Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

war, bezeugt Polybius 76): noch viel heiliger mußte
er damals seyn. Eben so gewissenhaft trugen die Ara-
ber der ersten Khalifen auch die kostbarste Beute zusam-
men. Daher ist es nicht denkbar daß gierige Plünderer
dem tapfern Soldaten die reichste Beute entrissen hät-
ten, wie der gewissenhafte Claudius bey Livius befürch-
tet; und wie der von der römischen Kriegssitte nicht
unterrichtete Leser des Livius glauben, und den Licini-
schen Vorschlag für sehr ungereimt halten wird. Es
war aber nichts anderes, als ein Vorschlag den ganzen
Ertrag unter das Volk als Entschädigung für die so
lange gezahlten Kriegssteuern zu vertheilen; nur dadurch
für die ärmeren Klassen günstiger, daß die welche es
verschmähten Theil daran zu nehmen nichts empfingen;
und daß, mit Ausnahme der verhältnißmäßig größeren
Antheile der Hauptleute und Ritter, alle gleich viel be-
kamen; sie mochten nun in der ersten oder in der sech-
sten Klasse gestenert haben.

Da nun der Schacht vollendet war welcher aus dem
Gang in die Burg führte, und der Erfolg von dem
Willen der Königin Juno abhing, in deren Tempel er
sich öffnen sollte, richtete der Dictator an sie Gebete
und Gelübde, Verheissungen noch größerer Ehre, um
ihr Herz dem Volk zu entziehen welches bisher ihren
Schutz genossen hatte: und seine Beschwörungen waren
nicht fruchtlos. Zu bestimmter Stunde war der Gang
mit Cohorten angefüllt: die Drommeten bliesen zum An-
griff, und rings umher ward die Stadt von dem zahl-

76) Polybius VI. c. 56.

war, bezeugt Polybius 76): noch viel heiliger mußte
er damals ſeyn. Eben ſo gewiſſenhaft trugen die Ara-
ber der erſten Khalifen auch die koſtbarſte Beute zuſam-
men. Daher iſt es nicht denkbar daß gierige Pluͤnderer
dem tapfern Soldaten die reichſte Beute entriſſen haͤt-
ten, wie der gewiſſenhafte Claudius bey Livius befuͤrch-
tet; und wie der von der roͤmiſchen Kriegsſitte nicht
unterrichtete Leſer des Livius glauben, und den Licini-
ſchen Vorſchlag fuͤr ſehr ungereimt halten wird. Es
war aber nichts anderes, als ein Vorſchlag den ganzen
Ertrag unter das Volk als Entſchaͤdigung fuͤr die ſo
lange gezahlten Kriegsſteuern zu vertheilen; nur dadurch
fuͤr die aͤrmeren Klaſſen guͤnſtiger, daß die welche es
verſchmaͤhten Theil daran zu nehmen nichts empfingen;
und daß, mit Ausnahme der verhaͤltnißmaͤßig groͤßeren
Antheile der Hauptleute und Ritter, alle gleich viel be-
kamen; ſie mochten nun in der erſten oder in der ſech-
ſten Klaſſe geſtenert haben.

Da nun der Schacht vollendet war welcher aus dem
Gang in die Burg fuͤhrte, und der Erfolg von dem
Willen der Koͤnigin Juno abhing, in deren Tempel er
ſich oͤffnen ſollte, richtete der Dictator an ſie Gebete
und Geluͤbde, Verheiſſungen noch groͤßerer Ehre, um
ihr Herz dem Volk zu entziehen welches bisher ihren
Schutz genoſſen hatte: und ſeine Beſchwoͤrungen waren
nicht fruchtlos. Zu beſtimmter Stunde war der Gang
mit Cohorten angefuͤllt: die Drommeten blieſen zum An-
griff, und rings umher ward die Stadt von dem zahl-

