der Verfassung in den etruskischen Ritualbüchern ge- schrieben standen, so scheint es mir daß niemand der das Wesen religiös als aus einer Offenbarung nieder- geschriebener Gesetze kennt, bezweifeln könne daß die etruskischen heiligen Schriften, gleich den mosaischen und indischen Gesetzbüchern, das bürgerliche Recht ne- ben dem Ritual und den Verfassungsgesetzen enthalten haben werden. Dieses Recht aber mußte sich nothwen- dig auf die patricischen Geschlechter und ihre Schutz- verwandten beschränken. Wie späterhin die Ertheilung der Civität das bürgerliche Recht eines Municipiums nicht änderte, wenn dieses nicht freywillig das römi- sche annahm, so, und noch vielmehr befanden sich die Plebejer außer dem Umfange dieses etruskischen der Pa- tricier. Da nun aber die plebejischen Stämme aus vie- len Gemeinden erwachsen waren, unter denen sehr ab- weichende Rechte gelten mochten, und aus vielen Ein- zelnen deren Gemeinden vernichtet, oder die von ih- nen abgerissen waren, so mußte hieraus eine immer wachsende Verwirrung des Rechts entstehen: und diese Rechte waren sicher nur herkömmlich erhalten, nicht auf- gezeichnet. Es wird nicht irrig seyn anzunehmen, daß die Verschiedenheit des bürgerlichen Rechts zwischen den beyden Ständen nicht weniger nachtheilig empfunden ward als die Verwirrung desselben unter den Plebejern. Hätte von Alters her für die plebejischen Grundstücke ein Commercium mit den Patriciern bestanden, so wür-
schwankenden Sinn des Worts isegoria, für politische Gleichheit, isonomia für Einerleyheit der Gesetze.
der Verfaſſung in den etruskiſchen Ritualbuͤchern ge- ſchrieben ſtanden, ſo ſcheint es mir daß niemand der das Weſen religioͤs als aus einer Offenbarung nieder- geſchriebener Geſetze kennt, bezweifeln koͤnne daß die etruskiſchen heiligen Schriften, gleich den moſaiſchen und indiſchen Geſetzbuͤchern, das buͤrgerliche Recht ne- ben dem Ritual und den Verfaſſungsgeſetzen enthalten haben werden. Dieſes Recht aber mußte ſich nothwen- dig auf die patriciſchen Geſchlechter und ihre Schutz- verwandten beſchraͤnken. Wie ſpaͤterhin die Ertheilung der Civitaͤt das buͤrgerliche Recht eines Municipiums nicht aͤnderte, wenn dieſes nicht freywillig das roͤmi- ſche annahm, ſo, und noch vielmehr befanden ſich die Plebejer außer dem Umfange dieſes etruskiſchen der Pa- tricier. Da nun aber die plebejiſchen Staͤmme aus vie- len Gemeinden erwachſen waren, unter denen ſehr ab- weichende Rechte gelten mochten, und aus vielen Ein- zelnen deren Gemeinden vernichtet, oder die von ih- nen abgeriſſen waren, ſo mußte hieraus eine immer wachſende Verwirrung des Rechts entſtehen: und dieſe Rechte waren ſicher nur herkoͤmmlich erhalten, nicht auf- gezeichnet. Es wird nicht irrig ſeyn anzunehmen, daß die Verſchiedenheit des buͤrgerlichen Rechts zwiſchen den beyden Staͤnden nicht weniger nachtheilig empfunden ward als die Verwirrung deſſelben unter den Plebejern. Haͤtte von Alters her fuͤr die plebejiſchen Grundſtuͤcke ein Commercium mit den Patriciern beſtanden, ſo wuͤr-
ſchwankenden Sinn des Worts ἰσηγορία, fuͤr politiſche Gleichheit, ἰσονομία fuͤr Einerleyheit der Geſetze.
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der Verfaſſung in den etruskiſchen Ritualbuͤchern ge-
ſchrieben ſtanden, ſo ſcheint es mir daß niemand der
das Weſen religioͤs als aus einer Offenbarung nieder-
geſchriebener Geſetze kennt, bezweifeln koͤnne daß die
etruskiſchen heiligen Schriften, gleich den moſaiſchen
und indiſchen Geſetzbuͤchern, das buͤrgerliche Recht ne-
ben dem Ritual und den Verfaſſungsgeſetzen enthalten
haben werden. Dieſes Recht aber mußte ſich nothwen-
dig auf die patriciſchen Geſchlechter und ihre Schutz-
verwandten beſchraͤnken. Wie ſpaͤterhin die Ertheilung
der Civitaͤt das buͤrgerliche Recht eines Municipiums
nicht aͤnderte, wenn dieſes nicht freywillig das roͤmi-
ſche annahm, ſo, und noch vielmehr befanden ſich die
Plebejer außer dem Umfange dieſes etruskiſchen der Pa-
tricier. Da nun aber die plebejiſchen Staͤmme aus vie-
len Gemeinden erwachſen waren, unter denen ſehr ab-
weichende Rechte gelten mochten, und aus vielen Ein-
zelnen deren Gemeinden vernichtet, oder die von ih-
nen abgeriſſen waren, ſo mußte hieraus eine immer
wachſende Verwirrung des Rechts entſtehen: und dieſe
Rechte waren ſicher nur herkoͤmmlich erhalten, nicht auf-
gezeichnet. Es wird nicht irrig ſeyn anzunehmen, daß
die Verſchiedenheit des buͤrgerlichen Rechts zwiſchen den
beyden Staͤnden nicht weniger nachtheilig empfunden
ward als die Verwirrung deſſelben unter den Plebejern.
Haͤtte von Alters her fuͤr die plebejiſchen Grundſtuͤcke
ein Commercium mit den Patriciern beſtanden, ſo wuͤr-
47)
47) ſchwankenden Sinn des Worts ἰσηγορία, fuͤr politiſche
Gleichheit, ἰσονομία fuͤr Einerleyheit der Geſetze.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/63>, abgerufen am 17.02.2025.
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