthum aller Nationen und Zeiten, in jeder Nation ſo weit nur immer moͤglich verbreitet werden, und vor allem andern allem oͤffentlichen Leben einer Nation Regſamkeit und Richtung geben. Dazu aber iſt unerlaßlich, daß alle die, die vorzugsweiſe das oͤffentliche Gemein- leben einer Nation zu leiten den Beruf haben, in je- nem Heiligthum des hoͤchſten geiſtigen Lebens einge- weiht ſeyen. Durch ſie geht am unfehlbarſten das hoͤhere geiſtige Leben auch in die Nation uͤber, und wird eigentlich national. — Freilich dringen nicht Alle, die das Schickſal in jene Claſſe fuͤhrt, zur hoͤchſten Univerſalitaͤt des geiſtigen Lebens durch, um es ganz in ſich aufzunehmen. Aber dieſe Verſchiedenheit laͤßt ſich fuͤr die Haupttendenz, die jener Claſſe vorzuſchrei- ben iſt, nicht zum Regulativ erheben: was in ſich als wahr und gut erkannt iſt, muß angeſtrebt werden, wenn auch nicht jede individuelle Kraft zum Hoͤchſten hinan zu reichen vermag. Es iſt ſchon wichtig, daß in Allen der Glaube lebendig erhalten werde, daß die Richtung nach jenem hoͤchſten Ziele der Bildung Vielen unerlaßlich ſey; und dieſer Glaube wird nur durch die Richtung ſelbſt lebendig erhalten: denn, faͤllt nur erſt das eigne Anſtreben eines geiſtigen Zieles bei der Mehrzahl derer, die dazu berufen ſind, hinweg, ſo folgt Zweifel, Gleichguͤltigkeit, und ſelbſt Verſpottung des Strebens Anderer bald nach.

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/370>, abgerufen am 04.12.2024.