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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Hellenen verdrängt, sich eingeschifft hätten, über das
Adriatische Meer gegangen, im Fluß von Spina (des
Padus Mündung) gelandet wären, und von dort Tyrrhe-
nien als Colonie angesiedelt hätten. Sophokles im Ina-
chus 27) nannte die Argiver Pelasgische Tyrrhener: und
da das uralte Argos und der ganze Peloponnesus Hei-
math der Pelasger in dem Sinn genannt werden wie
dieses Volk als Griechenlands Urbewohner angesehen
wird, so scheint freilich auch der Dichter sie für die
Stammväter der Tyrrhener zu halten.

Myrsilus der Lesbier hingegen meldete: Tyrrhener
hätten ihre Heimath verlassen; wegen der streifenden Wan-
derungen, wie man sie fortziehen und wiederkommen sah,
wäre ihnen der Nahme Pelargi (Störche) beygelegt wor-
den; diese Tyrrhener hätten eine Zeitlang in Attika ge-
wohnt, und dort die Pelasgische Mauer aufgeführt 28).
Diese Erzählung ist, wie auch Dionysius bemerkt, grade
das umgekehrte von der des Hellanikus; das ist dem Grie-
chen nicht aufgefallen, was wir bey der Uebersicht einer
reicheren Menge von Sagen bemerken müssen, daß diese
Umkehrung in das entgegengesetzte grade der Charakter al-
ler Sagengeschichten ist. Myrsilus Erzählung verbindet
sich mit der Erwähnung tyrrhenischer Pelasger an den
griechischen Ufern bey den Schriftstellern des goldnen Zeit-
alters Griechenlands. Es ist augenscheinlich daß er diese,
aus Westen einwandernden, von den alten Pelasgern un-
terscheidet; indem er erklären will, wie ihnen der pelas-

27) Ebendas. c. 25.
28) Ebendas. c. 28.
E 2

Hellenen verdraͤngt, ſich eingeſchifft haͤtten, uͤber das
Adriatiſche Meer gegangen, im Fluß von Spina (des
Padus Muͤndung) gelandet waͤren, und von dort Tyrrhe-
nien als Colonie angeſiedelt haͤtten. Sophokles im Ina-
chus 27) nannte die Argiver Pelasgiſche Tyrrhener: und
da das uralte Argos und der ganze Peloponneſus Hei-
math der Pelasger in dem Sinn genannt werden wie
dieſes Volk als Griechenlands Urbewohner angeſehen
wird, ſo ſcheint freilich auch der Dichter ſie fuͤr die
Stammvaͤter der Tyrrhener zu halten.

Myrſilus der Leſbier hingegen meldete: Tyrrhener
haͤtten ihre Heimath verlaſſen; wegen der ſtreifenden Wan-
derungen, wie man ſie fortziehen und wiederkommen ſah,
waͤre ihnen der Nahme Pelargi (Stoͤrche) beygelegt wor-
den; dieſe Tyrrhener haͤtten eine Zeitlang in Attika ge-
wohnt, und dort die Pelasgiſche Mauer aufgefuͤhrt 28).
Dieſe Erzaͤhlung iſt, wie auch Dionyſius bemerkt, grade
das umgekehrte von der des Hellanikus; das iſt dem Grie-
chen nicht aufgefallen, was wir bey der Ueberſicht einer
reicheren Menge von Sagen bemerken muͤſſen, daß dieſe
Umkehrung in das entgegengeſetzte grade der Charakter al-
ler Sagengeſchichten iſt. Myrſilus Erzaͤhlung verbindet
ſich mit der Erwaͤhnung tyrrheniſcher Pelasger an den
griechiſchen Ufern bey den Schriftſtellern des goldnen Zeit-
alters Griechenlands. Es iſt augenſcheinlich daß er dieſe,
aus Weſten einwandernden, von den alten Pelasgern un-
terſcheidet; indem er erklaͤren will, wie ihnen der pelas-

27) Ebendaſ. c. 25.
28) Ebendaſ. c. 28.
E 2
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[67/0089] Hellenen verdraͤngt, ſich eingeſchifft haͤtten, uͤber das Adriatiſche Meer gegangen, im Fluß von Spina (des Padus Muͤndung) gelandet waͤren, und von dort Tyrrhe- nien als Colonie angeſiedelt haͤtten. Sophokles im Ina- chus 27) nannte die Argiver Pelasgiſche Tyrrhener: und da das uralte Argos und der ganze Peloponneſus Hei- math der Pelasger in dem Sinn genannt werden wie dieſes Volk als Griechenlands Urbewohner angeſehen wird, ſo ſcheint freilich auch der Dichter ſie fuͤr die Stammvaͤter der Tyrrhener zu halten. Myrſilus der Leſbier hingegen meldete: Tyrrhener haͤtten ihre Heimath verlaſſen; wegen der ſtreifenden Wan- derungen, wie man ſie fortziehen und wiederkommen ſah, waͤre ihnen der Nahme Pelargi (Stoͤrche) beygelegt wor- den; dieſe Tyrrhener haͤtten eine Zeitlang in Attika ge- wohnt, und dort die Pelasgiſche Mauer aufgefuͤhrt 28). Dieſe Erzaͤhlung iſt, wie auch Dionyſius bemerkt, grade das umgekehrte von der des Hellanikus; das iſt dem Grie- chen nicht aufgefallen, was wir bey der Ueberſicht einer reicheren Menge von Sagen bemerken muͤſſen, daß dieſe Umkehrung in das entgegengeſetzte grade der Charakter al- ler Sagengeſchichten iſt. Myrſilus Erzaͤhlung verbindet ſich mit der Erwaͤhnung tyrrheniſcher Pelasger an den griechiſchen Ufern bey den Schriftſtellern des goldnen Zeit- alters Griechenlands. Es iſt augenſcheinlich daß er dieſe, aus Weſten einwandernden, von den alten Pelasgern un- terſcheidet; indem er erklaͤren will, wie ihnen der pelas- 27) Ebendaſ. c. 25. 28) Ebendaſ. c. 28. E 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/89>, abgerufen am 25.11.2024.