Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

zugeben: ein Entschluß wonach seine Verhaftung unsin-
nig gewesen seyn würde, wenn man nicht erwartete daß
dieses heftige Gemüth, wüthend über die erlittene Schmach
und die unverhohlne Absicht gegen sein Leben, sich jetzt
so weit verirren würde daß er fallen müsse.

Wahrscheinlich war Manlius, wie zweydeutig auch
sein Betragen erscheinen mochte, und wenn gleich bey
schönen Handlungen, sobald sie nicht mehr aus ganz
lauterem Sinn geschehen, die ganze Seele verdirbt und
alle innere Wahrheit schnell verliert, bis zu seiner Ver-
haftung nur noch ein ehrgeiziger Bürger, nicht schuldi-
ger als viele Andre die ohne Schmach, und sogar mit
Ruhm im Andenken geblieben sind: rein von jedem be-
wußten Gedanken der Empörung. Der Wunsch nach
Tyranney mußte in der That für einen Römer so un-
sinnig scheinen daß nur die Wuth eines Eingekerkerten
ihn erzeugen konnte. Aber wer in schwarzen Stunden
einen Gedanken des Frevels in sich aufgenommen hat,
der tritt auf immer aus den Banden des Gesetzes; er
gebietet nun über alle Kräfte deren Gebrauch Tugend
und Gewissen ihm bisher versagten; und Manlius hatte
die Menge und die Leidenschaft seiner Anhänger kennen
gelernt. Der Senat hatte während seiner Gefangen-
schaft eine Colonie römischer Bürger nach Satricum zu
senden beschlossen, um das Volk von ihm abzuziehen:
aber zwey und ein halbes Jugerum für die Familie,
zweytausend Bürgern angeboten, war die Freygebigkeit
eines Geizigen die nur mit Hohn empfangen wird. Auch
war die Lage des Orts so gefährlich, mitten unter den

zugeben: ein Entſchluß wonach ſeine Verhaftung unſin-
nig geweſen ſeyn wuͤrde, wenn man nicht erwartete daß
dieſes heftige Gemuͤth, wuͤthend uͤber die erlittene Schmach
und die unverhohlne Abſicht gegen ſein Leben, ſich jetzt
ſo weit verirren wuͤrde daß er fallen muͤſſe.

