deren Spur schon längst verloschen ist. Der sicherste Beweis, daß wir unser Leben nicht sowohl nach Stunden und Jahren, sondern nach dem vie- len oder wenigen Guten, das wir vollendet haben, berechnen sollten. Wohl uns, wenn wir in diesem edlen Sinn schon lange und viel gelebt haben! Wohl uns, wenn sich heute, da das scheidende Jahr uns zurücksehn heißt, die Stunden Schaaren- weise in unser Gedächtniß drängen, wo wir für unser und für fremdes Wohl arbeiteten; wo wir unsern Geist anbauten, erhöhten, veredelten; wo wir unsern Verstand an Gegenständen übten, die einer so hohen und auszeichnenden Kraft würdig waren; wo wir durch Forschen und Prüfen Wahr- heit in unsre Begriffe brachten, und uns dadurch an feste unerschütterte Grundsätze des Handelns gewöhnten; wo wir uns dies reine Licht der Wahr- heit leiten ließen, und alle Jrrlichter des Vorur- theils, der herrschenden Mode und der Thorheiten dieser Zeit nicht achteten; wo wir es wagten unter vielen Unweisen Weise, unter vielen Nichtchristen oder Scheinchristen, Christen und wahre thätige Christen zu seyn; wo wir uns selbst bekämpften und überwan- den; wo wir der Stimme unsers Gewissens, den Warnungen des Wortes Gottes, dem großen Bey-
spiel
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deren Spur ſchon längſt verloſchen iſt. Der ſicherſte Beweis, daß wir unſer Leben nicht ſowohl nach Stunden und Jahren, ſondern nach dem vie- len oder wenigen Guten, das wir vollendet haben, berechnen ſollten. Wohl uns, wenn wir in dieſem edlen Sinn ſchon lange und viel gelebt haben! Wohl uns, wenn ſich heute, da das ſcheidende Jahr uns zurückſehn heißt, die Stunden Schaaren- weiſe in unſer Gedächtniß drängen, wo wir für unſer und für fremdes Wohl arbeiteten; wo wir unſern Geiſt anbauten, erhöhten, veredelten; wo wir unſern Verſtand an Gegenſtänden übten, die einer ſo hohen und auszeichnenden Kraft würdig waren; wo wir durch Forſchen und Prüfen Wahr- heit in unſre Begriffe brachten, und uns dadurch an feſte unerſchütterte Grundſätze des Handelns gewöhnten; wo wir uns dies reine Licht der Wahr- heit leiten ließen, und alle Jrrlichter des Vorur- theils, der herrſchenden Mode und der Thorheiten dieſer Zeit nicht achteten; wo wir es wagten unter vielen Unweiſen Weiſe, unter vielen Nichtchriſten oder Scheinchriſten, Chriſten und wahre thätige Chriſten zu ſeyn; wo wir uns ſelbſt bekämpften und überwan- den; wo wir der Stimme unſers Gewiſſens, den Warnungen des Wortes Gottes, dem großen Bey-
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[53[65]/0069]
deren Spur ſchon längſt verloſchen iſt. Der
ſicherſte Beweis, daß wir unſer Leben nicht ſowohl
nach Stunden und Jahren, ſondern nach dem vie-
len oder wenigen Guten, das wir vollendet haben,
berechnen ſollten. Wohl uns, wenn wir in dieſem
edlen Sinn ſchon lange und viel gelebt haben!
Wohl uns, wenn ſich heute, da das ſcheidende
Jahr uns zurückſehn heißt, die Stunden Schaaren-
weiſe in unſer Gedächtniß drängen, wo wir für
unſer und für fremdes Wohl arbeiteten; wo wir
unſern Geiſt anbauten, erhöhten, veredelten; wo
wir unſern Verſtand an Gegenſtänden übten, die
einer ſo hohen und auszeichnenden Kraft würdig
waren; wo wir durch Forſchen und Prüfen Wahr-
heit in unſre Begriffe brachten, und uns dadurch
an feſte unerſchütterte Grundſätze des Handelns
gewöhnten; wo wir uns dies reine Licht der Wahr-
heit leiten ließen, und alle Jrrlichter des Vorur-
theils, der herrſchenden Mode und der Thorheiten
dieſer Zeit nicht achteten; wo wir es wagten unter
vielen Unweiſen Weiſe, unter vielen Nichtchriſten oder
Scheinchriſten, Chriſten und wahre thätige Chriſten
zu ſeyn; wo wir uns ſelbſt bekämpften und überwan-
den; wo wir der Stimme unſers Gewiſſens, den
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 53[65]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/69>, abgerufen am 18.06.2024.
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