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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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ten 29). Ein edelmüthiger Aristokrat der durch Liebe
im Volk herrschen kann, wird leicht dessen Freund wer-
den: das wäre ein ganz verwelktes Herz welches allge-
meine Liebe nicht erwiederte. Die Fabier vertraten nun
die plebejische Sache im Senat, und erklärten die Aus-
führung des Ackergesetzes für die heilsam nothwendige Be-
dingung der Eintracht: dafür nannte die herrschende Par-
they sie Verräther 30). Der Entschluß ihres Geschlechs
das Fort an der Cremera zu besetzen, erklärt sich vielleicht
hinreichend aus andern sehr einfachen Gründen: wie es
aber eigentlich eine Auswandrung und Gründung einer
Colonie war, so mag auch der Unmuth über ihrer Mit-
stände Ungerechtigkeit, und den heillosen innern Zustand
der Republik ihren Häuptern Rom verleidet haben. Cäso
Fabius, der Consul, durch den jener Antrag geschehen
war, führte selbst seine Geschlechtsgenossen noch in dem
Jahre seines Consulats aus der Stadt.

Unter diesen Bewegungen hatte das Volk einen Vor-
theil gewonnen, von dem die Geschichtschreiber welche al-
lein gelesen werden schweigen, und dessen Andenken sich
nur bey einem sehr unscheinbaren und demüthigen, unter
einem Reichthum andrer gleich unersetzlicher Notizen,
übersehen oder verschmäht erhalten hat. Schon im Jahr
272 ward nachgegeben, daß, da bisher beyde Consuln von
den Machthabenden ernannt waren, einer von beyden
durch das Volk mit freyer Wahl aus den Patriciern er-

29) Livius II. c. 47.
30) Ebendas. c. 48.

ten 29). Ein edelmuͤthiger Ariſtokrat der durch Liebe
im Volk herrſchen kann, wird leicht deſſen Freund wer-
den: das waͤre ein ganz verwelktes Herz welches allge-
meine Liebe nicht erwiederte. Die Fabier vertraten nun
die plebejiſche Sache im Senat, und erklaͤrten die Aus-
fuͤhrung des Ackergeſetzes fuͤr die heilſam nothwendige Be-
dingung der Eintracht: dafuͤr nannte die herrſchende Par-
they ſie Verraͤther 30). Der Entſchluß ihres Geſchlechs
das Fort an der Cremera zu beſetzen, erklaͤrt ſich vielleicht
hinreichend aus andern ſehr einfachen Gruͤnden: wie es
aber eigentlich eine Auswandrung und Gruͤndung einer
Colonie war, ſo mag auch der Unmuth uͤber ihrer Mit-
ſtaͤnde Ungerechtigkeit, und den heilloſen innern Zuſtand
der Republik ihren Haͤuptern Rom verleidet haben. Caͤſo
Fabius, der Conſul, durch den jener Antrag geſchehen
war, fuͤhrte ſelbſt ſeine Geſchlechtsgenoſſen noch in dem
Jahre ſeines Conſulats aus der Stadt.

Unter dieſen Bewegungen hatte das Volk einen Vor-
theil gewonnen, von dem die Geſchichtſchreiber welche al-
lein geleſen werden ſchweigen, und deſſen Andenken ſich
nur bey einem ſehr unſcheinbaren und demuͤthigen, unter
einem Reichthum andrer gleich unerſetzlicher Notizen,
uͤberſehen oder verſchmaͤht erhalten hat. Schon im Jahr
272 ward nachgegeben, daß, da bisher beyde Conſuln von
den Machthabenden ernannt waren, einer von beyden
durch das Volk mit freyer Wahl aus den Patriciern er-

29) Livius II. c. 47.
30) Ebendaſ. c. 48.
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[26/0042] ten 29). Ein edelmuͤthiger Ariſtokrat der durch Liebe im Volk herrſchen kann, wird leicht deſſen Freund wer- den: das waͤre ein ganz verwelktes Herz welches allge- meine Liebe nicht erwiederte. Die Fabier vertraten nun die plebejiſche Sache im Senat, und erklaͤrten die Aus- fuͤhrung des Ackergeſetzes fuͤr die heilſam nothwendige Be- dingung der Eintracht: dafuͤr nannte die herrſchende Par- they ſie Verraͤther 30). Der Entſchluß ihres Geſchlechs das Fort an der Cremera zu beſetzen, erklaͤrt ſich vielleicht hinreichend aus andern ſehr einfachen Gruͤnden: wie es aber eigentlich eine Auswandrung und Gruͤndung einer Colonie war, ſo mag auch der Unmuth uͤber ihrer Mit- ſtaͤnde Ungerechtigkeit, und den heilloſen innern Zuſtand der Republik ihren Haͤuptern Rom verleidet haben. Caͤſo Fabius, der Conſul, durch den jener Antrag geſchehen war, fuͤhrte ſelbſt ſeine Geſchlechtsgenoſſen noch in dem Jahre ſeines Conſulats aus der Stadt. Unter dieſen Bewegungen hatte das Volk einen Vor- theil gewonnen, von dem die Geſchichtſchreiber welche al- lein geleſen werden ſchweigen, und deſſen Andenken ſich nur bey einem ſehr unſcheinbaren und demuͤthigen, unter einem Reichthum andrer gleich unerſetzlicher Notizen, uͤberſehen oder verſchmaͤht erhalten hat. Schon im Jahr 272 ward nachgegeben, daß, da bisher beyde Conſuln von den Machthabenden ernannt waren, einer von beyden durch das Volk mit freyer Wahl aus den Patriciern er- 29) Livius II. c. 47. 30) Ebendaſ. c. 48.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/42>, abgerufen am 18.04.2024.