Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser Befugniß konnten sie Einzelnen, wie Appius der
Blinde es zum Vortheil aller Freygelassenen that, das
volle plebejische Bürgerrecht verleihen. Es scheint so-
gar, nach Strenge des Ausdrucks, daß neue Tribus
von den Censoren aus eigener Machtfülle, nicht durch
ein Gesetz angeordnet wurden, um die mit der vollen
Civität belehnten Gemeinden aufzunehmen 2).

Wäre der Ritterstand vom Anfang, wie im letzten
Jahrhundert der Republik, nichts anders als eine al-
lererste Klasse der Reichen gewesen, so würde die Be-
fugniß in denselben zu erheben keine weitere Erwähnung
verdienen als die in die übrigen Klassen der Centurien
nach dem geschätzten Vermögen einzutragen. Aber in
beyden Notizen über die Centurienverfassung, in denen
die Vermögensgränze jeder Klasse so genau angegeben
wird, ist von einer solchen Bestimmung auch nicht die
leiseste Andeutung: die erste Klasse wäre demnach auch
nicht die erste gewesen. Es ist gezeigt worden daß die
achtzehn Centurien des Servius Tullius eine Auflösung
der sechs seines königlichen Vorgängers waren, bey
denen doch offenbar noch nicht an Vermögensabschätzung
zu denken ist.

Daß in der Folge der Geldadel dem alten Begriff
des Ritterstands als Geschlechtsadel untergeschoben ist,
deutet Polybius als eine Neuerung an 3), und es ge-

2) Tribus propter novos cives additae Maecia et Scaptia:
censores addiderunt Q. Publilius Philo, Sp. Postumius.

Livius VIII. c. 17.
3) Polybius VI. c. 20. tous ippeis to men palaion

dieſer Befugniß konnten ſie Einzelnen, wie Appius der
Blinde es zum Vortheil aller Freygelaſſenen that, das
volle plebejiſche Buͤrgerrecht verleihen. Es ſcheint ſo-
gar, nach Strenge des Ausdrucks, daß neue Tribus
von den Cenſoren aus eigener Machtfuͤlle, nicht durch
ein Geſetz angeordnet wurden, um die mit der vollen
Civitaͤt belehnten Gemeinden aufzunehmen 2).

Waͤre der Ritterſtand vom Anfang, wie im letzten
Jahrhundert der Republik, nichts anders als eine al-
lererſte Klaſſe der Reichen geweſen, ſo wuͤrde die Be-
fugniß in denſelben zu erheben keine weitere Erwaͤhnung
verdienen als die in die uͤbrigen Klaſſen der Centurien
nach dem geſchaͤtzten Vermoͤgen einzutragen. Aber in
beyden Notizen uͤber die Centurienverfaſſung, in denen
die Vermoͤgensgraͤnze jeder Klaſſe ſo genau angegeben
wird, iſt von einer ſolchen Beſtimmung auch nicht die
leiſeſte Andeutung: die erſte Klaſſe waͤre demnach auch
nicht die erſte geweſen. Es iſt gezeigt worden daß die
achtzehn Centurien des Servius Tullius eine Aufloͤſung
der ſechs ſeines koͤniglichen Vorgaͤngers waren, bey
denen doch offenbar noch nicht an Vermoͤgensabſchaͤtzung
zu denken iſt.

Daß in der Folge der Geldadel dem alten Begriff
des Ritterſtands als Geſchlechtsadel untergeſchoben iſt,
deutet Polybius als eine Neuerung an 3), und es ge-

2) Tribus propter novos cives additæ Mæcia et Scaptia:
censores addiderunt Q. Publilius Philo, Sp. Postumius.