76) Polybius VI. c. 56.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0248" n="232"/>
war, bezeugt Polybius <note place="foot" n="76)">Polybius <hi rendition="#aq">VI. c.</hi> 56.</note>: noch viel heiliger mußte<lb/>
er damals &#x017F;eyn. Eben &#x017F;o gewi&#x017F;&#x017F;enhaft trugen die Ara-<lb/>
ber der er&#x017F;ten Khalifen auch die ko&#x017F;tbar&#x017F;te Beute zu&#x017F;am-<lb/>
men. Daher i&#x017F;t es nicht denkbar daß gierige Plu&#x0364;nderer<lb/>
dem tapfern Soldaten die reich&#x017F;te Beute entri&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;t-<lb/>
ten, wie der gewi&#x017F;&#x017F;enhafte Claudius bey Livius befu&#x0364;rch-<lb/>
tet; und wie der von der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Kriegs&#x017F;itte nicht<lb/>
unterrichtete Le&#x017F;er des Livius glauben, und den Licini-<lb/>
&#x017F;chen Vor&#x017F;chlag fu&#x0364;r &#x017F;ehr ungereimt halten wird. Es<lb/>
war aber nichts anderes, als ein Vor&#x017F;chlag den ganzen<lb/>
Ertrag unter das Volk als Ent&#x017F;cha&#x0364;digung fu&#x0364;r die &#x017F;o<lb/>
lange gezahlten Kriegs&#x017F;teuern zu vertheilen; nur dadurch<lb/>
fu&#x0364;r die a&#x0364;rmeren Kla&#x017F;&#x017F;en gu&#x0364;n&#x017F;tiger, daß die welche es<lb/>
ver&#x017F;chma&#x0364;hten Theil daran zu nehmen nichts empfingen;<lb/>
und daß, mit Ausnahme der verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßig gro&#x0364;ßeren<lb/>
Antheile der Hauptleute und Ritter, alle gleich viel be-<lb/>
kamen; &#x017F;ie mochten nun in der er&#x017F;ten oder in der &#x017F;ech-<lb/>
&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;tenert haben.</p><lb/>
        <p>Da nun der Schacht vollendet war welcher aus dem<lb/>
Gang in die Burg fu&#x0364;hrte, und der Erfolg von dem<lb/>
Willen der Ko&#x0364;nigin Juno abhing, in deren Tempel er<lb/>
&#x017F;ich o&#x0364;ffnen &#x017F;ollte, richtete der Dictator an &#x017F;ie Gebete<lb/>
und Gelu&#x0364;bde, Verhei&#x017F;&#x017F;ungen noch gro&#x0364;ßerer Ehre, um<lb/>
ihr Herz dem Volk zu entziehen welches bisher ihren<lb/>
Schutz geno&#x017F;&#x017F;en hatte: und &#x017F;eine Be&#x017F;chwo&#x0364;rungen waren<lb/>
nicht fruchtlos. Zu be&#x017F;timmter Stunde war der Gang<lb/>
mit Cohorten angefu&#x0364;llt: die Drommeten blie&#x017F;en zum An-<lb/>
griff, und rings umher ward die Stadt von dem zahl-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0248] war, bezeugt Polybius 76): noch viel heiliger mußte er damals ſeyn. Eben ſo gewiſſenhaft trugen die Ara- ber der erſten Khalifen auch die koſtbarſte Beute zuſam- men. Daher iſt es nicht denkbar daß gierige Pluͤnderer dem tapfern Soldaten die reichſte Beute entriſſen haͤt- ten, wie der gewiſſenhafte Claudius bey Livius befuͤrch- tet; und wie der von der roͤmiſchen Kriegsſitte nicht unterrichtete Leſer des Livius glauben, und den Licini- ſchen Vorſchlag fuͤr ſehr ungereimt halten wird. Es war aber nichts anderes, als ein Vorſchlag den ganzen Ertrag unter das Volk als Entſchaͤdigung fuͤr die ſo lange gezahlten Kriegsſteuern zu vertheilen; nur dadurch fuͤr die aͤrmeren Klaſſen guͤnſtiger, daß die welche es verſchmaͤhten Theil daran zu nehmen nichts empfingen; und daß, mit Ausnahme der verhaͤltnißmaͤßig groͤßeren Antheile der Hauptleute und Ritter, alle gleich viel be- kamen; ſie mochten nun in der erſten oder in der ſech- ſten Klaſſe geſtenert haben. Da nun der Schacht vollendet war welcher aus dem Gang in die Burg fuͤhrte, und der Erfolg von dem Willen der Koͤnigin Juno abhing, in deren Tempel er ſich oͤffnen ſollte, richtete der Dictator an ſie Gebete und Geluͤbde, Verheiſſungen noch groͤßerer Ehre, um ihr Herz dem Volk zu entziehen welches bisher ihren Schutz genoſſen hatte: und ſeine Beſchwoͤrungen waren nicht fruchtlos. Zu beſtimmter Stunde war der Gang mit Cohorten angefuͤllt: die Drommeten blieſen zum An- griff, und rings umher ward die Stadt von dem zahl- 76) Polybius VI. c. 56.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/248
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/248>, abgerufen am 07.05.2024.