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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Privilegien, oder Gesetze gegen einen einzelnen
Bürger, wurden untersagt 26). Sie müssen also frü-
her, wie die englischen Aechtungsgesetze, üblich gewesen
seyn: sie konnten, nach der damaligen Verfassung, un-
möglich von den Tribunen vorgeschlagen werden, und
Cicero hat sicher nicht unüberlegt geschrieben, aufrühre-
rische Tribunen wären damals noch ganz unbekannt gewe-
sen, man hätte sie nicht einmal möglich geglaubt. Also
von einer ganz anderen Seite mußten diese gefährlichen
Gesetze ausgehen, und wir scheinen befugt sie in den
Curien aufzusuchen, da hier die Gesetzgebung über den
einzelnen blieb; freylich in der schuldlosesten Art, bey
den Testamenten, der Arrogation, und der Zurückberu-
fung eines Bürgers aus der Verbannung 27). Wie
hier das Bürgerrecht wiedergegeben ward, so mochte es
in älteren Zeiten auf gleiche Weise genommen seyn,
wenn man zugiebt daß eine dem Ostracismus ähnliche
Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld
und Verdammung voraussetzt, wie sie Athen keineswegs
eigenthümlich war, auch zu Rom geherrscht haben kann.
Oder entsagten beyde Stände dem in der alten Tren-
nung gegründeten Richteramt in Fehden mit Bürgern
des entgegengesetzten?

Die Abschaffung des Volkstribunats durch die zwölf
Tafeln scheint keinem Zweifel unterworfen zu seyn. Nur
auf eine förmliche Abschaffung, nicht auf eine nur vor-
übergehende Suspension dieses Volksministeriums, nach

26) Cicero de legibus a. a. O.
27) Camillus. Livius V. c. 46.
H 2

Privilegien, oder Geſetze gegen einen einzelnen
Buͤrger, wurden unterſagt 26). Sie muͤſſen alſo fruͤ-
her, wie die engliſchen Aechtungsgeſetze, uͤblich geweſen
ſeyn: ſie konnten, nach der damaligen Verfaſſung, un-
moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden, und
Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben, aufruͤhre-
riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe-
ſen, man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt. Alſo
von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen
Geſetze ausgehen, und wir ſcheinen befugt ſie in den
Curien aufzuſuchen, da hier die Geſetzgebung uͤber den
einzelnen blieb; freylich in der ſchuldloſeſten Art, bey
den Teſtamenten, der Arrogation, und der Zuruͤckberu-
fung eines Buͤrgers aus der Verbannung 27). Wie
hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward, ſo mochte es
in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn,
wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche
Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld
und Verdammung vorausſetzt, wie ſie Athen keineswegs
eigenthuͤmlich war, auch zu Rom geherrſcht haben kann.
Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren-
nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern
des entgegengeſetzten?

Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf
Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn. Nur
auf eine foͤrmliche Abſchaffung, nicht auf eine nur vor-
uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums, nach

26) Cicero de legibus a. a. O.
27) Camillus. Livius V. c. 46.
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[115/0131] Privilegien, oder Geſetze gegen einen einzelnen Buͤrger, wurden unterſagt 26). Sie muͤſſen alſo fruͤ- her, wie die engliſchen Aechtungsgeſetze, uͤblich geweſen ſeyn: ſie konnten, nach der damaligen Verfaſſung, un- moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden, und Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben, aufruͤhre- riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe- ſen, man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt. Alſo von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen Geſetze ausgehen, und wir ſcheinen befugt ſie in den Curien aufzuſuchen, da hier die Geſetzgebung uͤber den einzelnen blieb; freylich in der ſchuldloſeſten Art, bey den Teſtamenten, der Arrogation, und der Zuruͤckberu- fung eines Buͤrgers aus der Verbannung 27). Wie hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward, ſo mochte es in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn, wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld und Verdammung vorausſetzt, wie ſie Athen keineswegs eigenthuͤmlich war, auch zu Rom geherrſcht haben kann. Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren- nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern des entgegengeſetzten? Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn. Nur auf eine foͤrmliche Abſchaffung, nicht auf eine nur vor- uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums, nach 26) Cicero de legibus a. a. O. 27) Camillus. Livius V. c. 46. H 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/131>, abgerufen am 08.05.2024.