Wahrſcheinlich war Manlius, wie zweydeutig auch
ſein Betragen erſcheinen mochte, und wenn gleich bey
ſchoͤnen Handlungen, ſobald ſie nicht mehr aus ganz
lauterem Sinn geſchehen, die ganze Seele verdirbt und
alle innere Wahrheit ſchnell verliert, bis zu ſeiner Ver-
haftung nur noch ein ehrgeiziger Buͤrger, nicht ſchuldi-
ger als viele Andre die ohne Schmach, und ſogar mit
Ruhm im Andenken geblieben ſind: rein von jedem be-
wußten Gedanken der Empoͤrung. Der Wunſch nach
Tyranney mußte in der That fuͤr einen Roͤmer ſo un-
ſinnig ſcheinen daß nur die Wuth eines Eingekerkerten
ihn erzeugen konnte. Aber wer in ſchwarzen Stunden
einen Gedanken des Frevels in ſich aufgenommen hat,
der tritt auf immer aus den Banden des Geſetzes; er
gebietet nun uͤber alle Kraͤfte deren Gebrauch Tugend
und Gewiſſen ihm bisher verſagten; und Manlius hatte
die Menge und die Leidenſchaft ſeiner Anhaͤnger kennen
gelernt. Der Senat hatte waͤhrend ſeiner Gefangen-
ſchaft eine Colonie roͤmiſcher Buͤrger nach Satricum zu
ſenden beſchloſſen, um das Volk von ihm abzuziehen:
aber zwey und ein halbes Jugerum fuͤr die Familie,
zweytauſend Buͤrgern angeboten, war die Freygebigkeit
eines Geizigen die nur mit Hohn empfangen wird. Auch
war die Lage des Orts ſo gefaͤhrlich, mitten unter den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0341" n="325"/>
zugeben: ein Ent&#x017F;chluß wonach &#x017F;eine Verhaftung un&#x017F;in-<lb/>
nig gewe&#x017F;en &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn man nicht erwartete daß<lb/>
die&#x017F;es heftige Gemu&#x0364;th, wu&#x0364;thend u&#x0364;ber die erlittene Schmach<lb/>
und die unverhohlne Ab&#x017F;icht gegen &#x017F;ein Leben, &#x017F;ich jetzt<lb/>
&#x017F;o weit verirren wu&#x0364;rde daß er fallen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Wahr&#x017F;cheinlich war Manlius, wie zweydeutig auch<lb/>
&#x017F;ein Betragen er&#x017F;cheinen mochte, und wenn gleich bey<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Handlungen, &#x017F;obald &#x017F;ie nicht mehr aus ganz<lb/>
lauterem Sinn ge&#x017F;chehen, die ganze Seele verdirbt und<lb/>
alle innere Wahrheit &#x017F;chnell verliert, bis zu &#x017F;einer Ver-<lb/>
haftung nur noch ein ehrgeiziger Bu&#x0364;rger, nicht &#x017F;chuldi-<lb/>
ger als viele Andre die ohne Schmach, und &#x017F;ogar mit<lb/>
Ruhm im Andenken geblieben &#x017F;ind: rein von jedem be-<lb/>
wußten Gedanken der Empo&#x0364;rung. Der Wun&#x017F;ch nach<lb/>
Tyranney mußte in der That fu&#x0364;r einen Ro&#x0364;mer &#x017F;o un-<lb/>
&#x017F;innig &#x017F;cheinen daß nur die Wuth eines Eingekerkerten<lb/>
ihn erzeugen konnte. Aber wer in &#x017F;chwarzen Stunden<lb/>
einen Gedanken des Frevels in &#x017F;ich aufgenommen hat,<lb/>
der tritt auf immer aus den Banden des Ge&#x017F;etzes; er<lb/>
gebietet nun u&#x0364;ber alle Kra&#x0364;fte deren Gebrauch Tugend<lb/>
und Gewi&#x017F;&#x017F;en ihm bisher ver&#x017F;agten; und Manlius hatte<lb/>
die Menge und die Leiden&#x017F;chaft &#x017F;einer Anha&#x0364;nger kennen<lb/>
gelernt. Der Senat hatte wa&#x0364;hrend &#x017F;einer Gefangen-<lb/>
&#x017F;chaft eine Colonie ro&#x0364;mi&#x017F;cher Bu&#x0364;rger nach Satricum zu<lb/>
&#x017F;enden be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, um das Volk von ihm abzuziehen:<lb/>
aber zwey und ein halbes Jugerum fu&#x0364;r die Familie,<lb/>
zweytau&#x017F;end Bu&#x0364;rgern angeboten, war die Freygebigkeit<lb/>
eines Geizigen die nur mit Hohn empfangen wird. Auch<lb/>
war die Lage des Orts &#x017F;o gefa&#x0364;hrlich, mitten unter den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0341] zugeben: ein Entſchluß wonach ſeine Verhaftung unſin- nig geweſen ſeyn wuͤrde, wenn man nicht erwartete daß dieſes heftige Gemuͤth, wuͤthend uͤber die erlittene Schmach und die unverhohlne Abſicht gegen ſein Leben, ſich jetzt ſo weit verirren wuͤrde daß er fallen muͤſſe. Wahrſcheinlich war Manlius, wie zweydeutig auch ſein Betragen erſcheinen mochte, und wenn gleich bey ſchoͤnen Handlungen, ſobald ſie nicht mehr aus ganz lauterem Sinn geſchehen, die ganze Seele verdirbt und alle innere Wahrheit ſchnell verliert, bis zu ſeiner Ver- haftung nur noch ein ehrgeiziger Buͤrger, nicht ſchuldi- ger als viele Andre die ohne Schmach, und ſogar mit Ruhm im Andenken geblieben ſind: rein von jedem be- wußten Gedanken der Empoͤrung. Der Wunſch nach Tyranney mußte in der That fuͤr einen Roͤmer ſo un- ſinnig ſcheinen daß nur die Wuth eines Eingekerkerten ihn erzeugen konnte. Aber wer in ſchwarzen Stunden einen Gedanken des Frevels in ſich aufgenommen hat, der tritt auf immer aus den Banden des Geſetzes; er gebietet nun uͤber alle Kraͤfte deren Gebrauch Tugend und Gewiſſen ihm bisher verſagten; und Manlius hatte die Menge und die Leidenſchaft ſeiner Anhaͤnger kennen gelernt. Der Senat hatte waͤhrend ſeiner Gefangen- ſchaft eine Colonie roͤmiſcher Buͤrger nach Satricum zu ſenden beſchloſſen, um das Volk von ihm abzuziehen: aber zwey und ein halbes Jugerum fuͤr die Familie, zweytauſend Buͤrgern angeboten, war die Freygebigkeit eines Geizigen die nur mit Hohn empfangen wird. Auch war die Lage des Orts ſo gefaͤhrlich, mitten unter den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/341
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/341>, abgerufen am 18.05.2024.