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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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allem was der höchsten Gewalt eigenthümlich ist, unbe-
schränkt genannt werden kann. Denn über Leben und
Tod richtete nur die Nation: Alexander erschien als
Philotas Ankläger vor der Armee welche diese in Asien
repräsentirte, sie sprach das Urtheil 10). Daß die Pa-
tricier diese Freyheit genossen, daß sie nur von ihrer eig-
nen Gemeinde gerichtet wurden, während die Plebejer
unter der consularischen Macht standen, ist augenschein-
lich weil sie mit dem Consulat zufrieden waren. Auch
die Könige übten den Blutbann nicht über die Patricier.
Schon unter ihnen wurden die Quästoren oder Blutrichter
erwählt 11), deren Verhältniß zu den Angeklagten
und zur Gemeinde in die Dichtung von den Horatiern
verwebt ist. Die Quästoren thaten den ersten Aus-
spruch über Schuld oder Unschuld: ihre Lossprechung
befreyte: von ihrer Verurtheilung appellirte der für
schuldig erklärte an die Gemeinde. Sie wurden, jähr-
lich zwey, erwählt: standen nun die Plebejer unter dem
königlichen, dann unter dem consularischen Gericht, und
waren die Quästoren Vermittler der patricischen Frey-
heit, so scheint es nothwendig daß sie nicht allein, wie
es aus allen Spuren erhellt, aus, sondern auch nur
von den Patriciern gewählt wurden. Daher erklärt es

10) Arrian Anab. Alex. 1. III. p. 72. C. ed. Steph.
11) Junius Gracchanus bey Ulpian, l. un. D. de officio
quaestoris.
Livius I. c. 26. Fenestella hatte in den Pon-
tificischen Büchern gefunden die Provocation sey schon unter
den Königen ausgeübt geworden. Seneca epist. 108. Dies
kann nur auf die patricische Freyheit bezogen werden.

allem was der hoͤchſten Gewalt eigenthuͤmlich iſt, unbe-
ſchraͤnkt genannt werden kann. Denn uͤber Leben und
Tod richtete nur die Nation: Alexander erſchien als
Philotas Anklaͤger vor der Armee welche dieſe in Aſien
repraͤſentirte, ſie ſprach das Urtheil 10). Daß die Pa-
tricier dieſe Freyheit genoſſen, daß ſie nur von ihrer eig-
nen Gemeinde gerichtet wurden, waͤhrend die Plebejer
unter der conſulariſchen Macht ſtanden, iſt augenſchein-
lich weil ſie mit dem Conſulat zufrieden waren. Auch
die Koͤnige uͤbten den Blutbann nicht uͤber die Patricier.
Schon unter ihnen wurden die Quaͤſtoren oder Blutrichter
erwaͤhlt 11), deren Verhaͤltniß zu den Angeklagten
und zur Gemeinde in die Dichtung von den Horatiern
verwebt iſt. Die Quaͤſtoren thaten den erſten Aus-
ſpruch uͤber Schuld oder Unſchuld: ihre Losſprechung
befreyte: von ihrer Verurtheilung appellirte der fuͤr
ſchuldig erklaͤrte an die Gemeinde. Sie wurden, jaͤhr-
lich zwey, erwaͤhlt: ſtanden nun die Plebejer unter dem
koͤniglichen, dann unter dem conſulariſchen Gericht, und
waren die Quaͤſtoren Vermittler der patriciſchen Frey-
heit, ſo ſcheint es nothwendig daß ſie nicht allein, wie
es aus allen Spuren erhellt, aus, ſondern auch nur
von den Patriciern gewaͤhlt wurden. Daher erklaͤrt es

10) Arrian Anab. Alex. 1. III. p. 72. C. ed. Steph.
11) Junius Gracchanus bey Ulpian, l. un. D. de officio
quæstoris.
Livius I. c. 26. Feneſtella hatte in den Pon-
tificiſchen Buͤchern gefunden die Provocation ſey ſchon unter
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[14/0030] allem was der hoͤchſten Gewalt eigenthuͤmlich iſt, unbe- ſchraͤnkt genannt werden kann. Denn uͤber Leben und Tod richtete nur die Nation: Alexander erſchien als Philotas Anklaͤger vor der Armee welche dieſe in Aſien repraͤſentirte, ſie ſprach das Urtheil 10). Daß die Pa- tricier dieſe Freyheit genoſſen, daß ſie nur von ihrer eig- nen Gemeinde gerichtet wurden, waͤhrend die Plebejer unter der conſulariſchen Macht ſtanden, iſt augenſchein- lich weil ſie mit dem Conſulat zufrieden waren. Auch die Koͤnige uͤbten den Blutbann nicht uͤber die Patricier. Schon unter ihnen wurden die Quaͤſtoren oder Blutrichter erwaͤhlt 11), deren Verhaͤltniß zu den Angeklagten und zur Gemeinde in die Dichtung von den Horatiern verwebt iſt. Die Quaͤſtoren thaten den erſten Aus- ſpruch uͤber Schuld oder Unſchuld: ihre Losſprechung befreyte: von ihrer Verurtheilung appellirte der fuͤr ſchuldig erklaͤrte an die Gemeinde. Sie wurden, jaͤhr- lich zwey, erwaͤhlt: ſtanden nun die Plebejer unter dem koͤniglichen, dann unter dem conſulariſchen Gericht, und waren die Quaͤſtoren Vermittler der patriciſchen Frey- heit, ſo ſcheint es nothwendig daß ſie nicht allein, wie es aus allen Spuren erhellt, aus, ſondern auch nur von den Patriciern gewaͤhlt wurden. Daher erklaͤrt es 10) Arrian Anab. Alex. 1. III. p. 72. C. ed. Steph. 11) Junius Gracchanus bey Ulpian, l. un. D. de officio quæstoris. Livius I. c. 26. Feneſtella hatte in den Pon- tificiſchen Buͤchern gefunden die Provocation ſey ſchon unter den Koͤnigen ausgeuͤbt geworden. Seneca epist. 108. Dies kann nur auf die patriciſche Freyheit bezogen werden.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/30>, abgerufen am 26.04.2024.