Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Man muß annehmen daß die alte strenge Ordnung
welche das römische Kriegsgesetz bey Plünderungen er-
oberter Städte vorschrieb, eine Ordnung die, wenn et-
was bey einem so gräßlichen Gegenstand mit Beyfall
genannt werden darf, bewundernswerth heißen muß, in
Augustus Zeitalter nicht mehr beobachtet ward, um es
einigermaaßen entschuldigen zu können, daß Livius dem
Patricier einen Einwurf gegen diese Maaßregel zuschreibt,
der, wie dreist auch der Eigennutz jeden Vorwand auf-
stellt, doch wohl nicht leicht aus dem Munde eines Rö-
mers gehört werden konnte. Denn der römische Soldat
war bey der Plünderung nur befugt zu sammeln und
herbeyzutragen: die Hälfte der Eroberer war damit be-
schäftigt, während die übrige unter den Waffen stand:
daher Unordnung bey Plünderung eines Lagers den Rö-
mern nie, den Griechen so oft, einen schon gewonnenen
Sieg wieder entrissen hat. Die ganze Beute ward dann,
theils durch das Loos vertheilt, theils verkauft: und der
Ertrag, wenn er dem Soldaten gewährt war, kopf-
weise ausgezahlt, sonst für den Schatz behalten 75).
Alles redlich abzuliefern, nichts unterzuschlagen, ver-
pflichtete den Soldaten der Lagereid; den ohne Zweifel
auch die ganze Menge schwören mußte, welche sich, weil
Licinius Antrag durchging, in das Lager vor Veji be-
gab. Wie heilig noch drittehalb Jahrhunderte später,
als Freygeisterey bey den höheren Ständen schon be-
gann Mode zu werden, als diese überhaupt schon ganz
verderbt waren, den Römern unter einander ein Eid

75) Polybius X. c. 16.

Man muß annehmen daß die alte ſtrenge Ordnung
welche das roͤmiſche Kriegsgeſetz bey Pluͤnderungen er-
oberter Staͤdte vorſchrieb, eine Ordnung die, wenn et-
was bey einem ſo graͤßlichen Gegenſtand mit Beyfall
genannt werden darf, bewundernswerth heißen muß, in
Auguſtus Zeitalter nicht mehr beobachtet ward, um es
einigermaaßen entſchuldigen zu koͤnnen, daß Livius dem
Patricier einen Einwurf gegen dieſe Maaßregel zuſchreibt,
der, wie dreiſt auch der Eigennutz jeden Vorwand auf-
ſtellt, doch wohl nicht leicht aus dem Munde eines Roͤ-
mers gehoͤrt werden konnte. Denn der roͤmiſche Soldat
war bey der Pluͤnderung nur befugt zu ſammeln und
herbeyzutragen: die Haͤlfte der Eroberer war damit be-
ſchaͤftigt, waͤhrend die uͤbrige unter den Waffen ſtand:
daher Unordnung bey Pluͤnderung eines Lagers den Roͤ-
mern nie, den Griechen ſo oft, einen ſchon gewonnenen
Sieg wieder entriſſen hat. Die ganze Beute ward dann,
theils durch das Loos vertheilt, theils verkauft: und der
Ertrag, wenn er dem Soldaten gewaͤhrt war, kopf-
weiſe ausgezahlt, ſonſt fuͤr den Schatz behalten 75).
Alles redlich abzuliefern, nichts unterzuſchlagen, ver-
pflichtete den Soldaten der Lagereid; den ohne Zweifel
auch die ganze Menge ſchwoͤren mußte, welche ſich, weil
Licinius Antrag durchging, in das Lager vor Veji be-
gab. Wie heilig noch drittehalb Jahrhunderte ſpaͤter,
als Freygeiſterey bey den hoͤheren Staͤnden ſchon be-
gann Mode zu werden, als dieſe uͤberhaupt ſchon ganz
verderbt waren, den Roͤmern unter einander ein Eid

