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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Dieses zu sagen würden uns die wenigen Bruchstücke
der Gesetze nur unvollkommen berechtigen: die alten
Schriftsteller nehmen fast gar keine Rücksicht auf diesen
ihren wichtigeren Theil. Aber es ist eine Kluft zwischen
dem Geist der Verfassung vor der Decemviralzeit, und
nach derselben, welche diese Zeit als Urheberin der größten
Veränderungen andeutet: und uns mag es gleich gelten,
wenn von diesen auch mehr als bekannt ist, dem Zeitpunkt
unmittelbar nach der Besiegung der Decemvirn angehö-
ren sollte.

Die erste Bedingung der Gleichheit war Vereinigung
der Stände zu einer Nation, und diese forderte eine Na-
tionaleintheilung anstatt der ständischen nach den Ge-
schlechtern und nach den Landschaften. Jene konnte die
Plebejer nicht aufnehmen, wohl aber diese die Patricier.
Daher werden diese von jetzt an als begriffen in einer ört-
lichen Tribus genannt: wenige Jahre nach der Gesetzge-
bung Mam. Aemilius 16), und nach sechszig Jahren Ca-
millus 17). Von nun an sind die ursprünglich plebeji-
schen Tribus gleichbedeutend mit dem Inbegriff der ge-
sammten souverainen Nation 18). Dabey mögen die
ländlichen Tribus die Nahmen patricischer Geschlechter
empfangen haben, welche bey vielen unverkennbar sind,
und bey andern, obwohl gleichgenannte Geschlechter nicht
bekannt sind, auf untergegangene schließen lassen. Durch
diese Vereinigung der Patricier mit dem Volk ward

16) Livius IV. c. 24.
17) Derselbe V. c. 32.
18) Omnibus quinque et triginta tribubus emovere; id est
civitatem -- eripere.
Livius XLV. c. 15.

Dieſes zu ſagen wuͤrden uns die wenigen Bruchſtuͤcke
der Geſetze nur unvollkommen berechtigen: die alten
Schriftſteller nehmen faſt gar keine Ruͤckſicht auf dieſen
ihren wichtigeren Theil. Aber es iſt eine Kluft zwiſchen
dem Geiſt der Verfaſſung vor der Decemviralzeit, und
nach derſelben, welche dieſe Zeit als Urheberin der groͤßten
Veraͤnderungen andeutet: und uns mag es gleich gelten,
wenn von dieſen auch mehr als bekannt iſt, dem Zeitpunkt
unmittelbar nach der Beſiegung der Decemvirn angehoͤ-
ren ſollte.

Die erſte Bedingung der Gleichheit war Vereinigung
der Staͤnde zu einer Nation, und dieſe forderte eine Na-
tionaleintheilung anſtatt der ſtaͤndiſchen nach den Ge-
ſchlechtern und nach den Landſchaften. Jene konnte die
Plebejer nicht aufnehmen, wohl aber dieſe die Patricier.
Daher werden dieſe von jetzt an als begriffen in einer oͤrt-
lichen Tribus genannt: wenige Jahre nach der Geſetzge-
bung Mam. Aemilius 16), und nach ſechszig Jahren Ca-
millus 17). Von nun an ſind die urſpruͤnglich plebeji-
ſchen Tribus gleichbedeutend mit dem Inbegriff der ge-
ſammten ſouverainen Nation 18). Dabey moͤgen die
laͤndlichen Tribus die Nahmen patriciſcher Geſchlechter
empfangen haben, welche bey vielen unverkennbar ſind,
und bey andern, obwohl gleichgenannte Geſchlechter nicht
bekannt ſind, auf untergegangene ſchließen laſſen. Durch
dieſe Vereinigung der Patricier mit dem Volk ward

16) Livius IV. c. 24.
17) Derſelbe V. c. 32.
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civitatem — eripere.
Livius XLV. c. 15.
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[111/0127] Dieſes zu ſagen wuͤrden uns die wenigen Bruchſtuͤcke der Geſetze nur unvollkommen berechtigen: die alten Schriftſteller nehmen faſt gar keine Ruͤckſicht auf dieſen ihren wichtigeren Theil. Aber es iſt eine Kluft zwiſchen dem Geiſt der Verfaſſung vor der Decemviralzeit, und nach derſelben, welche dieſe Zeit als Urheberin der groͤßten Veraͤnderungen andeutet: und uns mag es gleich gelten, wenn von dieſen auch mehr als bekannt iſt, dem Zeitpunkt unmittelbar nach der Beſiegung der Decemvirn angehoͤ- ren ſollte. Die erſte Bedingung der Gleichheit war Vereinigung der Staͤnde zu einer Nation, und dieſe forderte eine Na- tionaleintheilung anſtatt der ſtaͤndiſchen nach den Ge- ſchlechtern und nach den Landſchaften. Jene konnte die Plebejer nicht aufnehmen, wohl aber dieſe die Patricier. Daher werden dieſe von jetzt an als begriffen in einer oͤrt- lichen Tribus genannt: wenige Jahre nach der Geſetzge- bung Mam. Aemilius 16), und nach ſechszig Jahren Ca- millus 17). Von nun an ſind die urſpruͤnglich plebeji- ſchen Tribus gleichbedeutend mit dem Inbegriff der ge- ſammten ſouverainen Nation 18). Dabey moͤgen die laͤndlichen Tribus die Nahmen patriciſcher Geſchlechter empfangen haben, welche bey vielen unverkennbar ſind, und bey andern, obwohl gleichgenannte Geſchlechter nicht bekannt ſind, auf untergegangene ſchließen laſſen. Durch dieſe Vereinigung der Patricier mit dem Volk ward 16) Livius IV. c. 24. 17) Derſelbe V. c. 32. 18) Omnibus quinque et triginta tribubus emovere; id est civitatem — eripere. Livius XLV. c. 15.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/127>, abgerufen am 22.11.2024.