Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

der religiöse Vorwand kein Glaube: Roms ältere Ge-
schichte nannte einen König der, von einer Magd ge-
boren, dennoch nicht unglücklichere Auspicien gehabt
hatte als die wenigen welche einem patricischen Stamm
angehörten. Auch forderten die Plebejer die Aufhebung
des Gesetzes nur als Wegnahme einer Schmach, und
sie erinnerten die Patricier, es bleibe ganz in ihrer
Macht solche Ehen zu vermeiden, wenn ihr Glaube sie
verböte. Das canulejische Gesetz über das Connubium
beyder Stände ward angenommen (310). Allmählich
verschwand nun ihre bisherige Entfernung; die persön-
lichen Verbindungen der einzelnen milderten den Zwist
der Stände denen sie angehörten: der Hochmuth und
die Mißhandlungen der jungen Patricier hörten auf:
Familienverhältnisse verschafften den Plebejern Aufnahme
in den Senat, und in demselben für ihre Forderungen
Freunde unter den Patriciern selbst, welche nicht wenig
zu ihrer endlichen Bewilligung mitwürkten.

Zu gleicher Zeit hatten neun Tribunen die Roga-
tion bekannt gemacht: daß es der Nation freystehen
solle, nach ihrem Gefallen plebejische oder patricische
Consuln zu erwählen. Je mächtiger die Plebiscite durch
das valerische Gesetz waren, um so heftiger strebte der
herrschende Stand die Annahme der Rogation durch die
gewöhnlichen Mittel zu hindern, indem die Consuln das
Volk von der Gemeindeversammlung zur Aushebung
abriefen. Als aber die Tribunen sich dadurch nicht stö-
ren ließen, schwankten die Patricier zwischen einem
wüthenden Entschluß, und täuschender Nachgiebigkeit

der religioͤſe Vorwand kein Glaube: Roms aͤltere Ge-
ſchichte nannte einen Koͤnig der, von einer Magd ge-
boren, dennoch nicht ungluͤcklichere Auſpicien gehabt
hatte als die wenigen welche einem patriciſchen Stamm
angehoͤrten. Auch forderten die Plebejer die Aufhebung
des Geſetzes nur als Wegnahme einer Schmach, und
ſie erinnerten die Patricier, es bleibe ganz in ihrer
Macht ſolche Ehen zu vermeiden, wenn ihr Glaube ſie
verboͤte. Das canulejiſche Geſetz uͤber das Connubium
beyder Staͤnde ward angenommen (310). Allmaͤhlich
verſchwand nun ihre bisherige Entfernung; die perſoͤn-
lichen Verbindungen der einzelnen milderten den Zwiſt
der Staͤnde denen ſie angehoͤrten: der Hochmuth und
die Mißhandlungen der jungen Patricier hoͤrten auf:
Familienverhaͤltniſſe verſchafften den Plebejern Aufnahme
in den Senat, und in demſelben fuͤr ihre Forderungen
Freunde unter den Patriciern ſelbſt, welche nicht wenig
zu ihrer endlichen Bewilligung mitwuͤrkten.

