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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Anwendung der allgemeinen Grundsätze etc.
Verknüpfung aufnimmt, und nach der Universa-
lität
, die alles wahrhaft Musterhafte aller Zeiten allen
Zeiten zu erhalten hat. Zu dieser Bestimmung reicht
es nicht hin, nur diese oder jene Kenntniß einzeln zu
fassen, die geistige Cultur bloß dieser oder jener Zeit
sich bekannt zu machen: es wird dazu vielmehr eine
zusammenhangende Uebersicht von dem Systeme des
Wissens, und eine universelle Kenntniß des Wissens-
würdigen aller Zeiten erfordert.

Dies ist die Aufgabe, die der Gelehrten-
Stand
-- streng genommen freilich nur in der en-
geren Bedeutung des Wortes -- zu erfüllen hat. Aber,
es ist nicht hinreichend, daß nur einzelne wenige In-
dividuen, (vorzugsweise Gelehrte genannt,) sich mit
dieser Aufgabe beschäftigen: vielmehr dieser Stand in
allen seinen Gliedern hat diese Aufgabe gemeinschaftlich
zu erfüllen, und von Rechtswegen sollte zu den höhe-
ren Berufsarten des Staatsdienstes, der Regierung,
der Gesetzgebung, der Rechtsverwaltung, der Sitten-
bildung, der Religionsverkündigung etc. deren Object
in den Ideen ist, der Zugang Keinem gestattet wer-
den, der sich nicht durch Bildung in dem Gebiete der
Geistesideen hinreichend dazu legitimirt hätte.

Die Forderung ist von der höchsten Wichtigkeit.
Denn, die von der Menschheit errungne Cultur -- die
unerschütterlichste Grundlage der Humanität -- soll
nicht bloß überhaupt erhalten werden, d. h. in
todten Buchstaben, in Büchern und Bibliotheken auf-

Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
Verknuͤpfung aufnimmt, und nach der Univerſa-
litaͤt
, die alles wahrhaft Muſterhafte aller Zeiten allen
Zeiten zu erhalten hat. Zu dieſer Beſtimmung reicht
es nicht hin, nur dieſe oder jene Kenntniß einzeln zu
faſſen, die geiſtige Cultur bloß dieſer oder jener Zeit
ſich bekannt zu machen: es wird dazu vielmehr eine
zuſammenhangende Ueberſicht von dem Syſteme des
Wiſſens, und eine univerſelle Kenntniß des Wiſſens-
wuͤrdigen aller Zeiten erfordert.

Dies iſt die Aufgabe, die der Gelehrten-
Stand
— ſtreng genommen freilich nur in der en-
geren Bedeutung des Wortes — zu erfuͤllen hat. Aber,
es iſt nicht hinreichend, daß nur einzelne wenige In-
dividuen, (vorzugsweiſe Gelehrte genannt,) ſich mit
dieſer Aufgabe beſchaͤftigen: vielmehr dieſer Stand in
allen ſeinen Gliedern hat dieſe Aufgabe gemeinſchaftlich
zu erfuͤllen, und von Rechtswegen ſollte zu den hoͤhe-
ren Berufsarten des Staatsdienſtes, der Regierung,
der Geſetzgebung, der Rechtsverwaltung, der Sitten-
bildung, der Religionsverkuͤndigung ꝛc. deren Object
in den Ideen iſt, der Zugang Keinem geſtattet wer-
den, der ſich nicht durch Bildung in dem Gebiete der
Geiſtesideen hinreichend dazu legitimirt haͤtte.

Die Forderung iſt von der hoͤchſten Wichtigkeit.
Denn, die von der Menſchheit errungne Cultur — die
unerſchuͤtterlichſte Grundlage der Humanitaͤt — ſoll
nicht bloß uͤberhaupt erhalten werden, d. h. in
todten Buchſtaben, in Buͤchern und Bibliotheken auf-

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[357/0369] Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc. Verknuͤpfung aufnimmt, und nach der Univerſa- litaͤt, die alles wahrhaft Muſterhafte aller Zeiten allen Zeiten zu erhalten hat. Zu dieſer Beſtimmung reicht es nicht hin, nur dieſe oder jene Kenntniß einzeln zu faſſen, die geiſtige Cultur bloß dieſer oder jener Zeit ſich bekannt zu machen: es wird dazu vielmehr eine zuſammenhangende Ueberſicht von dem Syſteme des Wiſſens, und eine univerſelle Kenntniß des Wiſſens- wuͤrdigen aller Zeiten erfordert. Dies iſt die Aufgabe, die der Gelehrten- Stand — ſtreng genommen freilich nur in der en- geren Bedeutung des Wortes — zu erfuͤllen hat. Aber, es iſt nicht hinreichend, daß nur einzelne wenige In- dividuen, (vorzugsweiſe Gelehrte genannt,) ſich mit dieſer Aufgabe beſchaͤftigen: vielmehr dieſer Stand in allen ſeinen Gliedern hat dieſe Aufgabe gemeinſchaftlich zu erfuͤllen, und von Rechtswegen ſollte zu den hoͤhe- ren Berufsarten des Staatsdienſtes, der Regierung, der Geſetzgebung, der Rechtsverwaltung, der Sitten- bildung, der Religionsverkuͤndigung ꝛc. deren Object in den Ideen iſt, der Zugang Keinem geſtattet wer- den, der ſich nicht durch Bildung in dem Gebiete der Geiſtesideen hinreichend dazu legitimirt haͤtte. Die Forderung iſt von der hoͤchſten Wichtigkeit. Denn, die von der Menſchheit errungne Cultur — die unerſchuͤtterlichſte Grundlage der Humanitaͤt — ſoll nicht bloß uͤberhaupt erhalten werden, d. h. in todten Buchſtaben, in Buͤchern und Bibliotheken auf-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/369>, abgerufen am 02.05.2024.