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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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war aber den Tribunen weniger um den Untergang des
Angeklagten zu thun, als darum daß ein Vorgang dieses
Recht des Gerichts wieder in Kraft setze, welches seit Co-
riolans Anklage geruht zu haben scheint; deswegen ward
die Mult von ihnen so niedrig geschätzt daß die Patricier,
welche wenigstens eben so sehr nach dem Gelde als nach
der Ehre urtheilten wo sie ihre äußersten Kräfte zum Wi-
derstand aufbieten müßten, der Sache mit größerer Lau-
heit zusehen möchten, und das Volk sich nicht durch Mit-
leiden von der Verurtheilung zurückhalten lasse. Die
Mult ward nur auf 2000 Assen geschätzt, aber die Ver-
dammung zerriß das Herz des Unglücklichen unheilbar:
er starb am Gram. Im folgenden Jahr (279) sprachen
die Tribus den Consular Sp. Servilius auf eine gleiche
tribunicische Anklage frey: weil, in der verzweifelten Lage
des Staats, auch ein unglücklicher Erfolg eine gewagte
Unternehmung nicht verdammen durfte.

Als nun die Befugniß der Tribunen, Patricier vor
das Volksgericht zu rufen, aufs neue factisch anerkannt
war, versuchten sie es sich ihrer Schrecken zu bedienen,
damit das Schicksal bestrafter Consuln ihren Nachfolgern
zur eignen Angelegenheit mache die alten Zusagen des
Senats nicht länger unerfüllt zu lassen. Für die Nichter-
füllung des Ackergesetzes waren, wie der Tribun Cn. Ge-
nucius (281) erklärte, alle Consuln verantwortlich die
seit Sp. Cassius den curulischen Thron eingenommen:
weil die Commissarien deren Ernennung damals den fol-
genden Consuln befohlen worden, nie ernannt wären. Er
wolle dies aber nur an denen des zunächst vergangenen

war aber den Tribunen weniger um den Untergang des
Angeklagten zu thun, als darum daß ein Vorgang dieſes
Recht des Gerichts wieder in Kraft ſetze, welches ſeit Co-
riolans Anklage geruht zu haben ſcheint; deswegen ward
die Mult von ihnen ſo niedrig geſchaͤtzt daß die Patricier,
welche wenigſtens eben ſo ſehr nach dem Gelde als nach
der Ehre urtheilten wo ſie ihre aͤußerſten Kraͤfte zum Wi-
derſtand aufbieten muͤßten, der Sache mit groͤßerer Lau-
heit zuſehen moͤchten, und das Volk ſich nicht durch Mit-
leiden von der Verurtheilung zuruͤckhalten laſſe. Die
Mult ward nur auf 2000 Aſſen geſchaͤtzt, aber die Ver-
dammung zerriß das Herz des Ungluͤcklichen unheilbar:
er ſtarb am Gram. Im folgenden Jahr (279) ſprachen
die Tribus den Conſular Sp. Servilius auf eine gleiche
tribuniciſche Anklage frey: weil, in der verzweifelten Lage
des Staats, auch ein ungluͤcklicher Erfolg eine gewagte
Unternehmung nicht verdammen durfte.

Als nun die Befugniß der Tribunen, Patricier vor
das Volksgericht zu rufen, aufs neue factiſch anerkannt
war, verſuchten ſie es ſich ihrer Schrecken zu bedienen,
damit das Schickſal beſtrafter Conſuln ihren Nachfolgern
zur eignen Angelegenheit mache die alten Zuſagen des
Senats nicht laͤnger unerfuͤllt zu laſſen. Fuͤr die Nichter-
fuͤllung des Ackergeſetzes waren, wie der Tribun Cn. Ge-
nucius (281) erklaͤrte, alle Conſuln verantwortlich die
ſeit Sp. Caſſius den curuliſchen Thron eingenommen:
weil die Commiſſarien deren Ernennung damals den fol-
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[31/0047] war aber den Tribunen weniger um den Untergang des Angeklagten zu thun, als darum daß ein Vorgang dieſes Recht des Gerichts wieder in Kraft ſetze, welches ſeit Co- riolans Anklage geruht zu haben ſcheint; deswegen ward die Mult von ihnen ſo niedrig geſchaͤtzt daß die Patricier, welche wenigſtens eben ſo ſehr nach dem Gelde als nach der Ehre urtheilten wo ſie ihre aͤußerſten Kraͤfte zum Wi- derſtand aufbieten muͤßten, der Sache mit groͤßerer Lau- heit zuſehen moͤchten, und das Volk ſich nicht durch Mit- leiden von der Verurtheilung zuruͤckhalten laſſe. Die Mult ward nur auf 2000 Aſſen geſchaͤtzt, aber die Ver- dammung zerriß das Herz des Ungluͤcklichen unheilbar: er ſtarb am Gram. Im folgenden Jahr (279) ſprachen die Tribus den Conſular Sp. Servilius auf eine gleiche tribuniciſche Anklage frey: weil, in der verzweifelten Lage des Staats, auch ein ungluͤcklicher Erfolg eine gewagte Unternehmung nicht verdammen durfte. Als nun die Befugniß der Tribunen, Patricier vor das Volksgericht zu rufen, aufs neue factiſch anerkannt war, verſuchten ſie es ſich ihrer Schrecken zu bedienen, damit das Schickſal beſtrafter Conſuln ihren Nachfolgern zur eignen Angelegenheit mache die alten Zuſagen des Senats nicht laͤnger unerfuͤllt zu laſſen. Fuͤr die Nichter- fuͤllung des Ackergeſetzes waren, wie der Tribun Cn. Ge- nucius (281) erklaͤrte, alle Conſuln verantwortlich die ſeit Sp. Caſſius den curuliſchen Thron eingenommen: weil die Commiſſarien deren Ernennung damals den fol- genden Conſuln befohlen worden, nie ernannt waͤren. Er wolle dies aber nur an denen des zunaͤchſt vergangenen

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/47>, abgerufen am 29.03.2024.