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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Die Freunde Virginiens sahen, daß wenn nur die
äußerste Anstrengung hinreichte dem Vater die Botschaft
und ihn vor der Stunde des Gerichts zur Stadt zu
bringen, die kleinste Frist dem Tyrannen die Möglich-
keit gewährte ihn im Lager verhaften zu lassen. Ihm
war der Tod des Siccius bereitet: aber auch hier wal-
tete das vorsehende Schicksal über Rom. Icilius hielt
die Sitzung des Decemvirs hin durch Zögerung bey
Verabredung der Bürgen; alle Anwesende hatten die
Hände aufgehoben und ihre Bürgschaft angeboten.
Inzwischen hatten sich zwey seiner Freunde heimlich ent-
fernt, und eilten mit der äußersten Kraft der Pferde
ins Lager. Noch ahndeten die befehlshabenden Decem-
virn nichts: Virginius erhielt unter gleichgültigem Vor-
wand Urlaub nach Rom zu gehen. Sie hatten das La-
ger verlassen ehe Appius Botschaft eingetroffen war
ihn auf keine Weise zu entlassen.

Wie es Licht geworden füllte sich das Forum mit
Bürgern und mit Frauen die der Entscheidung angst-
voll entgegen sahen. Virginius und seine Tochter ka-
men in Trauerkleidern. Er ergriff die Hände, umfaßte
die Kniee der Theilnehmenden, beschwor ihren Schutz,
warnte daß sein Unglück nur ein Vorzeichen der gleichen
Gefahr für jeden sey. Alles weinte mit ihm: aber Ap-
pius Ankunft, der, wie gegen eine Verschwörung und
einen Ausstand, in großer Begleitung das Tribunal be-
trat, verbreitete starres Schrecken. Sein Client brachte
die Klage vor: wahnsinnig von wilder Begierde, scham-
los gleichgültig auch nur wie am gestrigen Tage einen

Die Freunde Virginiens ſahen, daß wenn nur die
aͤußerſte Anſtrengung hinreichte dem Vater die Botſchaft
und ihn vor der Stunde des Gerichts zur Stadt zu
bringen, die kleinſte Friſt dem Tyrannen die Moͤglich-
keit gewaͤhrte ihn im Lager verhaften zu laſſen. Ihm
war der Tod des Siccius bereitet: aber auch hier wal-
tete das vorſehende Schickſal uͤber Rom. Icilius hielt
die Sitzung des Decemvirs hin durch Zoͤgerung bey
Verabredung der Buͤrgen; alle Anweſende hatten die
Haͤnde aufgehoben und ihre Buͤrgſchaft angeboten.
Inzwiſchen hatten ſich zwey ſeiner Freunde heimlich ent-
fernt, und eilten mit der aͤußerſten Kraft der Pferde
ins Lager. Noch ahndeten die befehlshabenden Decem-
virn nichts: Virginius erhielt unter gleichguͤltigem Vor-
wand Urlaub nach Rom zu gehen. Sie hatten das La-
ger verlaſſen ehe Appius Botſchaft eingetroffen war
ihn auf keine Weiſe zu entlaſſen.

Wie es Licht geworden fuͤllte ſich das Forum mit
Buͤrgern und mit Frauen die der Entſcheidung angſt-
voll entgegen ſahen. Virginius und ſeine Tochter ka-
men in Trauerkleidern. Er ergriff die Haͤnde, umfaßte
die Kniee der Theilnehmenden, beſchwor ihren Schutz,
warnte daß ſein Ungluͤck nur ein Vorzeichen der gleichen
Gefahr fuͤr jeden ſey. Alles weinte mit ihm: aber Ap-
pius Ankunft, der, wie gegen eine Verſchwoͤrung und
einen Auſſtand, in großer Begleitung das Tribunal be-
trat, verbreitete ſtarres Schrecken. Sein Client brachte
die Klage vor: wahnſinnig von wilder Begierde, ſcham-
los gleichguͤltig auch nur wie am geſtrigen Tage einen

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[136/0152] Die Freunde Virginiens ſahen, daß wenn nur die aͤußerſte Anſtrengung hinreichte dem Vater die Botſchaft und ihn vor der Stunde des Gerichts zur Stadt zu bringen, die kleinſte Friſt dem Tyrannen die Moͤglich- keit gewaͤhrte ihn im Lager verhaften zu laſſen. Ihm war der Tod des Siccius bereitet: aber auch hier wal- tete das vorſehende Schickſal uͤber Rom. Icilius hielt die Sitzung des Decemvirs hin durch Zoͤgerung bey Verabredung der Buͤrgen; alle Anweſende hatten die Haͤnde aufgehoben und ihre Buͤrgſchaft angeboten. Inzwiſchen hatten ſich zwey ſeiner Freunde heimlich ent- fernt, und eilten mit der aͤußerſten Kraft der Pferde ins Lager. Noch ahndeten die befehlshabenden Decem- virn nichts: Virginius erhielt unter gleichguͤltigem Vor- wand Urlaub nach Rom zu gehen. Sie hatten das La- ger verlaſſen ehe Appius Botſchaft eingetroffen war ihn auf keine Weiſe zu entlaſſen. Wie es Licht geworden fuͤllte ſich das Forum mit Buͤrgern und mit Frauen die der Entſcheidung angſt- voll entgegen ſahen. Virginius und ſeine Tochter ka- men in Trauerkleidern. Er ergriff die Haͤnde, umfaßte die Kniee der Theilnehmenden, beſchwor ihren Schutz, warnte daß ſein Ungluͤck nur ein Vorzeichen der gleichen Gefahr fuͤr jeden ſey. Alles weinte mit ihm: aber Ap- pius Ankunft, der, wie gegen eine Verſchwoͤrung und einen Auſſtand, in großer Begleitung das Tribunal be- trat, verbreitete ſtarres Schrecken. Sein Client brachte die Klage vor: wahnſinnig von wilder Begierde, ſcham- los gleichguͤltig auch nur wie am geſtrigen Tage einen

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/152>, abgerufen am 27.11.2024.