75) Polybius X. c. 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0247" n="231"/>
        <p>Man muß annehmen daß die alte &#x017F;trenge Ordnung<lb/>
welche das ro&#x0364;mi&#x017F;che Kriegsge&#x017F;etz bey Plu&#x0364;nderungen er-<lb/>
oberter Sta&#x0364;dte vor&#x017F;chrieb, eine Ordnung die, wenn et-<lb/>
was bey einem &#x017F;o gra&#x0364;ßlichen Gegen&#x017F;tand mit Beyfall<lb/>
genannt werden darf, bewundernswerth heißen muß, in<lb/>
Augu&#x017F;tus Zeitalter nicht mehr beobachtet ward, um es<lb/>
einigermaaßen ent&#x017F;chuldigen zu ko&#x0364;nnen, daß Livius dem<lb/>
Patricier einen Einwurf gegen die&#x017F;e Maaßregel zu&#x017F;chreibt,<lb/>
der, wie drei&#x017F;t auch der Eigennutz jeden Vorwand auf-<lb/>
&#x017F;tellt, doch wohl nicht leicht aus dem Munde eines Ro&#x0364;-<lb/>
mers geho&#x0364;rt werden konnte. Denn der ro&#x0364;mi&#x017F;che Soldat<lb/>
war bey der Plu&#x0364;nderung nur befugt zu &#x017F;ammeln und<lb/>
herbeyzutragen: die Ha&#x0364;lfte der Eroberer war damit be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigt, wa&#x0364;hrend die u&#x0364;brige unter den Waffen &#x017F;tand:<lb/>
daher Unordnung bey Plu&#x0364;nderung eines Lagers den Ro&#x0364;-<lb/>
mern nie, den Griechen &#x017F;o oft, einen &#x017F;chon gewonnenen<lb/>
Sieg wieder entri&#x017F;&#x017F;en hat. Die ganze Beute ward dann,<lb/>
theils durch das Loos vertheilt, theils verkauft: und der<lb/>
Ertrag, wenn er dem Soldaten gewa&#x0364;hrt war, kopf-<lb/>
wei&#x017F;e ausgezahlt, &#x017F;on&#x017F;t fu&#x0364;r den Schatz behalten <note place="foot" n="75)">Polybius <hi rendition="#aq">X. c.</hi> 16.</note>.<lb/>
Alles redlich abzuliefern, nichts unterzu&#x017F;chlagen, ver-<lb/>
pflichtete den Soldaten der Lagereid; den ohne Zweifel<lb/>
auch die ganze Menge &#x017F;chwo&#x0364;ren mußte, welche &#x017F;ich, weil<lb/>
Licinius Antrag durchging, in das Lager vor Veji be-<lb/>
gab. Wie heilig noch drittehalb Jahrhunderte &#x017F;pa&#x0364;ter,<lb/>
als Freygei&#x017F;terey bey den ho&#x0364;heren Sta&#x0364;nden &#x017F;chon be-<lb/>
gann Mode zu werden, als die&#x017F;e u&#x0364;berhaupt &#x017F;chon ganz<lb/>
verderbt waren, den Ro&#x0364;mern unter einander ein Eid<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0247] Man muß annehmen daß die alte ſtrenge Ordnung welche das roͤmiſche Kriegsgeſetz bey Pluͤnderungen er- oberter Staͤdte vorſchrieb, eine Ordnung die, wenn et- was bey einem ſo graͤßlichen Gegenſtand mit Beyfall genannt werden darf, bewundernswerth heißen muß, in Auguſtus Zeitalter nicht mehr beobachtet ward, um es einigermaaßen entſchuldigen zu koͤnnen, daß Livius dem Patricier einen Einwurf gegen dieſe Maaßregel zuſchreibt, der, wie dreiſt auch der Eigennutz jeden Vorwand auf- ſtellt, doch wohl nicht leicht aus dem Munde eines Roͤ- mers gehoͤrt werden konnte. Denn der roͤmiſche Soldat war bey der Pluͤnderung nur befugt zu ſammeln und herbeyzutragen: die Haͤlfte der Eroberer war damit be- ſchaͤftigt, waͤhrend die uͤbrige unter den Waffen ſtand: daher Unordnung bey Pluͤnderung eines Lagers den Roͤ- mern nie, den Griechen ſo oft, einen ſchon gewonnenen Sieg wieder entriſſen hat. Die ganze Beute ward dann, theils durch das Loos vertheilt, theils verkauft: und der Ertrag, wenn er dem Soldaten gewaͤhrt war, kopf- weiſe ausgezahlt, ſonſt fuͤr den Schatz behalten 75). Alles redlich abzuliefern, nichts unterzuſchlagen, ver- pflichtete den Soldaten der Lagereid; den ohne Zweifel auch die ganze Menge ſchwoͤren mußte, welche ſich, weil Licinius Antrag durchging, in das Lager vor Veji be- gab. Wie heilig noch drittehalb Jahrhunderte ſpaͤter, als Freygeiſterey bey den hoͤheren Staͤnden ſchon be- gann Mode zu werden, als dieſe uͤberhaupt ſchon ganz verderbt waren, den Roͤmern unter einander ein Eid 75) Polybius X. c. 16.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/247
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/247>, abgerufen am 08.05.2024.