Livius VIII. c. 17.
3) Polybius VI. c. 20. τοὺς ἱππεῖς τὸ μὲν παλαιὸν
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0197" n="181"/>
die&#x017F;er Befugniß konnten &#x017F;ie Einzelnen, wie Appius der<lb/>
Blinde es zum Vortheil aller Freygela&#x017F;&#x017F;enen that, das<lb/>
volle plebeji&#x017F;che Bu&#x0364;rgerrecht verleihen. Es &#x017F;cheint &#x017F;o-<lb/>
gar, nach Strenge des Ausdrucks, daß neue Tribus<lb/>
von den Cen&#x017F;oren aus eigener Machtfu&#x0364;lle, nicht durch<lb/>
ein Ge&#x017F;etz angeordnet wurden, um die mit der vollen<lb/>
Civita&#x0364;t belehnten Gemeinden aufzunehmen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Tribus propter novos cives additæ Mæcia et Scaptia:<lb/>
censores addiderunt Q. Publilius Philo, Sp. Postumius.</hi><lb/>
Livius <hi rendition="#aq">VIII. c.</hi> 17.</note>.</p><lb/>
        <p>Wa&#x0364;re der Ritter&#x017F;tand vom Anfang, wie im letzten<lb/>
Jahrhundert der Republik, nichts anders als eine al-<lb/>
lerer&#x017F;te Kla&#x017F;&#x017F;e der Reichen gewe&#x017F;en, &#x017F;o wu&#x0364;rde die Be-<lb/>
fugniß in den&#x017F;elben zu erheben keine weitere Erwa&#x0364;hnung<lb/>
verdienen als die in die u&#x0364;brigen Kla&#x017F;&#x017F;en der Centurien<lb/>
nach dem ge&#x017F;cha&#x0364;tzten Vermo&#x0364;gen einzutragen. Aber in<lb/>
beyden Notizen u&#x0364;ber die Centurienverfa&#x017F;&#x017F;ung, in denen<lb/>
die Vermo&#x0364;gensgra&#x0364;nze jeder Kla&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o genau angegeben<lb/>
wird, i&#x017F;t von einer &#x017F;olchen Be&#x017F;timmung auch nicht die<lb/>
lei&#x017F;e&#x017F;te Andeutung: die er&#x017F;te Kla&#x017F;&#x017F;e wa&#x0364;re demnach auch<lb/>
nicht die er&#x017F;te gewe&#x017F;en. Es i&#x017F;t gezeigt worden daß die<lb/>
achtzehn Centurien des Servius Tullius eine Auflo&#x0364;&#x017F;ung<lb/>
der &#x017F;echs &#x017F;eines ko&#x0364;niglichen Vorga&#x0364;ngers waren, bey<lb/>
denen doch offenbar noch nicht an Vermo&#x0364;gensab&#x017F;cha&#x0364;tzung<lb/>
zu denken i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Daß in der Folge der Geldadel dem alten Begriff<lb/>
des Ritter&#x017F;tands als Ge&#x017F;chlechtsadel unterge&#x017F;choben i&#x017F;t,<lb/>
deutet Polybius als eine Neuerung an <note xml:id="note-0197" next="#note-0198" place="foot" n="3)">Polybius <hi rendition="#aq">VI. c.</hi> 20. &#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x1F31;&#x03C0;&#x03C0;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; <hi rendition="#g">&#x03C4;&#x1F78; &#x03BC;&#x1F72;&#x03BD; &#x03C0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B1;&#x03B9;&#x1F78;&#x03BD;</hi></note>, und es ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0197] dieſer Befugniß konnten ſie Einzelnen, wie Appius der Blinde es zum Vortheil aller Freygelaſſenen that, das volle plebejiſche Buͤrgerrecht verleihen. Es ſcheint ſo- gar, nach Strenge des Ausdrucks, daß neue Tribus von den Cenſoren aus eigener Machtfuͤlle, nicht durch ein Geſetz angeordnet wurden, um die mit der vollen Civitaͤt belehnten Gemeinden aufzunehmen 2). Waͤre der Ritterſtand vom Anfang, wie im letzten Jahrhundert der Republik, nichts anders als eine al- lererſte Klaſſe der Reichen geweſen, ſo wuͤrde die Be- fugniß in denſelben zu erheben keine weitere Erwaͤhnung verdienen als die in die uͤbrigen Klaſſen der Centurien nach dem geſchaͤtzten Vermoͤgen einzutragen. Aber in beyden Notizen uͤber die Centurienverfaſſung, in denen die Vermoͤgensgraͤnze jeder Klaſſe ſo genau angegeben wird, iſt von einer ſolchen Beſtimmung auch nicht die leiſeſte Andeutung: die erſte Klaſſe waͤre demnach auch nicht die erſte geweſen. Es iſt gezeigt worden daß die achtzehn Centurien des Servius Tullius eine Aufloͤſung der ſechs ſeines koͤniglichen Vorgaͤngers waren, bey denen doch offenbar noch nicht an Vermoͤgensabſchaͤtzung zu denken iſt. Daß in der Folge der Geldadel dem alten Begriff des Ritterſtands als Geſchlechtsadel untergeſchoben iſt, deutet Polybius als eine Neuerung an 3), und es ge- 2) Tribus propter novos cives additæ Mæcia et Scaptia: censores addiderunt Q. Publilius Philo, Sp. Postumius. Livius VIII. c. 17. 3) Polybius VI. c. 20. τοὺς ἱππεῖς τὸ μὲν παλαιὸν

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/197
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/197>, abgerufen am 23.11.2024.