Sobald wir den Menschen nicht bloß als Men- schen überhaupt, sondern als Glied der menschlichen Gesellschaft betrachten, (welches Letztere sogar eine noth- wendige Bedingung seines vernünftigen Daseyns selbst ist;) müssen wir von einer äußeren Bestimmung desselben eben so wohl als von seiner inneren Be- stimmung sprechen, und können sonach als Erzieher und Bildner auch nicht umgehen, die Bildung unsrer Lehrlinge auf die Stelle zu berechnen, die sie in der Welt (der Gesellschaft der Menschen) einnehmen sollen. Da der Mensch seine Bestimmung auf Erden nicht in einer abstracten Allgemeinheit, als Mensch überhaupt, sondern an einer bestimmten Stelle, in bestimmten Ver- hältnissen, mit einem bestimmten Geschäft, zu erfüllen hat: so kann er auch nicht in der abstracten Allgemein- heit als Mensch, sondern muß in Beziehung auf be- stimmte Verhältnisse gebildet werden, um seinen be- stimmten Antheil an der allgemeinen Aufgabe, welche das Menschengeschlecht auf Erden hat, erfüllen zu kön- nen. Insofern kann der Erziehungsunterricht doch auch die Rücksicht auf die wesentliche Verschiedenheit der Individuen in Ansehung ihrer äußeren Bestim- mung nicht aus den Augen setzen. Je nachdem der Lehrling zu diesem oder jenem Geschäft auf Erden vor- zugsweise bestimmt ist, hat er diese oder jene Fertig- keit, diese oder jene Kenntniß vorzugsweise nöthig, und muß also auch diese oder jene Bildung vorzugsweise erhalten.
Dies ist auch die Ansicht, aus welcher die in der neueren Pädagogik controvers gewordne, vielfach bestrit-
Vierter Abſchnitt.
Sobald wir den Menſchen nicht bloß als Men- ſchen uͤberhaupt, ſondern als Glied der menſchlichen Geſellſchaft betrachten, (welches Letztere ſogar eine noth- wendige Bedingung ſeines vernuͤnftigen Daſeyns ſelbſt iſt;) muͤſſen wir von einer aͤußeren Beſtimmung deſſelben eben ſo wohl als von ſeiner inneren Be- ſtimmung ſprechen, und koͤnnen ſonach als Erzieher und Bildner auch nicht umgehen, die Bildung unſrer Lehrlinge auf die Stelle zu berechnen, die ſie in der Welt (der Geſellſchaft der Menſchen) einnehmen ſollen. Da der Menſch ſeine Beſtimmung auf Erden nicht in einer abſtracten Allgemeinheit, als Menſch uͤberhaupt, ſondern an einer beſtimmten Stelle, in beſtimmten Ver- haͤltniſſen, mit einem beſtimmten Geſchaͤft, zu erfuͤllen hat: ſo kann er auch nicht in der abſtracten Allgemein- heit als Menſch, ſondern muß in Beziehung auf be- ſtimmte Verhaͤltniſſe gebildet werden, um ſeinen be- ſtimmten Antheil an der allgemeinen Aufgabe, welche das Menſchengeſchlecht auf Erden hat, erfuͤllen zu koͤn- nen. Inſofern kann der Erziehungsunterricht doch auch die Ruͤckſicht auf die weſentliche Verſchiedenheit der Individuen in Anſehung ihrer aͤußeren Beſtim- mung nicht aus den Augen ſetzen. Je nachdem der Lehrling zu dieſem oder jenem Geſchaͤft auf Erden vor- zugsweiſe beſtimmt iſt, hat er dieſe oder jene Fertig- keit, dieſe oder jene Kenntniß vorzugsweiſe noͤthig, und muß alſo auch dieſe oder jene Bildung vorzugsweiſe erhalten.
Dies iſt auch die Anſicht, aus welcher die in der neueren Paͤdagogik controvers gewordne, vielfach beſtrit-
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Vierter Abſchnitt.
Sobald wir den Menſchen nicht bloß als Men-
ſchen uͤberhaupt, ſondern als Glied der menſchlichen
Geſellſchaft betrachten, (welches Letztere ſogar eine noth-
wendige Bedingung ſeines vernuͤnftigen Daſeyns ſelbſt
iſt;) muͤſſen wir von einer aͤußeren Beſtimmung
deſſelben eben ſo wohl als von ſeiner inneren Be-
ſtimmung ſprechen, und koͤnnen ſonach als Erzieher
und Bildner auch nicht umgehen, die Bildung unſrer
Lehrlinge auf die Stelle zu berechnen, die ſie in der
Welt (der Geſellſchaft der Menſchen) einnehmen ſollen.
Da der Menſch ſeine Beſtimmung auf Erden nicht in
einer abſtracten Allgemeinheit, als Menſch uͤberhaupt,
ſondern an einer beſtimmten Stelle, in beſtimmten Ver-
haͤltniſſen, mit einem beſtimmten Geſchaͤft, zu erfuͤllen
hat: ſo kann er auch nicht in der abſtracten Allgemein-
heit als Menſch, ſondern muß in Beziehung auf be-
ſtimmte Verhaͤltniſſe gebildet werden, um ſeinen be-
ſtimmten Antheil an der allgemeinen Aufgabe, welche
das Menſchengeſchlecht auf Erden hat, erfuͤllen zu koͤn-
nen. Inſofern kann der Erziehungsunterricht doch auch
die Ruͤckſicht auf die weſentliche Verſchiedenheit der
Individuen in Anſehung ihrer aͤußeren Beſtim-
mung nicht aus den Augen ſetzen. Je nachdem der
Lehrling zu dieſem oder jenem Geſchaͤft auf Erden vor-
zugsweiſe beſtimmt iſt, hat er dieſe oder jene Fertig-
keit, dieſe oder jene Kenntniß vorzugsweiſe noͤthig, und
muß alſo auch dieſe oder jene Bildung vorzugsweiſe
erhalten.
Dies iſt auch die Anſicht, aus welcher die in der
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/344>, abgerufen am 23.11.2024.
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