Zu gleicher Zeit hatten neun Tribunen die Roga-
tion bekannt gemacht: daß es der Nation freyſtehen
ſolle, nach ihrem Gefallen plebejiſche oder patriciſche
Conſuln zu erwaͤhlen. Je maͤchtiger die Plebiſcite durch
das valeriſche Geſetz waren, um ſo heftiger ſtrebte der
herrſchende Stand die Annahme der Rogation durch die
gewoͤhnlichen Mittel zu hindern, indem die Conſuln das
Volk von der Gemeindeverſammlung zur Aushebung
abriefen. Als aber die Tribunen ſich dadurch nicht ſtoͤ-
ren ließen, ſchwankten die Patricier zwiſchen einem
wuͤthenden Entſchluß, und taͤuſchender Nachgiebigkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="168"/>
der religio&#x0364;&#x017F;e Vorwand kein Glaube: Roms a&#x0364;ltere Ge-<lb/>
&#x017F;chichte nannte einen Ko&#x0364;nig der, von einer Magd ge-<lb/>
boren, dennoch nicht unglu&#x0364;cklichere Au&#x017F;picien gehabt<lb/>
hatte als die wenigen welche einem patrici&#x017F;chen Stamm<lb/>
angeho&#x0364;rten. Auch forderten die Plebejer die Aufhebung<lb/>
des Ge&#x017F;etzes nur als Wegnahme einer Schmach, und<lb/>
&#x017F;ie erinnerten die Patricier, es bleibe ganz in ihrer<lb/>
Macht &#x017F;olche Ehen zu vermeiden, wenn ihr Glaube &#x017F;ie<lb/>
verbo&#x0364;te. Das canuleji&#x017F;che Ge&#x017F;etz u&#x0364;ber das Connubium<lb/>
beyder Sta&#x0364;nde ward angenommen (310). Allma&#x0364;hlich<lb/>
ver&#x017F;chwand nun ihre bisherige Entfernung; die per&#x017F;o&#x0364;n-<lb/>
lichen Verbindungen der einzelnen milderten den Zwi&#x017F;t<lb/>
der Sta&#x0364;nde denen &#x017F;ie angeho&#x0364;rten: der Hochmuth und<lb/>
die Mißhandlungen der jungen Patricier ho&#x0364;rten auf:<lb/>
Familienverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;chafften den Plebejern Aufnahme<lb/>
in den Senat, und in dem&#x017F;elben fu&#x0364;r ihre Forderungen<lb/>
Freunde unter den Patriciern &#x017F;elb&#x017F;t, welche nicht wenig<lb/>
zu ihrer endlichen Bewilligung mitwu&#x0364;rkten.</p><lb/>
        <p>Zu gleicher Zeit hatten neun Tribunen die Roga-<lb/>
tion bekannt gemacht: daß es der Nation frey&#x017F;tehen<lb/>
&#x017F;olle, nach ihrem Gefallen plebeji&#x017F;che oder patrici&#x017F;che<lb/>
Con&#x017F;uln zu erwa&#x0364;hlen. Je ma&#x0364;chtiger die Plebi&#x017F;cite durch<lb/>
das valeri&#x017F;che Ge&#x017F;etz waren, um &#x017F;o heftiger &#x017F;trebte der<lb/>
herr&#x017F;chende Stand die Annahme der Rogation durch die<lb/>
gewo&#x0364;hnlichen Mittel zu hindern, indem die Con&#x017F;uln das<lb/>
Volk von der Gemeindever&#x017F;ammlung zur Aushebung<lb/>
abriefen. Als aber die Tribunen &#x017F;ich dadurch nicht &#x017F;to&#x0364;-<lb/>
ren ließen, &#x017F;chwankten die Patricier zwi&#x017F;chen einem<lb/>
wu&#x0364;thenden Ent&#x017F;chluß, und ta&#x0364;u&#x017F;chender Nachgiebigkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0184] der religioͤſe Vorwand kein Glaube: Roms aͤltere Ge- ſchichte nannte einen Koͤnig der, von einer Magd ge- boren, dennoch nicht ungluͤcklichere Auſpicien gehabt hatte als die wenigen welche einem patriciſchen Stamm angehoͤrten. Auch forderten die Plebejer die Aufhebung des Geſetzes nur als Wegnahme einer Schmach, und ſie erinnerten die Patricier, es bleibe ganz in ihrer Macht ſolche Ehen zu vermeiden, wenn ihr Glaube ſie verboͤte. Das canulejiſche Geſetz uͤber das Connubium beyder Staͤnde ward angenommen (310). Allmaͤhlich verſchwand nun ihre bisherige Entfernung; die perſoͤn- lichen Verbindungen der einzelnen milderten den Zwiſt der Staͤnde denen ſie angehoͤrten: der Hochmuth und die Mißhandlungen der jungen Patricier hoͤrten auf: Familienverhaͤltniſſe verſchafften den Plebejern Aufnahme in den Senat, und in demſelben fuͤr ihre Forderungen Freunde unter den Patriciern ſelbſt, welche nicht wenig zu ihrer endlichen Bewilligung mitwuͤrkten. Zu gleicher Zeit hatten neun Tribunen die Roga- tion bekannt gemacht: daß es der Nation freyſtehen ſolle, nach ihrem Gefallen plebejiſche oder patriciſche Conſuln zu erwaͤhlen. Je maͤchtiger die Plebiſcite durch das valeriſche Geſetz waren, um ſo heftiger ſtrebte der herrſchende Stand die Annahme der Rogation durch die gewoͤhnlichen Mittel zu hindern, indem die Conſuln das Volk von der Gemeindeverſammlung zur Aushebung abriefen. Als aber die Tribunen ſich dadurch nicht ſtoͤ- ren ließen, ſchwankten die Patricier zwiſchen einem wuͤthenden Entſchluß, und taͤuſchender Nachgiebigkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/184
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/184>, abgerufen am 04.05.2024.