tene, Frage: ob das Kind zum Menschen oder zum Bürger zu erziehen sey? unstreitig am be- stimmtesten gefaßt werden kann.
Nach der obigen Ansicht erhellt, daß man sich selbst mißversteht, wenn man glaubt, jene Erziehung trennen zu können. Es sind nur Begriffsverschiedenheiten, Ab- stractionen, jene Absonderung zwischen Mensch und Bürger. Der Mensch ist weder als Mensch allein, noch als Bürger allein zu betrachten; er wird weder als das Eine noch als das Andre allein geboren. Auf dieser Erde erscheint er nicht als Mensch überhaupt, sondern als integrirender Theil der Menschheit, und im Verhältniß zu den Menschen, als bestimmtes Glied ihrer Gesellschaft. Wollen wir also nicht einer bloß theoretischen Abstraction, welche die beiden objectiv un- zertrennlichen Verhältnisse subjectiv (im Begriffe) trennt, Einfluß auf unser praktisches Verfahren im Erziehungs- unterricht geben, und dieses dadurch einseitig machen; so können wir den Menschen eben so wenig als Men- schen überhaupt, -- dies hieße: für eine Welt, die gar nicht existirt; -- als bloß zum Bürger erziehen wollen; welches Letztere in der That hieße: das zum Mittel des Mittels machen, was vielmehr der Zweck seyn soll; inwiefern wir nämlich die bürgerlichen Verhältnisse, oder den Gesellschaftsverein der Men- schen, nur als Bedingung und Mittel betrachten können zu dem höheren Zwecke der Bildung der Menschheit.
Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
tene, Frage: ob das Kind zum Menſchen oder zum Buͤrger zu erziehen ſey? unſtreitig am be- ſtimmteſten gefaßt werden kann.
Nach der obigen Anſicht erhellt, daß man ſich ſelbſt mißverſteht, wenn man glaubt, jene Erziehung trennen zu koͤnnen. Es ſind nur Begriffsverſchiedenheiten, Ab- ſtractionen, jene Abſonderung zwiſchen Menſch und Buͤrger. Der Menſch iſt weder als Menſch allein, noch als Buͤrger allein zu betrachten; er wird weder als das Eine noch als das Andre allein geboren. Auf dieſer Erde erſcheint er nicht als Menſch uͤberhaupt, ſondern als integrirender Theil der Menſchheit, und im Verhaͤltniß zu den Menſchen, als beſtimmtes Glied ihrer Geſellſchaft. Wollen wir alſo nicht einer bloß theoretiſchen Abſtraction, welche die beiden objectiv un- zertrennlichen Verhaͤltniſſe ſubjectiv (im Begriffe) trennt, Einfluß auf unſer praktiſches Verfahren im Erziehungs- unterricht geben, und dieſes dadurch einſeitig machen; ſo koͤnnen wir den Menſchen eben ſo wenig als Men- ſchen uͤberhaupt, — dies hieße: fuͤr eine Welt, die gar nicht exiſtirt; — als bloß zum Buͤrger erziehen wollen; welches Letztere in der That hieße: das zum Mittel des Mittels machen, was vielmehr der Zweck ſeyn ſoll; inwiefern wir naͤmlich die buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe, oder den Geſellſchaftsverein der Men- ſchen, nur als Bedingung und Mittel betrachten koͤnnen zu dem hoͤheren Zwecke der Bildung der Menſchheit.
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Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
tene, Frage: ob das Kind zum Menſchen oder
zum Buͤrger zu erziehen ſey? unſtreitig am be-
ſtimmteſten gefaßt werden kann.
Nach der obigen Anſicht erhellt, daß man ſich ſelbſt
mißverſteht, wenn man glaubt, jene Erziehung trennen
zu koͤnnen. Es ſind nur Begriffsverſchiedenheiten, Ab-
ſtractionen, jene Abſonderung zwiſchen Menſch und
Buͤrger. Der Menſch iſt weder als Menſch allein, noch
als Buͤrger allein zu betrachten; er wird weder als
das Eine noch als das Andre allein geboren. Auf
dieſer Erde erſcheint er nicht als Menſch uͤberhaupt,
ſondern als integrirender Theil der Menſchheit, und
im Verhaͤltniß zu den Menſchen, als beſtimmtes Glied
ihrer Geſellſchaft. Wollen wir alſo nicht einer bloß
theoretiſchen Abſtraction, welche die beiden objectiv un-
zertrennlichen Verhaͤltniſſe ſubjectiv (im Begriffe) trennt,
Einfluß auf unſer praktiſches Verfahren im Erziehungs-
unterricht geben, und dieſes dadurch einſeitig machen;
ſo koͤnnen wir den Menſchen eben ſo wenig als Men-
ſchen uͤberhaupt, — dies hieße: fuͤr eine Welt,
die gar nicht exiſtirt; — als bloß zum Buͤrger erziehen
wollen; welches Letztere in der That hieße: das zum
Mittel des Mittels machen, was vielmehr der Zweck
ſeyn ſoll; inwiefern wir naͤmlich die buͤrgerlichen
Verhaͤltniſſe, oder den Geſellſchaftsverein der Men-
ſchen, nur als Bedingung und Mittel betrachten
koͤnnen zu dem hoͤheren Zwecke der Bildung der
Menſchheit.
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/345>, abgerufen am 16.02.2025.
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