Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.Jch werde von so vielem, was ich meinen Ge- Laß uns zuerst uns fragen, ob wir je recht Summe
Jch werde von ſo vielem, was ich meinen Ge- Laß uns zuerſt uns fragen, ob wir je recht Summe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0063" n="47[59]"/> <p>Jch werde von ſo vielem, was ich meinen Ge-<lb/> liebten ſagen möchte, nur wenig ſagen können. Mein<lb/> Herz iſt ſo voll für euch; iſt ſo voll für ſich ſelbſt,<lb/> daß eine Empfindung die andre verdrängt. Jhr wißt,<lb/> daß ich euch ungern traurig mache, und doch iſt uns<lb/><hi rendition="#fr">die</hi> Art von Traurigkeit, die ich vielleicht veranlaſſen<lb/> könnte, gut, und würket eine friedſame Frucht der<lb/> Gerechtigkeit, die wenigſtens in ihren Folgen uns ge-<lb/> wiß zufrieden und froh macht.</p><lb/> <p>Laß uns <hi rendition="#fr">zuerſt</hi> uns fragen, ob wir je recht<lb/> deutlich überdacht haben, was es heißt: <hi rendition="#fr">Jeder durch-<lb/> lebte Zeitraum, jedes Jahr iſt unwiederbringlich,<lb/> unerſetzlich!</hi> Ob wir es uns je im Einzelnen vor-<lb/> ſtellten, daß dies zugleich heißt: Alles was wir alſo<lb/> in dieſer Zeit thaten, kann nie <hi rendition="#fr">ungeſchehen</hi> gemacht<lb/> werden! Jeden ſchlimmen Gedanken, jede ſchlim-<lb/> mere That hat die Zeit mit ſich fortgeriſſen, und es<lb/> außer unſrer Gewalt geſtellt, beydes jemals ganz zu<lb/> vertilgen! Von unſern in träger Unthätigkeit verlohr-<lb/> nen Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, kann nicht<lb/> der mindeſte Nutzen, keine Erndte in der Zukunft ge-<lb/> hofft werden, weil ſie im allereigentlichſten Verſtande<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">verlohren</hi></hi> ſind. Wir können uns in vielen Stü-<lb/> cken <hi rendition="#fr">beſſern;</hi> denn die Zukunft iſt noch von dieſer<lb/> Seite in unſrer Gewalt! Aber wir können nie die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Summe</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47[59]/0063]
Jch werde von ſo vielem, was ich meinen Ge-
liebten ſagen möchte, nur wenig ſagen können. Mein
Herz iſt ſo voll für euch; iſt ſo voll für ſich ſelbſt,
daß eine Empfindung die andre verdrängt. Jhr wißt,
daß ich euch ungern traurig mache, und doch iſt uns
die Art von Traurigkeit, die ich vielleicht veranlaſſen
könnte, gut, und würket eine friedſame Frucht der
Gerechtigkeit, die wenigſtens in ihren Folgen uns ge-
wiß zufrieden und froh macht.
Laß uns zuerſt uns fragen, ob wir je recht
deutlich überdacht haben, was es heißt: Jeder durch-
lebte Zeitraum, jedes Jahr iſt unwiederbringlich,
unerſetzlich! Ob wir es uns je im Einzelnen vor-
ſtellten, daß dies zugleich heißt: Alles was wir alſo
in dieſer Zeit thaten, kann nie ungeſchehen gemacht
werden! Jeden ſchlimmen Gedanken, jede ſchlim-
mere That hat die Zeit mit ſich fortgeriſſen, und es
außer unſrer Gewalt geſtellt, beydes jemals ganz zu
vertilgen! Von unſern in träger Unthätigkeit verlohr-
nen Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, kann nicht
der mindeſte Nutzen, keine Erndte in der Zukunft ge-
hofft werden, weil ſie im allereigentlichſten Verſtande
verlohren ſind. Wir können uns in vielen Stü-
cken beſſern; denn die Zukunft iſt noch von dieſer
Seite in unſrer Gewalt! Aber wir können nie die
Summe
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