Predigt so schlecht, aus oder bey der man nicht et- was lernen; keine so gut, bey der einem nicht man- che Wünsche übrig bleiben könnten. Und überhaupt -- wie kömmt es doch, daß wir uns so leicht und oft das erzählen, was uns mißfiel, und so selten, oder gar nicht, was uns wohlgefiel; was uns belehrte; was uns beruhigte?
Laßt uns den Gedanken, daß wir uns das selbst sagen können, was wir in der Kirchen hören, nicht abhalten, sie zu besuchen! Der Gedanke kann wahr seyn; aber die Folge ist unrichtig. Weil wir uns das sagen können, -- werden wir es uns deswegen auch sagen? Wenn wir heute die Kirche besuchen, so wird uns vielleicht Demuth, Zufriedenheit, Ver- trauen auf Gott, Ernsthaftigkeit, Wohlthätigkeit ge- gen unsre armen und leidenden Mitbrüder, oder ir- gend eine andre Pflicht, in der wir gerade am mei- sten nöthig haben zuzunehmen, empfohlen. Würden wir, wenn wir auch dieselben Stunden zu Beschäff- tigungen mit der Religion angewendet hätten, eben auf diese Materie gekommen seyn? Wo die Mate- rie unsrer eignen Wahl überlassen ist, wo wir aus mehrern geschriebenen Predigten das Aussuchen frey haben, da ist es sehr gewöhnlich, daß man gerade die wählt, mit deren Jnhalt man schon die meiste
Zustim-
Predigt ſo ſchlecht, aus oder bey der man nicht et- was lernen; keine ſo gut, bey der einem nicht man- che Wünſche übrig bleiben könnten. Und überhaupt — wie kömmt es doch, daß wir uns ſo leicht und oft das erzählen, was uns mißfiel, und ſo ſelten, oder gar nicht, was uns wohlgefiel; was uns belehrte; was uns beruhigte?
Laßt uns den Gedanken, daß wir uns das ſelbſt ſagen können, was wir in der Kirchen hören, nicht abhalten, ſie zu beſuchen! Der Gedanke kann wahr ſeyn; aber die Folge iſt unrichtig. Weil wir uns das ſagen können, — werden wir es uns deswegen auch ſagen? Wenn wir heute die Kirche beſuchen, ſo wird uns vielleicht Demuth, Zufriedenheit, Ver- trauen auf Gott, Ernſthaftigkeit, Wohlthätigkeit ge- gen unſre armen und leidenden Mitbrüder, oder ir- gend eine andre Pflicht, in der wir gerade am mei- ſten nöthig haben zuzunehmen, empfohlen. Würden wir, wenn wir auch dieſelben Stunden zu Beſchäff- tigungen mit der Religion angewendet hätten, eben auf dieſe Materie gekommen ſeyn? Wo die Mate- rie unſrer eignen Wahl überlaſſen iſt, wo wir aus mehrern geſchriebenen Predigten das Ausſuchen frey haben, da iſt es ſehr gewöhnlich, daß man gerade die wählt, mit deren Jnhalt man ſchon die meiſte
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[26[38]/0042]
Predigt ſo ſchlecht, aus oder bey der man nicht et-
was lernen; keine ſo gut, bey der einem nicht man-
che Wünſche übrig bleiben könnten. Und überhaupt —
wie kömmt es doch, daß wir uns ſo leicht und oft
das erzählen, was uns mißfiel, und ſo ſelten, oder
gar nicht, was uns wohlgefiel; was uns belehrte;
was uns beruhigte?
Laßt uns den Gedanken, daß wir uns das ſelbſt
ſagen können, was wir in der Kirchen hören, nicht
abhalten, ſie zu beſuchen! Der Gedanke kann wahr
ſeyn; aber die Folge iſt unrichtig. Weil wir uns
das ſagen können, — werden wir es uns deswegen
auch ſagen? Wenn wir heute die Kirche beſuchen,
ſo wird uns vielleicht Demuth, Zufriedenheit, Ver-
trauen auf Gott, Ernſthaftigkeit, Wohlthätigkeit ge-
gen unſre armen und leidenden Mitbrüder, oder ir-
gend eine andre Pflicht, in der wir gerade am mei-
ſten nöthig haben zuzunehmen, empfohlen. Würden
wir, wenn wir auch dieſelben Stunden zu Beſchäff-
tigungen mit der Religion angewendet hätten, eben
auf dieſe Materie gekommen ſeyn? Wo die Mate-
rie unſrer eignen Wahl überlaſſen iſt, wo wir aus
mehrern geſchriebenen Predigten das Ausſuchen frey
haben, da iſt es ſehr gewöhnlich, daß man gerade
die wählt, mit deren Jnhalt man ſchon die meiſte
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 26[38]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/42>, abgerufen am 16.02.2025.
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